Die juristische Presseschau vom 5. Januar 2022: Eliza­beth Holmes ver­ur­teilt / Jus­tiz­mi­nister Busch­mann im Inter­view / Hanno Berger gibt nicht auf

05.01.2022

Die Verurteilung von Elizabeth Holmes löst eine Diskussion über die Schutzbedürftigkeit von Investoren aus. Der Justizminister spricht über Freiheit und Impfpflicht. Hanno Berger klagt beim Schweizer Bundesgericht gegen seine Auslieferung.

Thema des Tages

USA – Elizabeth Holmes: Wegen Betruges und weiterer drei von elf Anklagepunkten hat ein US-amerikanisches Gericht Elizabeth Holmes für schuldig befunden. Holmes hatte mit ihrer Firma Theranos einen neuartigen Bluttest zur Diagnose zahlreicher Krankheiten auf den Markt gebracht. Die hierzu entwickelte Technologie habe jedoch nie zuverlässig funktioniert, schreiben spiegel.de (Alexander Demling), Hbl (Katharina Kort) und FAZ. Das Strafmaß wird zu einem späteren Zeitpunkt bestimmt.

Claus Hulverscheidt (SZ) kommentiert, dass es "Visionen, Chuzpe und auch einen Schuss Wahnsinn" braucht, um weltverändernde Neuerungen anzustoßen und das hierfür benötigte Kapital einzutreiben. "Aufgabe der Aufsichtsämter, der Staatsanwälte und der Medien" bleibe es aber, "überbordenden Optimismus" und Lügengebilde zu identifizieren. Auch Meike Laaf (zeit.de) geht in ihrem Kommentar auf Eigenheiten der Start-up-Szene im Silicon Valley ein. Darüber hinaus sei Mitleid mit Investoren, die in der Regel einem Herdentrieb folgten, eher unnötig. Während diese "letztlich nur Geld" verloren, hätten Holmes und ihr Unternehmen aber auch die Hoffnungen zahlloser Patienten enttäuscht. Indem die Jury einen diesbezüglichen Schuldspruch verneinte, habe sie es versäumt, Unternehmen an ihre Verantwortung gegenüber "Konsumentinnen und Konsumenten" zu erinnern.

Rechtspolitik

Marco Buschmann im Interview: Der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) stellt sich der Zeit (Paul Middelhoff/Heinrich Wefing) zum Interview und spricht hierbei über seine Vorstellung von Freiheit, eine Impfpflicht als Maßnahme zur Beendigung coronabedingter Einschränkungen sowie der Funktion des Bundesverfassungsgerichts und der Fachgerichte, zur Freiheitssicherung als "Korrektiv der Grundrechte" tätig zu sein. Das Gespräch wird auch von LTO zusammengefasst.

Liberale Rechtspolitik: In einem Gastkommentar für das Hbl schreibt der frühere Bundesinnenminister Gerhart Baum (FDP) über das Freiheitsverständnis seiner Partei und Anknüpfungspunkte im Programm der Ampelkoalition zu den sozialliberal geprägten 1970er Jahren der Bundesrepublik. In diesem Zusammenhang spricht er sich auch für eine "an die Verhältnismäßigkeit gebundene" Impfpflicht aus.

Rechtssprache: Der Richter Jens Blüggel beschreibt im FAZ-Einspruch Ansatzpunkte, um die Verständlichkeit der Sprache von Gesetzen und gerichtlichen Entscheidungen zu erhöhen. Obgleich es allgemeiner Konsens sei, dass Sprache und Regelungstechnik von Normen einfacher und klarer sein sollten, fehle es nicht selten an der praktischen Umsetzung dieser Erkenntnis. So komme es wieder zu sinnentstellenden redaktionellen Fehlern in Gesetzen. Der Inhalt von Rechtstexten bedürfe indes allein schon wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Differenzierung einer gewissen Komplexität, die zudem wohl auch durch die deutsche Rechtskultur und bestimmte Interessen begünstigt werde. "Rechtsvereinfachung" sei gleichwohl möglich und in Bereichen wie dem Existenzsicherungsrecht auch dringend geboten.

Taxonomie und Atomkraft: spiegel.de (Philipp Bethge) zitiert aus dem Rechtsgutachten, das die deutsche Kanzlei Redeker Sellner Dahs für die österreichische Regierung erstellt hat. Danach sei die Atomkraft nicht als "nachhaltige" Energie einzustufen, weil es mit Wind- und Solarenergie besser geeignete, technologisch und wirtschaftlich tragfähige Alternativen mit geringem CO2-Fußabdruck gebe. Die Atomkraft gefährde zudem Umweltziele der EU.

Gesellschaftsrecht/Digitalisierung: In einem Gastbeitrag für den Recht und Steuern-Teil der FAZ begrüßen die Rechtsanwälte Mario Pofahl und Maximilian Mann das Vorhaben der Ampelkoalition, die Digitalisierung des Gesellschaftsrechts vorantreiben zu wollen. Die ins Auge gefasste Erlaubnis z.B. für Beurkundungen per Videokommunikation geht den Autoren jedoch nicht weit genug. So habe man in Österreich zunächst coronabedingt, nun aber auch dauerhaft die Möglichkeit eingeführt, nahezu alle Beurkundungsakte auch digital zu erlauben.

Cannabis: Dass das Vorhaben der Ampelkoalition, den Cannabisgebrauch Erwachsener zu legalisieren, wegen Corona vorerst aufgeschoben wurde, dürfe nicht zu einem bloßen "Weiter so" führen, warnt Julian Aé (Welt). Dies würde den Erkenntnissen, die "letztlich zum Konsens" geführt hätten, nicht gerecht. Der "akute politische Handlungswille" brauche sich demgegenüber "nicht auf einen perfekten, bis ins Detail durchdachten Gesetzesvorschlag" zu beschränken. "Ohne großen Aufwand" ließen sich Strafverfolgungsbehörden dazu befähigen, die "Jagd auf kleine Kiffer" unbürokratisch einzustellen oder deren Verfehlungen als Ordnungswidrigkeiten einzustufen.

Lobbyregister: Mit dem neuen Jahr ist auch das Lobbyregistergesetz in Kraft getreten. Interessenvertreter:innen, die auf die politische Entscheidungsfindung Einfluss nehmen wollen, müssen sich damit registrieren lassen, berichtet nun auch community.beck (Axel Spies) und zitiert aus dem zum Gesetz veröffentlichten Handbuch. Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte aus dem Dunstkreis des Bundestages werden daran erinnert, ihre Mandantinnen und Mandanten auf mögliche Eintragungen hinzuweisen.

Justiz

EuGH zu Sekundärsanktionen der USA: Nun berichten im Recht und Steuern-Teil der FAZ auch die Rechtsanwältinnen Bärbel Sachs und Theresa Bachmann über eine am 21. Dezember verkündete Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Anwendung der EU-Blocking-Verordnung. Diese verbiete es europäischen Unternehmen, ihre Tätigkeiten an US-Sanktionen gegen den Iran auszurichten. Im nun entschiedenen Fall zwischen der Telekom und einer iranischen Bank habe der EuGH eine Beweislastumkehr entwickelt. Nach dieser müsse die kündigende Partei den Verdacht widerlegen, ihre Kündigung erfolge zur Abwehr drittstaatlicher Sanktionsregeln. Das Urteil verdeutliche die Notwendigkeit einer Reform der Blocking-Verordnung, die zwar die "illegitimen US-Sekundärsanktionen" nicht verhindere, dafür aber Unternehmen außenpolitische Entscheidungen aufbürde.

OVG Nds zu 2G/Montgomery: Gegenüber der FAZ (Stephan Klenner) hat der Präsident des Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht Thomas Smollich die Kritik des Ratsvorsitzenden des Weltärztebundes Frank Ulrich Montgomery zurückgewiesen. Soweit Montgomery davon ausgehe, mit punktuellen Provokationen künftige Entscheidungen des Gerichts beeinflussen zu können, fehle "ihm jegliche Kenntnis über richterliche Entscheidungsfindung", so Smollich. Die erst kürzlich veranlasste Veränderung der Zuständigkeiten der Senate des OVG beruhe mitnichten auf Unzufriedenheit mit Corona-Entscheidungen des "alten" Senats, vielmehr einer thematischen Neuordnung innerhalb des Gerichts. 

Helene Bubrowski (FAZ) argumentiert im Leitartikel, der öffentlich geäußerte Ärger über einzelne gerichtliche Entscheidungen belege, "dass der Rechtsstaat auch in einer Ausnahmesituation wie einer Pandemie funktioniert". Dagegen seien "verbale Entgleisungen" ein Anzeichen für das verminderte Ansehen der Justiz, die schließlich auch des Vertrauens bedürfe. Die Justiz sei daher "gefordert, die Komfortzone zu verlassen" und so etwa die Fehleranfälligkeit eigener Entscheidungen anzuerkennen.

LG Chemnitz – Versicherungsbetrug: Die Zeit (Valerie Schönian) berichtet über den Fall Ali T.s. Dessen Chemnitzer Restaurant brannte im Herbst 2018 aus, als vermeintliches Opfer rechtsextremer Gewalt erfuhr er daraufhin öffentliche Solidarität. Die Staatsanwaltschaft geht nun aber davon aus, dass T. den vermeintlichen Anschlag zum Zwecke des Versicherungsbetruges selbst initiiert habe. T., der seit dem vergangenen Juli in Untersuchungshaft sitzt, bestreitet dies. Die Anklage u.a. wegen versuchtem Mord in 15 Fällen soll am Landgericht Chemnitz ab März verhandelt werden.

LG Köln – Anleger:innen gegen Bayer: Die Kanzlei Tilp verlangt im Namen von 320 Investor:innen Schadensersatz von Bayer im Umfang von 2,2 Milliarden Euro, berichtet die FAZ (Marcus Jung/Helmut Bünder). Die Kläger berufen sich auf angeblich unzureichende Informationen im Zusammenhang mit der Übernahme von Monsanto durch den Bayer-Konzern. Bayer bestreitet die Vorwürfe.

LG Hildesheim zu Stalking: In der Rubrik "Akteneinsicht" veröffentlicht die SZ (Annette Ramelsberger) eine Reportage aus dem Jahr 2012 erneut. Die Autorin verfolgte ein Verfahren am Landgericht Hildesheim, wo eine Frau u.a. wegen des Vorwurfs der Nachstellung angeklagt war. Sie habe ihren Ehemann jahrelang drangsaliert und auch physisch misshandelt. In einem aktuellen Beitrag erinnert die SZ (Annette Ramelsberger) daran, dass der Fall vor allem deshalb ungewöhnlich war, "weil es sich beim Stalker um eine Frau handelte". Wegen fehlender Schuldfähigkeit wurde sie damals freigesprochen, ihre Unterbringung in der Psychiatrie dauere indes an. Der sogenannte Stalking-Paragraph wurde in den vergangenen Jahren mehrfach verschärft.

LG Siegen – Anschlag auf Zug: Die für den heutigen Mittwoch am Landgericht Siegen geplante Berufungsverhandlung im sogenannten Gullydeckel-Fall ist wegen des Todes des Angeklagten aufgehoben worden. Der nun verstorbene Lokführer hatte nach den amtsgerichtlichen Feststellungen einen Anschlag auf den von ihm geführten Zug selbst inszeniert und hierbei zwei Gullydeckel verwendet, erinnert spiegel.de. Der Angeklagte hatte gegen das Urteil Rechtsmittel eingelegt.

LG Berlin zu Sawsan Chebli: Die frühere Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli (SPD) hat am Landgericht Berlin ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro erstritten. Zahlen muss diese der Publizist Roland Tichy wegen einem in seinem gedruckten Monatsmagazin veröffentlichten sexistischen Kommentar eines anderen Autors zu Chebli. zeit.de berichtet. Die Urteilsgründe liegen noch nicht vor.

AG Bernau zu Vergewaltigung in der Ehe: In der Serie "Meine Urteile" schreibt der Richter Thomas Melzer in der Zeit über eine am Amtsgericht Bernau zur Verhandlung gelangte Vergewaltigung in der Ehe. Über den bloßen Sachverhalt hinaus habe sich der Fall zu einer "zeitgenössischen Tragödie" entwickelt, der über die unmittelbar Beteiligten auch deren Kinder in Mitleidenschaft gezogen habe. Melzer fragt, ob in derartigen Konstellationen eine professionelle Mediation "als die überlegene Form der Konfliktlösung" nicht sinnvoller erscheine als ein zwangsläufig auf Konfrontation hinauslaufendes Strafurteil.

Encrochat-Verfahren: Auch die Staatsanwaltschaft Berlin will ihre Kapazitäten zur Bewältigung sogenannter Encrochat-Verfahren ausbauen. LTO berichtet, dass aktuell eine neue Schwerpunktabteilung ihre Arbeit aufnehme. Auch beim Landgericht seien neue Strafkammern geplant.

Recht in der Welt

Schweiz – Hanno Berger: Das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) hat erfahren, dass der mutmaßliche Cum-Ex-Drahtzieher Hanno Berger nun das Schweizer Bundesgericht angerufen hat, um seine Auslieferung nach Deutschland zu verhindern. Das Bundesstrafgericht der Schweiz hatte am 20. Dezember seine Beschwerde verworfen, weil der Vorwurf gegen Berger eine "auslieferungsfähige strafbare Handlung" beinhalte. Gegen Berger sind Anklagen bei den Landgerichten Frankfurt/M. und Bonn anhängig.

Russland – Memorial: Die SZ (Silke Bigalke) porträtiert Juri Dimitrijew, einen Aktivisten der in der vergangenen Woche liquidierten russischen Menschenrechtsorganisation Memorial. Dimitrijew hatte sich um die Freilegung von Massengräbern in Karelien verdient gemacht. Ebenfalls in der vergangenen Woche wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt, weil er angeblich pornografische Bilder seiner Pflegetochter angefertigt hatte. Laut Experten hatte er nur den Gesundheitszustand des Mädchens dokumentiert.

Afghanistan – Sharia-Gericht: Die taz (Francesca Borri) hat an einem Verhandlungstag eines Kabuler Stadtbezirksgerichts teilgenommen. Wohl auch in der Hoffnung auf internationale Finanzhilfen verzichteten die derzeitigen Machthaber in Afghanistan auf Körperstrafen, gleichwohl gelte die Sharia.

Juristische Ausbildung

VerfGH Sachsen zu rechtsextremem Referendar: Im vergangenen Oktober erstritt sich ein Funktionär des rechtsextremen "III. Weges" vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof den Zugang zum juristischen Vorbereitungsdienst im Freistaat. Der wissenschaftliche Mitarbeiter Jonas Deyda rekapituliert auf dem Verfassungsblog den Beschluss. Gegenüber der Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum "Radikalenerlass" aus den 1970er Jahren habe das Leipziger Gericht "einen völlig neuen Maßstab für die Rechtfertigung von Ausschlüssen" aufgestellt, indem es darauf abstellte, ob der oder die Betreffende die freiheitlich demokratische Grundordnung in nachweisbar strafbarer Weise bekämpfe. Dieses Kriterium schaffe zwar Rechtssicherheit und schließe "ausufernde staatliche Gesinnungsprüfungen" weitgehend aus. "Die Frage der politischen Zugangshürden zum öffentlichen Dienst" bleibe aber weiterhin ungeklärt.

Sonstiges

Julian Assange: In einem Kommentar fordert Tobias Schulze (taz) die neue Ampelkoalition und namentlich die Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf, sich für eine Freilassung des Whistleblowers Julian Assange einzusetzen. Die Entscheidung über die Auslieferung Assanges in die USA obliege zwar der britischen Regierung. Sowohl dort als auch bei der US-Regierung könne die Ministerin jedoch die von ihr angekündigte "deutlich hörbare und wertebasierte Außenpolitik" zur Sprache bringen.

Psychisch kranke Straftäter: Ein Schwerpunkt-Artikel der FAZ (Karin Truscheit) befasst sich mit Gewalttaten psychisch Kranker und dem Problem, derartige Fremdgefährdungen vorherzusagen. Eine im Text zitierte Psychiaterin nennt die hohen rechtlichen Hürden für eine Unterbringung gegen den Willen des Patienten als "Kern des Problems", andere Experten weisen auf fehlende Kapazitäten bei der Behandlung etwa von fremdsprachigen Kranken hin.

Das Letzte zum Schluss

Freund und Helfer: Keineswegs hilfsbereit zeigten sich Hagener Polizisten, als sie ein 55-jähriger Autofahrer um Hilfe beim Einparken bat. Als Grund nennt spiegel.de die "sehr verwaschene Sprache und glasigen Augen" des Mannes, dessen Blutalkoholwert schließlich auf fast anderthalb Promille bestimmt wurde.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen) 

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. Januar 2022: . In: Legal Tribune Online, 05.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47113 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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