BVerfG lehnt Eilantrag gegen präventives Verbot von Corona-"Spaziergängen" ab. Polen droht ein neues Vertragsverletzungsverfahren wegen Umgang mit Flüchtlingen an belarussischer Grenze. Banken kündigen Sammelanderkonten von Kanzleien und Notariaten.
Thema des Tages
BVerfG zu "Montagsspaziergängen": Das Bundesverfassungsgericht hat einen Eilantrag gegen ein präventives Verbot von sogenannten "Montagsspaziergängen" abgelehnt. Der Eilantrag ergänzte eine Verfassungsbeschwerde, die sich gegen eine entsprechende Allgemeinverfügung der Stadt Freiburg richtet. Die Rechtsfrage, ob pauschale Versammlungsverbote per Allgemeinverfügung mit der Versammlungsfreiheit nach Art. 8 Grundgesetz vereinbar sind, sei "eine verfassungsrechtlich offene Frage, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss." Bei der jetzigen Folgenabwägung falle jedoch insbesondere ins Gewicht, dass durch die Gestaltung als "Spaziergang" eine Vorfeldkooperation und damit grundrechtsschonendere Maßnahmen gezielt ausgehebelt werden und dies ein bewusstes Vorgehen der Teilnehmenden sei. Zudem könne man davon ausgehen, dass Teilnehmende "überwiegend nicht dazu bereit seien, versammlungspolizeiliche, dem Infektionsschutz dienende Auflagen, wie insbesondere das Tragen von Masken oder das Einhalten von Abständen, zu beachten." Es berichten die SZ (Wolfgang Janisch), taz.de (Christian Rath), LTO (Markus Sehl) und tagesschau.de (Klaus Hempel).
Rechtspolitik
Corona – Rechte von Genesenen: Nun berichten auch die FAZ (Heike Schmoll) und focus.de (Benjamin Hirsch) über ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags, das das Verfahren bei der Herabstufung der Geltungsdauer des Genesenenstatus von sechs auf drei Monate verfassungsrechtlich kritisiert. Eine grundrechtlich so relevante Frage dürfe nicht auf das Robert-Koch-Institut delegiert werden.
Die Konferenz der Landesgesundheitsminister:innen hat laut Bild (Julius Böhm u.a.) von der Bundesregierung gefordert, die Delegation auf das RKI rückgängig zu machen und den Genesenen-Status wieder per Verordnung zu regeln.
Corona – 2G: Der in London lehrende Rechtsprofessor Kai Möller untersucht in einem Gastbeitrag für die Welt die deutschen 2G-Konzepte, die er "Lockdown für Ungeimpfte" nennt. Er kommt zum Schluss, dass 2G-Konzepte unverhältnismäßig sind und Ungeimpfte unzulässig diskriminieren. In Großbritannien, dem Mutterland des Liberalismus, seien Geimpfte und Ungeimpfte selbsverständlich gleichberechtigt.
Verbandsklagen im Verbraucherschutz: Auf LTO berichtet der Rechtsanwalt Luidger Röckrath über die Freiräume des deutschen Gesetzgebers bei der Umsetzung der EU-Richtlinie über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher. Ein zentraler Streitpunkt sei die Frage, ob Verbraucher:innen bei Verbandsklagen auf Leistung selbst aktiv werden müssen (Opt-in) oder automatisch beteiligt (Opt-out) werden. Zwei Rechtsgutachten sprächen sich für eine Opt-in-Lösung aus, wobei darüber gestritten werde, ob ein Opt-in wie bei der Musterfeststellungsklage bis zur ersten mündlichen Verhandlung möglich sein soll oder sogar bis zum Urteil bzw. Vergleich. Die Richtlinie muss bis Dezember 2022 umgesetzt werden.
NetzDG/Meldepflicht: Ab dem heutigen Dienstag gilt eigentlich die im Netzwerkdurchsetzungsgesetz eingeführte Pflicht von sozialen Netzwerken, bestimmte strafbare Inhalte ihrer User:innen an das BKA zu melden. netzpolitik.org (Anna Biselli) und der wissenschaftliche Mitarbeiter Marius Kühne auf dem JuWissBlog berichten über den Widerstand der Plattformen, die darin eine Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung ihrer User:innen sehen. Seit dem Juli 2021 läuft ein entsprechender Antrag auf Eilrechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Köln, auf dessen Entscheidung gewartet wird. Möglicherweise werde die Meldepflicht aber auf europäischer Ebene durch Melderegelungen in der Verordnung zum Digital Services Act (DSA) verdrängt, der in der ersten Jahreshälfte beschlossen werden soll.
Verfassungsfeindliche Richter:innen: Die sächsische Justizministerin Katja Meier (Grüne) erwägt im FAZ-Einspruch eine Änderung des Abgeordnetengesetzes zur Erschwerung der Dienstrückkehr von verfassungsfeindlichen Richter:innen. "Sollte etwa das Abgeordnetengesetz der Exekutive zukünftig die Möglichkeit eröffnen, die Rückführung in den öffentlichen Dienst in bestimmten Fällen auszusetzen oder gar unter die Voraussetzungen zu stellen, unter denen die Berufung in das Beamtenverhältnis erfolgt?" Heute schon sei auch eine Richterklage nach Artikel 98 des Grundgesetzes ein mögliches Mittel, um Extremist:innen von der Richterbank fernzuhalten.
Missbrauch in der Kirche: Die Bundesregierung dringt auf eine Aufklärung der Missbrauchsvorwürfe im katholischen Erzbistum München und Freising, sagte der Regierungssprecher Steffen Hebestreit. Es sei Konsens in der Bundesregierung, dass die Aufarbeitung von Fällen strukturierten Kindesmissbrauchs Institutionen nicht allein überlassen werden dürfe. Wenn erforderlich, sollten gesetzliche Grundlagen geschaffen werden. Konkret sei vorgesehen, das Amt des Unabhängigen Beauftragten für Fragen des sexuellen Kindesmissbrauchs (UBSKM) gesetzlich zu regeln und eine regelmäßige Berichtspflicht an den Deutschen Bundestag einzuführen. Es berichten die SZ (Cerstin Gammelin/Annette Zoch) und LTO.
Justiz
LSG Nds-Bremen zu Organspende-Skandal: Nach einem Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen Bremen muss eine gesetzliche Krankenkasse medizinisch notwendige Leistungen auch dann vergüten, wenn die behandelnden Ärzt:innen vorsätzlich gegen das Transplantationsgesetz verstoßen haben, indem sie falsche Daten an Eurotransplant weitergaben. Konkret ging es um 157.000 Euro, die die Uniklinik Göttingen bei einer Krankenkasse für Transplantationen geltend machte, die im Zusammenhang mit dem Göttinger Organspende-Skandal vor zehn Jahren entstanden sind. LTO (Antonetta Stephany) berichtet.
LG Köln – Thomas Drach: Vor dem Landgericht Köln beginnt an diesem Dienstag der Prozess gegen den einstigen Reemtsma-Entführer Thomas Drach, der nun angeklagt ist, weil er 2018 und 2019 vier Geldtransporte überfallen haben soll. Er ist u.a wegen versuchten Mordes, schweren Raubs, gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz angeklagt. Er soll dreimal mit einem Sturmgewehr AK-47 bewaffnet gewesen sein, einmal mit einem Revolver. Es sind 53 Verhandlungstage angesetzt. Es berichten die SZ (Peter Burghardt) und spiegel.de (Julia Jüttner). Wegen der Reemtsma-Entführung war Drach schon vor 21 Jahren verurteilt worden.
LG Stuttgart zu Greenwashing/Commerzbank: Das Landgericht Stuttgart hat frühere Werbeaussagen der Fondsgesellschaft Commerz Real für ihren Impact-Fonds klimaVest kassiert. Die Gesellschaft der Commerzbank-Gruppe darf nun unter anderem nicht mehr im Internet für das Investment mit positiver ökologischer Wirkung in einer ganz bestimmten Höhe werben. Die Werbung hatte das Unternehmen bereits geändert. Es berichtet die FAZ (Oliver Schmale).
GenStA Düsseldorf – islamistische Anschlagsvorbereitung: Die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf hat einen 17-Jährigen aus dem Raum Köln in einem Zug in Hannover festgenommen, dem die Vorbereitung eines islamistischen Anschlags vorgeworfen wird. Wegen Sprengstoffverdachts wurde der Zug durchsucht, wobei jedoch kein Sprengstoff gefunden wurde. Es berichten die SZ und spiegel.de.
Verfahren gegen Energiediscounter: Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf überprüft in ihren Vorermittlungen gegen die Energiediscounter Stromio, Grünwelt und Gas.de, ob diese Ende 2021 Gas- und Stromkontingente im Großhandel zu Höchstpreisen verkauft haben, um anschließend die günstigeren Verträge mit ihren Kunden:innen zu kündigen. Die Kund:innen mussten dann zu den oft viel teureren Grundversorgern wechseln. Der Legal Tech-Dienstleister Veneko will über eine Sammelklage Schadensersatzansprüche geltend machen, wobei sich bereits über 4400 Betroffene gemeldet hätten. Die Kölner Kanzlei Himmelreither vertritt bisher 40 Einzelmandate. Es berichten das Hbl (Ben Mendelson) und spiegel.de (Lukas Eberle/Claus Hecking u.a.).
EnBW bereitet nach eigenen Angaben als erster Grundversorger eine Klage auf Aufwendungsersatz gegen Stromio vor, weil man inzwischen mehr als 40.000 betroffene Haushalte übernommen habe. Durch die kurzfristige Strombeschaffung zu deutlich gestiegenen Preisen entstünden Mehrkosten. LTO berichtet.
Zuständigkeit von NRW-Gerichten: An nordrhein-westfälischen Gerichten kommt es im Bereich der Wirtschaftsverfahren zu einer umfangreichen Reform. Landesjustizminister Peter Biesenbach (CDU) teilte mit, dass in vielen Verfahren künftig nicht mehr die örtliche, sondern die fachliche Zuständigkeit ausschlaggebend sein soll. So sollen etwa Streitigkeiten im Zusammenhang mit Unternehmensverkäufen und -transaktionen mit einem Streitwert von über 500.000 Euro ausschließlich am Landgericht und Oberlandesgericht Düsseldorf verhandelt werden. Einzelheiten sollen an diesem Dienstag bekanntgegeben werden. LTO berichtet.
Unabhängigkeit der Justiz: Reinhard Müller befasst sich im FAZ-Leitartikel mit der Unabhängigkeit der deutschen Justiz. Kritisiert wird die EU-Kommission, die in ihrem Vertragsverletzungsverfahren wegen des EZB-Urteils des Bundesverfassungsgerichts den Eindruck erweckt habe, die Bundesregierung könne oder solle auf das BVerfG einwirken, damit dieses seine Rechtsprechung ändere. Bei der Besetzung der höchsten Gerichte müsse man zudem Acht geben, dass Anforderungen etwa für das Profil von Präsidenten und Vizepräsidenten an Bundesgerichten "nicht aus politischer Opportunität geändert werden".
Recht in der Welt
Polen/Belarus – Migrant:innen an der Grenze: Wegen der polnischen Praxis, die meisten Migrant:innen an der Grenze zu Belarus pauschal abzuweisen, könnte es zu einem weiteren EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen kommen. Wie die FAZ (Thomas Gutschker) berichtet, lehnte der polnische EU-Botschafter Ende letzter Woche einen zwischen den Mitgliedstaaten ausgehandelten Kompromiss ab, der seinem Land sowie Lettland und Litauen vorübergehend Ausnahmen bei der Anwendung von EU-Recht zugestanden hätte. Der Kompromiss gehe Polen nicht weit genug, weil man die Möglichkeit haben wolle, Asylverfahren vollständig auszusetzen, "wenn eine Bedrohung der öffentlichen oder nationalen Sicherheit vorliege". Außerdem könne das Land nicht verpflichtet werden, mit dem UN-Flüchtlingshilfswerk und anderen humanitären Organisationen zusammenzuarbeiten. Daraufhin stoppte der französische Ratsvorsitz das gesamte Beschlussverfahren.
Großbritannien – Partielle Impfpflicht: Britischen Medienberichten zufolge wird die britische Regierung die partielle Impfpflicht für Ärzt:innen und Pfleger:innen "kippen". Grund sei der milde Verlauf bei Omikron und die Angst vor einem massivem Schwund des Personals. Es berichtet die FAZ (Jochen Buchsteiner).
Österreich – Impfpflicht: Cathrin Kahlweit (SZ) kommentiert, dass es in Österreich mittlerweile völlig egal sei, ob und wann die Impfpflicht formal in Kraft trete. Seit die Regierung die Zwangsmaßnahme Mitte Januar verkündet habe, habe sie "alles dafür getan, ihr eigenes Projekt zu unterlaufen, aufzuweichen, überflüssig zu machen". Grund sei die Angst vor schlechten Wahlergebnissen.
Myanmar – Aung San Suu Kyi: Die Ex-Regierungschefin von Myanmar und Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi wird nun auch wegen Wahlbetrugs angeklagt. Die Junta wirft ihr elf weitere Delikte vor, weshalb ihr bis zu 160 Jahre Haft drohen. spiegel.de berichtet.
Jugoslawien – Völkerrechtspolitik: Rechtsprofessor Claus Kreß rezensiert in der FAZ Arno Trültzschs Analyse der Völkerrechtspolitik Jugoslawiens unter Tito ("Sozialismus und Blockfreiheit. Der Beitrag Jugoslawiens zum Völkerrecht 1948 –1980/91"). Der Autor schaffe es, den weltpolitischen Kontext des Völkerrechts im Kalten Krieg über die Blockkonfrontation hinaus um die sogenannte Bewegung der blockfreien Staaten zu erweitern. Schwächen weise das Buch dort auf, wo es auf präzise rechtsbegriffliche Unterscheidungen angekommen wäre.
Sonstiges
Kündigung von Sammelanderkonten: Wegen Geldwäsche-Risiken kündigen neuerdings viele Banken und Sparkassen die Sammelanderkonten von Rechtsanwält:innen. Jenen drohen höhere Kosten und Mehraufwand. Hintergrund ist die Anpassung der Auslegungs- und Anwendungshinweise zum Geldwäschegesetz (AHH) durch die Bundesanstalt für Finanzaufsicht (BaFin) aus dem Jahr 2021. Zuvor war es noch möglich, die treuhänderische Verwaltung von Mandantengeldern auf ein und demselben Konto zu organisieren. Bundesrechtsanwaltskammer und Deutscher Anwaltverein zeigen sich empört. Die BaFin verwies darauf, dass keine Verpflichtung der Banken bestehe, Sammelanderkonten zu kündigen. Dies erfolge in eigener Verantwortung, wobei "sie jedoch die konkreten Risiken auf der Grundlage der verfügbaren Informationen bewerten" müssten. Es berichten LTO (Tanja Podolski/Felix Zimmermann) und beck-aktuell (Joachim Jahn).
Pressefreiheit: Die SZ (Georg Mascolo) sendet einen "Hilferuf" in Bezug auf die Gefährdung von Journalist:innen und Pressefreiheit und setzt seine Hoffnungen in zwei Projekte. Zum eine verhandelten Medienverbände und Landespolizeien über eine Änderung der "Verhaltensgrundsätze" zwischen Presse und Polizei, die einen besseren Schutz der Presse zum Ziel habe. Zum anderen hatte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) voriges Jahr ein Strafgesetz "gegen die Störung der Tätigkeit der Presse" angekündigt. Allerdings fehle es Politik und Ministerien bisher an Elan.
Raser: Auf LTO untersucht der Doktorand Tim Nicklas Festerling, ob bei der Autobahnfahrt des tschechischen Millionärs Radim P. mit über 417 km/h ein illegales Straßenrennen gegen sich selbst gem. § 315 d Abs. 1 Nr. 3 Strafgesetzbuch (StGB) vorliegt, wozu bereits ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Entscheidend sei, ob die Tatbestandsmerkmale der nicht angepassten Geschwindigkeit und des grob verkehrswidrigen Verhaltens erfüllt seien, wobei der Bremsweg und die Einhaltung des Rechtsfahrgebots maßgeblich seien. In einem vom Beschuldigten aufgenommenen Video fänden sich Anhaltspunkte für beide Seiten.
Telegram: Apple hat der Bundesregierung für den Kampf gegen strafbare Hass- und Gewaltaufrufe im Messengerdienst Telegram eine ladungsfähige Anschrift der Firma übermittelt. Die Bundesregierung ist bislang daran gescheitert, einen direkten Kontakt zu Telegram aufzubauen. Es berichtet die welt.de (Ibrahim Naber).
Corona – Personalengpässe: Der Rechtsanwalt Alexander Greth zeigt auf dem Handelsblatt-Rechtsboard Handlungsoptionen des Arbeitgebers bei Personalengpässen durch Omikron auf. So könne etwa die Frist zur Anordnung von Überstunden im Krankheits- oder Quarantänefall von mehreren Tagen auf wenige Stunden verkürzt werden, wobei eine Zustimmung des Betriebsrats einzuholen sei. Auch könnten Mitarbeitende aus anderen Bereichen herangezogen werden oder Leiharbeitnehmer:innen eingesetzt werden.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/tr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 1. Februar 2022: . In: Legal Tribune Online, 01.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47382 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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