Die Ampel-Koalition legt einen Gesetzentwurf zum kommenden Umgang mit der Pandemie vor. Polen wurde vom EGMR zu Entschädigungszahlungen verurteilt. In Österreich gilt nun flächendeckend die 2G-Regelung.
Thema des Tages
Corona – Beschränkungen: SPD, Grüne und FDP haben einen gemeinsamen Gesetzentwurf zum Umgang mit der Coronapandemie nach Auslaufen der "epidemischen Lage von nationaler Tragweite" Ende November vorgelegt. Die Länder haben dann nur noch eine stark begrenzte Zahl von Instrumenten zur Verfügung, um die Pandemie einzudämmen. Hierzu gehören Abstandsgebote, Maskenpflicht, Verpflichtung zu Hygienekonzepten, 2G- und 3G-Konzepte. Auch diese Instrumente sollen nur bis zum 19. März 2022 zur Verfügung stehen. Außerdem sollen Arbeitgeber in bestimmten Betrieben den Impfstatus ihrer Arbeitnehmer:innen auch ohne epidemische Lage abfragen dürfen. Es soll zudem klargestellt werden, dass das Fälschen von Impfpässen auch gegenüber Apotheken strafbar ist. Es berichten FAZ (Reinhard Bingener/Christian Geinitz/Julian Staib), SZ (Paul-Anton Krüger/Mike Szymanski), taz (Christian Rath) und spiegel.de.
Werner Bartens (SZ) kritisiert, dass Politiker:innen sich bei der Corona-Bekämpfung wegducken und macht die "Absurdität" mancher Argumentationen an folgendem Parallel-Beispiel deutlich: "Die meisten Verkehrsunfälle im Winter passieren mit Winterreifen. Sie sind also nicht hundertprozentig wirksam, zudem vermitteln sie falsche Sicherheit. Insofern sollte der Staat niemanden bevormunden und Winterreifen vorschreiben. Jeder sollte die Freiheit haben zu entscheiden. Zudem könnte es Rechtsextremen in die Hände spielen und die Reifenwechselbereitschaft mindern, wenn der Staat Druck ausübt oder gar Winterreifen verlangt."
Rechtspolitik
Verbandsklagerecht für Arbeitnehmerrechte: Laut Hbl (Dietmar Neuerer/ Frank Specht) fordert Hamburgs Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) ein Verbandsklagerecht zum Schutz von Arbeitnehmer:innen. Sie geht davon aus, dass arbeitsrechtliche Ansprüche von Beschäftigten damit einfacher durchgesetzt werden können. Kritiker verweisen jedoch auf das in Frankreich geltende Verbandsklagerecht. Dieses ermögliche es Gewerkschaften "im Zweifel sogar gegen den Willen des Arbeitnehmers" zu klagen und stelle somit ein "vergiftetes Geschenk" dar.
Digitale Dienste – Netzsperren: In der Entwicklung des Digitale-Dienste-Gesetzes (Digital Services Act), das europaweit einheitliche Regelungen zum Umgang mit illegalen Inhalten auf Online-Plattformen schaffen soll, liegt dem EU-Parlament ein neuer Vorschlag für Netzsperren vor. Dieser sieht vor, dass die Aufsichtsbehörden Providern von Online-Plattformen anweisen können, Webseiten und Apps mit einem Warnhinweis zu versehen, sie zu entfernen oder zu sperren, wenn durch illegale Inhalte die "Gefahr eines schwerwiegenden Schadens" drohe. Solche Netzsperren seien jedoch umstritten, Netzfreiheitsaktivist:innen befürchteten Zensur im Internet, wie netzpolitik.org (Alexander Fanta) berichtet.
Digitale Dienste – Microtargeting: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Keno Christoffer Potthast analysiert auf dem Verfassungsblog, inwieweit politisches Microtargeting (PMT) verfassungsrechtlich bedenklich sein könnte. PMT ist eine Methode, bei der Daten von Plattformnutzer:innen ausgewertet werden, um personalisierte Werbung zu schalten. Die Nutzung von PMT durch politische Parteien zu Wahlkampfzwecken sei anhand der bisherigen Rechtsprechung noch nicht klar zu bewerten. Dabei stehe der Schutz der parteilichen Kommunikation zur Mitwirkung an der Willensbildung des Volkes im Spannungsfeld zur freien Willensbildung des Einzelnen.
Demokratieförderungsgesetz: Um gegen zunehmend beobachteten Judenhass in der Bundesrepublik vorzugehen, fordert Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, die kommende Ampel-Koalition u.a. dazu auf, das Demokratieförderungsgesetz auf den Weg zu bringen. Das Gesetz habe zum Ziel die "bedarfsorientierte, längerfristige und altersunabhängige Projektförderung von Maßnahmen mit überregionaler Bedeutung zur Demokratiestärkung" zu gewährleisten und biete damit "eine dauerhafte und sichere Perspektive für zivilgesellschaftliche Organisationen". Es berichtet die taz (Klaus Hillenbrand).
Straßenverkehr/Bußgeldkatalog: Überblicksartig werden auf spiegel.de die heute in Kraft tretenden neuen Regelungen des Bußgeldkatalogs vorgestellt. Geschwindigkeitsüberschreitungen werden im Schnitt doppelt so teuer.
Justiz
OVG NRW zu Flüchtlingskosten: Die Städte Xanten und Lennestadt haben keinen Anspruch auf eine Erstattung von Kosten für die Aufnahme und Versorgung von Geflüchteten im Jahr 2015, urteilte das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Es habe sich bei der Aufnahme nicht um Amtshilfe durch die Städte, sondern um eine kommunale Pflichtaufgabe zur Erfüllung nach Weisung gehandelt, bei der den Städten keine über die bereits vom Land gezahlten Beiträge hinausgehenden Zahlungen zustehen, berichtet LTO.
OLG Frankfurt/M. zu Ex-Wirecard-Chef: Das Oberlandesgericht Frankfurt urteilte im Eilverfahren als Berufungsinstanz, dass Ex-Wirecard-Chef Markus Braun einen "Anspruch auf Gewährung von vorläufigem Versicherungsschutz für PR-Kosten hat", wie Hbl und LTO berichten. Die beklagte Managerhaftpflicht-Versicherung hatte sich geweigert, PR-Kosten einer Presseagentur zu übernehmen, die Braun wegen kritischer Medienberichterstattung zu seiner Person wegen der Wirecard-Insolvenz beauftragt hatte. Nach Einschätzung des Gerichts seien solche Kosten aber von den Versicherungsbedingungen umfasst gewesen.
OLG Frankfurt/M. – IS-Anhänger Taha Al-J.: Im Prozess gegen Taha Al-J. hat die Bundesanwaltschaft eine lebenslange Freiheitsstraße und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld gefordert. Er sei Mitglied der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) gewesen und habe ein fünfjähriges jesidisches Mädchen, das er als Sklavin hielt, misshandelt und dann in sengender Hitze verdursten lassen. Der Angeklagte war nach islamischem Recht der Ehemann der vom OLG München zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilten Jennifer W. Der 31-jährige Iraker ist wegen Körperverletzung mit Todesfolge, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen angeklagt. Es berichtet zeit.de.
OLG Braunschweig – Musterfeststellungsklage VW: Im Mammutverfahren gegen Volkswagen vor dem Oberlandesgericht Braunschweig, bei dem untersucht wird, ob Volkswagen die Märkte rechtzeitig über den "sog. Dieselskandal um Millionen von manipulierten Dieselmotoren informierte", könnte nach drei Jahren Verhandlung ein Ende in Sicht sein. Das gab eine Gerichtssprecherin bekannt. Hinweise zum weiteren Verfahren werden voraussichtlich in naher Zukunft durch das Gericht folgen, wie die FAZ meldet.
VG Mainz zu außerplanmäßiger Professur: Laut Entscheidung des Verwaltungsgerichts Mainz setzt die Verleihung des Ehrentitels "außerplanmäßiger Professor" voraus, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an der entsprechenden Hochschule lehrt. Geklagt hatte ein habilitierter Wissenschaftler, dem die Bezeichnung versagt worden war, nachdem er kurz nach Antragstellung von der Hochschule an eine Klinik wechselte. Eine Lehrtätigkeit zum Zeitpunkt der Antragstellung reiche zur Erlangung des Titels jedoch nicht aus, weil sie die "besondere Verbundenheit mit der betreffenden Hochschule" nicht genügend zum Ausdruck bringe. Es berichtet LTO.
LG Hanau – Sektenmord: spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet über das Verfahren gegen die sechzigjährige Claudia H., der vor dem Landgericht Hanau vorgeworfen wird, 1988 ihren damals vierjährigen Sohn ermordet zu haben. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, die Mutter habe den Jungen mit Haferschleim "vollgestopft" und dann in einen Leinensack gesteckt, in dem er unter Obhut der bereits wegen Mordes verurteilten Ehefrau eines Sektenführers letztlich an Erbrochenem erstickte. Die Mutter verneinte ihre Schuld.
Klimaschutz vor Gericht: Über die Frage, ob Gerichte effektive Klimapolitik durchsetzen sollen oder ob der Klimaschutz vielmehr der Politik überlassen bleiben sollte, wurde bei einer Tagung der Konrad-Adenauer-Stiftung diskutiert. Der Verlauf dieser Fachdiskussion, bei der der Karlsruher Klimabeschluss und Verfahren am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte im Mittelpunkt standen, wird von Peggy Fiebig (LTO) ausführlich dargestellt.
Digitalisierung der Justiz: Vor der Justizministerkonferenz am 11. und 12. November macht sich die Bundesrechtsanwaltskammer für die Digitalisierung der Justiz stark. Voraussetzung für die Ausschöpfung des "Potenzials der Digitalisierung" sei eine Sicherung des Datenschutzes und eine "leistungsfähige digitale Infrastruktur", so LTO.
Recht in der Welt
EGMR/Polen – Justizreform: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat Polen erneut im Zusammenhang mit der umstrittenen Justizreform verurteilt. Der Landesjustizrat, der die polnischen Richter auswählt, sei nicht mehr unabhängig genug und unterliege seit der Reform starken Einflüssen von Regierung und Parlamentsmehrheit. Dies beeinträchtige auch die Legitimität der Kammer für außerordentliche Überprüfungen am Obersten Gericht, deren Richter vom Landesjustizrat nach seiner Umgestaltung gewählt wurden. Deshalb gab der EGMR einer Klage von zwei polnischen Richtern statt, deren Fälle vor der Kammer anhängig waren. Die Richter erhalten je 15.000 Euro Entschädigung. Das Urteil des EGMR ist noch nicht rechtskräftig. Es berichten FAZ, LTO und zeit.de (Claudia Thaler).
Österreich – 2G-Regelung: In Österreich wurde aufgrund des eklatanten Anstiegs der Coronainfektionszahlen nun flächendeckend die 2G-Regelung eingeführt. Die Maßnahme komme einem "De-Facto-Lockdown für Ungeimpfte gleich", allein am Arbeitsplatz gelte weiterhin die 3G-Regelung. Damit habe die Regierung in Wien "die Notbremse gezogen", um Anreize zur Immunisierung zu schaffen und den Betrieb des Wintertourismus zu ermöglichen, berichtet spiegel.de (Oliver Das Gupta).
Türkei – Deutschtürke verurteilt: Ein Gericht in Ankara hat den 77-jährigen Deutschtürken Enver Altaylı u.a. wegen Spionage und Mitgliedschaft in einer Terrororganisation zu mehr als 23 Jahren Haft verurteilt. Der Mann wurde 2017 unter dem Vorwurf verhaftet, er habe die Gülen-Bewegung, die von der türkischen Regierung für den Putschversuch 2016 verantwortlich gemacht wird, unterstützt. Seine Anwältin und Tochter halte das Urteil für "politisch motiviert", weil ihr Vater die Regierung kritisiert habe, so zeit.de (Johannes Süßmann) und spiegel.de.
USA – Corona/Impfpflicht: Dass die Umsetzung einer bundesweiten Impf- und Testpflicht wegen verfassungsrechtlicher Bedenken durch ein Bundes-Berufungsgericht in New Orleans vorläufig gestoppt wurde, berichtet nun auch LTO. Die vorläufige Entscheidung stelle einen "juristischen Rückschlag" für die Bestrebungen der Regierung von US-Präsident Joe Biden im Kampf gegen die Coronapandemie dar.
USA – Ladendiebstahl in Kalifornien: Im Bundesstaat Kalifornien nehmen Ladendiebstähle stark zu. Grund dafür sei das umstrittene Gesetz "Rechtssatz 47", nach dem Diebstahl unter 950 Dollar nicht mehr strafrechtlich verfolgt werden darf. Was eigentlich als Entlastung überfüllter Gefängnisse gedacht war, habe nun die extreme Zunahme von Diebstahl zur Folge, wie focus.de berichtet.
Australien – Staatsangehörigkeitsrecht: Auf dem Verfassungsblog ergründet die wissenschaftliche Mitarbeiterin Sangeetha Pillai (in englischer Sprache), ob das australische Staatsangehörigkeitsrecht seit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 exklusiver geworden ist. Dabei beleuchtet sie die Frage, was es überhaupt bedeutet, Australier:in zu sein.
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lto/mr
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Die juristische Presseschau vom 9. November 2021: . In: Legal Tribune Online, 09.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46593 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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