Die juristische Presseschau vom 28. April 2021: Künast gegen Face­book / Banken-AGBs unwirksam / Durch­su­chung bei Fami­li­en­richter

28.04.2021

Renate Künast bleibt bei ihrem Kampf gegen Online-Hetze mit einer Klage am Ball. BGH ist gegen die fiktive Zustimmung bei Banken-AGBs und der Weimarer Familienrichter mit dem Masken-Beschluss bekommt Besuch von der Staatsanwaltschaft.

Thema des Tages

LG Frankfurt/M. – Renate Künast/Facebook: Mit Unterstützung der Organisation HateAid hat die Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) beim Landgericht Frankfurt/M. eine Klage gegen Facebook eingereicht. Das Unternehmen solle nach wort- und sinngleichen Posts mit einem ihr zugeschriebenen (und immer wieder neu verbreiteten) Falschzitat suchen und dieses jeweils löschen. Sie strebt damit ein Grundsatzurteil zur Reichweite der Verantwortlichkeit des Konzerns für die auf seinen Plattformen befindlichen Inhalte an, so LTO (Annelie Kaufmann) in einer ausführlichen Darstellung. Hoffnung gebe ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom Oktober 2019. In einem österreichischen Fall hatte der EuGH klargestellt, dass die Mitgliedstaaten Plattformbetreiber dazu verpflichten dürfen, über die bloße Löschung von Inhalten hinaus auch weitere wort- und sinngleiche Inhalte zu suchen und zu entfernen. Im Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist eine solche Pflicht nicht enthalten. Über die Klage berichtet auch spiegel.de (Max Hoppenstedt).

Tanja Tricarico (taz) unterstützt das Anliegen. Den "Opfern digitaler Gewalt" sei nur mit einer Grundsatzentscheidung geholfen. Darüber hinaus müsse auch den "Hatern" klargemacht werden, dass ihr Verhalten "nicht folgenlos" bleibe.

Rechtspolitik

Parteinahe Stiftungen: Das Finanzierungssystem parteinaher Stiftungen könnte vor einer Umgestaltung stehen. LTO (Hasso Suliak) legt vertieft dar, dass die formell unabhängigen Stiftungen bislang allein aufgrund parlamentarischer Praxis staatliche Beträge erhalten, die weit über jenen liegen, die Parteien zukommen. Diese vom Bundesverfassungsgericht wohl für zulässig gehaltene Form der Finanzierung setzt voraus, dass die nahestehende Partei zweimal in Folge in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten sein muss. Diese Anforderung dürfte ab dem nächsten Herbst auch die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung erreichen. Angeführt vom früheren Bundestagsabgeordneten Volker Beck (Grüne) schlägt nun eine Initiative ein "Wehrhafte-Demokratie-Gesetz" vor, das die staatliche Stiftungsfinanzierung vom Passieren eines "Demokratie-TÜVs" abhängig machen würde.

Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse: Rechtsreferendar Stefan Lenz spricht sich im Recht und Steuern-Teil der FAZ gegen den Vorschlag aus, die "Förderung gleichwertiger Lebensverhältnisse" als Staatszielbestimmung ins Grundgesetz aufzunehmen. Hierdurch würde der Staat "verfassungsrechtlich auf ein Bundesstaatsmodell" festgelegt, das für einen Wettbewerb unter den Ländern keinen Raum mehr ließe.

Künstliche Intelligenz: Der in der vergangenen Woche von der EU-Kommission unterbreitete Vorschlag zur Regulierung von Künstlicher Intelligenz wird nun auch von den Rechtsanwälten France Vehar und Jan Pohle im Recht und Steuern-Teil der FAZ vorgestellt. Der "in Regelungstiefe und -breite einzigartige" Entwurf stelle KI-Anbieter "vor große Herausforderungen".

Unternehmensregister: Noch vor der Bundestagswahl soll ein "Unternehmensbasisdatenregistergesetz" verabschiedet werden. Einen entsprechenden Entwurf beschloss nach Bericht des Hbl (Till Hoppe) das Kabinett. In einem einheitlichen Register sollen Unternehmen mit einer eindeutigen Identifikationsnummer gekennzeichnet und damit leichter auffindbar werden. Das Vorhaben schließe nach dem Registermodernisierungsgesetz und dem Onlinezugangsgesetz die von der Regierung unternommene Digitalisierungsoffensive in Bund und Ländern ab.

"Dexit": Rechtsreferendar Marvin Klein (JuWissBlog) hält die im Wahlprogramm der AfD vorgebrachte Forderung eines "Dexit", des Austritts der Bundesrepublik aus der EU gemäß Art. 50 des EU-Vertrags, aufgrund einer verfassungsrechtlichen Analyse für keine realistische Gefahr.

Amtszeitbegrenzung: Die FAZ (Reinhard Müller) räsoniert über Sinn und Zweck verfassungsmäßiger Amtszeitbegrenzungen. Das Grundgesetz kenne eine solche nur bezüglich des Bundespräsidenten, sie beuge der Gefahr der Entwicklung einer "quasimonarchischen Herrschaft" vor. Anders als etwa beim US-amerikanischen Präsidenten lasse eine Begrenzung der Amtszeit eines Bundeskanzlers dessen "permanente" Abhängigkeit vom Parlament außer Acht. Diese bewirke "mannigfaltige rechtliche und politische Fesseln" über die hinaus ein weiterer "Konflikt mit dem Demokratieprinzip" nicht erforderlich erscheine.

Corona – Infektionsschutzgesetz: Rechtsprofessor Sebastian Kluckert setzt sich auf dem Verfassungsblog vertieft mit verfassungsrechtlicher Kritik an der im neuen § 28b Infektionsschutzgesetz vorgesehenen sogenannten Bundes-Notbremse auseinander. Trotz einer offenbaren "völligen Austauschbarkeit der Handlungsformen" Verwaltungsakt, Rechtsverordnung und Parlamentsgesetz stelle die Norm keinen "unzulässigen Übergriff des Bundesgesetzgebers in reservierte Exekutiv- oder Länderkompetenzen" dar.

Corona – Rechte für Geimpfte: In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch legt Rechtsanwalt Patrick Heinemann dar, dass es verfassungswidrig ist, Corona-Beschränkungen auch gegenüber Geimpften aufrechtzuerhalten. Wer Ungleichbehandlungen mit dem Verweis auf Solidarität ablehne, verkenne, dass Neid "nicht als Rechtfertigungsgrund für Grundrechtseingriffe" tauge. Begrifflichkeiten wie "Privilegien" oder "Sonderrechte" verrieten, dass Grundrechte von Geimpften nurmehr "Verhandlungsmasse der Politik" seien. Eine vergleichbare Position vertritt Rechtsprofessorin Anna Leisner-Egensperger in einem Interview mit der Welt (Ricarda Breyton).

Corona – Impfpriorisierung: In einem Kommentar spricht sich Christian Rath (taz.de) dafür aus, die Impfpriorisierung zumindest bei von Hausärzten vorgenommenen Impfungen sofort aufzuheben. "Das sture Festhalten an der einmal geplanten Impf-Reihenfolge" erhöhe nicht nur juristische Risiken zu etwaigen Lockerungen für Geimpfte und Genesene. Es gefährde damit auch "die Akzeptanz der Coronamaßnahmen insgesamt".

Justiz

BGH zu Banken-AGBs: Die von zahlreichen Banken gepflegte Praxis, die Änderung von AGBs auch ohne ausdrückliche Zustimmung ihrer Kunden, durch sogenannte fiktive Zustimmung, durchzusetzen, ist nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofs unzulässig. Banken könnten durch die für unwirksam erklärten Klauseln umfangreiche Vertragsänderungen durchsetzen, dies benachteilige Kunden unangemessen. tagesschau.de (Kerstin Anabah/Gigi Deppe) weist darauf hin, dass die Vorinstanzen des vom Bundesverband der Verbraucherzentralen angestoßenen Rechtsstreits die Sache noch anders gesehen hatten. Im vergangenen November habe der Europäische Gerichtshof aber einen entscheidenden "juristischen Fingerzeig" geliefert. SZ (Wolfgang Janisch) und LTO berichten ebenfalls.

StA Erfurt – Familienrichter: Die Staatsanwaltschaft Erfurt hat im Zuge ihrer Ermittlungen wegen Rechtsbeugung Räumlichkeiten des Familienrichters Christian Dettmar (AG Weimar) durchsucht, dessen Beschluss zur Kindeswohlgefährdung durch eine schulische Maskenpflicht für bundesweites Aufsehen gesorgt hatte. Es bestünden Anhaltspunkte für die Annahme, der Beschuldigte habe die Zuständigkeit seines Gerichts willkürlich angenommen, zitiert LTO (Tanja Podolski) die Anklagebehörde. Gerhard Strate als Verteidiger des Richters wies dies zurück. Ob eine Anordnung zum Zwecke der Kindeswohlförderung wie hier auch öffentliche Stellen verpflichten könnte, sei juristisch offen. Der Vorwurf der Rechtsbeugung sei daher "nicht im Ansatz plausibel". Über die Durchsuchung berichtet auch bild.de (Jan Schumann).

BVerfG zu Kleinstparteien und Wahlrecht: Das Bundesverfassungsgericht hat Eilanträge der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands und der Bayernpartei zurückgewiesen, mit denen der Bundestag verpflichtet werden sollte, die Quoren für Unterstützungsunterschriften für die Teilnahme an der Bundestagswahl auszusetzen oder zu ändern. Die Antragsteller hätten die Anforderungen an eine substantiierte Begründung nicht erfüllt, so LTO in einer ausführlichen Darstellung. Daneben sei auch nicht dargelegt worden, dass das Sammeln von Unterstützungsunterschriften in Pandemiezeiten praktisch unmöglich sei. Gleichwohl sei das Parlament gehalten, zu überprüfen, ob das Wahlrecht der Situation anzupassen sei. Auch tagesschau.de (Klaus Hempel) berichtet. Unabhängig von den jetzigen Beschlüssen plane die Regierungskoalition einen Gesetzentwurf, mit dem Unterschriftenquoren heragbesetzt werden sollen. Dies schreibt spiegel.de (Severin Weiland).

BVerfG – IfSG/Bundesnotbremse: 80 Bundestagsabgeordnete der FDP haben eine Verfassungsbeschwerde gegen die jüngste Novellierung des Infektionsschutzgesetzes erhoben. Die Beschwerdeführer rügten sowohl die formelle Verfassungswidrigkeit wegen fehlender Beteiligung des Bundesrates als auch die materielle Verfassungswidrigkeit der jüngsten Änderungen. Vor allem die an Inzidenzwerte gekoppelten Ausgangssperren seien fragwürdig, gleiches gelte bei den fehlenden Ausnahmen für Geimpfte. SZ (Wolfgang Janisch/Angelika Slavik)FAZ (Corinna Budras/Marlene Grunert) und LTO berichten.

Laut BadZ (Christian Rath) liegen beim BVerfG bereits 111 Verfassungsbeschwerden gegen die Bundesnotbremse vor, wovon 49 so substantiiert seien, dass sie ins Verfahrensregister eingetragen wurden. Der Autor geht davon aus, dass das Gericht wegen der hohen Hürden das Gesetz nicht einstweilen aussetzen wird.

BAG zu DSGVO und Arbeitsrecht: Die im Rahmen einer Kündigungsschutzklage beantragte Überlassung von E-Mail-Kopien müssen Arbeitgeber nicht leisten, ein entsprechender Klageantrag ist nicht hinreichend bestimmt. Dies gelte nach einer die Vorinstanzen bestätigenden Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts auch für die Überlassung sämtlicher Mitteilungen, die den Gekündigten namentlich erwähnen. Das von beck-aktuell (Joachim Jahn) dargestellte Urteil setze "einer neuen Masche Grenzen". Um eine höhere Abfindung durchzusetzen, seien vermehrt Auskunftsanträge auf Grundlage der Datenschutzgrundverordnung gestellt worden. FAZ (Marcus Jung) und LTO berichten ebenfalls.

OLG Stuttgart – Gruppe S.: Im Strafverfahren gegen Mitglieder der vermeintlich rechtsterroristischen "Gruppe S." hat einer der Angeklagten zur Teilnahme an einem Treffen ausgesagt. Thorsten W., zuletzt als Regierungsamtsinspektor im Verkehrskommissariat tätig, habe sich dabei als Mittelalter-Fan zu erkennen gegeben, schreibt spiegel.de (Julia Jüttner). Eben diesem Hobby hätte nach seiner Erwartung auch das Treffen dienen sollen. Nachdem er mitbekommen habe, dass die anderen Teilnehmer über Anschläge auf Moscheen zu sprechen begannen, habe er die Zusammenkunft verlassen.

OLG Hamburg zu Jens Spahns Villenkauf: Die juristische Auseinandersetzung zwischen Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Pressevertretern über die Zulässigkeit der Berichterstattung zu einem mit seinem Ehemann bewerkstelligten Villenkauf hat mit einer für ihn nachteilhaften Kostenentscheidung ihren vorläufigen Abschluss gefunden. Nachdem der Minister sein ursprüngliches Ansinnen, Auskunft über recherchierende Journalisten zu erlangen, nicht weiter verfolgt hatte, entschied das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg nun, dass der Kauf einer "ungewöhnlich teuren Immobilie" Anlass zu Diskussionen über das Preisgefüge am Immobilienmarkt geben könne. Wegen seiner "überragenden Bekanntheit" müsse der Minister die Berichterstattung über seine persönlichen Vermögensverhältnisse hinnehmen. Tsp (Jost Müller-Neuhof) und FAZ (Michael Hanfeld) berichten.

LG Köln – Deniz Naki: Gegen den früheren Fußballprofi Deniz Naki ist beim Landgericht Köln Anklage wegen vermeintlicher Rädelsführerschaft einer rockerähnlichen Vereinigung erhoben worden. Die "überwiegend kurdische" Gruppe solle mit Waffen und Betäubungsmitteln gehandelt haben, so die Welt (Ibrahim Naber).

Recht in der Welt

Polen – Rechtsstaat: Das polnische Verfassungsgericht wird am heutigen Mittwoch darüber entscheiden, ob und wie Urteile des Europäischen Gerichtshofs im Land umgesetzt werden müssen. Dabei stehe ein Urteil im Sinne der Regierungspartei außer Frage, prognostiziert die Welt (Philipp Fritz). Dies würde den "Anfang vom Ausscheiden Polens aus der europäischen Rechtsordnung" darstellen und auch "die EU zu einer Wirtschaftsgemeinschaft" schrumpfen lassen.

USA – Michael Jackson: Ein australischer Tänzer ist mit dem Versuch gescheitert, Firmen des verstorbenen Entertainers Michael Jackson für dessen behauptete sexuelle Übergriffe in Haftung zu nehmen. Die beklagten Firmen hatten nach Ansicht des kalifornischen Gerichts aber keine "juristische Fähigkeit, Jackson zu kontrollieren", schreibt die FAZ (Christiane Heil).

Sonstiges

Fritz Bauer: Das Berliner Dokumentationszentrum Topographie des Terrors hat nun eine coronabedingt online verfügbare Ausstellung über Leben und Wirken Fritz Bauers eröffnet. Noch bis zum 17. Oktober kann man sich über den früheren hessischen Generalstaatsanwalt und sein nur bedingt erfolgreiches Bemühen um eine strafrechtliche Aufarbeitung der NS-Diktatur informieren. LTO berichtet.

Das Letzte zum Schluss

Vergesslich: Wer sich noch daran erinnern kann, wie nervig es sein konnte, ausgeliehene Filme pünktlich zurück in die Videothek bringen zu müssen, darf sich nach dem von spiegel.de berichteten Fall einer US-Amerikanerin darüber freuen, noch immer den beschwerlichen Weg auf sich genommen zu haben. Bei einem Behördengang nach einer Namensänderung erfuhr sie eher zufällig, dass in einem anderen Bundesstaat nach ihr gefahndet würde. Der Vorwurf: eine im Jahr 1999 ausgeliehene, aber nie zurückgebrachte VHS-Kassette.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 28. April 2021: . In: Legal Tribune Online, 28.04.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44828 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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