Ein Abtreibungsgegner spricht und schreibt vom "Babycaust", ist das nicht nur beleidigend, sondern auch volksverhetzend? Der Justizminister macht auf sich aufmerksam und Prinz Andrew spart sich ein hochnotpeinliches Verfahren.
Thema des Tages
AG Weinheim – "Babycaust": Das Amtsgericht Weinheim verhandelt gegen den Abtreibungsgegner Klaus Günter Annen, der die bekannte Frauenärztin Kristina Hänel unter anderem als "Auftragsmörderin" bezeichnet hatte, wegen Beleidigung. Entsprechende Verfahren beschäftigten die Justiz bis hin zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder, so LTO (Christian Rath) in einer ausführlichen Darstellung. Dass der von Annen geprägte Begriff des "Babycaust" und seine in Veröffentlichungen immer wieder hergestellten Bezüge zwischen Abtreibungen und NS-Holocaust darüber hinaus auch als Volksverhetzung strafbar ist, wurde von der nun tätigen Staatsanwaltschaft Mannheim noch verneint. Nach Einschätzung des Autors dürfte es angesichts aktueller Diskussionen "allerdings nur eine Frage der Zeit sein, bis eine andere Staatsanwaltschaft den Gedanken aufgreift." Über die enge, eine Affirmation der nationalsozialistischen Herrschaft voraussetzende Auslegung des § 130 Abs. 3 Strafgesetzbuch (StGB) hinaus böte sich hier der "klassische Volksverhetzungs-Tatbestand in Absatz 1" an, weil Annen auch zum Hass gegen Abtreibungsärztinnen als Gruppe aufstachele.
Rechtspolitik
Marco Buschmann: In ihrem Unternehmens-Teil widmet die FAZ (Corinna Budras) Justizminister Marco Buschmann (FDP) ein großes Porträt. Viele hätten "dem emsigen Juristen" sein nun vorwiegend "in einer sorgsam aufeinander abgestimmten Mischung" aus "Interviews, Talkshows" und Tweets zum Ausdruck kommendes Sendungsbewusstsein zu allen möglichen Themen nicht zugetraut. Die "Verve", mit der er sich in seine neue Aufgabe geworfen habe, sei wohl auch als Emanzipation von seinem Parteivorsitzenden und bisherigen Weggefährten zu verstehen. Aktuell profiliere sich der Minister in der Debatte über Lockerungen von Corona-Maßnahmen.
Corona – Maßnahmen: Bei der am heutigen Mittwoch stattfindenden Bund-Länder-Konferenz steht – mit Aunahme von Maskenpflicht und Abstandsgebot – die Aufhebung "aller tiefergreifenden Schutzmaßnahmen" zum 20. März zur Debatte. zeit.de (Katharina Schuler/Tilman Steffen) und spiegel.de (Florian Gathmann u.a.) machen in Überblicken darauf aufmerksam, dass sich das Datum aus § 28a des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) ergebe und eine mögliche Verlängerung der dort geregelten Maßnahmen angesichts der politischen Stimmung wohl ausgeschlossen sei. Inwiefern ein möglicher Beschluss die Frage einer allgemeinen Impfpflicht beeinflusse, sei umstritten.
Jan Hildebrand (Hbl) macht im Leitartikel eine "heimliche Neujustierung" aus, die Bund und Länder angesichts der Omikron-Erfahrungen vorgenommen hätten. Nunmehr wolle man Infektionen "nicht mehr um jeden Preis" verhindern, stattdessen würden "Kollateralschäden möglicher Schutzmaßnahmen" stärker berücksichtigt. Niemand habe indes "den Mut aufgebracht, dieses auch klar zu kommunizieren". Dabei sollten Fehler bei verspäteten Reaktionen auf Corona-Entwicklungen bei der Diskussion über eine Öffnungsstrategie nicht wiederholt werden.
Corona – Impfpflicht: In einer "vorläufigen Skizze" zu dem von Mitgliedern der Ampel-Fraktionen vorgestellten Gesetzentwurf einer allgemeinen Impfpflicht für Volljährige kommt Rechtsprofessor Thorsten Kinggreen auf Verfassungsblog zu dem Schluss, "dass es zur Rechtfertigung des Grundrechtseingriffs doch ein paar Unsicherheiten und Ungereimtheiten zu viel gibt". Es reiche nicht aus, "dass vielleicht irgendetwas irgendwann irgendwo irgendwie passieren kann", wobei hinsichtlich einer verfassungsgerichtlichen Korrektur nach der Bundesnotbremse-Entscheidung ohnehin "nichts mehr" zu erwarten sei. Angesichts der vielfachen tatsächlichen Unwägbarkeiten und Ungewissheiten plädiert der Autor für eine Fortsetzung der politischen Debatte und schlägt "ein personal und temporal abgestuftes Vorgehen" auf Grundlage des Vorschlags einer Impfpflicht für über 50-Jährige vor. Die Betreffenden sollten hierbei zunächst nur zur Beratung verpflichtet sein, eine Pflicht zur Impfung griffe nur bei Erreichen "einer klar definierten und nicht zu hoch angesetzten Gefahrenstufe".
Windkraft: Das erklärte Ziel der Ampel-Koalition, den Ausbau erneuerbarer Energien zu forcieren, kollidiert bei der Planung von Windrädern häufig mit naturschutzrechtlichen Bedenken. So müsse oft vorab durch Gutachten nachgewiesen werden, dass ein Windrad die Gefahr, dass geschützte Vögel zu Schaden kommen, nicht "signifikant" erhöht. Die SZ (Thomas Hummel) beschreibt den Konflikt und erinnert daran, dass das Bundesverfassungsgericht bereits 2018 präzisere Vorgaben im Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG) gefordert habe – bislang ohne Folgen.
Steuerhinterziehung: Die schwarz-gelbe Landesregierung Nordrhein-Westfalens will als Lehre aus zahlreichen Cum-Ex-Fällen das Steuerstrafrecht verschärfen. So solle die bandenmäßige Hinterziehung bei sämtlichen Steuerarten als besonders schwerer Fall eingestuft werden, schreibt die FAZ (Marcus Jung) über die nun beschlossene Bundesratsinitiative.
Whistleblowing: Wegen nicht fristgerechter Umsetzung der EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblower:innen hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik eingeleitet, berichtet die taz (Svenja Bergt). Die Verzögerung werde nun aber dazu fürhen, so netzpolitik.org (Tomas Rudl), dass das Gesetz nun weitergehenden Schutz gewähren werde als dies unter der Großen Koalition möglich gewesen wäre.
In einem separaten Kommentar bringt Svenja Bergt (taz) die Hoffnung zum Ausdruck, das austehende Gesetz könne "der Anfang eines Kulturwandels" hin zu einer neuen Fehlerkultur sein.
Justiz
BGH zu Schmerzensgeld-Berechnung: Bei der Berechnung eines zivilrechtlichen Schmerzensgeldes ist "eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls" anzustellen und in erster Linie das Maß der entstandenen Lebensbeeinträchtigung zu berücksichtigen. Dies stellte der Bundesgerichtshof klar und erteilte damit einer insbesondere vom Oberlandesgerichtshof Frankfurt/M. vertretenen "taggenauen Berechnung" eine Absage. Wie LTO schreibt, lasse letztere Berechnungsmethode zugunsten eines Schemas wesentliche Umstände des konkreten Falls außer Acht und werde so der erforderlichen individuellen Betrachtung nicht gerecht.
OLG Hamburg – Olearus-Tagebücher: Das Hanseatische Oberlandesgericht in Hamburg will seine Berufungsentscheidung in Sachen Christian Olearus und Süddeutsche Zeitung am 22. März verkünden. Laut LTO muss die Zeitung mit einer erneuten Niederlage rechnen. Bereits im November 2020 habe das Gericht im Eilverfahren die Veröffentlichung privater Tagebücher des Miteigentümers der Warburg Bank untersagt. Die SZ habe dagegen argumentiert, dass die in den Einträgen behandelten Treffen von Olearus mit dem damaligen Regierenden Bürgermeister Hamburgs und jetzigem Bundeskanzler Olaf Scholz einem überragenden öffentlichen Interesse diene.
LG Stuttgart zu Kontenkündigung wg. Gebührenrückforderung: Die Volksbank Welzheim darf ihrer Kundschaft mit der Kündigung des Girokontos drohen, sollte diese auf Rückzahlung unrechtmäßig erhobener Kontoführungsgebühren bestehen. Dies entschied nach Berichten von FAZ (Christian Siedenbiedel) und LTO das Landgericht Stuttgart. Das noch nicht rechtskräftige Urteil dürfte nach Einschätzung der nun unterlegenen Verbraucherzentrale Baden-Württemberg die erste Grundsatzentscheidung infolge des Urteils des Bundesgerichtshofs zur Unzulässigkeit fiktiver Zustimmungen vom vergangenen April sein. Mit ihrer Ankündigung habe die Bank weder Rechte der Kundschaft verschleiert noch diese unzulässig beeinflusst.
Christian Siedenbiedel (FAZ) prognostiziert in einem separaten Kommentar, dass Androhungen wie die der Volksbank "jetzt nicht weniger werden" dürften. Dies sei nachvollziehbar, soweit "eine Zustimmung des Kunden" benötigt werde, "um überhaupt arbeiten zu können". Wenn aber beabsichtigt sei, "Bankkunden um ihre höchstrichterlich bestätigten Rückzahlungsansprüche zu bringen", könne dies "nicht im Sinne des Rechts sein".
ArbG Frankfurt/M. – Sixt-Betriebsrat: spiegel.de berichtet, dass die Gewerkschaft Ver.di am Arbeitsgericht Frankfurt/M. die Einsetzung eines Wahlvorstandes für Betriebsratswahlen beim Flughafenstandort der Autovermietung Sixt erzwingen wolle. Drei von vier Initiatoren einer im vergangenen Oktober geplanten Wahl seien kurz zuvor gekündigt worden. Bei mehr als 7.000 weltweit Beschäftigten gebe es an keinem Standort einen Betriebsrat. Sixt führe dies auf Wünsche der Belegschaft zurück.
StA Berlin – Jörg Meuthen: Auf Antrag der Staatsanwaltschaft Berlin hat das Europaparlament dem früheren AfD-Chef und jetzigen fraktionslosen MdE Jörg Meuthen die parlamentarische Immunität entzogen. Meuthen habe selbst für die Aufhebung gestimmt, berichtet LTO. Er sehe Ermittlungen wegen illegaler Parteispenden aus der Schweiz optimistisch entgegen und bleibe bei seiner Ankündigung, kooperationsbereit zu sein.
Blinde Anwältin Pamela Pabst: Die Berliner Strafverteidigerin Pamela Pabst ist die reale Vorlage der erfolgreichen ARD-Serie "Die Heiland – Wir sind Anwalt" über eine blinde Anwältin. Der SWR RadioReportRecht (Florian Roithmeier) stellt die Anwältin Pabst und die ihr bei der Arbeit begegnenden Herausforderungen vor.
Recht in der Welt
Russland – Alexej Nawalny: In einer am Ort seiner Strafkolonie durchgeführten "auswärtigen Gerichtsverhandlung" muss sich der russische Regierungskritiker Alexej Nawalny wegen Missachtung des Gerichts und Betruges zuungunsten der Spender seiner Stiftung verantworten. Neben einer persönlichen Rache des russischen Präsidenten für Enthüllungen Nawalnys diene das neue Verfahren vor allem dem Zweck, den Oppositionellen nicht, wie ursprünglich geplant, im nächsten Sommer in die Freiheit zu entlassen, mutmaßt die FAZ (Friedrich Schmidt).
USA – Prinz Andrew: Die zivilrechtliche Auseinandersetzung zwischen Prinz Andrew und der US-Amerikanerin Virginia Giuffre wird nicht stattfinden. Wie spiegel.de (Marc Pitzke) und SZ (Michael Neudecker) berichten, haben sich die Parteien außergerichtlich geeinigt und dies dem zuständigen Richter mitgeteilt. Andrew habe dabei seine Verbindung mit dem verstorbenen Jeffrey Epstein bedauert und mitgeteilt, dass es nie seine Absicht gewesen sei, den Charakter von Giuffre zu verleumden. Darüber hinaus verpflichte sich Andrew zur Zahlung einer "beträchtlichen" Summe an ein Hilfsprojekt Giuffres. Der Prinz habe aber nicht eingeräumt, Giuffre missbraucht zu haben, was diese ihm vorgeworfen hatte.
USA – Sandy Hook-Massaker: Neun Familien von Hinterbliebenen des Massakers an an der Sandy-Hook-Grundschule im US-amerikanischen Newton im Jahr 2012 haben nach Bericht von zeit.de ihre zivilrechtliche Auseinandersetzung mit dem Produzenten des bei der Tat verwendeten Schnellfeuergewehrs vergleichsweise beendet. Wegen Insolvenz des Unternehmens bezahlen nun dessen Versicherungen den ausgehandelten Betrag von 73 Millionen Dollar.
Juristische Ausbildung
Projektjurist: Gerade in Massenverfahren wie etwa zur Aufarbeitung des Dieselskandals setzen Kanzleien zunehmend auf die Arbeit von Projektjuristen und -juristinnen. LTO-Karriere (Franziska Krings) stellt die von hoher Flexibilität geprägte und damit dem Zeitgeist entsprechende Tätigkeit mit ihren Vor- und Nachteilen vor.
Sonstiges
Schwesig vs. Plöß: Die mecklenburg-vorpommersche Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) hat dem Bundestagsabgeordneten und Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß eine Unterlassungsaufforderung zukommen lassen. Ploß werde aufgefordert, eine Äußerung zu Interessen der Ministerpräsidentin an der Inbetriebnahme von Nord Stream 2 nicht zu wiederholen, berichtet die SZ (Peter Burghardt).
Direktionsrecht und Meinungsfreiheit beim WDR: In einer neuen Dienstanweisung macht der WDR seinen Angestellten nun nur noch zum Umgang mit offiziellen Social-Media-Accounts des Senders Vorgaben, berichtet LTO (Tanja Podolski). In der Dienstanweisung seien nur übliche Inhalte, wie die Trennung dienstlicher und privater Accounts enthalten. Entgegen ursprünglicher Pläne bezieht sich die Dienstanweisung nicht auf private Accounts. Für private Accounts gebe es nur Empfehlungen des Senders.
Sanierungs- und Insolvenzrecht: Seit Beginn des vergangenen Jahres ist das Gesetz über den Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen für Unternehmen (StaRUG) in Kraft. Rechtsanwalt Nikolai Weber zieht auf LTO ein kritisches Zwischenfazit dieser nationalen Umsetzung der EU-Restrukturierungsrichtlinie von 2019. Obgleich die Einführung eines neuen Sanierungsinstruments angesichts der wirtschaftlichen Herausforderungen der Coronapandemie wohl kaum besser getimed hätte werden können, habe das Gesetz "die hohen Erwartungen nicht ansatzweise erfüllt". Dabei sei die Anwendung "für Fälle einer rein finanziellen Restrukturierung" durchaus tauglich und die Erweiterung des Werkzeugkastens für erforderliche Sanierungen weiterhin sinnvoll.
Betriebsratswahlen: Ab dem nächsten Monat stehen turnusgemäß Betriebsratswahlen, die nun unter Geltung des Betriebsrätemodernisierungsgesetzes ablaufen werden. Nach der Einschätzung von Rechtsanwalt Christian Bitsch im Recht und Steuern-Teil der FAZ seien die Neuerungen des "vereinfachten Wahlverfahrens" und der Möglichkeit einer Wahlanfechtung "zweifellos sinnvoll und in vielen Bereichen überfällig", aber keineswegs die angekündigte "grundlegende Erneuerung".
Das Letzte zum Schluss
Zweite Wahl: Wenig Glück hatte am Wochenende ein Kirchendieb im baden-württembergischen Waldburg. Die SZ schreibt, dass der Täter einen Tresor auf den Altar wuchtete, dort aber offensichtlich liegen lassen musste. Stattdessen griff er sich Hostien – und FFP2-Masken.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 16. Februar 2022: . In: Legal Tribune Online, 16.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47550 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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