Die Staatsanwaltschaft prüft, ob gegen Mahmoud Abbas wegen Volksverhetzung ermittelt wird. Die erfolgreiche Wiederaufnahme im "Badewannenmord"-Fall wirft Fragen auf. Berliner Anwalt schlägt öffentliches Gedenken an Gerichtsurteile vor.
Thema des Tages
StA Berlin – Mahmoud Abbas: Die Berliner Staatsanwaltschaft prüft nach einer Strafanzeige, ob sie Ermittlungen gegen den Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmoud Abbas, aufnimmt. Auf einer Pressekonferenz hatte Abbas im Beisein von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) von "50 Holocausts" gegen seine Landsleute gesprochen. Dies könnte eine Volksverhetzung in Form der Verharmlosung des Holocausts sein. Nach dem Bericht der Sa-FAZ (Johannes Leithäuser) konzentriere sich die Anklagebehörde zunächst aber auf die Prüfung, ob Abbas diplomatische Immunität genießt.
Jost Müller-Neuhof (Tsp) kommentiert, dass die grundrechtlich geschützte Meinungsfreiheit beim Tatbestand der Verharmlosung des Holocausts zu "einer komplizierten Abwägungsarithmetik" zwinge. Die "Gegenrechnung" Abbas sei zwar zynisch, "aber längst nicht so zynisch wie gelbe Armbinden" von Impfgegnern. Statt nach dem Staatsanwalt zu rufen, wäre es wichtiger, Abbas Rede nicht mehr über die offizielle Webseite der Bundesregierung zu verbreiten. Ex-Bundesrichter Thomas Fischer macht sich auf spiegel.de in seiner Kolumne Gedanken über Fernsehberichterstattung und bezeichnet die von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) abgegebene Erklärung, er habe Abbas´ Äußerung unkommentiert gelassen, weil ihm sein Pressesprecher nicht das Wort erteilt habe, als "absurd". Das im Nachhinein beanstandete Statement sei keine Leugnung des Holocausts, ob sie als dessen Verharmlosung einzustufen sei, "ist viel komplizierter, als es der übliche Entrüstungs-Hype erfassen kann." Dass das "antisemitische und israelfeindliche Geschwätz" nun gerade Deutschland beleidige, spiegele die "absurde Überkompensation" der Nachkriegsjahre wider, die Opfer und Täter gleichsetzte.
Rechtspolitik
Planungsbeschleunigung: Die Mo-SZ (Thomas Hummel) berichtet über tatsächliche Schwierigkeiten bei der Bestimmung der Gefährdung von Rotmilanen durch Windkrafträder. Erst Ende Juli hatte eine Reform des Bundesnaturschutzgesetzes gegen den Protest von Umweltverbänden den bisherigen Grundsatz vom Schutz jedes einzelnen Vogels zugunsten möglicher Kompensationsmaßnahmen ersetzt. Der praktische Nutzen sei aber noch fraglich.
Die Neuerung wird auch von Corinna Budras (Mo-FAZ) im Leitartikel lobend erwähnt. Auch der von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zum Ausdruck gebrachte "Pragmatismus" bei der geplanten Verkürzung verwaltungsgerichtlicher Auseinandersetzungen über infrastrukturelle Großprojekte sei "schon mal ein guter Ansatz". Notwendig sei aber auch eine durch entsprechende Ausstattung von Behörden zu Wege gebrachte Beschleunigung von Genehmigungsverfahren.
Fluggastrechte: Die niedersächsische Landesregierung plant eine Bundesratsinitiative zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Flugreisen. Nach der Idee, über die am morgigen Dienstag in der Regierung abgestimmt werden soll, würde das Vorkasseprinzip in diesem Bereich abgeschafft, schreibt das Hbl (Daniel Delhaes/Dietmar Neuerer). Hierdurch entfielen die oft langwierigen Auseinandersetzungen über Rückerstattungen.
Verkehrsgerichtstag: LTO gibt einen Überblick über die in der vergangenen Woche vom Verkehrsgerichtstag erarbeiteten Empfehlungen an den Gesetzgeber. So solle der Grenzwert von Cannabis im Straßenverkehr erhöht und das Sanktionssystem bei Verkehrsverstößen flexibler gestaltet werden.
Justiz
LG München I – "Badewannenmord": Eine Reportage über den nun erfolgreichen Wiederaufnahmeantrag im sogenannten Badewannenmord bringt die WamS (Gisela Friedrichsen). Mit einem "Paukenschlag" hatte das Landgericht München I in der vorvergangenen Woche die erneute Durchführung einer Hauptverhandlung gegen Manfred G. angeordnet und ihn mangels dringenden Tatverdachts nach dreizehneinhalb Jahren Haft auf freien Fuß gesetzt. Der "in der bundesrepublikanischen Rechtsgeschichte außergewöhnliche" Fall werde "sicher in die Lehrbücher Eingang finden".
Nach der von Hans Holzhaider (Mo-SZ) im Leitartikel vertretenen Ansicht "zeigt der Fall die Defizite des deutschen Strafprozessrechts bei der Behandlung von Fehlurteilen auf." Es leuchte zwar ein, dass es nicht regelmäßig zweite Tatsacheninstanzen gebe, "jeder halbwegs erfahrene Richter" wisse aber auch, wie Urteile revisionssicher verfasst werden müssen. Gleichzeitig sei das Wiederaufnahmerecht "in Wahrheit ein Wiederaufnahmeverhinderungsrecht". In seinen übersteigerten Anforderungen mache es "die Rechtssicherheit zum Fetisch", der die Justiz daran hindere, sich "mit ihren Irrtümern und Fehlentscheidungen auseinandersetzen zu müssen". Dies verhindere Gerechtigkeit.
EuGH zu Fluggastdatenüberwachung: Die Mo-taz (Christian Rath) hat sich beim Bundeskriminalamt, das in Deutschland für die anlasslose Fluggastdatenüberwachung zuständig ist, über die Folgen des Urteils des Europäischen Gerichtshof zur EU-Fluggastdaten-Richtlinie von Ende Juni erkundigt. So beträfen 61 Prozent der Datensätze Intra-EU-Flüge, die nach den EuGH-Vorgaben idR. nicht mehr ausgewertet werden düfen. Das BKA setze bisher aber keine künstliche Intelligenz zur Mustererkennung ein (was künftig verboten ist). Die fünf deutschen EuGH-Vorlagen zur Fluggastdatenüberwachung haben sich laut taz wohl erledigt. Am 7. November will das Amtsgericht Köln entscheiden.
BVerfG zu Masern-Impfpflicht: Eine ausführliche Besprechung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Masern-Impfpflicht unternimmt Rechtsprofessor Klaus F. Gärditz auf LTO. Er arbeitet die immunologischen Unterschiede der Masern-Impfung zur Corona-Impfung heraus und folgt der Einschätzung, die jetzige Regelung sei als verfassungskonformer Grundrechtseingriff zu werten. Das größte Rechtfertigungsproblem sieht der Autor in der vom BVerfG grundsätzlich gebilligten Verwendung sogenannter Kombinationsimpfstoffe. Ob diese – oder reine Masern-Impfstoffe – angeboten werden, hänge letzlich von Marktmechanismen ab, die mitnichten den Umfang von Grundrechtsbeschränkungen bestimmen dürften.
Bei grundsätzlicher Zustimmung zur Entscheidung hält auch Gigi Deppe (swr.de) in einem Kommentar die verfassungsgerichtliche Nonchalance gegenüber Kombi-Impfstoffen für problematisch. Skeptische Eltern täten sich sicherlich leichter, den "isolierten Einzel-Impfstoff" zu ertragen.
BVerfG zu ED-Behandlung: Die angeordnete erkennungsdienstliche Behandlung eines mutmaßlichen Sprayers zu strafprozessualen Zwecken verletzt diesen laut Bundesverfassungsgericht in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Nach dem nun veröffentlichten Beschluss von Ende Juli sei die Abnahme von Fingerabdrücken und die Anfertigung von Körperbildern im konkreten Fall teilweise nicht geeignet, teilweise nicht erforderlich. Über den Beschluss berichtet LTO.
BGH zu Suizidhilfe: Rechtsprofessor Tonio Walter kritisiert auf LTO den sogenannten Insulin-Beschluss des Bundesgerichtshofs. In dem in der vorvergangenen Woche veröffentlichten Beschluss hatte der BGH eine erstinstanzliche Verurteilung wegen Tötung auf Verlangen in einen Suizid des nach einer Insulingabe seiner Ehefrau Getöteten umgedeutet. Wegen der Besonderheiten des Falls sei dies "moralisch verständlich, aber juristisch falsch", so der Autor. Das Übergehen der Garantenpflicht der angeklagten Ehefrau hätte nach der "Peterle"-Entscheidung des BGH von 1984 eine Divergenzanfrage erforderlich gemacht. Der Beschluss sei "schließlich auch im Ergebnis falsch".
Heribert Prantl (Sa-SZ) fordert in seiner Kolumne, dass aus dem anstehenden neuen Sterbehilfegesetz "keine Sterbeeinladungsschrift werden" dürfe. Es gebe "ein Recht auf Sterben", wie es "ein unverwirkbares Recht auf Leben" gebe. In seiner jetzigen Entscheidung habe der BGH die Strafnorm der Tötung auf Verlangen zutreffend "verfassungskonform und im Licht des Sterbehilfeurteils des Bundesverfassungsgerichts" ausgelegt.
BSG zu Potentialleistungen/Fettabsaugung: Mit Urteil vom vergangenen Donnerstag hat das Bundessozialgericht die Klagen zweier Frauen an Landessozialgerichte zurückverwiesen, wo erneut über die Erstattungsfähigkeit sogenannter Potentialleistungen befunden werden soll, berichtet beck-aktuell (Joachim Jahn). Potentialleistungen bezeichnen Heilmethoden, über die der Gemeinsame Bundesausschuss für das Gesundheitswesen noch nicht abschließend entschieden hat, die aber das Potential zur Zulassung besitzen. In den konkreten Fällen ging es um Fettabsaugungen.
LG Dresden – Einbruch ins Grüne Gewölbe: Die Sa-FAZ (Stefan Locke) bringt eine Reportage über den Strafprozess zum Einbruch in das Grüne Gewölbe. Die ausführliche Vernehmung eines Forensikers im Mai, wonach von fünf der sechs Angeklagten DNA-Spuren am Tatort festgestellt wurden, sei eine Wende im Prozess gewesen. Drei der Angeklagten hätten sich nun doch zu den Vorwürfen geäußert, was bei Angehörigen des Remmo-Clans ungewöhnlich ist. Sie hätten erklärt, warum sie nicht an der Tat beteiligt gewesen sein konnten.
LG München I – Alfons Schuhbeck: Ab dem 5. Oktober muss sich der Promi-Koch Alfons Schuhbeck am Landgericht München I wegen des Vorwurfs der Steuerhinterziehung verantworten. Geplant seien 18 Verhandlungstermine, berichtet LTO.
LG Karlsruhe zu Diebstahl von Goldspänen: Wegen gewerbsmäßigen Diebstahls in 27 Fällen hat das Landgericht Karlsruhe einen 50-Jährigen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt. Als Mitarbeiter einer Traurringfabrik hatte der Angeklagte über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren Goldspäne entwendet und in Heimarbeit geschmolzen. Für die so gewonnenen rund 20 Kilo Gold habe er eine knappe Million Euro kassiert, schreibt die Sa-SZ (Max Ferstl/Anna Fischhaber).
VG Düsseldorf zu Corona-Soforthilfen: Rechtsprofessorin Anna Leisner-Egensperger erklärt im Gespräch mit dem Spiegel (Dietmar Hipp) die Begründung der letztwöchigen Aufhebung mehrerer Rückforderungsbescheide zu Corona-Soforthilfen durch das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Die fraglichen Bewilligungsbescheide seien vorläufig erteilt worden. Zwar sei es zulässig, in späteren Schlussbescheiden andere Kriterien zur Voraussetzung der Gewährung zu machen. Dies hätten sich die erteilenden Behörden jedoch vorbehalten müssen.
Sexueller Missbrauch an Schülerin: Die Sa-SZ (Rainer Stadler) schildert den Fall eines Lehrers, der Sex mit einer 17-jährigen Schülerin hat. Als die Schulleitung ihn anzeigt, stellt die Staatsanwaltschaft (an einem nicht genannten Ort in Bayern) das Verfahren wegen Missbrauchs von Schutzbefohlenen ein, weil die Initiative von der Schülerin ausgegangen sei und der Vorfall keine Auswirkungen auf ihre Noten hatte. Ein Disziplinarverfahren führte aber dazu, dass der Lehrer seinen Beamtenstatus verlor. Er unterrichtet jetzt an einer Privatschule.
BFH-Präsident Thesling: In ihrem Unternehmen-Teil porträtiert die Mo-FAZ (Katja Gelinsky) Hans-Josef Thesling, den neuen Präsidenten des Bundesfinanzhofs. Der lehne es ab, "sich für die politisch interessierte Öffentlichkeit emotional in Szene" zu setzen und befürworte es, das Steuerrecht "von sozialpolitischen, familienpolitischen oder ökologischen Lenkungszwecken" freizuhalten.
Personalmangel in der Justiz: Unter Verweis auf die "seit Jahren steigende Verfahrensdauer und die wachsende Zahl von U-Haftenlassungen wegen unverhältnismäßig langer Verfahren" fordert der Deutsche Richterbund mehr Personal für deutsche Gerichte. Es berichtet LTO.
Recht in der Welt
EU/Polen - Justizreform: Der Spiegel (Ralf Neukirch) schildert die Auseinandersetzungen in der EU-Kommission über die Auszahlung der Gelder aus dem Corona-Wiederaufbaufonds an Polen. Präsidentin Ursula von der Leyen habe durchgesetzt, dass Polens Wiederaufbauplan grundsätzlich akzeptiert wird. Nun blockiere aber die für Rechtsstaatlichkeit zuständige Kommissarin Věra Jourová die Auszahlung der Gelder, weil Polen die Bedingungen der EU-Kommission zur Rechtsstaatlichkeit in Polen immer noch nicht ausreichend umgesetzt habe.
Ukraine – Russische Kriegsverbrechen: Die Welt (Stefan Schocher) schreibt über die Schwierigkeiten ukrainischer Ermittlungsbehörden bei der Aufklärung von Kriegsverbrechen infolge des russischen Überfalls. Im Lande selbst fehle Personal, um das reichlich vorhandene Material zu sichten und zu ordnen, zudem fehle es auch an zentraler Koordination.
USA – Kobe Bryant: Vanessa Bryant, die Witwe des bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommenen Basketballstars Kobe Bryant, fordert vom Los Angeles County ein Schmerzensgeld, weil Rettungskräfte Fotos von der Absturzstelle teilten. Sie lebe täglich in der Angst, dass die unstreitig angefertigten Fotos im Internet auftauchten, so spiegel.de über Bryants Aussage vor Gericht.
Singapur – Homosexualität: Der Premierminister Singapurs hat angekündigt, das gesetzliche Verbot sexueller Beziehungen von Männern abschaffen zu wollen. Die entsprechende Strafnorm habe bereits seit Jahrzehnten zu keinen Verurteilungen mehr wegen einvernehmlicher Beziehungen zwischen Erwachsenen geführt, schreibt spiegel.de.
Sonstiges
Gedenken an Gerichtsentscheidungen: Seit kurzem erinnert eine Gedenkstele am Berliner Kreuzberg an die sogenannten Kreuzbergurteile des Preußischen Oberverwaltungsgericht von 1882, die rechtstaatliche Grundsätze konkretisierten. Im Gespräch mit LTO (Katharina Uharek) erläutert Rechtsanwalt Timur Husein, warum er sich für ein Gedenken an diese Urteile im öffentlichen Raum eingesetzt hat. Der Staatsrechtler hält auch Straßennamen für geeignet, an wegweisende Gerichtsentscheidungen zu erinnern, etwa eine Elfes-Urteil-Straße oder einen Brokdorf-Beschluss-Boulevard.
Übersetzungen im Gericht: In der Kolumne "Vor Gericht" beschreibt Ronen Steinke (Sa-SZ) die besonderen Herausforderungen der Arbeit von Gerichtsdolmetschern.
Rechtsgeschichte – Wasserbewirtschaftung: Martin Rath beschreibt auf LTO, wie bereits seit dem Mittelalter mit den Mitteln des Rechts über einen angemessenen Umgang mit Wasserkraft gestritten wird. Über akute Notlagen hinweg bedurfte es hierfür in der Regel eines langen Atems.
Das Letzte zum Schluss
Vom Affen gebissen: Reisen in ferne Länder können auch zu unerwünschten Begegnungen führen. Das ExpertenforumArbeitsrecht (Arnd Diringer) berichtet von zivilprozessualen Auseinandersetzungen über die Folgen solcher Treffen. So stellte das Amtsgericht München 1995 fest, dass es zum allgemeinen Lebensrisiko gehöre, "in Kenia von einem Affen gebissen zu werden". Und das Kölner Amtsgericht wies 2010 die Klage eines Urlaubers ab, der trotz eingehender Warnungen eine Banane mit in die freie Wildbahn nahm. Schließlich gehöre es "zum Kenntnisstand eines Mitteleuropäers", Warnschilder ebenso ernst zu nehmen wie die von Affen ausgehenden Gefahren.
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LTO/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
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Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. August 2022: . In: Legal Tribune Online, 22.08.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49378 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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