Das Bundesverfassungsgericht verhandelte über zwei Klagen gegen Ausweitung der Parteienfinanzierung. Ein offener Brief soll die Ausfertigung der Wiederaufnahme-Reform verhindern. Frauke Petry wird wegen Betruges verurteilt.
Thema des Tages
BVerfG – Parteienfinanzierung: Die zweitätige Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts zur Ausweitung der staatlichen Parteienfinanzierung im Jahr 2018 hat begonnen. Es geht um ein Normenkontrollverfahren von Grünen, Linken und FDP sowie eine Organklage der AfD gegen die entsprechende Änderung im Parteiengesetz. Im Normenkontrollverfahren rügte Rechtsprofessorin Sophie Schönberger die "dünne" Begründung für die Anhebung der "absoluten Obergrenze" der Mittel von 165 Mio. Euro auf 190 Mio. Euro. Dies sei problematisch, weil die Abgeordneten von SPD und Union hier "in eigener Sache" entschieden hätten. Schönberger sprach von einer "klassischen Konstellation", in der die Interessen des Parlaments mit dem Gemeinwohl in Konflikt gerieten. Sie berief sich auf die Staatsfreiheit der Parteien gem. Art. 21 Grundgesetz (GG). SPD-Schatzmeister Dietmar Nietan rechtfertigte die Erhöhung der Parteimittel mit zusätzlichen Kosten für Öffentlichkeitsarbeit im Internet und sozialen Netzwerken. Ulrich Vosgerau, Rechtsvertreter der AfD in der Organklage, trug vor, dass es der AfD nicht möglich gewesen sei, sich gründlich einzuarbeiten bzw. die Öffentlichkeit zu mobilisieren. Das unnötig überstürzte Verfahren der Gesetzgebung habe Mitwirkungsrechte der Fraktion aus dem Demokratieprinzip gem. Art. 20 GG verletzt. Der Vertreter der Bundesregierung, Rechtsprofessor Karsten Schneider, erklärte hingegen, die Organklage sei unzulässig, die AfD habe ihre "Konfrontations-Obliegenheit" im Gesetzgebungsverfahren verletzt und könne deshalb nicht erst vor Gericht Rechte geltend machen. Wegen der Corona-Pandemie fand die Verhandlung in einer Halle der Karlsruher Messe statt. Am heutigen Mittwoch will sich der Zweite Senat ausführlicher mit der Normenkontrolle befassen. Es berichten SZ (Wolfgang Janisch), FAZ (Marlene Grunert), LTO (Christian Rath), tagesschau.de (Klaus Hempel), deutschlandfunk.de (Gudula Geuther) und Tsp (Jost Müller-Neuhof).
Rechtspolitik
Wiederaufnahme: Mit einem offenen Brief hat die Initiative "#nichtzweimal" an Bundespräsidenten Frank Walter Steinmeier (SPD) appelliert, die vom Bundestag und Bundesrat verabschiedete Erweiterung der Wiederaufnahmegründe in der Strafprozessordnung (StPO) nicht auszufertigen. Sie ermöglicht die Wiederaufnahme des Strafverfahrens bei wegen Mordes oder Tötungsverbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch Freigesprochenen. Die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit beruhen auf dem Verbot der Doppelbestrafung aus Art. 103 Abs. 3 GG. LTO stellt die Initiative vor, die u.a. vom ehemaligen Präsidenten des Deutschen Anwaltsvereins, Ullrich Schellenberg, und der ehemaligen Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) unterstützt wird.
Weltweite Mindeststeuer: Wie aus einem Bericht der SZ (Björn Finke) hervorgeht, wollen die Finanzminister:innen der 20 wichtigsten Industriestaaten, der G 20, am heutigen Mittwoch eine globale Reform der Unternehmensbesteuerung billigen. So soll eine Mindeststeuer auf Gewinne großer Konzerne von 15 Prozent eingeführt werden. Außerdem sollen Digitalunternehmen wie Google mehr Steuern in jenen Ländern zahlen, in denen sie viel Umsatz erzielen, und dafür weniger am Konzernsitz. Den Entwurf einer entsprechenden EU-Richtlinie will die EU-Kommission bereits im kommenden Februar präsentieren.
Regulierung von sozialen Netzwerken: Im Umgang mit der plattform-internen Content-Moderation attestiert Netzpolitik-Experte Stefan Herwig der EU in der FAZ ein "Staatsversagen". Er spricht sich für eine Neuregelung des Haftungsregimes in der E-Commerce-Richtlinie sowie eine Neuausrichtung der Content-Moderation aus. Nur durch eine Internalisierung der Kosten einer effizienten Content-Moderation würden die Konzerne gezwungen, ihre Algorithmen dahingehend zu ändern, dass weniger Löschanfragen und Einsprüche entstünden.
Auf netzpolitik.org plädiert auch Julia Reda, Expertin für Kommunikationsfreiheiten, angesichts der jüngst aufgedeckten Praktiken bei Facebook für eine stärkere Regulierung.
AGB-Kontrolle: In der FAZ fordert Rechtsanwalt Werner Müller eine Reform des Rechts der AGB-Kontrolle im unternehmerischen Geschäftsverkehr. Die entsprechenden Normen sowie die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs seien "übermäßig starr". Als Beispiel der fehlenden "Elastizität" in der unternehmerischen Praxis nennt er die vertragliche Haftungsbegrenzung. Sie sei bei Verträgen zwischen Unternehmen sehr sinnvoll, mit dem derzeitigen AGB-Kontroll-Regime aber rechtlich nur selten vereinbar.
Justiz
LG Leipzig zu Frauke Petry: Die ehemalige AfD-Chefin Frauke Petry ist wegen Subventionsbetrug, Untreue und Steuerhinterziehung vom Landgericht Leipzig zu einer Geldstrafe in Höhe von 150 Tagessätzen von jeweils 75 Euro verurteilt worden. In dem Verfahren ging es laut welt.de um eine Förderung, die Petry 2014 für eine Beratung ihrer damaligen Firma beantragt hatte. In Wirklichkeit soll sie das Geld jedoch verwendet haben, um Rechnungen zu begleichen, die bei der Abwicklung ihrer Privatinsolvenz aufgelaufen waren.
EuGH – EU-Rechtsstaatlichkeit und Finanzen: Der Europäische Gerichtshof verhandelte am Montag und Dienstag über die Klagen Polens und Ungarns gegen die neue EU-Verordnung, die finanzielle Sanktionen gegen EU-Staaten ermöglicht, die Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit haben. Wie tagesschau.de (Gigi Deppe) schreibt, ging es vor allem um die Frage, ab wann genau welche Maßnahmen drohten und inwiefern dies für die Mitgliedstaaten vorhersehbar sein müsse. Am 2. Dezember sollen die Schlussanträge des Generalanwalts veröffentlicht werden.
BGH – Jameda: Der Bundesgerichtshof verhandelte erneut über das Ärzte-Bewertungsportal Jameda. Zwei Zahnärzte aus Nordrhein-Westfalen verlangten, dort nicht mehr aufgeführt und bewertet zu werden, da sie als Basiskunden ohne kostenpflichtige Premiumpakete kaum die Möglichkeit hätten, ihr Profil ansprechend zu gestalten. Laut FAZ machte der BGH den Klägern wenig Hoffnungen.
VGH Bayern zu Corona-Ausgangssperre: Die Welt (Thorsten Jungholt) beschäftigt sich mit den Folgen der Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zur Rechtswidrigkeit der Corona-Ausgangssperren in Bayern. Sowohl die Rückzahlung von gezahlten Bußgeldern als auch Schadensersatzforderungen kämen nun in Betracht. Ersteres sei jedenfalls denkbar, letzteres wohl nur mit "viel Fantasie", insbesondere was die Höhe der Forderung betreffe. Rechtsanwalt Vielmeier moniert das System aus Eilrechts- und Hauptsacheentscheidung, bei der letztere "letztlich nur noch historisch und wissenschaftlich interessant" bleibe und damit politisch folgenlos. Abzuwarten sei noch eine wegen "grundsätzlicher Bedeutung" zugelassene Revision zum Bundesverwaltungsgericht.
OLG Karlsruhe zu Gemeinnützigkeit: Im JuWissBlog schreiben Hannah Gohlke und Vivian Kube, Rechtsreferendarin bzw. Anwältin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, über ein Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom Juni dieses Jahres. Damals scheiterte der AfD-Politiker Stefan Räpple mit einer Unterlassungsklage; er war in einem Bericht der Amadeu-Antonio-Stiftung als "erklärter Antisemit und Holocaust-Relativierer" bezeichnet worden. In dem Urteil habe das Gericht am Rande festgestellt, dass das Gemeinnützigkeitsrecht die Zivilgesellschaft aktiv fördern und nicht die Meinungsfreiheit beschränken soll. Damit habe es einen Gegenpunkt zur restriktiven attac-Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs gesetzt.
LG Stuttgart – Angriff auf Rechtsradikale: Am Landgericht Stuttgart wird am heutigen Mittwoch das Urteil in dem Prozess um die Beteiligung von Joel P. und Diyar A. an einem Angriff auf drei rechtsextremistische Gewerkschafter erwartet. Die Staatsanwaltschaft beruft sich auf eine Reihe von Indizien und fordert fünf Jahre Haft für P. und sechs Jahre für A. wegen gefährlicher Körperverletzung und schweren Landfriedensbruchs. Die taz (Benno Stieber) berichtet ausführlich über den Prozess und den darin rekonstruierten Tathergang.
LG Darmstadt – Mord an Ehefrau: Vor dem Landgericht Darmstadt muss sich der 27-jährige Patrick S. wegen Mordes an seiner Ehefrau verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, seine Ehefrau erwürgt zu haben, weil er nicht akzeptieren konnte, dass sie sich von ihm trennen wollte. Im Anschluss an die Tat habe S. versucht, vorzutäuschen, seine Frau sei bei einem Spaziergang am Rhein einem Sexualverbrechen zum Opfer gefallen. FAZ berichtet.
LG Kiel – Informationspanne: Schleswig-Holsteins Datenschutzbeauftragte, Marit Hansen, hat Klage auf Ersatz "immaterieller Schäden" gegen die Staatsanwaltschaft Kiel erhoben. Diese habe unerlaubt Informationen über Ermittlungsverfahren gegen sie herausgegeben, die dann an die Öffentlichkeit gelangten und ihren Ruf geschädigt hätten. taz-nord (Esther Geisslinger) berichtet.
LG Köln zu #allesaufdentisch auf Youtube: Nachdem das Landgericht Köln im Wege der einstweiligen Verfügung beschlossen hatte, dass die Löschung eines regierungskritischen Videos der Aktion #allesaufdentisch rechtswidrig war, hat Youtube bild.de zufolge das Video wieder online gestellt. Der Grund für die Löschung, ein Verstoß gegen die Youtube-Richtlinien, sei nicht ausreichend begründet gewesen.
Recht in der Welt
Frankreich – Bataclan-Anschlagsserie: Die SZ (Nadia Pantel) widmet ihre Seite Drei-Reportage dem seit Anfang September laufenden Prozess um die Bataclan-Anschlagsserie, der von den Verfahrensbeteiligten als "V13" bezeichnet wird, in Anlehnung an den Tag des Geschehens: Freitag (frz.: "vendredi"), den 13. November 2015. Bis Ende Oktober sollen Hunderte der 1800 Nebenkläger:innen gehört werden. Erst wenn diese die Gelegenheit erhalten haben, ihren Schmerzen, Trauer und Wut vor Gericht Ausdruck zu verleihen, wird es um die Angeklagten gehen.
Österreich – Sebastian Kurz: In Österreich ist im Rahmen von Ermittlungen wegen Korruptionsvorwürfen gegen Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz und mehrere seiner Vertrauten am Dienstag die Meinungsforscherin Sabine Beinschab wegen Verdunkelungsgefahr vorläufig festgenommen worden. Sie soll eine zentrale Rolle bei der Erstellung von geschönten Umfragen gespielt haben, die mit Steuergeld bezahlt und in Medien platziert worden sein sollen. SZ (Cathrin Kahlweit) und faz.net (Stephan Löwenstein) berichten.
IStGH – Jair Bolsonaro und Regenwald: Wegen der Zerstörung des Amazonas-Regenwaldes hat eine Umweltschutzorganisation laut taz (Suanne Schwarz) Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angezeigt. Die Abholzungen richteten regional große Schäden an und wirkten sich auf das globale Klima aus, erklärte die österreichische Initiative AllRise am Dienstag in Wien. Sie wirft Bolsonaro Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor.
Sonstiges
beA: LTO (Hasso Suliak) hat mit Martin Schafhausen, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins, über die bevorstehende Verpflichtung zur Verwendung des besonderen elektronischen Anwaltspostfach (beA) ab dem 1.1.2022 gesprochen. Trotz der zuletzt aufgekommenen Zweifel an der Rechtssicherheit der Zugangsbestätigungen ist er zuversichtlich, dass ab Jahresbeginn eine rechtssichere Nutzung des beA gewährleistet werden könne. In diesem Zusammenhang gelte nach der Rechtsprechung ohnehin ein Anscheinsbeweis durch die im Web-Client gespeicherte und gesendete Nachricht.
Cyberstraftaten: Während die Zahl der Wohnungseinbrüche seit Jahren sinke, stelle man einen starken Zuwachs an Vermögensdelikten im Internet fest, zitiert die FAZ (Marcus Jung) den Braunschweiger Polizeipräsidenten Michael Pientka. Gemeint sind damit vor allem leere Versprechen "kurzfristigen Reichtums" mit scheinbar sicheren Anlagemodellen oder etwa das Anbieten angeblicher Kryptowährungen (z.B. "OneCoin"), die immer wieder Schäden im hohen dreistelligen Millionenbereich anrichten. Aus dem BKA heißt es, dass nur ein Drittel dieser oftmals global organisierten Cyberstraftaten aufgeklärt werden könne.
LGBTQ-Rechte: Im Gespräch mit dem SWR-Radio Report Recht (Fabian Töpel/Pia Brandsch-Böhm) hat die Richterin am Bundesgerichtshof, Johanna Schmidt-Räntsch, über Meilensteine in Gesetzgebung und Rechtsprechung zur Gleichstellung von LGBTQ-Personen in den letzten 70 Jahren sowie über ihre eigene Lebensgeschichte und ihrem Outing als Transgender im Jahr 2014 gesprochen.
NS-Tagung zu Judentum im Recht: Am 3. und 4. Oktober 1936 kamen auf Einladung des "NS-Kronjuristen" Carl Schmitt über 100 Hochschullehrer sowie Gäste aus Partei, Ministerien, NS-Forschungsinstituten in Berlin zusammen, um über die angeblichen Einflüsse des Judentums in der Rechtswissenschaft zu diskutieren. Vorstandsmitglied des Vereins Forum Justizgeschichte Sebastian Felz schreibt für LTO über diese pseudo-rechtswissenschaftliche Zusammenkunft, bei der auch der spätere Grundgesetz-Großkommentator Theodor Maunz als Referent auftrat.
Wahlrechtsverstoß Aiwangers: Der Chef der Freien Wähler, Hubert Aiwanger, muss laut spiegel.de wegen seines umstrittenen Tweets über die Ergebnisse einer vermeintlichen Nachwahlbefragung am Tag der Bundestagswahl kein Bußgeldverfahren fürchten. Dies erklärte der Bundeswahlleiter.
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lto/jpw
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Die juristische Presseschau vom 13. Oktober 2021: . In: Legal Tribune Online, 13.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46331 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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