Volkswagen droht im Streit um Diesel-Abgasreinigung eine Niederlage vor dem EuGH. Der Wegfall der Erstattung von Lohnausfällen von Ungeimpften könnte Fragerecht nach Impfstatus begründen. Stephan Harbarth diskutierte mit Angelika Nussberger.
Thema des Tages
EuGH – VW-Thermofenster: Volkswagen droht im Rechtsstreit um Thermofenster bei der Abgasreinigung eine Niederlage vor dem Europäischen Gerichtshof. Generalanwalt Athanasios Rantos wertete die Thermofenster-Software von VW als eine nach EU-Recht unzulässige Abschalteinrichtung. Die Software sorgt dafür, dass bei bestimmten Außentemperaturen (unter 15 Grad Celsius) und bei bestimmten Höhenmetern die Abgasreinigung reduziert oder abgeschaltet wird. VW beruft sich auf eine Vorschrift im EU-Recht, wonach Abschalteinrichtungen zulässig sind, wenn sie für den Schutz des Motors vor Beschädigung oder Unfall notwendig sind. Der Generalanwalt hält die Ausnahme für nicht gegeben. Sie erfasse nicht den Schutz vor Verschmutzung des Motors oder der Abgasreinigungsanlage. Deshalb verstoße die Thermofenster-Software gegen die EU-Verordnung über die PKW-Typengenehmigung von 2007 und stelle auch einen Mangel im Rahmen der Kaufverträge dar, wobei es im konkreten Fall um Fahrzeugkäufe in Österreich geht. Sollte der EuGH dem Generalanwalt folgen, müsste das Kraftfahrbundesamt Nachrüstungen prüfen. Nach Angaben der Deutschen Umwelthilfe wären allein in Deutschland rund 10 Millionen Diesel-PKW betroffen. Neben VW nutzen auch andere Hersteller Thermofenster bei der Abgasreinigung. Es berichten FAZ (Marcus Jung/Tobias Piller), SZ, taz (Christian Rath), spiegel.de und LTO (Alexander Cremer).
Rechtspolitik
Corona – Auskunft über Impfstatus: Nachdem die Gesundheitsminister:innen von Bund und Ländern am Mittwoch beschlossen, dass Ungeimpfte ab dem 1. November im Quarantänefall keinen Verdienstausfall mehr erstattet bekommen, konstruiert der Anwalt und Rechtsprofessor Michael Fuhlrott daraus auf LTO ein Fragerecht von Arbeitgeber:innen nach dem Impfstatus der Beschäftigten. Weil Betriebe die Lohnfortzahlung nach der gesetzlichen Konzeption zunächst selbst auslegen müssen und ggf. später vom Staat erstattet bekommen, hätten sie ein "großes eigenes Interesse" daran, den Impfstatus der Anspruchssteller:innen zu erfahren. Dieses Interesse überwiege das Persönlichkeitsrecht der Beschäftigten. Laut sz.de teilte auch das Sozialministerium in Baden-Württemberg am Donnerstag mit, dass Unternehmen in diesen Fällen ein Recht auf Auskunft über den Impfstatus hätten.
Einheitliche Ladekabel: Die Europäische Kommission hat einen Richtlinien-Entwurf vorgelegt, der eine verbraucherfreundliche Standardisierung von Ladekabeln bei Handys, Tablets, Kameras, Kopfhörern und Spielekonsolen vorsieht. Von 2024 oder von 2025 an sollen nur noch Kabel des Typs USB-C zulässig sein. Während das EU-Parlament breite Zustimmung signalisiert, zeigt sich Apple angesichts seines abweichenden Lightning-Anschlusses kritisch. Es berichten SZ (Björn Finke), netzpolitik.de (Alexander Fanta) und spiegel.de (Matthias Kremp).
In einem separaten Kommentar kritisiert Björn Finke (SZ) die geplante Standardisierung. Sie sei ein innovationsfeindlicher unnötiger Eingriff in die wirtschaftliche Freiheit und könne "tolle Verbesserungen beim Lightning-Modell" verhindern.
Hochwasserschäden und Umweltrecht: Anwalt Hans-Jürgen Müggenborg plädiert auf beck-aktuell an den Gesetzgeber, die Haftung von Landwirt:innen und anderen Gründstückseigentümer:innen für Schadstoff-Ablagerungen nach einem Hochwasser zu reduzieren. Derzeit haften sie als Zustandsstörer und müssen für die Untersuchung und die Sanierung der Böden aufkommen.
Justiz
BVerfG, EuGH und EGMR: LTO (Annelie Kaufmann) berichtet über ein Gespräch zwischen dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, und der ehemaligen Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Angelika Nußberger. In einer Youtube-Gesprächsreihe anlässlich des 70. Geburtstags des BVerfGs sprachen die beiden über EU-Grundrechte und über die Kompetenz- und Machtverhältnisse zwischen BVerfG, EuGH und EGMR. Harbarth ließ offen, wer unter den drei Gerichten das letzte Wort habe: "Mal das Bundesverfassungsgericht, mal der EuGH und mal der EGMR". Nußberger äußerte im Hinblick auf die Anwendung der EU-Grundrechte durch das BVerfG: "Wenn das BVerfG die EU-Grundrechte-Charta anwendet, kann es durchaus passieren, dass der Betroffene anschließend nach Straßburg geht – dann muss der EGMR entscheiden, ob die Auslegung der Charta durch das BVerfG mit der EMRK vereinbar ist."
VGH Ba-Wü zu Masken- und Testpflicht in Schulen: Der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat die Masken- und Testpflicht im Rahmen eines Eilantrages einer Fünftklässlerin auch für das frisch begonnene Schuljahr für rechtmäßig erklärt. Die Maßnahmen dienten den legitimen Zwecken, das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Schüler:innen zu schützen, Infektionsketten durch das Erkennen von Infizierten zu unterbrechen und soziale Teilhabe sowie Bildungsgerechtigkeit zu ermöglichen. Angesichts der hohen Infektionszahlen bei Schüler:innen im Vergleich zum vergangenen Jahr und der Möglichkeit von Maskenpausen seien die Maßnahmen den Schüler:innen zumutbar. LTO berichtet.
LG Berlin zu Entschädigung von Fluggästen: Das Landgericht Berlin hat der ungarischen Airline Wizz Air verboten, Gebühren für die Abtretung von Entschädigungsansprüchen von Fluggästen zu verlangen. Die Airline hatte in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) eine "Abtretungsbearbeitungsgebühr" für Abtretungen an Fluggastrechteportale oder Legal-Tech-Anbieter vorgesehen. Diese Klausel verstößt nach Ansicht des Gerichts gegen Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) und der EU-Fluggastrechte-Verordnung. Ab Oktober 2021 gilt mit der Implementierung von § 308 Nr. 9 des Bürgerlichen Gesetzbuchs ein gesetzliches Verbot des Abtretungsausschlusses. FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten.
LG Braunschweig – Dieselskandal/VW-Führungskräfte: Wie die FAZ (Christian Müßgens) berichtet, hat der Motorenentwickler Hanno J. die ehemalige VW-Führungsriege um Martin Winterkorn mit seiner Aussage weiter belastet. Zur Abgasmanipulation äußerte er etwa: "Es war nicht meine Entscheidung, die Funktion war gewünscht". Außerdem lehnte das Gericht den Antrag einer Verteidigerin ab, den Prozess wegen Ermittlungsmängeln auszusetzen.
LG Bonn – Cum-Ex/Warburg-Bank: Am Landgericht Bonn hat am Donnerstag ein weiterer Strafprozess gegen einen Investment-Manager von Warburg Invest, einer Tochtergesellschaft der Warburg-Bank, begonnen. Er soll beim Auflegen von Fonds mitgewirkt haben, die Investoren in den Jahren 2009 und 2010 den Handel mit Aktien ermöglichten. Durch die mehrfache Erstattung der Kapitalertragssteuer soll dem Staat ein Schaden von 150 Millionen Euro entstanden sein. Es wurden 16 Verhandlungstermine angesetzt. Die FAZ berichtet.
LG Köln – Thomas Drach: Der frühere Reemtsma-Entführer Thomas Drach könnte sich bald wegen versuchten Mordes und besonders schwerem Raub vor dem Landgericht Köln verantworten müssen. Die Kölner Staatsanwaltschaft hat wegen drei Überfällen auf Geldtransporter Anklage erhoben. Drach war im Mai nach seiner Festnahme in den Niederlanden an Deutschland ausgeliefert worden. 1996 hatte er den Hamburger Erben eines Tabak-Unternehmes, Jan Philipp Reemtsma, entführt und wurde zu vierzehneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. FAZ, spiegel.de und LTO berichten.
StA Osnabrück – FIU/Durchsuchungen: Wie der Tsp (Jost Müller-Neuhof) berichtet, weist der Behördenleiter der Staatsanwaltschaft Osnabrück, Bernard Südbeck, die Vorwürfe von sich, die Staatsanwaltschaft für politische Zwecke instrumentalisiert zu haben. Dem CDU-Mitglied Südbeck wurde insbesondere aus Reihen der SPD vorgeworfen, in einer Pressemitteilung über eine Durchsuchung in SPD-geführten Bundesministerien unsachgemäß formuliert zu haben, dass auch die Verantwortlichkeit der Ministeriums-Leitung untersucht werde. Die Pressemitteilung sei ausschließlich vom parteilosen Pressesprecher Alexander Retemeyer verfasst worden, Südbeck soll sie nur zur Kenntnis genommen haben. Dem CDU-geführten niedersächsischen Justizministerium sei die Pressemitteilung auch nicht vorgelegt worden.
Richter:innen-Beruf: spiegel.de (Florian Gontek) portraitiert die junge Richterin Alexandra Wolf, die schon mit 26 Jahren Richterin auf Probe am Landgericht Heidelberg wurde. Sie berichtet von ihrem Studium, von ihren Beweggründen und vom Berufseinstieg.
Straftäter aus Klinik ausgebrochen: Schon am Mittwoch Abend sind vier Straftäter aus der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie in Heilbronn ausgebrochen, in der sie zum Maßregelvollzug untergebracht waren. Bei den Geflohenen handelt es sich um suchtkranke Straftäter, die ihre Therapie abgebrochen haben und auf den richterlichen Beschluss zur Rückführung in das Gefängnis warteten oder gegen diesen Beschwerde eingelegt haben. spiegel.de berichtet. Die FAZ (Rüdiger Soldt) behauptet zudem, dass manche Täter nur deshalb eine Suchttherapie im Maßregelvollzug beantragen, um dort bessere Fluchtmöglichkeiten zu haben. Die Voraussetzungen für eine Einweisung zur Suchttherapie sollen ohnehin reformiert werden. Eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe unter Federführung des Bundesjustizministerium erarbeitet derzeit einen Vorschlag.
Recht in der Welt
Österreich – Ermittlungen gegen Kurz: Wie die FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet, wurde Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) schon Anfang September von einem Einzelrichter vernommen. Ihm wird eine Falschaussage vor dem parlamentarischen Ibiza-Untersuchungsausschuss vorgeworfen. In einer schriftlichen Stellungnahme dementiert Kurz die Vorwürfe. Ob Anklage erhoben oder das Verfahren eingestellt wird ist derzeit noch unklar.
Österreich – Anzeigen gegen Strache und Löger: Der Verbraucherschutzverein VSV hat den ehemalige FPÖ-Vize-Kanzler Heinz-Christian Strache sowie den ehemaligen ÖVP-Finanzminister Hartwig Löger wegen Bestechlichkeit angezeigt, wie SZ (Cathrin Kahlweit) und spiegel.de (Walter Mayr) berichten. Die beiden Politiker sollen im Juli 2018 durch eine Gesetzesänderung den Anbietern von Lebensversicherungen auf Kosten ihrer Kunden einen erheblichen geldwerten Vorteil verschafft haben.
Polen – Richterimmunität: Die Disziplinarkammer am Obersten Gericht Polens hat die Immunität des Richters Marek Pietruszynski aufgehoben. Die Weiterarbeit der Disziplinarkammer verstößt gegen eine Anordnung des EuGH. Die Präsidentin des Obersten Gerichts hatte nur angeordnet, dass die Disziplinarkammer keine neuen Fälle bekommt. Die Kammer arbeitet aber bereits anhängige Verfahren ab. spiegel.de berichtet.
Ukraine – Gesetz gegen Oligarchen-Einfluss: Wie Welt und spiegel.de berichten, hat das ukrainische Parlament mit absoluter Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, das den Einfluss von Oligarchen auf Politik und Medien mindern soll. Den einflussreichsten Persönlichkeiten des Landes sollen Parteienfinanzierung und Beteiligungen an Privatisierungen von Großunternehmen untersagt werden.
Griechenland – Anzeigen von Impfgegnern: Die griechische Justiz will künftig bei Strafanzeigen von Impfgegnern und Coronaleugnern keine Verfahren mehr einleiten, wenn es dem/der Anzeigenerstatter:in offensichtlich nur darum gehe, die vom Staat erlassenen Coronamaßnahmen auszuhebeln. Das teilte der Staatsanwalt des obersten Gerichtshofs in einem Schreiben an alle griechischen Staatsanwälte mit. Die taz berichtet.
Sonstiges
Europäischer Rat: In einem Gastbeitrag auf LTO erläutert der Rechtsprofessor Franz C. Mayer die Entstehung und die Funktion des Europäischen Rats und interpretiert ihn als "kollektive Präsidialfigur", von der zunehmend auch die europäische Gesetzgebung ausgehe. Angela Merkel sei im Europäischen Rat als dienstältestes Mitglied "eine bestimmende Autorität", weshalb die Wahl des deutschen Kanzlers auch entscheidend für die Europapolitik sei. Dieser Aspekt komme im Bundestagswahlkampf zu kurz.
Bücher von Papier und Di Fabio: Das Hbl (Heike Anger) stellt die neuen Bücher der Ex-Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier ("Freiheit in Gefahr") und Udo Di Fabio ("Corona-Bilanz") vor. Papier erkennt im Klimawandel, in wirtschaftlichen Verteilungskämpfen, im Terrorismus und in Pandemien die neuen Herausforderungen des Verfassungsstaats und hebt die Wichtigkeit der seit der Aufklärung hart erkämpften Freiheiten hervor. Di Fabio analysiert die Pandemie aus einer systemtheoretischen Warte heraus und differenziert dabei nach Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Recht. Im Rahmen eines Gastbeitrags auf beck-community gibt Di Fabio weitere Einblicke in seine "Corona-Bilanz", die keine Abrechnung oder eine Lektüre für Wutbürger sei.
FIU: Die SZ (Jan Diesteldorf/Klaus Ott u.a.) erläutert in einem ausführlichen Artikel die Aufgaben der Financial Intelligence Unit (FIU) und die aktuelle Kritik, die an der Behörde geübt wird. Die Zoll-Spezialeinheit dient der Bekämpfung von Geldwäsche, aber sie komme dieser Tätigkeit nicht ausreichend nach. Vielmehr soll sie mit nicht weitergeleiteten Verdachtsanzeigen selber gegen das Geldwäschegesetz verstoßen haben. Dieser Vorwurf war auch Ausgangspunkt für die politisch brisanten Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Osnabrück wegen Strafvereitelung im Amt, wodurch die FIU über Nacht bekannt wurde.
Ausreise aus Afghanistan: Im FAZ-Einspruch postuliert die Rechtanwältin Roya Sangi eine rechtliche Pflicht der Bundesregierung, allen Deutschen und jenen, "denen wir aus Ingerenz verpflichtet sind, denen wir unser Wort gegeben haben", bei der Ausreise aus Afghanistan zu helfen. Die Pflicht ergebe sich aus dem Grundgesetz, dem Aufenthaltsgesetz sowie aus den kollektiv wie individuell erteilten Evakuierungszusagen der Minister, die den Verwaltungsapparat binden.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/tr
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Die juristische Presseschau vom 24. September 2021: . In: Legal Tribune Online, 24.09.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46106 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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