Bundestag beriet über eine Impfpflicht für Beschäftigte von Krankenhäusern und Pflegeheimen. BVerfG lehnte Verfassungsbeschwerde von ungeimpften AfD-Abgeordneten ab. In den USA klagen Rohingya-Vertreter gegen Facebook auf Schadenersatz.
Thema des Tages
Corona – Infektionsschutzgesetz/Impfpflicht: In einer Sondersitzung debattierte der Bundestag in erster Lesung über eine erneute Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Im Mittelpunkt der geplanten Neuerungen steht eine Impfpflicht für Beschäftigte in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, die ab dem 15. März gelten soll. An diesem Mittwoch wird es hierzu eine Anhörung im Hauptausschuss des Bundestags geben, am Freitag soll das Änderungsgesetz bereits beschlossen werden. Ebenfalls am Freitag soll der Bundestag seine Zustimmung geben. Es berichten FAZ (Helene Bubrowski), taz (Christian Rath) und LTO.
In einem Gastbeitrag für den FAZ-Einspruch widerspricht Rechtsprofessor Reiner Schmidt dem Argument, eine Impfpflicht vertiefe oder befördere die Spaltung der Gesellschaft. Tatsächlich setze das demokratische Mehrheitsprinzip "beständig wiederkehrende "Spaltungen" zwischen Minderheiten und Mehrheiten voraus". Dies sei unschädlich, solange "die Überzeugung der Opposition, selbst wieder zur Mehrheit werden zu können", gewahrt bleibe. Reinhard Müller (FAZ) warnt im Leitartikel davor, aus "Angst vor einer weiteren Radikalisierung von Radikalen" auf "gebotene Maßnahmen der Gefahrenabwehr" zu verzichten.
Rechtspolitik
Marco Buschmann/Nancy Faeser: Vor der für den heutigen Mittwoch geplanten Wahl von Olaf Scholz (SPD) zum neuen Bundeskanzler stellt die FAZ (Johannes Leithäuser) in einem Kurzporträt den designierten Justizminister Marco Buschmann (FDP) vor. Er wird dabei als "Radikalliberaler" bezeichnet, der dies bei der Abschaffung von § 219a Strafgesetzbuch und der anlasslosen Vorratsdatenspeicherung unter Beweis stellen werde. Neue Bundesinnenministerin wird Nancy Faeser (SPD). Die frühere Anwältin hält Rechtsextremismus für die derzeit größte Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung, schreibt zeit.de (Martin Steinhagen).
EU-Asylrecht: Der in der vergangenen Woche von der EU-Kommission präsentierte Vorschlag, wesentliche Bestimmungen des europäischen Asylrechts in osteuropäischen Ländern wegen Annahme einer Notlage nach Art. 78 Abs. 3 des AEUV vorläufig außer Kraft zu setzen, ist für die Welt (Carolina Drüten u.a.) der Abschied "von den Lebenslügen der europäischen Asylpolitik". Die neue Maxime laute: "weniger Flüchtlingsschutz, mehr Grenzschutz". Der Beitrag beschreibt im Weiteren die Lage in Polen, Italien, Griechenland und Marokko. Johanna Roth (zeit.de) wirft der Kommission in einem Kommentar "Verdrängungsakrobatik" vor. Offenbar wolle man das Vorgehen Polens in den vergangenen Monaten "sowohl rückwirkend als auch für die Zukunft legitimieren", lasse dabei aber außer Acht, dass man nach dort vermittle, "dass es letztlich egal ist, ob man sich an demokratische Prinzipen" hält oder nicht. Auch Thomas Kirchner (SZ) kritisiert das Vorhaben scharf. Wenn sich die EU künftig an die Zurückdrängung von Migranten und Migrantinnen gewöhne, solle man "auch aufhören, sich als Hüter der Menschenrechte aufzuspielen".
Equal Pay: Eine EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz soll dazu beitragen, die zwischen den Geschlechtern bestehende Lohnlücke zu schließen, berichtet die FAZ (Hendrick Kafsack). Der nun im EU-Rat gefundene Kompromiss orientiere sich dabei am deutschen Entgelttransparenzgesetz, lasse den Auskunftsanspruch aber auch bei kleinen und mittleren Unternehmen zu. Daneben seien weitreichende Schadensersatzansprüche vorgesehen. Das Einverständnis des EU-Parlaments steht noch aus, gelte aber als sehr wahrscheinlich. In einem separaten Kommentar erinnert Hendrick Kafsack (FAZ) an den "überschaubaren" Erfolg des deutschen Gesetzes. Sollte die europäische Regelung ähnlich erfolglos bleiben, sei der einzusetzende bürokratische Aufwand zu hoch.
Betriebsratsvergütung: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ rufen die Rechtsanwälte Andreas Wattenberg und Jan Phlipp Bock den Gesetzgeber dazu auf, das Betriebsverfassungsgesetz hinsichtlich der Vergütung von Betriebsräten zu reformieren. "Diverse strafrechtliche Ermittlungsverfahren" hätten große Rechtsunsicherheit gezeigt. "Eine Lösung könnte darin bestehen, klare Kriterien für die Fortschreibung der Vergütung aufzustellen oder Bezugspunkte für eine Vergleichbarkeit vorzugeben. Insbesondere sollte klargestellt werden, dass die im Rahmen der Tätigkeit als Betriebsrat gezeigten Qualitäten berücksichtigt werden können," schreiben die Autoren.
Justiz
BVerfG zu 2G und Kanzlerwahl: Wegen Unzulässigkeit hat das Bundesverfassungsgericht eine von Bundestagsabgeordneten der AfD erhobene Verfassungsbeschwerde gegen Berliner Corona-Maßnahmen nicht zur Entscheidung angenommen. Die ungeimpften Beschwerdeführer hatten argumentiert, dass ihnen die 2G-Regeln in Berliner Hotels eine Teilnahme an der für den heutigen Mittwoch geplanten Kanzlerwahl unmöglich mache. Die Abgeordneten hätten nicht dargelegt, warum ihnen Hotels in Brandenburg nicht genügen. Sie hätten auch nicht dargelegt, dass die Berliner Corona-Maßnahmen gezielte Eingriffe in Abgeordnetenrechte intendierten, was aber erforderlich gewesen wäre. LTO berichtet.
BVerfG zu Bundesnotbremse: Im Verfassungsblog arbeitet Rechtsprofessorin Anna Leisner-Egensperger, heraus, wie die Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts zur Bundesnotbremse als Maßstab für staatliche Schutzpflichten in der Klimakrise genutzt werden können. Angesichts des vom BVerfG festgestellten überragenden Gewichts von Schutz von Leben und Gesundheit seien zum Klimaschutz demnach auch erhebliche Grundrechtseingriffe gerechtfertigt.
BSG – Home Office-Unfall: Am heutigen Mittwoch verhandelt das Bundessozialgericht über die Reichweite des Versicherungsschutzes bei Unfällen auf dem Weg ins Home Office. Im konkreten Fall hatte sich ein daheim arbeitender Gebietsverkaufsleiter vor drei Jahren auf der heimischen Treppe einen Brustwirbeltrümmerbruch zugezogen, so die SZ (Wolfgang Janisch). Erst im vergangenen Frühsommer hatte eine Gesetzesänderung den Versicherungsschutz für Home Office-Tätigkeiten jenem "bei der Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte" angeglichen. Es könne sein, dass das BSG "auch ein paar Worte" zu dieser neuen Regelung verliere, obwohl der Fall noch nach der alten Rechtslage entschieden werden müsse.
BAG zu Urlaubsabgeltung und Insolvenz: In einem vor zwei Wochen verkündeten Urteil hat das Bundesarbeitsgericht Urlaubsabgeltungsansprüche von Arbeitnehmenden in Unternehmen, die unter vorläufiger Insolvenzverwaltung stehen, weiter gestärkt. Entsprechende Ansprüche müssten vorrangig gegenüber anderen Forderungen und vollständig aus der Insolvenzmasse befriedigt werden, so Rechtsanwalt Rolf Leithaus auf LTO in einer ausführlichen Darstellung der rechtlichen Problematik.
BAG zu Lieferdiensten: Aus Anlass des vor einem Monat verkündeten Urteils des Bundesarbeitsgerichts, nach dem Lieferdienste ihren Angestellten wesentliche Arbeitsmittel wie internetfähige Mobiltelefone oder verkehrstüchtige Fahrräder zur Verfügung stellen müssen, nennt Rechtsanwalt Patrick Zeising im Recht und Steuern-Teil der FAZ weitere denkbare Beispiele aus anderen Branchen. Arbeitgebende sollten prüfen, "welche privaten Gegenstände Mitarbeiter regelmäßig für dienstliche Zwecke nutzen" und welche Regelungen hierzu bestehen.
KG Berlin – Mord an Georgier im Tiergarten: Die Bundesanwaltschaft geht weiter davon aus, dass die Tötung eines Tschetschenen mit georgischer Staatsbürgerschaft im Berliner Kleinen Tiergarten als Auftragsmord zu werten ist. Dementsprechend beantragte sie nun am Berliner Kammergericht eine lebenslange Freiheitsstrafe, schreibt LTO. Die Urteilsverkündung ist noch nicht terminiert.
LG Itzehoe – KZ-Sekretärin Stutthof: Das Strafverfahren gegen die frühere KZ-Sekretärin Irmgard F. wurde am Landgericht Itzehoe mit der Aussage des ersten Nebenklägers, eines 83-Jährigen, fortgesetzt. spiegel.de (Julia Jüttner), SZ (Peter Burghardt) und taz (Klaus Hillenbrand) geben die eindrückliche Aussage des Zeugen wieder, der als Kleinkind Zeit in Stutthof verbringen musste und dessen Vater dort getötet wurde.
SG Berlin zu Transfrau in der Urologie: Eine männlich geborene Transfrau kann sich in der Urologie operieren lassen, das operierende Krankenhaus hat dementsprechend einen Vergütungsanspruch gegen die Krankenkasse. Dies entschied nach Bericht von LTO das Sozialgericht Berlin bereits Mitte September. Nach der noch nicht rechtskräftigen Entscheidung sei bei der Einordnung nicht lediglich der rechtliche Status der Patientin, sondern auch ihre ursprüngliche biologische Einordnung heranzuziehen.
Ex-EGMR-Präsident Bernhardt: Die FAZ (Reinhard Müller) würdigt den verstorbenen früheren Präsidenten des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, Rudolf Bernhardt, und dessen "Leben für das Völkerrecht".
BVerfG und Merkel: Einen Blick auf "den Stil" des Bundesverfassungsgerichts in der nun zu Ende gehenden Ära der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wirft Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz im Geisteswissenschaften-Teil der FAZ. Dem "politischen Fahren auf Sicht" habe das Gericht in der von vielfältigen Krisen geprägten Regierungszeit Merkels einen "Primat des Rechts" gegenübergestellt, "mit dem (bisweilen allzu) pragmatische Politik gelegentlich fremdelte". Nun dürfte die Politik "wieder breitbeiniger und konfrontativer werden", leisere Töne und "Distanz zwischen Karlsruhe und Berlin" dürften helfen.
Recht in der Welt
USA – Facebook/Rohingya: Vertriebene Rohingya haben in den USA eine Schadensersatzklage gegen Facebook bzw. dessen Mutterkonzern Meta wegen Verbreitung von Hass erhoben. Die Forderung von bis zu 150 Milliarden Dollar beruhe auf der Rolle Facebooks bei der staatlichen Verfolgung der muslimischen Minderheit in Myanmar. Das rechtliche Problem der in den USA geltenden Haftungsfreiheit für Telekommunikationsanbieter hoffen die Kläger durch einen Rückgriff auf das Recht Myanmars zu umgehen, schreibt die SZ (Andrian Kreye).
Nikolas Busse (FAZ) erinnert daran, dass herkömmliche Verlage tatsächlich "in vielen Ländern für ihre Veröffentlichungen" haften. Die Erfolgsaussichten der jetzigen Klage mögen zweifelhaft sein, gleichwohl reagierten gewinnorientierte Unternehmen auf drohenden Schadensersatz "oft eher als auf Gesetze".
EGMR/Österreich – Meinungsfreiheit: Die 2014 vom Obersten Gerichtshof Österreichs gegenüber dem "Standard" erfolgte Anordnung, Namen und Daten von Nutzern herauszugeben, die sich in einem Forum der Zeitung abfällig über FPÖ-Politiker geäußert hatten, verstößt gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung. Dies entschied nach Bericht von netzpolitik.org (Alexander Fanta) der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Zwar könne sich die Zeitung hinsichtlich der verweigerten Herausgabe nicht auf ihr Redaktionsgeheimnis berufen. Eine Herausgabe könne aber eine abschreckende Wirkung auf die Beteiligung an politischen Debatten haben.
Großbritannien – Meghan Markle: Nach der Berufungsentscheidung eines britischen Gerichts kann Meghan Markle, die Herzogin von Sussex, gegenüber einer Boulevardzeitung geltend machen, dass ein Brief an ihren Vater "persönlich, privat und nicht Gegenstand öffentlichen Interesses" ist. Die FAZ (Gina Thomas) schreibt im Medien-Teil, dass auch "die ebenso selbstgerechte wie konfrontative Reaktion" der Herzogin diese zur beliebtesten Zielscheibe des britischen Boulevardjournalismus gemacht habe. In juristischer Hinsicht verschiebe sich das Kräfteverhältnis zwischen Prominenten und Medien zusehends in Richtung Ersterer.
Sonstiges
Versammlungsrecht und Politiker-Privatsphäre: Am vergangenen Freitag protestierten mutmaßlich Querdenkende vor dem Wohnhaus der sächsischen Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD). Auf LTO erläutert Karoline Maria Linzbach, wissenschaftliche Mitarbeiterin, die verfassungsgerichtlich bestimmte Reichweite der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Grundgesetz. Nach Einschätzung der Autorin dürfte der mit dem Aufzug intendierte Einschüchterungseffekt hier eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bedeuten und sich damit nicht mehr auf den Schutz von Art. 8 GG berufen dürfen.
Rechtsprofessor Ralph Weber: In ihrem Forschung und Lehre-Teil schreibt die FAZ (Jochen Zenthöfer) über Rechtsprofessor Ralph Weber. Das frühere AfD-Mitglied war nach seinem Ausscheiden aus dem mecklenburg-vorpommerschen Landtag an die Universität Greifswald zurückgekehrt. Weber soll die Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) auf einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen als "Landesdiktatorin" bezeichnet haben. Die Uni-Leitung habe eine Prüfung möglicher dienstrechtlicher Maßnahmen angekündigt.
Jude Bellingham/Felix Zwayer: Rechtsreferendar Aleksandar Zivanic untersucht auf LTO, ob die von Fußball-Profi Jude Bellingham (Borussia Dortmund) nach dem Spiel gegen Bayern München gemachte Äußerung über Schiedsrichter Felix Zwayer strafrechtliche Relevanz entfalten könnte. Bellingham hatte gesagt, Zwayer habe schon einmal Spiele "verschoben". Er spielte damit auf Zwayers Verwicklung in den Hoyzer-Skandal 2004 an. In Frage kommende Beleidigungstatbestände erforderten einen Strafantrag des Verletzten, ob indes gerade Zwayer an einer gerichtlichen Klärung des Wahrheitsgehalts der nun gefallenen Äußerung interessiert sei, könne bezweifelt werden.
BGH-Anwaltschaft: Lediglich 38 Rechtsanwälte und -anwältinnen sind gegenwärtig berechtigt, zivilrechtliche Revisionsverfahren am Bundesgerichtshof zu vertreten. Der SWR RadioReportRecht (Klaus Hempel) spricht mit dem zu diesem exklusiven Kreis gehörenden Thomas Winter über seinen Weg und die Besonderheiten seiner Tätigkeit.
Juristische Ausbildung
Dixi-Klos im Staatsexamen: Unter buchstäblich zum Himmel stinkenden Zuständen litten Kandidaten und Kandidatinnen für das zweite Staatsexamen in Düsseldorf. LTO-Karriere (Pauline Dietrich) berichtet, dass den Prüflinge infolge von Umbauarbeiten Dixi-Klos im Hof angeboten wurden. Erst nach Beschwerden habe das zuständige Prüfungsamt eine Erhöhung der Entleerungsintervalle veranlasst und in einer ausführlichen Stellungnahme die Funktionsweise des Handwaschbeckens erläutert.
Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.
Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/mpi
(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 8. Dezember 2021: . In: Legal Tribune Online, 08.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46868 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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