Die juristische Presseschau vom 4. Mai 2022: Leak am US-Sup­reme Court / Boa­teng vor Gericht / Ermitt­lungen gegen Scheuer

04.05.2022

Die Abtreibungs-Entscheidung "Roe v. Wade" von 1973 könnte bald Geschichte sein. Fußballer Jerome Boateng soll Äußerungen über eine tote Ex-Freundin unterlassen. Ex-Minister Andreas Scheuer soll im Maut-Skandal falsch ausgesagt haben. 

Thema des Tages

USA – Abtreibungsgesetz Mississippi: Einem US-Onlinemagazin ist der Entwurf eines Urteils des US-Supreme Courts zum Abtreibungsgesetz des Bundesstaats Mississippi zugespielt worden. Nach dem auf den 10. Februar datierten Entwurf steht die bisherige "Roe v. Wade"-Leitentscheidung zum Recht auf Schwangerschaftsabbruch vor dem Aus. Der Urteilsentwurf argumentiere, dass die aus dem Jahr 1973 stammende liberale Roe v. Wade-Entscheidung "von Anfang an falsch" gewesen sei. Sie sei ebenso zurückzunehmen wie die konkretisierende Entscheidung "Planned Parenthood v. Casey" von 1992. Nach der bisherigen Rechtsprechung haben Frauen in den USA das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bis zur Lebensfähigkeit des Fötus außerhalb des Mutterleibs, also bis zur 24. Woche. Bisher konnten die US-Bundesstaaten deshalb keine restriktiveren Gesetze beschließen. Laut dem Urteilsentwurf ist der US-Verfassung jedoch keine Aussage zu Schwangerschaftsabbrüchen zu entnehmen. Die Frage müsse und könne daher politisch entschieden werden. Der Entwurf wurde von Richter Samuel Alito verfasst und von vier weiteren konservativen Richter:innen unterstützt. Das endgültige Urteil der neun Supreme Court-Richter:innen wird im Juni erwartet. US-Präsident Joe Biden nutzte die Vorabberichte, um die Wahlberechtigten aufzufordern, bei den Kongresswahlen im Herbst "Abgeordnete und Senatoren zu wählen, die das Recht der Frau auf Entscheidungsfreiheit unterstützen." Es berichten FAZ (Majid Sattar), SZ (Fabian Fellmann)taz (Eva Oer), zeit.de (Johanna Roth), spiegel.de (Rene Pfister) und LTO.

Die Argumentation, es sei Sache der Politik, zu entscheiden, ob es ein Recht auf Abtreibung gebe, belegt nach Meredith Haaf (SZ), "wie politisiert" der Supreme Court sei. Die Entwicklung belohne einen Jahrzehnte währenden Kampf konservativer Republikaner:innen und verschlechtere die Lage vieler Frauen "ganz konkret". Das absehbare Urteil bezeichnet Patricia Hecht (taz) im Leitartikel als eine "Katastrophe", für die ein Kulturkampf "einer gut vernetzten, christlich-fundamentalistischen Rechten" verantwortlich sei. Andreas Ross (FAZ) ist der Ansicht, dass der Streit über Abtreibungen in den USA "auf eine unwürdige und rücksichtslose Weise geführt" wird. Dies belege auch die jetzige "Durchstecherei". Immerhin habe eine gerichtliche Entscheidung den Vorteil, dass damit "auch ein Schlaglicht auf die Feigheit der Politik" geworfen werde. Diese habe "ein halbes Jahrhundert Zeit gehabt, eine bundesgesetzliche Regelung zu finden" und sich stattdessen in kulturkämpferischen Positionen eingegraben. Als mitverantwortlich für die "Abschaffung elementarer Rechte" benennt schließlich Jörg Wimalasena (Welt) die Demokratische Partei. Durch "ihren politischen Fokus auf identitäre Themen und ihre teils offen zur Schau gestellte Abneigung gegenüber der Landbevölkerung" habe sie in vielen Bundesstaaten den Republikanern das Feld überlassen.

Ukraine-Krieg und Recht

Kriegseintritt und Völkerrecht: Deutschland wird durch die Waffen-Ausbildung ukrainischen Militärpersonals in Deutschland nicht zur Kriegspartei. Zu diesem Schluss kommen Völkerrechtler, die von SZ (Ronen Steinke) und tagesschau.de (Christoph Kehlbach) befragt wurden. Verwiesen wird außerdem auf ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs (IGH) von 1986, der den Einsatz von US-Ausbildern für nicaraguanische "Contra"-Rebellen als Verstoß gegen das Interventionsverbot ansah, weil die Ausbilder ins Konfliktgebiet entsandt worden waren. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags hatte die Frage als ungeklärt dargestellt. 

Sanktionen gegen Russland/Oligarchen: Der SWR RadioReportRecht (Luisa Klink/Bernd Wolf) befasst sich mit den praktischen Auswirkungen der gegen russische Oligarchen verhängten Sanktionen. 

Rechtspolitik

Vorkaufsrecht/Milieuschutz: Ein Referentenentwurf des Bundesbauministeriums will das kommunale Vorkaufsrecht zum Milieuschutz nach einem negativen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom November wieder einführen. Dieses Vorkaufsrecht soll nur dann abgewehrt werden können, wenn sich ein Käufer in einer Abwendungsvereinbarung zu bestimmten Regeln des Mieterschutzes verpflichtet, etwa zum Verzicht auf Luxussanierungen. Die Abwendungsvereinbarung soll höchstens 20 Jahre gelten. Die FDP signalisierte jedoch, dass sie keinen dringenden Handlungsbedarf für ein derartiges Gesetz sehe. Die SZ (Roland Preuß) berichtet.

Gesundheitsdaten: Die EU-Kommission plant die Schaffung eines Europäischen Gesundheitsdatenraums. Eine EU-Verordnung soll ab 2025 Patient:innen einen direkten Zugriff auf ihre Daten ermöglichen, von der Diagnose über Behandlungen, Operationen, Medikationspläne und Laborwerte bis zum Impfstatus. Nach Zustimmung der zuständigen Behörden sollten die Daten auch Forschung und Industrie zur Verfügung gestellt werden, schreibt die FAZ (Hendrik Kafsack/Christian Geinitz).

Sondervermögen Bundeswehr: Bei der am heutigen Mittwoch endenden Kabinettsklausur soll über die grundgesetzliche Ausgestaltung des von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigten Sondervermögen Bundeswehr beraten werden. Wesentliche Fragen seien nach wie vor offen, schreibt die SZ (Constanze von Bullion u.a.). So fordere die CDU/CSU, deren Stimmen für eine Grundgesetzänderung nötig sind, dass die 100 Mrd. Euro aus dem Sondervermögen ausschließlich für die Bundeswehr verwendet werden. Zudem soll im Grundgesetz die Nato-Vorgabe festgeschrieben werden, dass zwei Prozent des BIP jährlich für Verteidigung auszugeben sind. Grüne und SPD-Linke lehnen letzteres ab, weil es die Politik unflexibel mache. 

Justiz

LG Berlin – Jerome Boateng: Das Landgericht Berlin verhandelte über eine Unterlassungsklage der Mutter von Kasia Lenhardt, einer Ex-Freundin von Fußballprofi Jerome Boateng. Die Mutter verlangt von Boateng, mehrere  in einem immer noch zugänglichen Bild-Interview getätigte Äußerungen über ihre Tochter zu unterlassen. Sie beruft sich dabei auf das postmortale Persönlichkeitsrecht ihrer Tochter. Laut Gericht können dabei aber nur Äußerungen beanstandet werden, die das Lebensbild der Toten grob verzerren, etwa Äußerungen über Alkoholkonsum und Lügenhaftigkeit. Das Gericht räumte der Klägerin vier Wochen ein, um zu belegen, dass Boatengs Äußerungen dem Leben seiner Ex-Freundin nicht entsprechen. Eine Entscheidung werde in ca. zwei Monaten erwartet. SZ (Felix Haselsteiner/Veronika Wulf), spiegel.de und LTO berichten.

StA Berlin – Andreas Scheuer: Nach Berichten von spiegel.de (Sven Becker u.a.) und LTO ermittelt die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den früheren Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wegen des Verdachts der uneidlichen Falschaussage. Anlass sei die im Untersuchungsausschuss zur gescheiterten PKW-Maut getroffene Aussage des Politikers, er habe keine Erinnerung daran, von den designierten Betreibern der Maut das Angebot erhalten zu haben, mit dem Vertragsabschluss bis zu einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zu warten.  

Corinna Budras (FAZ) kommentiert, dass es "gut möglich" sei, dass die Vorwürfe gegen Scheuer "versanden". Den "Schadensersatz in Millionenhöhe" müsse hingegen nicht der Politiker, sondern "der deutsche Steuerzahler" schultern.

EuGH zu Uploadfiltern: Eine weitere Besprechung der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes sogenannter Uploadfilter unternimmt der Habilitand Jannis Lennartz im FAZ-Einspruch. Der Kontext der EU-Urheberrechtsrichtlinie offenbare, dass der Filtereinsatz mitnichten die "Unterdrückung politischer Kommunikation durch Online-Zensoren" bezwecke, sondern "die unlizensierte Wiedergabe von Musikvideos oder Torszenen zu Unterhaltungszwecken" unterbinden solle.

BVerfG zu Cum-Ex-Einziehungen: Den jüngst veröffentlichten, von Anfang April stammenden Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts zur Einziehung von Cum-Ex-Taterträgen beschreibt Rechtsprofessor Kilian Wegner auf dem Verfassungsblog.

BGH – Alexander Falk: Laut LTO wird die Revisionsverhandlung im Fall des Unternehmers Alexander Falk am Bundesgerichtshof am 6. Juli stattfinden, nachdem ein erster Termin in der vergangenen Woche wegen der Erkrankung eines Richters kurzfristig abgesagt werden musste. Wegen Anstiftung zur gefährlichen Körperverletzung war Falk im Juli 2020 zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

BGH zu Folter in Syrien: Die weltweit erste Verurteilung wegen Staatsfolter in Syrien ist rechtskräftig. Laut LTO verwarf der Bundesgerichtshof die vom zuerst verurteilten Mittäter Eyad A. eingelegte Revision gegen die Strafzumessung des Oberlandesgerichts Koblenz. Dieses hatte den Mann im Februar des vergangenen Jahres zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt.

OLG Frankfurt/M. – Folter in Syrien: Das Verfahren gegen Alaa M., dem vorgeworfen wird, als Assistenzarzt eines syrischen Militärkrankenhauses an Folterungen beteiligt gewesen zu sein, wurde am Oberlandesgericht Frankfurt/M. mit der Vernehmung eines Zeugen fortgesetzt. Der Mann beschrieb seine eigenen Foltererfahrungen und gab an, dem Angeklagten im fraglichen Militärkrankenhaus begegnet zu sein. "M. bestreitet die Vorwürfe in Monologen und ausschweifenden Erklärungen", so spiegel.de (Julia Jüttner).

LG Saarbrücken – Online-Trading-Betrug: Am Landgericht Saarbrücken wird einem 29-Jährigen gewerbsmäßiger Betrug vorgeworfen. Der Angeklagte soll als Teil einer Bande im Kosovo ein Callcenter betrieben haben, das durch betrügerische Online-Trading-Plattformen Anleger:innen Geschäftsabschlüsse vorgaukelte. Die FAZ berichtet.

SG Berlin/SG Frankfurt/M. – Gesundheitsdaten: Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat bei den Sozialgerichten Berlin und Frankfurt/M. zwei Eilanträge unterstützt, die mit dem Ziel gestellt wurden, die ab Oktober auf Grundlage des Digitale-Versorgungs-Gesetzes geplante Sammlung und zentrale Speicherung von Gesundheitsdaten zu unterbinden. Die Antragsteller:innen bezwecken einen besseren Schutz der anonymisiert übertragenen Daten und die Verhinderung eines absehbaren Missbrauchs, berichtet netzpolitik.org (Philipp Groeschel).

Recht in der Welt

USA – Johnny Depp und Amber Heard: Die aktuelle, in den USA stattfindende gerichtliche Schlammschlacht Johnny Depps und Amber Heards erregt auch die hiesige mediale Aufmerksamkeit, nicht nur des Boulevards. Rechtsanwalt Lucas Brost fasst auf LTO die bisherigen Geschehnisse und Verfahren zusammen, stellt die transatlantischen Unterschiede in der Berichterstattung dar und gibt zu bedenken, dass sich die hiesige Medienlandschaft ungeachtet der am Prozessort produzierten Bilderflut am Schutz der Persönlichkeit und der Wahrung der Ehre zu orientieren habe.

USA – Massaker von Tulsa: Ein Bezirksgericht des US-Bundesstaates Oklahoma hat einen Abweisungsantrag zu einer Klage wegen des 1921 in der Stadt Tulsa verübten Massakers verworfen. Damit können sich die klagenden Überlebenden und Angehörigen von Opfern eines gegen die schwarze Stadtbevölkerung gerichteten Pogroms weiter Hoffnung auf Entschädigungszahlungen machen, berichtet LTO.

Juristische Ausbildung

Kleiderordnung im Referendariat: Spätestens im Referendariat wird vom juristischen Nachwuchs erwartet, sich auch bei bei der Kleiderordnung an berufliche Gegebenheiten anzupassen. Tipps für die passende Auswahl hält LTO-Karriere (Sabine Olschner) bereit.

Jurastudium statt Profisport: Der Hamburger Julius Thole gewann als Beachvolleyballer eine WM-Silbermedaille und nahm an den Olympischen Spielen teil. Kurz danach beendete er mit 24 Jahren seine sportliche Karriere und entschied sich, sein bereits früher begonnenes Jurastudium wieder aufzunehmen. In einem Interview mit spiegel.de (Markus Sutera) erklärt er seine Beweggründe.

Sonstiges

Bernhard Schlink: Im Feuilleton befragt die Welt (Jan Küveler) Rechtsprofessor Bernhard Schlink zu seinem neuen Roman "Die Enkelin", möglichen Friedensaussichten in der Ukraine und seinen Ambitionen auf ein politisches Amt.

Legal Tech: Für den FAZ-Einspruch stellt der wissenschaftliche Mitarbeiter Lukas Quack verschiedene Einsatzmöglichkeiten von Legal Tech-Anwendungen in unternehmerischen Zusammenhängen vor. Konkret geht es um Inkasso-Dienstleistungen, Prozessfinanzierung, Software-Erstellung, Factoring und Mischformen.

Das Letzte zum Schluss

Klimawandel und Verbrechen: In den USA ermöglicht der Klimawandel neue polizeiliche Ermittlungsansätze. Nach Meldung der taz entdeckten kürzlich Bootsfahrer auf dem bei Las Vegas gelegenen Lake Mead – dessen Wasserstand sich auf dem niedrigsten Niveau seit 85 Jahren befindet – ein mit Leichenteilen befülltes rostiges Fass. Der Stausee des Hoover-Damms galt schon lange als beliebte Entsorgungsdestination der lokalen Mafia.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/mpi

(Hinweis für Journalisten und Journalistinnen)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Sie können die tägliche LTO-Presseschau im Volltext auch kostenlos als Newsletter abonnieren.  

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 4. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48333 (abgerufen am: 24.11.2024 )

Infos zum Zitiervorschlag
Jetzt Pushnachrichten aktivieren

Pushverwaltung

Sie haben die Pushnachrichten abonniert.
Durch zusätzliche Filter können Sie Ihr Pushabo einschränken.

Filter öffnen
Rubriken
oder
Rechtsgebiete
Abbestellen