Kann dem Angriff auf die Ukraine mit den Mitteln des Rechts begegnet werden? Berechtigt die Weigerung, zum Krieg Stellung zu nehmen, zu einer fristlosen Kündigung? Beruht das Verfahren gegen den Ibiza-Video-Produzenten auf einem Komplott?
Thema des Tages
Europarat/EGMR – Russland: Die am vergangenen Freitag beschlossene vorläufige Suspendierung Russlands aus dem Europarat rekapituliert LTO (Claudia Kornmeier) und geht auf die Entwicklungen der vergangenen Jahre ein. Die Annexion der Krim habe lediglich zu einem Entzug der Stimmrechte russischer Abgeordneter in der Parlamentarischen Versammlung geführt, gleichzeitig aber auch zu finanziellen Schwierigkeiten des Europarats. Russland hatte seine mit zehn Prozent des Gesamtbudgets bemessene Beitragszahlungen nach dem Entzug eingestellt. Die nach wie vor bestehende Mitgliedschaft begründe auch weiterhin eine Gerichtsbarkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, hier stehe eine Staatenbeschwerde wegen der Annexion an. Im Gespräch mit der SZ (Wolfgang Janisch) nennt Angelika Nußberger, frühere Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, wahrscheinliche Folgen eines möglichen Austritts Russlands aus dem Europarat und beschreibt eine bereits 2001 eingesetzte Entfremdung des Landes, die einem "Honeymoon" nach dem Beitritt 1996 gefolgt sei. Nach der Krimbesetzung seien sogenannten Staatenklagen gegen Russland "regelrecht explodiert". Der Gerichtshof habe aber entschieden, dass er für die "heiße Phase" eines Krieges unzuständig sei, schon weil er nicht genug Kapazitäten zur Beweisaufnahme habe.
IGH – Russland/Georgien: In der nächsten Woche wird der Internationale Gerichtshof in Den Haag die von der Ukraine erhobene Klage gegen Russland verhandeln. Während sich die Ukraine am 7. März zu dem von ihr erhobenen Vorwurf des "Verdachts des Völkermords" erklären werde, solle die Russische Föderation am Folgetag Stellung nehmen, berichtet zeit.de. Thematisiert werden solle auch die russische Behauptung eines Genozids in den sogenannten Volksrepubliken.
Kündigung von Waleri Gergijew: Die Stadt München hat dem Chefdirigenten ihrer Philharmoniker, Waleri Gergijew, gekündigt, nachdem er sich nicht wie gefordert vom Krieg gegen die Ukraine distanziert hat. Als sogenannte Druckkündigung könnte die Trennung Bestand haben, zudem begründe die Weigerung des Künstlers auch ein besonderes Reputationsrisiko für seinen Arbeitgeber, so ein von LTO (Tanja Podolski) befragter Experte. In einem längeren Feuilleton-Aufsatz beschreibt die SZ (Georg Mascolo) die Gefahren eines Atomkriegs durch die (In-)Stabilität von Männern, die ihre Finger an den entsprechenden Knöpfen hätten und geht dann auf den Fall Gergijew ein. Es sei "innezuhalten" angesichts eines "beispiellosen Schrittes". In Deutschland würden künstlerische Karrieren beendet wegen der Weigerung, "sich nicht oder nicht mehr politisch" äußern zu wollen. Dies zeige, "welche Spuren der Krieg in der Ukraine in nächster Zeit auch in unsrerer Gesellschaft hinterlassen wird". In ihrem Feuilleton bemerkt die FAZ (Jan Brachmann), dass unklar sei, ob der Münchner Oberbürgermeister wie erforderlich vor der Entscheidung den Hauptausschuss des Stadtrates eingeschaltet habe. Auch beruhe die Kündigung "einzig auf Basis politischer Hochrechnungen" zu Haltungen aus dem Jahr 2014. Der Ernennung Gergijews hätten diese im Jahr 2015 nicht entgegen gestanden.
Auf diesen Aspekt macht auch Florian Zinnecker (zeit.de) in einem Kommentar aufmerksam. Zwar sei kein Veranstalter gezwungen, ihn oder die ebenfalls thematisierte Anna Netrebko auftreten zu lassen. Derlei "staatlich zu unterbinden", wäre aber ein Eingriff in die Kunstfreiheit.
Russland – Ukraine: Im Gespräch mit LTO (Franziska Kring/Hasso Suliak) legt Rechtsprofessor Matthias Herdegen dar, dass sich die Ukraine angesichts der "Eindeutigkeit" des russischen Überfalls auf ein Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der UN-Charta berufen könne und dies ein Beistandsrecht anderer Staaten begründe. Somit wären auch militärische Interventionen ohne Ermächtigung des Sicherheitsrates möglich. Statt "gezielter Schläge auf russisches Territorium" plädiert der Völkerrechtler für eine strafrechtliche Verantwortbarmachung russischer Befehlshaber.
Russland – Waffenlieferungen: Im FAZ-Einspruch legt Matthias Hartwig die völkerrechtlichen Konsequenzen der von der Bundesregierung beschlossenen Waffenlieferungen an die Ukraine dar. Der Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches Recht und Völkerrecht beschreibt, dass die Entscheidung zwar sehr wohl das Neutralitätsgebot verletze, nicht jedoch als bewaffneter Angriff zu werten sei und damit auch nicht zu einer bewaffneten Reaktion berechtige. Angesichts der offensichtlichen Völkerrechtswidrigkeit des russischen Angriffs bleibe das "aus der Neutralität folgende Gebot, keiner Kriegspartei einen Vorteil zu gewähren" damit "rechtlich folgenlos".
Russland – Sanktionen: Rechtsprofessor Matthias Goldman erläutert auf Verfassungsblog in einem englischsprachigen Beitrag die praktischen und rechtlichen Implikationen des von der EU-Kommission sowie sechs Einzelstaaten, unter ihnen Deutschland und die USA, als Teil des Sanktionspakets verkündeten Einfrierens von Vermögenswerten der russischen Zentralbank.
Russland – Pressefreiheit: Die russische Duma steht vor der Verabschiedung eines Gesetzes, nach dem die Verbreitung von "Desinformationen" über den Krieg in der Ukraine mit bis zu 15 Jahren bestraft wird. Ob die damit entstehende Pflicht zur Weitergabe lediglich "verifizierter" Nachrichten auch ausländische Berichterstattung umfasst, sei noch unklar, so spiegel.de.
Rechtspolitik
Sondervermögen Bundeswehr: Einen ausführlichen Überblick zu den rechtlichen Fragen im Zusammenhang des angekündigten "Sondervermögens Bundeswehr" bietet in Frage-und-Antwort-Form nun auch die SZ (Wolfgang Janisch/Henrike Roßbach).
Lobbyregister: Mit dem neuen Monat ist die Frist zur Anmeldung im neuen Lobbyregister abgelaufen. Die im Vergleich zu den Erwartungen geringe Zahl von 2.400 Eintragungen veranlasst Konstantin von Notz, den stellvertetenden Fraktionsvorsitzenden der Bundestags-Grünen, zur Forderung nach einer "Weiterentwicklung" des Registers, schreibt LTO.
Dienstpflicht: Forderungen nach Wiedereinführung einer Wehr- oder auch Dienstpflicht sollten nach der von Reinhard Müller (FAZ) im Leitartikel vertretenen Ansicht dazu genutzt werden, "sich über den Wert unseres freiheitlichen Staats Gedanken zu machen". Nachdem seit vielen Jahren Traditionsbrüchen das Wort geredet werde oder Soldaten unter Extremismusverdacht gestellt würden, offenbarten nun Menschen in der Ukraine die Widerstandsfähigkeit eines überfallenen Volkes. "Bürger als geborene Verteidiger ihrer Freiheit" könne man nicht kaufen.
Impfpflicht: In einem Gastkommentar für das Hbl wirft Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag, der Regierungskoalition und insbesondere dem Bundeskanzler vor, sich bei der Frage einer allgemeinen Impfpflicht aus der Verantwortung zu stehlen. Nicht anders könne die von Olaf Scholz (SPD) vertretene Position, sich lediglich als "Privatmensch oder Abgeordneter" für eine solche Pflicht einzusetzen, verstanden werden. Angesichts der aktuellen Unwägbarkeiten bei der Zukunft des Coronavirus sei ein Impfvorsorgegesetz vonnöten, das bei Bedarf "scharf gestellt" werden könne.
Organspende-Register: Mit dem ab diesem Monat geltenden neuen Transplantationsgesetz sollte auch ein Online-Register verbunden sein, in dem die Transplantationsbereitschaft von Menschen registriert werden sollte. Entgegen einer Darstellung des Bundesgesundheitsministers wird dieses aber vorerst wegen coronabedingter Überlastungen der Kliniken nicht bereit sein, vielmehr seien "bürokratische Hindernisse" bei der Berechtigung von Transplantationsbeauftragten der Kliniken beim Datenabruf aufgetreten, schreibt die FAZ (Kim Björn Becker/Eva Schläfer). Zudem hätten nun auch die Gesundheitsminister Bedenken zu der Abfrage durch Ausweisstellen angemeldet. In einem separaten Kommentar bedauert Kim Björn Becker (FAZ), dass "aufs Neue" eine "überbordende Bürokratie und Sorgen um den Datenschutz einem vielversprechenden Vorhaben den Wind aus den Segeln genommen" hätten.
Hartz IV-Sanktionen: Zunächst befristet bis zum Ende des Jahres sollen Sanktionen gegen Menschen im Hartz IV-Leistungsbezug ausgesetzt werden. Über den ihm vorliegenden Referentenentwurf des Bundesarbeitsministeriums berichtet das Hbl (Frank Specht). Die Maßnahme diene dem Übergang in ein für das neue Jahr geplante "Bürgergeld", das den Leistungsbezug würdevoller gestalten solle.
Lieferketten und Menschenrechte: Im Recht und Steuern-Teil der FAZ beschreibt Rechtsanwältin Anke Sessler Vorgaben der von der EU-Kommission geplanten Richtlinie zur Kontrolle von Lieferketten. Im Vergleich zu dem 2023 in Kraft tretenden deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz erweitere der aktuelle Entwurf "den persönlichen Anwendungsbereich, die zivilrechtliche Haftung sowie die Einbeziehung von Klimaschutzvorgaben".
Justiz
BVerfG zu Rasern: § 315d Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB), der 2017 in Kraft getretene sogenannte Raserparagraph, ist auch hinsichtlich des Auffangtatbestands in seiner Nr. 3 verfassungskonform. Der Gesetzgeber habe den Tatbestand hinreichend konkretisiert, so das Bundesverfassungsgericht in einem nun veröffentlichten Beschluss von Anfang Februar. Die tatbestandlichen Begriffe der "nicht angepassten Geschwindigkeit" und der "höchstmöglichen Geschwindigkeit" seien einer methodengerechten Auslegung zugänglich, schreiben Tsp (Jost Müller-Neuhof) und LTO über die auf Vorlage des Amtsgerichts Villingen-Schwenningen ergangene Entscheidung. Deren Urheber kritisierte den Beschluss in einem Tweet als Absegnung einer ohne Methodik ergangenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs.
BVerfG zu Bundesnotbremse: Im Geisteswissenschaften-Teil der FAZ setzt sich Rechtsprofessor Klaus F. Gärditz kritisch mit einem in "Der Staat" veröffentlichten Aufsatz seines Kollegen Oliver Lepsius zur Eilentscheidung des Bundesverfassungsgerichts in Sachen Bundesnotbremse auseinander. Wenngleich der Beschluss vom vergangenen Mai in "einer bemerkenswerten Analyse und Kritik" bearbeitet werde, stelle Lepsius "letzlich die Grundsatzfrage nach der Rolle des Bundesverfassungsgerichts in der Krise". Freiheit sei aber "kein Abstraktum", es bleibe auch zu prüfen, "welche Freiheit konkret beschränkt wird". Angesichts 3.000 "erbärmlich im Mittelmeer ersoffener" Flüchtender seien Floskeln wie die "schärfsten Grundsrechtseingriffe in der Geschichte der Bundesrepublik" doch wohl eher "von der Wehleidigkeit des Wohlstandsbürgers durchtränkt".
BVerwG – Jahrespressegespräch: In diesem Jahr wird das Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen zur Rechtmäßigkeit von Corona-Maßnahmen verkünden. Daneben stünden Verfahren zur Umsetzbarkeit von Windparks an, so LTO über das Jahrespressegespräch des Gerichts.
LG Oldenburg – Vorgesetzte von Niels Högel: Im Verfahren gegen sieben frühere Vorgesetzte des verurteilten Massenmörders Niels Högel wurde der ehemalige Krankenpfleger vom Landgericht Oldenburg als erster Zeuge vernommen. Zu Beginn der auf mehrere Tage angelegten Aussage habe Högel seine ursprüngliche Motivlage mit persönlicher Enttäuschung nach gescheiterten Beziehungen beschrieben, so die FAZ (Reinhard Bingener).
LG Gießen – Fall "Ella": Der FAZ-Einspruch (Katharina Iskandar) berichtet über das am Landgericht Gießen anhängige Verfahren gegen "Ella", eine Aktivistin, der eine gefährliche Körperverletzung bei der Besetzung des Dannenröder Forstes vorgeworfen wird. "Ella" verweigere beharrlich und bislang erforlgreich die Preisgabe ihrer Identität.
VG Köln zu NetzDG-Meldepflichten: Die im Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) vorgesehene Meldepflicht von Anbietern ist unionsrechtswidrig und damit nicht anzuwenden. Dies entschied das Verwaltungsgericht Köln nach Eilänträgen von Google und Meta. § 3a des NetzDG verstoße gegen das in der Richtlinie zum elektronischen Geschäftsverkehr geltende Herkunftsland-Prinzip. Maßnahmen gegen Internet-Hetze könnten damit nur am Sitz der Gesellschaften in Irland angeordnet werden, so taz.de (Christian Rath). Eine vergleichbare Pflicht sei im geplanten Digitale-Dienste-Gesetz der EU vorgesehen. Dieses könne noch im ersten Halbjahr in Kraft treten. Nach dem Bericht von LTO ist auch die Benennung des Bundesjustizamtes als zuständiger Medienbehörde nach § 4a NetzDG hinfällig. Angesichts der Weisungsunterworfenheit gegenüber dem Justizministerium könne von der in der Mediendienste-Richtlinie "keine Rede sein", so das VG.
VG Köln – Verdachtsfall AfD: Am 8. und 9. März verhandelt das Verwaltungsgericht Köln die Berechtigung der Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall. Dabei sei immer noch fraglich, ob die geheimdienstlich gesammelten Belege eine rechtsextremistische, die Demokratie gefährdende Position der Gesamt-Partei hinreichend belegten, so die SZ (Markus Balser/Ronen Steinke) in einer Seite Drei-Reportage. Neue Hoffnung stütze man auf den insoweit auskunftsfreudigen, jüngst ausgetretenen Ex-Vorsitzenden Jörg Meuthen.
Recht in der Welt
Österreich – Julian Hessenthaler: Im Verfahren gegen Julian Hessenthaler, den Produzenten des Ibiza-Videos, hat das Landesgericht St. Pölten immer noch kein Urteil wegen des Vorwurfs von Rauschgiftgeschäften verkündet. Die SZ (Cathrin Kahlweit) berichtet, dass eine offizielle Mitteilung eines Kritikers des Glücksspielkonzerns Novomatic für weitere Verzögerungen sorgen könnten. Der Mann habe beschrieben, dass ein Lobbyist des auch im Ibiza-Video prominent erwähnten Unternehmens ihm einen Drogenbesitz angedichtet haben soll, was darauf hindeute, dass auch Hessenthaler zu Unrecht beschuldigt werde. Der aus Deutschland stammende Lobbyist habe im jetzigen Verfahren tatsächlich eingeräumt, Belastungszeugen gegen den Angeklagten bezahlt zu haben. Diese Zahlung habe aber der Ermittlung der "Hintermänner des Videos" gedient.
Ungarn – Verfassungsbeschwerde: In einem englischsprachigen Beitrag legt Doktorand Viktor Z. Kazai auf Verfassungsblog dar, wie das ungarische Verfassungsgericht die mit der neuen Verfassung von 2011 eingeführte Verfassungsbeschwerde weniger dazu benutzt hat, individuelle Freiheitsrechte zu schützen als eine Überwachung fachgerichtlicher Entscheidungen durchzuführen.
USA – Allianz: Die Allianz hat einen Teil der Schadensersatzforderungen von Investoren in den USA durch Vergleiche beendet. Die Kläger hätten Entschädigungen in Milliardenhöhe wegen "rücksichtslosem Verhalten" beim Management hochspekulativer, sogenannter Structured Alpha-Fonds gefordert, schreibt das Hbl (Christian Schnell/Susanne Schier). Über die Höhe der jetzt erzielten Einigungen sei Stillschweigen vereinbart worden.
Sonstiges
Ersatzfreiheitsstrafe: Die spendenfinanzierte Initiative Freiheitsfonds begleicht die Geldstrafen von Menschen, die wegen Leistungserschleichung Ersatzfreiheitsstrafen absitzen. Im Interview mit zeit.de (Benjamin Hinrichs) erklärt der Gründer Arne Semsrott die Arbeit der Initiative.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 2. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 02.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47685 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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