Völkerrechtler erläutert, wann Zivilisten im bewaffneten Konflikt zu Kombattanten werden. Debatte über Einführung einer Dienstpflicht hat begonnen. Arbeitgeber:innen können bei 2G-Regel im Betrieb ungeimpften Mitarbeiter:innen kündigen.
Thema des Tages
Humanitäres Völkerrecht: In einem Interview auf spiegel.de (Dietmar Hipp) erläutert Völkerrechtler Daniel-Erasmus Khan, dass sich gezielte Angriffe im bewaffneten Konflikt nur auf militärische Ziele, nicht aber auf Zivilisten richten dürfen. Allerdings verlieren private Personen, die Molotowcocktails auf Soldaten werfen, die Schützengräben ausheben oder sich vor Panzer stellen, während dieser feindseligen Aktivitäten ihren Schutz*. Sie dürfen dann wie Kombattanten getötet werden. Brauereien, die Molotow-Cocktails herstellen, und Fernsehtürme, die für militärische Kommunikation genutzt werden, seien als militärische Ziele anzusehen.
Waffenlieferungen und Völkerrecht: Nun erläutert auch tagesschau.de (Florian Roithmeier/Christoph Kehlbach), ob Deutschland durch Waffenlieferung an die Ukraine aus völkerrechtlicher Sicht als Konfliktpartei angesehen werden kann. Rechtsprofessor Kai Ambos vertieft diese Frage in englischer Sprache auf EJIL:Talk!. Nicht jede Art einer Neutralitätsrechtsverletzung mache den Staat zu einer Konfliktpartei, vielmehr müsse die Unterstützungsmaßnahme als unmittelbare Teilnahme an den Feindseligkeiten i.S.v. Art. 51 III ZP I und Art. 13 III ZP II zu deuten sein, so Ambos.
Rechtsprofessorin Jelena von Achenbach beleuchtet auf dem Verfassungsblog (in englischer Sprache) die Finanzierung von Rüstung und Waffenlieferung der EU aus verfassungs- und haushaltsrechtlicher Perspektive.
Informationskampagnen und Völkerrecht: Auf dem Verfassungsblog diskutiert Rechtsprofessor Lando Kirchmair (in englischer Sprache), warum es im Kampf gegen den Krieg in der Ukraine sinnvoll sein könnte, Informationskampagnen in russischer Sprache direkt an das russische Volk zu richten und dies von Art. 51 UN-Charta gedeckt wäre. So könne man Fehlinformationen der nationalen Propaganda korrigieren und diejenigen Russ:innen unterstützen, die trotz aller Risiken demonstrieren.
IStGH/Putin und IGH/Russland: Eine Verurteilung Wladimir Putins vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen des Verbrechens der Aggression scheint unwahrscheinlich. Zwar könne die Invasion der Ukraine nach Art. 8 Nr. 2a) des Römischen Statuts eine Angriffshandlung darstellen. Ermittlungen gegen Putin wären wegen fehlender russischer Zustimmung jedoch nur aufgrund einer Überweisung des Falles durch den UN-Sicherheitsrat an den IStGH möglich, was Russland aber mit seinem Vetorecht verhindern könne. Putin strafrechtlich für Kriegsverbrechen zur Verantwortung zu ziehen, sei ebenso schwierig. Hierzu müsste der Beweis erbracht werden, dass verbotene militärische Attacken auf Geheiß der obersten Führung erfolgten und es sich nicht um Exzesse einzelner Soldaten handelt. Es berichtet tagesschau.de (Claudia Kornmeier). LTO (Sarah Leclercq/Felix Zimmermann) und die SZ (Ronen Steinke) gehen zudem auf das Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof ein, der sich am kommenden Montag und Dienstag mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine befasst.
Ukrainische Flüchtlinge: Nun berichtet auch die FAZ (Helene Bubrowski/Reiner Burger/Rüdiger Soldt) über die Aktivierung der EU-Richtlinie für die Gewährung vorübergehenden Schutzes, die an diesem Donnerstag im EU-Ministerrat erfolgen soll. In Deutschland wird dann das Verfahren nach Paragraph 24 des Aufenthaltsgesetzes angewendet: Die Flüchtlinge dürfen ihre Ehegatten und Kinder nachholen, wenn sie vor der Flucht mit ihnen zusammengelebt haben. Sie dürfen selbständig tätig sein, benötigen ansonsten aber eine Arbeitserlaubnis. Sozialleistungen erhalten sie nach dem Asylbewerberleistungsgesetz.
Nord Stream 2: Auf dem Verfassungsblog analysieren Rechtsprofessor Christian Tietje und der wissenschaftliche Mitarbeiter Jannis Bertling die Rechtslage zum Stopp von Nord Stream 2 als Reaktion Deutschlands auf die militärische Invasion der Ukraine. Es zeige sich, dass die Rücknahme auf "rechtlich sicheren Füßen" stehe. Es handele sich nicht um eine Sanktion im juristischen Sinne, vielmehr um einen Verfahrensschritt nach dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG).
Wie LTO meldet, hat das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern zwei für März geplante mündliche Verhandlungen zu Nord Stream 2 abgesagt, nachdem die deutsche Bundesregierung das Genehmigungsverfahren gestoppt hat. Darum haben die Verfahrensbeteiligten, der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und das Bergamt Stralsund, gebeten.
Rechtspolitik
Dienstpflicht: Der russische Angriff auf die Ukraine hat in Deutschland eine Debatte zur Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ausgelöst, die Wehrdienst und soziale Dienste umfasse. Während der Generalinspekteur der Bundeswehr Eberhard Zorn und führende SPD-Politiker eine Dienstpflicht ablehnen, befürwortet Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) eine allgemeine Wehrpflicht, wenn sie "modern gestaltet" und "der Auftrag der Truppe so klar formuliert" sei, dass sich die Bevölkerung hinter ihren Zielen vereinigen könne. Es berichten SZ, LTO und spiegel.de.
Suizidhilfe: Die taz (Tobias Schulze) stellt die bisher vorliegenden drei Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Suizidhilfe vor. Das Bundesverfassungsgericht hatte den bisherigen § 217 Strafgesetzbuch (StGB) vor zwei Jahren für verfassungswidrig und nichtig erklärt.
Lieferketten und Menschenrechte: Auf dem Verfassungsblog setzt sich der rechtswissenschaftliche Mitarbeiter Samy G. Sharaf mit dem Entwurf der EU-Kommission für eine Richtlinie zur Kontrolle von Lieferketten auseinander. Er sieht ein Problem darin, dass die Kontrolle, ob Standards wirklich eingehalten werden, durch privatwirtschaftliche Zertifizierer erfolgt. Dadurch würden Private zu "Ersatzbehörden" und die Marktkonzentration ohnehin schon großer Unternehmen weiter verstärkt.
Justiz
ArbG Berlin zu Kündigung und Coronaimpfung: Das Arbeitsgericht Berlin hat entschieden, dass Arbeitgeber:innen in ihrem Betrieb die 2G-Regelung einführen dürfen und daraufhin Arbeitnehmer:innen, die keine Corona-Schutzimpfung haben, noch vor Vertragsbeginn kündigen können. Es bestehe wegen der strengeren Quarantäneregelungen für Nicht-Geimpfte ein höheres Risiko für einen Arbeitsausfall. Zudem könne kein Schutzkonzept verlangt werden, das höhere Kosten- und Personalaufwand verursache. Die 2G-Regelung sei von der unternehmerischen Handlungsfreiheit der Arbeitgeber:innen gedeckt und die körperliche Unversehrtheit der Belegschaft müsse berücksichtigt werden. Geklagt hatte eine Musicaldarstellerin, der gekündigt wurde, nachdem bekannt wurde, dass sie nicht geimpft war. Sie hatte angeboten, tägliche Testnachweise zu erbringen, was ihre Arbeitgeberin aufgrund des hohen Aufwands ablehnte. Dies berichten LTO und spiegel.de.
BGH zu Hochzeitsabsage und Corona: Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass ein Hochzeitspaar, das seine Hochzeit coronabedingt absagen musste, trotzdem die Miete der Räumlichkeiten vollständig entrichten muss. Es liege kein Fall der Unmöglichkeit vor und die Feier hätte im konkreten Fall verlegt werden können, womit eine interessengerechte Verteilung des Pandemierisikos bei einem möglichst geringen Eingriff gegeben wäre. Es schreibt LTO.
OLG Frankfurt/M. zu Cum-Ex/Warburg-Bank: Das Oberlandesgericht Frankfurt hat entschieden, dass die Deutsche Bank im Zusammenhang mit Cum-Ex-Transaktionen nicht für Steuerschulden der Hamburger Privatbank M.M. Warburg haften muss und bestätigte damit das vorinstanzliche Urteil des Landgerichts Frankfurt. Dem OLG zufolge sei die Privatbank originäre Steuerschuldnerin und müsse daher auch im Verhältnis zur Deutschen Bank die Steuern tragen. Es berichten FAZ (Marcus Jung) und LTO.
OLG Düsseldorf – Patentstreit unter Waffenherstellern: Vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verhandeln die Waffenhersteller Heckler & Koch und C.G. Haenel wegen einer möglichen Patentverletzung aufgrund eines patentierten Loches in einer Waffe. Der Rechtsstreit ist für die Ausstattung der Bundeswehr von Relevanz, denn beide Waffenhersteller hatten zuvor am Vergabeverfahren teilgenommen, wer die Bundesrepublik zukünftig mit neuen Sturmgewehren ausstatten soll. C.G. Haenel bekam aufgrund eines günstigeren Angebots den Zuschlag. Heckler & Koch klagte daraufhin gegen diesen mit dem Vorwurf der Patentverletzung. Wer den Auftrag bekommt hängt nun von der gerichtlichen Entscheidung ab, mit der Anfang April zu rechnen ist. Es berichtet die FAZ (Corinna Budras/Ulrich Friese).
LG Berlin – Ehrenmord an Maryam H.: Vor dem Landgericht Berlin hat der Prozess gegen den 27-jährigen Sayed Yousuf H. und seinen Bruder, den 23-jährigen Seyed Mahdi H. begonnen, denen vorgeworfen wird, ihre 34-jährige Schwester Maryam H. am 13. Juli 2021 getötet zu haben. Der Anklageschrift zufolge seien die Brüder nicht damit einverstanden gewesen, dass ihre Schwester "eine teilweise modernere Lebensführung verfolgte". Dies könne ein Mordmotiv bilden. Es schreiben SZ (Verena Mayer) und FAZ (Julia Schaaf).
LG Oldenburg – Vorgesetzte von Niels Högel: Die Vernehmung des als Zeugen geladenen verurteilten Massenmörders und Ex-Krankenpflegers Niels Högel wurde fortgesetzt, wobei es nun um seine Taten ging. Anders als in Oldenburg habe er an der Klinik Delmenhorst nicht mehr heimlich gehandelt und fast schon gehofft, aufzufallen, damit sein Töten von Patient:innen beendet werde. Die SZ (Peter Burghardt) berichtet.
LG Frankfurt/M. – NSU 2.0-Drohschreiben: Die taz (Konrad Litschko) schildert anhand der Ermittlungsakten Bezüge des Angeklagten Alexander M. (NSU 2.0) zum bereits verurteilten Andre M., der als "Nationalsozialistische Offensive" ebenfalls Drohmails verschickt hatte. Möglicherweise kannten sich beide aus einem Darknet-Forum.
AG Aschaffenburg zu Zugunglück: Wie spiegel.de berichtet, hat das Amtsgericht Aschaffenburg einen 29-Jährigen Sicherheitsmann nach einem Zugunfall in Unterfranken am 1. September 2020 wegen fahrlässiger Tötung zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, da dieser seinen Posten verlassen hatte und sich mit seinem Mobiltelefon beschäftigte, statt auf den Gefahrenbereich der Züge zu achten.
AG München zu "Impfung macht frei": Das Amtsgericht München hat einen 35-Jährigen wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 2500 Euro verurteilt, da dieser auf seinem Facebook-Account ein Bild eines Eingangstors eines Konzentrationslagers mit dem Schriftzug "Impfung macht frei" veröffentlicht hatte. Der Angeklagte habe die Corona-Maßnahmen mit der Judenverfolgung verglichen, so das Gericht. Es berichtet spiegel.de (Silke Fokken).
Judensterne und Volksverhetzung: Nun berichtet auch LTO (Annelie Kaufmann) über die Umfrage des Mediendienstes Integration zum Umgang von Behörden und Justiz mit der Frage, ob die bei Corona-Protesten beliebte Verwendung gelber Judensterne mit dem Schriftzug "Ungeimpft" als Volksverhetzung strafbar ist. Die Rechtsprofessor:innen Matthias Jahn und Elisa Hoven verneinen die Strafbarkeit, die Rechtsprofessoren Michael Kubiciel und Martin Heger bejahen sie.
Genesenenstatus: LTO gibt einen Überblick über aktuelle Entscheidungen zum Genesenenstatus: So entschied das Oberverwaltungsgericht Berlin Brandenburg, dass die Bundesrepublik Deutschland die falsche Antragsgegnerin für Eilanträge gegen die Verkürzung des Genesenenstatus sei und korrigierte damit das VG Berlin, das sich für derartige Anträge für zuständig erklärt hatte. Die Anträge seien vielmehr bei den örtlich zuständigen Verwaltungsgerichten gegen die normanwendenden Behörden zu richten. Rechtsschutz gegen die BRD als Normgeberin sei nur ausnahmsweise möglich, wenn die Rechtsverordnung unmittelbar Rechte und Pflichten der Betroffenen begründe, ohne dass eine Konkretisierung oder Individualisierung durch Verwaltungsvollzug vorgesehen sei. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat einen Eilantrag auf einen sechsmonatigen Genesenennachweis abgelehnt, weil die einschränkenden Corona-Maßnahmen im März ohnehin auslaufen und weil sich der Mann auch impfen lassen könnte (was die gleichen Vorteile verschaffe wie der Genesenenstatus).
BAG – Jahresbericht 2021: Die FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten über das Jahrespressegespräch des Bundesarbeitsgerichts, bei dem auch dessen Jahresbericht für das Jahr 2021 präsentiert wurde. Es gebe weniger Eingänge und Erledigungen, außerdem habe sich die Verfahrensdauer verlängert.
Frauen in der Justiz: 55 Prozent der Richter:innen in Berlin sind Frauen. Das meldet LTO. Der Bundesdurchschnitt liege bei 47 Prozent.
Sonstiges
Arbeiten im Ausland: Die Rechtsanwältin Aziza Yakhloufi schildert im Interview mit spiegel.de (Verena Töpper), was zu beachten ist, wenn man für einen deutschen Arbeitgeber (zeitweise) im Ausland arbeitet. "Üblicherweise wird in einem solchen Fall ein Entsendevertrag aufgesetzt, in dem die Konditionen des Auslandsaufenthalts geregelt werden. Der Arbeitsvertrag in Deutschland bleibt in der Regel bestehen und ruht für den Zeitraum des Auslandseinsatzes."
* korrigiert am 5.3.22
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lto/ok
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Die juristische Presseschau vom 3. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 03.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47700 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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