Die juristische Presseschau vom 6. Januar 2022: Stren­gere Kon­trolle für Google / Corona-Exper­ten­rat ohne Jurist:innen / BVerfG ohne Ins­ta­gram

06.01.2022

Das Bundeskartellamt stellt fest, dass die Marktmacht von Google den Wettbewerb gefährdet. Der neue Corona-Expertenrat kommt ohne juristischen Sachverstand aus. Das BVerfG hat seinen neuen Instagram-Account schon wieder abgeschaltet.

Thema des Tages

Kartellrecht – Google: Das Bundeskartellamt (BKartA) hat für den Internetkonzern Alphabet und seine Tochter Google eine "überragende marktübergreifende Bedeutung" für den Wettbewerb festgestellt. Damit werden zum ersten Mal die neuen Regeln aus dem Anfang 2021 reformierten Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) angewendet. Die Feststellung ermöglicht es der Kartellbehörde im Rahmen einer erweiterten Missbrauchsaufsicht Auflagen zu verhängen und wettbewerbsgefährdende Praktiken zu untersagen. Google habe bedeutenden Einfluss auf den Zugang anderer Unternehmen zu potentiellen Kund:innen und die Macht, die Regeln und Rahmenbedingungen vorzugeben. Die Feststellung ist auf fünf Jahre befristet. Das BKartA erklärte, dass Google die Entscheidung akzeptiere und keine Rechtsmittel einlegen wolle. Ähnliche Verfahren laufen gegen Amazon, Apple und Meta. Es berichten die FAZ (Helmut Bünder/Gustav Theile), Hbl (Teresa Stiens), taz (Tanja Tricarico), Welt, LTO, spiegel.de und netzpolitik.org (Anna Biselli).

Helmut Bünder (FAZ) sieht in der Entscheidung beim "Testfall Google" den Beginn einer neuen Ära. Nun könne das Kartellamt erstmals vorbeugend gegen einen Konzern vorgehen. Die Wettbewerbshüter:innen hätten sich "in Angriffsposition gebracht". Thomas Heuzeroth (Welt) geht ebenfalls davon aus, dass sich für Google jetzt einiges ändern wird, zumal Deutschland im Kampf für den Wettbewerb auch nicht alleine dastehe, sondern sich auch auf europäischer Ebene mit dem Digital Markets Act (DMA) Widerstand rege.

Digitale Dienste/Digitale Märkte: Der Kommunikationswissenschaftler Stefan Herwig argumentiert in der FAZ, dass weder der Digital Services Act (DSA) noch der Digital Markets Act (DMA) das "wesentliche Problem der Plattformökonomie" adressieren, nämlich dass es sich hier um Marktversagen handele und nicht um zu kontrollierende Marktmacht. Mit dem DSA und DMA würden die gleichen Fehler wie bei der Datenschutz-Grundverordnung begangen, weil versucht werde, ein "Marktversagensproblem mit verwaltungstechnischen Vorschriften zu greifen". Der Staat müsse einsehen, dass er durch regulatorische Untätigkeit die Digitalkonzerne sogar "subventioniere". 

Rechtspolitik

Corona – Expertenrat: LTO (Hasso Suliak) beschäftigt sich mit der Besetzung des 19-köpfigen Corona-Expertenrats, der Mitte Dezember von Kanzler Olaf Scholz (SPD) einberufen wurde und dem keine Jurist:innen angehören. Rechtsprofessor Ulrich Battis bezeichnete den Verzicht auf Jurist:innen als "äußerst töricht" und fügte hinzu: "Vermutlich herrscht im Bundeskanzleramt der Hochmut, man verfüge selbst über hinreichenden juristischen Sachverstand." Bundestags-Vizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) hätte ebenfalls Jurist:innen im Expertenrat begrüßt, um dem Grundgesetz dort eine Stimme zu geben. Rechtsprofessorin Anna Katharina Mangold bezweifelt, dass sich die erforderliche "Multiperspektivität überhaupt in einem einzigen Expertengremium einfangen lässt", sie hofft jedoch, dass die Vorschläge des Gremiums vor ihrer Umsetzung noch an anderer Stelle juristisch übergeprüft werden.

Corona – Quarantäne: Die Gesundheitsminister:innen von Bund und Ländern empfehlen für die Beschlüsse der Bund-Länder-Konferenz am Freitag neue Quarantäneregelungen, wobei zwischen Infizierten und engen Kontaktpersonen unterschieden wird. Die Quarantäne für Infizierte soll zehn Tage betragen und Geimpfte sollen sich nach sieben Tagen mittels negativem PCR-Test freitesten können. Bislang beträgt die Isolationszeit vierzehn Tage. Personal aus der kritischen Infrastruktur soll sich bereits nach fünf Tagen freitesten können. Für symptomlose enge Kontaktpersonen soll die Quarantäne sieben Tage betragen, wobei nur Ungeimpfte danach einen negativen PCR-Test aufweisen müssten. Personen mit Booster-Impfung müssten nicht in Isolation. Bei Personal aus der kritischen Infrastruktur soll die Quarantäne bei negativem PCR-Test nach fünf Tagen beendet werden können. Es berichten die FAZ (Christian Geinitz/ Heike Schmoll), Hbl (Jürgen Klöckner), spiegel.de und bild.de.

Die Kultusminister:innen von Bund und Ländern haben sich in einem Beschluss ebenfalls für verkürzte Quarantänefristen für Schüler:innen und Lehrer:innen ausgesprochen, um den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten. Auch Schulen seien systemrelevant. Die FAZ (Heike Schmoll), taz (Ralf Pauli), Welt (Sabine Menkens) und spiegel.de berichten. Heike Schmoll (FAZ) kommentiert, dass ohne eine Anpassung der Quarantänezeiten "eine Klasse nach der anderen nach Hause geschickt werden" müsste. Die Kultusminister:innen hätten sich zwar über das vom Bundesverfassungsgericht verbriefte Recht auf Bildung gefreut, die daraus abzuleitenden Ansprüche hätten sie aber noch längst nicht erfüllt.

Corona – Impfpflicht: Nach dem Vorstoß des FDP-Landesvorsitzenden von Baden-Württemberg, Michael Theurer, die Impfpflicht nicht bundesweit einzuführen, sondern die Bundesländer darüber entscheiden zu lassen, untersucht die FAZ (Helene Bubrowski) die rechtliche Machbarkeit. Auf das Infektionsschutzgesetz (IfSG) könnten Landesregierungen wohl keine entsprechende Verordnung stützen, auch wenn es in § 20 Abs. 6 und Abs.7 IfSG so anklinge. Dagegen spreche der Parlamentsvorbehalt, der den Gesetzgeber verpflichtet, wesentliche Fragen selbst zu regeln. Auch die Landesparlamente könnten keine Impflicht beschließen, weil der Bund im IfSG Impfpflichten bereits abschließend geregelt habe.

Corona – Triage: Bundesjustizminister Marco Buschmann spricht sich gegen eine Berücksichtigung des Impfstatus als "entscheidendes Kriterium" bei der Zuteilung zu knapper Intensivbetten aus. Man könne Ungeimpfte "nicht einfach pauschal von lebensrettenden Maßnahmen ausschließen". LTO berichtet.

Justiz

BVerfG – Instagram-Auftritt: LTO (Markus Sehl) schreibt über das Abschalten des Instagram-Accounts des Bundesverfassungsgerichts, der zuletzt 26.400 Follower hatte und zum Jahresanfang "still und leise" verschwunden sei. Auf Anfrage teilte das BVerfG mit, es habe sich entschieden, den Account nach dem Ablauf einer im vergangenen Jahr angesichts seines 70-jährigen Jubiläums eingeleiteten Probephase vorerst nicht weiter zu betreiben. Beobachter:innen reagierten überrascht und enttäuscht.

VGH Hessen zu 2G: Der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat im Eilverfahren entschieden, dass die 2G-Regelung für die Innenbereiche von Schwimmbädern, Sportstätten und Gastronomien rechtmäßig ist. Ein ungeimpfter Geschäftsführer einer Unternehmensberatung sah sich durch die Regelung in seiner Geschäftstätigkeit eingeschränkt, da er seine Treffen häufig in Gastronomiebetrieben abhalte. Das Gericht sah es jedoch als nicht erwiesen, dass 3G- oder 3G-Plus-Regelungen gleich geeignete Mittel sind. LTO berichtet.

OLG Zweibrücken zu Scheidung und Trennungsjahr: Nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Zweibrücken kann das für eine Scheidung erforderliche Trennungsjahr auch dann beginnen, wenn sich einer der Ehepartner in Haft befindet. Wenn ein Paar nicht zusammenlebe, sei für den Beginn darauf abzustellen, ab wann der Trennungswille des einen Ehegatten für den anderen erkennbar geworden ist. LTO berichtet.

OLG Frankfurt/M. – Mitschreibverbot: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. verbietet bei Staatsschutzprozessen regelmäßig den Zuschauer:innen das Mitschreiben, nur der Presse sei dies erlaubt, berichtet LTO (Felix Zimmermann). Das OLG begründet das Verbot damit, dass Mitschriften an noch nicht vernommene Zeug:innen weitergereicht werden könnten. Zwar verlangte der Bundesgerichtshof 1982 für ein Mitschreibverbot eine konkrete Gefahr für die Wahrheitsfindung. Es sei jedoch schwer gegen ein generelles Verbot vorzugehen, auch wenn es die allgemeine Handlungsfreiheit der Zuschauer:innen verletze. Falls jedoch Zuschauer:innen wegen des Mitschreibens des Saales verwiesen würden, so könne dies eventuell eine revisionsrelevante Verletzung des Öffentlichkeitsgrundsatzes darstellen, die den Prozess platzen lassen könne.   

LG Frankfurt/M. – NSU 2.0: Vor dem Landgericht Frankfurt/M. beginnt am 16. Februar der Prozess gegen den Mann, der als selbsternannter "NSU 2.0" über Jahre hinweg 116 Drohschreiben verschickt haben soll, u.a. an die Anwältin Seda Başay-Yıldız und an andere politisch engagierte Personen. Ihm wird in 67 Fällen unter anderem Volksverhetzung, Beleidigung, öffentliche Aufforderung zu Straftaten und der Besitz kinder- und jugendpornografischer Schriften vorgeworfen. LTO berichtet.

LG Paderborn – Mord an Walter Lübcke: Vor dem Landgericht Paderborn hat der Prozess gegen den 66-jährigen Elmar J. begonnen, dem eine fahrlässige Mitverursachung des Todes des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vorgeworfen wird. Er soll die Tatwaffe an den späteren Mörder Stephan Ernst verkauft haben, der wegen seiner rechtsextremistisch motivierten Tat schon im Januar 2021 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden war. Der Angeklagte räumt einen Verstoß gegen das Waffengesetz ein, er habe Ernst aber nicht die Tatwaffe verkauft, sondern andere Schusswaffen. Es berichten die FAZ (Reiner Burger), taz und spiegel.de (Julia Jüttner).

LG Berlin – Abou-Chaker/Bushido: spiegel.de (Wiebke Ramm) beschreibt einen neuen Prozesstag im Verfahren gegen die Berliner Untergrundgröße Arafat Abou-Chaker. Dabei kam es zu einer ersten Äußerung Abou-Chakers in Form eines kurzen verbalen Intermezzos mit Bushidos Frau Anna-Maria Ferchichi. Frau Ferchichi sprach außerdem von Turbulenzen in der Ehe: "Ich sage ungefähr zweimal im Jahr, er solle ausziehen."

VG Köln – AfD vs. BfV: Das Verwaltungsgericht Köln wird am 8. und 9. März über die Klage der AfD gegen ihre Einstufung als rechtsextremer Verdachtsfall durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) verhandeln. Sollte das Gericht die Klage zurückweisen, stünde erstmals die Gesamtpartei unter Beobachtung. Bisher wurde nur der sogenannte "Flügel" als rechtsextremistische Bestrebung beobachtet, worüber ebenfalls verhandelt werden wird. Die taz (Konrad Litschko) berichtet.

VG Koblenz zu Quarantäne von Schüler:innen: Nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Koblenz ist eine Anordnung auf Absonderung von Schüler:innen bis zum Ablauf der möglichen Inkubationszeit von vierzehn Tagen auch dann nicht zu beanstanden, wenn die betroffene Person im Unterricht nicht in der Nähe der mit der Omikronvariante infizierten Person saß, sie eine FFP2-Maske trug und ein zwischenzeitiger PCR-Test negativ ausfiel. LTO und spiegel.de berichten.

VG Stuttgart zur Tötung von Tauben: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat eine behördliche Erlaubnis zum Töten von Tauben aufgehoben, die in einem Betrieb im Ostalbkreis zur Plage geworden waren und die körperliche Unversehrtheit der Mitarbeitenden bedrohten. Das Landratsamt habe nicht hinreichend geprüft, ob die Tötung verhältnismäßig ist. LTO berichtet.

GenStA Frankfurt/M. – Kindesmissbrauch: Die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/M. ermittelt gegen einen früheren Grundschuldirektor aus Hersfeld-Rotenburg. Der 46-Jährige soll Kinder missbraucht und kinderpornografische Schriften angefertigt und im Internet verbreitet haben. Er sitzt seit Mitte Dezember in Untersuchungshaft. Es sei noch unklar, ob sich die Taten im schulischen Umfeld ereigneten und um wieviele Opfer es sich handelt. Es berichten die FAZ (Katharina Iskandar) und spiegel.de.

StA Bremen – Markus Anfang: Der ehemalige Trainer von Werder Bremen Markus Anfang hat gegenüber der Bremer Staatsanwaltschaft gestanden, einen gefälschten Impfpass genutzt zu haben, um weiterhin am Spielbetrieb der Bundesliga teilnehmen zu dürfen. Damit wird eine öffentliche Verhandlung unwahrscheinlich. Woher er das gefälschte Dokument hatte, sagte er nicht. Welt und spiegel.de berichten.

StA Köln – Cum-Ex-Verfahren: Das Hbl (Sönke Iwersen/Volker Votsmeier) berichtet über eine Ausweitung der Ermittlungskapazitäten der federführenden Staatsanwaltschaft Köln im Cum-Ex-Skandal. Derzeit seien gut 20 Staatsanwält:innen den Cum-Ex-Verfahren zugeteilt und für 2022 seien sechs weitere Stellen eingeplant. Unterstützt werde die Behörde von 43 Polizist:innen und 35 Beamt:innen aus der Finanzverwaltung.

Recht in der Welt

Österreich ­– Impfpflicht: Die FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet über aktuelle politische Entwicklungen in Österreich, nach denen die für Februar angedachte Impfpflicht noch kippen könnte. Es werde diskutiert, ob die Situation im Licht der Omikron-Welle neu bewertet werden müsse, weil es möglich sei, dass durch hohe Ansteckungszahlen ein bislang unerreichtes Ausmaß an Immunität erreicht werde.

Kanada – Indigene Kinder: Die kanadische Regierung hat sich bereit erklärt, 40 Milliarden kanadischen Dollar (etwa 28 Milliarden Euro) zu zahlen, um einen Rechtsstreit um indigene Kinder beizulegen, die ihren Eltern weggenommen und in Heimen misshandelt oder Opfer sexualisierter Gewalt wurden. spiegel.de berichtet.

Sonstiges

Fernsehserie "Legal Affairs": beck-aktuell (Markus Hartung) rezensiert die Fernsehserie "Legal Affairs" und begrüßt die spektakuläre Inszenierung des Anwaltslebens. "Mit Verschwiegenheitspflicht und Sachlichkeitsgebot kann man einfach keine guten Geschichten erzählen."

Das Letzte zum Schluss

Mit Google Maps gegen die Mafia: Nachdem italienische Ermittler einen Mafiaboss, der wegen Mordes verurteilt wurde und seit zwei Jahrzehnten auf der Flucht war, zufällig auf einem Foto auf Google Maps entdeckten, wurde dieser in Madrid verhaftet. Gioacchino Gammino, 61-jähriger Boss der Stidda, einer Abspaltung der sizilianischen Cosa Nostra, wurde von Google Streetview abgelichtet, als er vor einem Gemüseladen mit einem anderen Mann plauderte. Die FAZ (Matthias Rüb) berichtet.

 

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LTO/tr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. Januar 2022: . In: Legal Tribune Online, 06.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47127 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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