Die juristische Presseschau vom 1. März 2022: Sank­ti­onen gegen Russ­land / Son­der­ver­mögen Bun­des­wehr / Refe­ren­dum in Belarus

01.03.2022

Unternehmen, die unter Russland-Sanktionen leiden, erhalten Hilfen. Ein Sondervermögen von 100 Mrd. Euro für Rüstungsvorhaben soll im GG verankert werden. Die Mehrheit der Bürger:innen in Belarus hat Lukaschenko Straffreiheit zugesichert.

Thema des Tages

Sanktionen gegen Russland: spiegel.de gibt einen Überblick über die Sanktionen, die von den westlichen Staaten gegen Russland wegen des Angriffs auf die Ukraine verhängt wurden. Neben dem weitgehenden Ausschluss aus dem Zahlungssystem Swift folgen weitere Einschränkungen im Energie-, Verkehrs-, Technologiesektor sowie im medialen Bereich.

Die FAZ (Katja Gelinsky) erläutert die rechtliche Grundlage des Sanktionspakets. Unverhältnismäßig sind Sanktionen erst, wenn sie zeitlich unbeschränkt sind, irreversible Folgen haben und der Unrechtsgehalt des sanktionierten Verhaltens überstiegen wird.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) kündigte an, dass Unternehmen, die unter den Sanktionen gegen Russland leiden und denen deshalb Umsatzeinbußen in erheblichem Umfang entstehen, staatliche Unterstützung erhalten sollen. Gleichzeitig betonte er, dass die EU-Sanktionen keine rechtliche Entschädigungspflicht nach sich ziehen. Nicht jedes Geschäft mit Russland, das nicht mehr zustande kommt, könne also ersetzt werden, analysiert die FAZ (Katja Gelinsky/Julia Löhr). Die Chance, Schadensersatz für wirtschaftliche Verluste vor Gericht durchzusetzen, sei gering, da das Risiko für Auslandsgeschäfte bei den Unternehmen liege. Auch gebe es bisher keine Gründe, die Russland-Sanktionen als "rechtswidriges staatliches Handeln" zu qualifizieren.

IStGH/Russland: Chefankläger Karim Khan teilte mit, dass der Internationale Strafgerichtshof so schnell wie möglich Untersuchungen zur Situation in der Ukraine einleiten soll. Es gebe plausible Gründe für die Annahme, dass seit 2014 in der Ukraine sowohl Kriegsverbrechen als auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen wurden. Das Gericht hatte bereits Vorfälle bei der Niederschlagung proeuropäischer Proteste in Kiew 2013/2014 untersucht, ebenso bei der russischen Besetzung der Krim 2014 und in der Ostukraine. Angesichts der "Ausweitung des Konflikts" nach der russischen Invasion sollten die Ermittlungen nach Khans Ansicht aber erweitert werden. Der Ankläger muss nun zunächst eine richterliche Zustimmung zu dem Ermittlungsverfahren bekommen. Es schreibt spiegel.de.

UN-Menschenrechtsrat/Russland: Der UN-Menschenrechtsrat nahm den Antrag der Ukraine auf Einberufung einer Sondersitzung des Gremiums zum russischen Angriff an. Für die Debatte, die am Donnerstag stattfinden soll, stimmten 29 Mitglieder, fünf waren dagegen (Russland, Kuba, Eritrea, Venezuela und China), Indien und zwölf weitere Länder enthielten sich. Es soll zudem über die Einsetzung einer Untersuchungskommission zu russischen Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine entschieden werden. Als Grund für die Debatte erklärte die Vertreterin der Ukraine, Russland habe bei seinem Vormarsch bewusst zivile Ziele angegriffen. Es berichtet LTO.

Waffenlieferung und Völkerrecht: Die Unterstützung der Ukraine durch Waffenlieferungen macht Deutschland aus völkerrechtlicher Sicht noch nicht zur Konfliktpartei, analysiert die SZ (Ronen Steinke). Hierfür wäre neben der Lieferung des Kriegswerkzeugs notwendig, dass Deutschland – z.B. über Militärberater und Ausbilder – auch mithilft, die Waffen aktiv auf bestimmte Ziele zu richten. Auch das Entsenden von "bewaffneten Banden" ohne Uniform kann als Kriegshandlung gelten, wenn diese auf das Kommando des entsendenden Staates hören. Dass Freiwillige aus einem bestimmten Staat in einem bewaffneten Konflikt kämpfen, macht deren Heimatstaat nicht zur Konfliktpartei.

Ukrainische Flüchtlinge: SZ (Markus Balser) und taz (Konrad Litschko) berichten über die Aufnahme von ukrainischen Flüchtlingen durch die EU-Staaten. Am Sonntag haben die EU-Innenminister:innen bei einem Sondertreffen Zustimmung zur erstmaligen Aktivierung der EU-Richtlinie für die Gewährung vorübergehenden Schutzes im Falle eines Massenzustroms von Vertriebenen signalisiert. Die Richtlinie sieht ein Bleiberecht für Kriegsflüchtlinge von bis zu drei Jahren vor. Am Donnerstag soll der Rat der Innenminister:innen dies förmlich beschließen. 

Nord Stream 2: Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hat verkündet, dass die Landesstiftung, die Anfang 2021 für den Bau der Pipeline Nord Stream 2 gegründet wurde, aufgelöst werden soll. Es soll zudem geprüft werden, ob es rechtlich möglich sei, die von Nordstream zur Verfügung gestellten Stiftungsgelder in Höhe von 20 Millionen Euro für humanitäre Zwecke einzusetzen, so Schwesig. Die Stiftung wird vor allem vom russischen Staatskonzern Gazprom finanziert und sollte helfen, bestehende Sanktionen gegen Nord Stream 2 zu umgehen. Es berichten SZ (Peter Burghardt), faz.net (Markus Wehner/Matthias Wyssuwa) und spiegel.de.

EU-Beitritt Ukraine: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat den Antrag der Ukraine auf einen EU-Beitritt unterzeichnet und EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen hat sich in einem Telefonat mit diesem für den Beitritt ausgesprochen. Es berichten die FAZ (Thomas Gutschker/Michaela Wiegel/Friedrich Schmidt/Marie Katharina Wagner) und spiegel.de.

Josef Kelnberger (SZ) hält es für einen "Fehler", einen EU-Beitritt in Aussicht zu stellen, denn dieser erfolge normalerweise nach einem jahrelangen Prüfverfahren. Es müsse eine stabile, rechtsstaatliche Demokratie und eine wettbewerbsfähige Marktwirtschaft im Land existieren. Dies sei bei der Ukraine zweifelhaft, denn "noch vor einem halben Jahr beklagten EU-Prüfer massive Korruption".

Rechtspolitik

Sondervermögen Bundeswehr: Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte in der Sondersitzung des Bundestags am Sonntag die Schaffung eines "Sondervermögens Bundeswehr" an, das einmalig mit 100 Milliarden Euro für Rüstungsvorhaben ausgestattet werden soll. Die Einrichtung dieses Sondervermögens soll im Grundgesetz verankert werden. Man erreiche so eine bessere Zweckbindung der Mittel. Zudem kann so die Schuldenbremse des Grundgesetzes umgangen werden. Details müssen noch durch die Bundesregierung erarbeitet werden. Es berichten FAZ (Manfred Schäfers), SZ (Daniel Brössler/Constanze von Bullion/Paul-Anton Krüger/Henrike Roßbach/Mike Szymanski) und LTO (Christian Rath).

Verbraucherverträge: Mit dem im Sommer beschlossenen und jetzt in Kraft getretenen "Gesetz für faire Verbraucherverträge" gelten für Mobilfunk-, Streaming- und Internetverträge sowie bei Zeitschriften-Abos und Fitnessstudios neue verbraucherfreundlichere Regeln. Die bisherige Kündigungsfrist wird von drei Monaten auf einen Monat verkürzt. Haben Verbraucher:innen diese Frist verpasst, dürfen sich Verträge nur noch auf unbestimmte Zeit verlängern und müssen monatlich kündbar sein. Es berichtet die SZ (Benjamin Emonts).

Erneuerbare Energie: Die Bundesregierung plant, die Stromversorgung bis 2035 komplett auf erneuerbare Energien umzustellen. Die Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG)  sieht vor, dass der jährliche Zubau von Windanlagen in den nächsten Jahren vervierfacht und von Solaranlagen verdreifacht werden soll. Um die Genehmigungen zu erleichtern, gelten erneuerbare Energien künftig als "überragendes öffentliches Interesse". Ein entsprechender Gesetzentwurf ist vergangenen Freitag in die Abstimmung mit anderen Ministerien gegangen. Dies berichten taz (Malte Kreutzfeldt), FAZ (Helmut Bünder/Hendrik Kafsack/Christian Geinitz/Bernd Freytag) und spiegel.de (Stefan Schultz).

Lobbyregister: Die FAZ (Helene Bubrowski) erklärt im Frage-Antwort-Stil das Wichtigste zum Lobbyregister, wem Bußgelder drohen, wie das Lobbyregister funktioniert und welche Nachschärfung geplant ist. Ab dem 1. März dürfen nur noch Lobbyist:innen, die sich in das Verzeichnis eingetragen haben, Kontakt zu Abgeordneten oder der Führungsebene von Ministerien aufnehmen.

Justiz

BGH zu Neonazi-Angriff auf Kulturzentrum Ballstädt: Der Bundesgerichtshof hat bestätigt, dass die Urteile wegen eines rechtsextremen Angriffs auf Besucher im thüringischen Kulturzentrum Ballstädt rechtskräftig sind und wies die Revision dreier Angeklagter gegen die Entscheidung des Landgerichts Erfurt zurück. Im Februar 2014 wurden bei einer Kirmesfeier im Kulturzentrum zehn Menschen zum Teil schwer verletzt. Das Landgericht Erfurt hatte daraufhin neun Männer, größtenteils aus der rechtsextremen Szene, wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Der Hauptangeklagte und ein weiterer Angeklagten waren zu einem Jahr und zehn Monate auf Bewährung verurteilt worden, sieben weitere Männer erhielten Bewährungsstrafen von einem Jahr. Es schreibt spiegel.de.

OLG Frankfurt zu Verunglimpfung Homosexueller: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden, dass sich der Kasseler Evolutionsbiologe Ulrich Kutschera nicht wegen Beleidigung, Volksverhetzung oder übler Nachrede strafbar gemacht hat, als er homosexuelle Paare als "a-sexuelle Erotikvereinigungen" bezeichnete und im Zusammenhang mit ihrem Adoptionsrecht von einem möglichen "Horror-Kinderschänder-Szenario" sprach. Dem Gericht zufolge handele es sich bei den überspitzten und polemischen Aussagen um straffreie Meinungsäußerungen. Die Äußerungen seien auf gleichgeschlechtliche Paare in ihrer Gesamtheit gerichtet und nicht auf die persönliche Ehre von Einzelpersonen. Die Aussagen waren 2017 in einem Gespräch mit dem Internetportal kath.net zum Thema "Ehe für alle" gefallen. Es berichtet LTO.

LG Limburg zu Lkw-Attacke: Das Landgericht Limburg hat den 33-jährigen Angeklagten im Prozess um die Limburger Lkw-Attacke unter anderem wegen versuchten Mordes zu neun Jahren Haft verurteilt. Es wurde die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Der Mann hatte einen Lkw gekapert und damit absichtlich 18 Menschen in Limburg verletzt und einen erheblichen Sachschaden erzeugt. Der Bundesgerichtshof hatte das Verfahren zuvor an das Landgericht Limburg zurückgewiesen, da das Mordmerkmal der "Heimtücke" nicht tragfähig belegt werden konnte. Dem Landgericht Limburg zufolge schließe der Drogenkonsum des Angeklagten ein heimtückisches Handeln aber nicht aus. Es berichtet spiegel.de.

LG Hamburg zu Schwesig vs. Ploß: Auch Jost Müller-Neuhof (Tsp) äußert sich jetzt zur juristische Auseinandersetzung zwischen der Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern Manuela Schwesig (SPD) und dem Hamburger CDU-Vorsitzenden Christoph Ploß. Er ist der Meinung, dass es sich um einen "Meinungsstreit" handele, bei dem "kein Wort verboten" werden dürfe. "Deutungen von Politikerworten" sollten besser in der "politischen Arena" verhandelt werden, nicht vor Gericht.

Recht in der Welt

Belarus – Referendum: Die Mehrheit der Bürger:innen in Belarus (65,16 Prozent der Wähler:innen bei 78,63 Prozent Wahlbeteiligung) hat für die umstrittene Verfassungsänderung gestimmt, die neben einer lebenslangen Straffreiheit des belarussischen Machthabers Alexander Lukaschenko, die Möglichkeit einer verlängerten Amtszeit und Bindung der ehemaligen Sowjetrepublik an Russland vorsieht. Die Verfassungsänderung enthält eine Begrenzung der Amtszeit auf zwei Perioden. Dadurch könnte der seit 1994 regierende Lukaschenko bis 2035 weiter regieren. Es berichten taz (Barbara Oertel), faz.net und spiegel.de.

Amsterdam – Raubkunst: Nachdem umstrittene Richtlinien der staatlichen Rückgabe-Kommission korrigiert wurden, hat die Stadt Amsterdam nach einem jahrelangen Rechtsstreit ein Gemälde von Wassily Kandinsky an die Erben des ursprünglichen jüdischen Eigentümers zurückgegeben. Diese hatten das Bild mit dem Vorwurf zurückgefordert, es sei im Zweiten Weltkrieg nur unter dem Druck der Judenverfolgung verkauft worden. Das Bild hatte jahrelang im Amsterdamer Stedelijk Museum für Moderne Kunst gehangen. Es schreibt spiegel.de.

Slowakei – Mord an Jan Kuciak: Vier Jahre nachdem der Journalist Ján Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in der Slowakei ermordet wurden, wurde der neue Prozess gegen den Auftraggeber Marián Kočner und seine Komplizin gleich nach dem Start wieder unterbrochen. Die Angeklagten halten die Richterin für befangen. Das Oberste Gericht muss nun über die Beschwerde entscheiden. Dies meldet die SZ.

Das Letzte zum Schluss

Linienbus vs. Raser: Wie die SZ berichtet, wurde die gefährliche Fahrt eines Rasers in Bielefeld durch einen Linienbus gestoppt. Die Polizisten, die den 25-jährigen Autofahrer anhalten wollten, gaben dem Busfahrer ein Zeichen, sodass dieser eingreifen und die Flucht beenden konnte, indem er den Weg versperrte. Im Fahrzeug des Rasers wurden nach dem Stopp verdächtige Substanzen und eine Feinwaage entdeckt.

 

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lto/ok

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 01.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47670 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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