In Europa herrscht Krieg. Die "militärische Sonderoperation" Wladimir Putins verletzt das Völkerrecht. Das BAG urteilte über die Anfechtung eines Aufhebungsvertrages. Hanno Berger stellt sich gezwungenermaßen seinen Verfahren.
Thema des Tages
Russland - Ukraine: Der Verfassungsblog veröffentlicht ein Statement der Deutschen Gesellschaft für Internationales Recht, das von der Vorsitzenden Anne Peters unterzeichnet wurde. Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine verletze das Gewaltverbot nach Art. 2 Abs. 4 der UN-Charta. Russland bringe als Rechtfertigung nur "juristisch nicht haltbare Rechtsbehauptungen" vor. Die taz (Christian Rath) geht näher auf Putins "abwegigen" Rechtfertigungsversuch ein, er handele aufgrund eines Hilfeersuchens der Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Allerdings seien die Volksrepubliken keine völkerrechtlich anerkannten Staaten. Es habe auch keinen aktuellen Angriff auf sie gegeben. Und das Ziel, die Ukraine zu entmilitarisieren, gehe weit über die Abwehr eines angeblichen Angriffs hinaus. Auch der von spiegel.de (Dietmar Hipp) interviewte Rechtsprofessor Daniel-Erasmus Khan hält die vom russischen Präsidenten vorgebrachten Rechtfertigungen für "Scheinargumente". Die vorgeschaltete Anerkennung der sogenannten Volksrepubliken habe erkennbar dem Zweck gedient, dem Angriff einen "Schein der Legalität" zu verleihen. Als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Ukraine verletze bereits die Anerkennung das Völkerrecht. Als Oberbefehlshaber der Streitkräfte könne Putin für Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof angeklagt werden. Eine Anklage wegen Aggression sei allerdings nur mit Zustimmung des UN-Sicherheitsrates möglich.
In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch spricht sich Rechtsprofessorin Angelika Nußberger dafür aus, dass Europa trotz einer Rückkehr in die "raue Realität der Machtpolitik" nicht "die eigenen Werte" aufgeben sollte. Recht müsse dem Unrecht nicht weichen, "auch wenn ein Staat das Unrecht zu seiner Staatsräson erklärt hat", wie die frühere Vizepräsidentin des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte anhand eines kurzen Abrisses des letzten Jahrzehnts darlegt. Noch vor der Annexion der Krim sei in Russland die Zivilgesellschaft gefügig gemacht worden, habe man im dortigen Haushalt einen Sonderposten für Schadensersatzzahlungen an den EGMR eingerichtet und sich so in einer "zynischen Politik des Mitmachens und Dagegenhandelns" eingerichtet und tatsächlich das Recht des Stärkeren etabliert.
Die FAZ (Reinhard Müller) beschreibt den Angriff als eine Wiederauferstehung der "alten Ordnung der Gewalt" und zieht hierfür Verbindungen zwischen der Monroe-Doktrin und gegenseitigen Zugeständnissen der Supermächte des Kalten Krieges bezüglich einer "gewissen Handlungsfreiheit in ihren Hinterhöfen". Die jetzigen Reaktionen belegten indes, "dass es universelle Werte gibt, hinter denen sich die Staatengemeinschaft einen kann". Es sei bezeichnend, dass China, "das sonst stets die territoriale Integrität aller Länder" hochhalte, aus diesem Konsens ausschere.
Humanitäres Völkerrecht: Die SZ (Ronen Steinke) erläutert im "aktuellen Lexikon" das humanitäre Völkerrecht, auch "Kriegsrecht" genannt: "Auch wenn Putins Angriff auf die Ukraine eindeutig illegal ist, sind es die Handlungen seiner Soldaten nicht automatisch auch. Wenn sie etwa auf ukrainische Soldaten schießen, machen sie sich nicht wegen Körperverletzung oder gar Mordes strafbar."
Europarat/Russland: Juniorprofessorin Caroline von Gall fordert auf dem Verfassungsblog die Suspendierung der Mitgliedschaft Russlands im Europarat als "deutliches politisches Signal". Dieser habe bislang nicht auf Russland Einfluss nehmen können und dem Land stattdessen gestattet, die Politik des Rats mitzugestalten und Richter des EGMR zu wählen.
Nord Stream 2: Die FAZ (Helene Bubrowski/Johannes Leithäuser) legt vertieft dar, unter welchen Bedingungen die Bundesrepublik die Gas-Pipeline Nord Steam 2 stoppen könne. Das Bundeswirtschaftsministerium müsse laut Ernergiewirtschaftsgesetz prüfen, ob eine Zertifizierung des Betreibers die Sicherheit der Elektrizitäts- oder Gasversorgung in Deutschland und der EU gefährde. Der damalige Minister Peter Altmaier (CDU) habe dies noch im vergangenen Oktober verneint, die jetzige Situation dürfte aber zu einer Neubewertung führen.
Sport und Invasion: Am 28. Mai soll das Finale der diesjährigen Fußball-Champions League in St. Petersburg stattfinden. LTO (Hasso Suliak) schreibt unter Berufung auf sportrechtliche Expertise, wie sich die UEFA als ausrichtender Verband vom geschlossenen Vertrag lösen kann. Die wahrscheinlich vorhandene force majeure-Klausel dürfte zwar nicht ohne Weiteres greifen. Sollte aber ein Embargo oder Einreiseverbote für die teilnehmenden Mannschaften gelten, dürften objektive Schwierigkeiten bei der Leistungserbringung einer Vertragserfüllung im Wege stehen.
Ukrainische Flüchtlinge: Flüchtlinge aus der Ukraine können mit ihrem biometrischen Reisepasse ohne Probleme in die EU einreisen und dürfen zunächst 90 Tage bleiben. Für Asylverfahren wären die EU-Staaten des ersten Kontakts zuständig, also vor allem Polen, Slowakei, Ungarn und Rumänien. Ukrainer:innen können angesichts der russischen Invasion zumindest mit einer Anerkennung als subsidiär Schutzberechtigte rechnen, zitiert LTO (Tanja Podolski) einen Experten. Daneben könnte auch der sogenannte vorübergehende Schutz für Massenfluchtsituationen zur Anwendung gelangen, bei dem Schutzsuchende nach Verständigung der Mitgliedstaaten innerhalb Europas verteilt würden.
Rechtspolitik
Lieferketten und Menschenrechte: Über den von der EU-Kommission vorgestellten Entwurf einer Richtlinie zur Kontrolle von Lieferketten berichten nun auch LTO (Stefan Schmidbauer) und die Rechtsanwälte Christian Ritz und Sebastian Gräler auf dem Hbl-Rechtsboard.
Justiz
BAG zum Gebot fairen Verhandelns: Ein arbeitsrechtlicher Aufhebungsvertrag kann wegen eines Verstoßes gegen das Gebot fairen Verhandelns unwirksam sein. Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts muss dies aber anhand der Gesamtumstände der jeweiligen Verhandlungssituation im Einzelfall ermittelt werden, im nun entschiedenen Fall war dies – anders als noch vom Arbeitsgericht festgestellt – nicht der Fall. Rechtsprofessor Michael Fuhlrott stellt auf LTO den jetzt vom BAG entschiedenen Fall ausführlich vor und geht dabei auch vertieft auf Vor- und Nachteile von Aufhebungsverträgen bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen ein. Die Anfechtung eines solchen Vertrages wegen der Behauptung, überrumpelt und unrechtmäßig unter Druck gesetzt worden zu sein, würden angesichts der Verpflichtung zur Vertragstreue weiterhin restriktiv gehandhabt.
LG Wiesbaden – Cum-Ex/Hanno Berger: Nach Vollzug seiner Auslieferung aus der Schweiz soll der mutmaßliche Cum-Ex-Konstrukteur Hanno Berger nun der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Wiesbaden zur Verkündung eines Haftbefehls vorgeführt werden. Mit der Anordnung von Untersuchungshaft sei zu rechnen, mutmaßt das Hbl (Volker Votsmeier/Sönke Iwersen) und beschreibt den beruflichen Werdegang des Juristen. Vom einstigen "Bankenschreck" der Hessischen Finanzverwaltung sei Berger zum "Regenmacher" prominenter Kanzleien und schließlich dem "Meister" der Szene der Cum-Ex-Geschäfte mutiert. Entgegen seiner Ankündigung im Oktober 2017, er werde sich "natürlich" den gegen ihn erhobenen Vorwürfen in einem Gerichtsverfahren stellen, hatte Berger seine Auslieferung bis zuletzt zu verhindern versucht.
BVerfG zu Corona-Masken- und Testpflicht an Schulen: Familiengerichtliche Befugnisse zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung beinhalten kein Recht zum Erlass von Anordnungen gegenüber Behörden oder sonstigen Trägern öffentlicher Gewalt. An diese fachgerichtlich "hinreichend geklärte" Einschätzung erinnerte das Bundesverfassungsgericht in einem nun veröffentlichten, vor einem Monat ergangenen Nichtannahmebeschluss. LTO und FAZ (Marlene Grunert) berichten, dass mit der nun als unzulässig abgewiesenen Verfassungsbeschwerde eine Mutter aus Brandenburg die an der Grundschule ihres Sohnes herrschende Masken- und Testpflicht zu Fall bringen wollte.
BGH zu Betriebsschließungsversicherung/Gewerbemiete/Corona: Im Immobilien-Teil der FAZ stellen Rechtsanwalt Matthias Schrader und Rechtsanwältin Cornelia Thaler das Ende Januar verkündete Urteil des Bundesgerichtshofs zu – verneinten – Ansprüchen eines Gewerbetreibenden auf Kompensation coronabedingter Einnahmeausfällen durch eine Betriebsschließungsversicherung vor. Die "rechtlich nicht zu beanstandende" Entscheidung wird dem nur kurz zuvor ergangenen Urteil des BGH zu einer Anpassung der Gewerbemiete infolge behördlicher Schließungsanordnungen gegenüber gestellt. Auch wenn der BGH die Nennung eines festen Schwellenwerts ausdrücklich vermied, sei zu bemängeln, dass die Immobilienbranche offenbar "als Ausfallversicherung für das gesamtgesellschaftliche Risiko Pandemie in die Pflicht genommen" werde.
BGH zu Tina Turner-Tribute: Der Bundesgerichtshof hat eine Unterlassungsklage der Sängerin Tina Turner abgewiesen. Damit kann eine sogenannte Tribute-Show mit Songs von Tina Turner, dargebracht von einer ihr ähnlich sehenden Interpretin weiterhin stattfinden und beworben werden. Nach Ansicht des BGH vermittelten die beanstandeten Plakate nicht den Eindruck, Turner selbst unterstütze die Show oder wirke gar in ihr mit, so swr.de (Klaus Hempel) und LTO. Zwar könne der Eindruck entstehen, auf den Werbematerialien sei der Weltstar zu sehen. Weil dies aber nicht zutreffe, überwiege die Kunstfreiheit das Persönlichkeitsrecht.
OLG Frankfurt/M. - Franco A.: Im Verfahren gegen den Ex-Bundeswehroffizier Franco A. hat sich das Oberlandesgericht Frankfurt/M. zu sichergestellten Gegenständen beim Angeklagten geäußert. Bei seiner jüngsten Festnahme seien 23 Abzeichen mit Hakenkreuzen, sieben Hieb- und Stichwaffen, 21 Mobiltelefone, mehr als 50 ungenutzte Prepaid-Karten und ein gefälschter Impfausweis gefunden worden, berichtet spiegel.de. Laut dem Vorsitzenden Richter klinge dies "nicht so gut" und werde weitere Verfahren nach sich ziehen.
KG Berlin zu "Keinohrhasen"/Urheberrecht: Tobias Kniebe (SZ) äußert im Feuilleton Unverständnis über den nun vom Berliner Kammergericht bestätigten Auskunftsanspruch der Drehbuchautorin Anika Decker zu Einnahmen der von ihr geschriebenen Filme "Keinohrhasen" und "Zweiohrküken". Wie auch der vergleichbare Fall des Kamermanns des Films "Das Boot" beruhten solche Forderungen auf dem 2002 in das Urheberrechtsgesetz eingefügten Fairness-Paragraphen. Sie verletzten aber den "seit der Frühzeit Hollywoods" existierenden "Deal", nach dem Vergütungsvereinbarungen "stets den Marktwert eines Kreativen" abbildeten und unbedingt zu schließen seien, "bevor die erste Klappe fiel". Eine weitere Grundregel besage, dass "richtig Geld" auch "nie mit dem ersten großen Hit" gemacht werde. "Heilige Pflicht" des Anwalts der Autorin wäre es gewesen, die Gage für ihr Drehbuch zum Nachfolgefilm "Zweiohrküken" entsprechend zu verhandeln.
OLG Dresden – Prämiensparverträge: Nach Zurückverweisung durch den Bundesgerichtshof im vergangenen Oktober ist derzeit beim Oberlandesgericht Dresden ein Rechtsstreit zur korrekten Ermittlung der Zinsen von Prämiensparverträgen der Sparkassen anhängig. Der BGH habe die von den Banken verwendeten Zinsanpassungsklauseln für unwirksam erklärt, schreibt die SZ (Andreas Jalsovec). Infolge der Entscheidung hätten zahlreiche Sparkassen ihrer Kundschaft eine Vergleichsbereitschaft signalisiert, in der Regel jedoch erst, nachdem Sparende den ersten Schritt unternahmen.
AG Bremen zu Markus Anfang: Wegen des Gebrauchs eines unrichtigen Gesundheitszeugnisses (Impfpasses) hat das Amtsgericht Bremen einen Strafbefehl gegen den früheren Trainer des Zweitligisten Werder Bremen, Markus Anfang, in Höhe von 90 Tagessätzen erlassen. Sein früherer Assistent Florian Junge habe ebenfalls einen Strafbefehl erhalten, berichtet bild.de (Markus Balczuweit).
Sonstiges
Judensterne und Volksverhetzung: Ob die in der Querdenken-Bewegung beliebte Verwendung gelber Judensterne mit dem Schriftzug "Ungeimpft" als Volksverhetzung (Verharmlosung des Holocaust) strafbar ist, bleibt umstritten. Eine von der taz (Matthias Meisner) berichtete Umfrage des Mediendiensts Integration bei Justiz- und Innenministerien der Länder ergab, dass etwa Berliner Polizeikräfte angewiesen seien, die Verwendung immer zur Anzeige zu bringen. Auch in Niedersachsen, Brandenburg und Bremen gehe man von einer Strafbarkeit aus. Diese Ansicht teile jedoch Rechtsprofessor Matthias Jahn nicht. Die Verwendung gelber Sterne beim Corona-Protest sei empörend, aber nicht strafbar, so Jahn, weil in § 130 Abs. 4 StGB eine "Verharmlosung" des NS-Regimes nicht genannt werde.
fdGO und Beamtenrecht: Rechtsprofessor Andreas Nitschke befasst sich auf dem Verfassungsblog mit rassistischen und rechtsextremistischen Äußerungen von Beamt:innen. Parodien über rechtsextremes Verhalten stellten keinen Verstoß gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung dar. Bei geschmacklosen Witzen komme es auf den Einzelfall an. Wenn sich jemand an rechtsextremen Äußerungen nur aus Opportunismus gegenüber einer Gruppe beteilgt, nutze auch die innere positive Einstellung zur fdGO nichts.
"Recht gegen rechts"/soziale Schieflage der Justiz: Rechtsprofessor Michael Pawlik kritisiert im Sachbücher-Teil der FAZ den Sammelband "Recht gegen rechts. Report 2022" als publizistischen Schnellschuss. "Die moralische und politische Selbstgerechtigkeit der meisten Beitragenden" führe zu "Schwarz-Weiß-Bildern" und offenbare zudem eine "Bereitschaft, zugunsten des aus ihrer Sicht inhaltlich Richtigen selbst grundlegende rechtsstaatliche Gewährleistungen zur Disposition zu stellen." "Weitaus ernster" sei dagegen das Buch "Vor dem Gesetz sind nicht alle gleich. Die neue Klassenjustiz" von Ronen Steinke zu nehmen. Der Autor erkenne in höheren Erfolgchancen bemittelter Angeklagter ein Problem der "verfassungsrechtlich verbürgten Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz", biete allerdings kein Patentrezept für dessen Lösung an. Der Ruf nach "mehr Geld" lasse außer Acht, dass es "schlicht an geeigneten Personen für die vielen zusätzlichen Richterstellen und Pflichtverteidigermandate" fehle, die nach Steinke erforderlich wären.
Karneval und Arbeitsrecht: Arbeitsrechtliche Fragen zum nun anstehenden Rosenmontag behandelt swr.de (Christoph Kehlbach/Florian Roithmeier). Ohne entsprechende arbeits- oder tarifvertragliche Regelungen bestehe grundsätzlich Arbeitspflicht und damit kein Anspruch auf Teilnahme an Feierveranstaltungen bei gleichzeitiger Bezahlung. Angestellte könnten sich aber – soweit vorhanden – auf eine betriebliche Übung berufen. Laut einem Teil der Rechtsprechung könne diese auch geltend gemacht, wenn Umzüge, etwa wegen Corona, ausfielen.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
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Die juristische Presseschau vom 25. Februar 2022: . In: Legal Tribune Online, 25.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47646 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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