Die juristische Presseschau vom 5. November 2021: DFB-Strafen recht­mäßig / Doch keine Straf­bar­keits­lücke bei Impf­pass-Fäl­schung? / Anhör­ungsrüge von Zschäpe abge­lehnt

05.11.2021

DFB-Vereine können weiter für das Fehlverhalten ihrer Fans sanktioniert werden. Generalstaatsanwälte in Niedersachsen sehen keine Strafbarkeitslücke bei Impfpass-Fälschung. BGH sieht keine "Überraschungsentscheidung" im Zschäpe-Beschluss.

Thema des Tages

BGH zu DFB-Sanktionen: Nach einem Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs darf der Deutsche Fußballbund (DFB) weiter Geldstrafen gegen Vereine verhängen, deren Fans im Stadion ein Fehlverhalten an den Tag legen – auch wenn die Vereine kein Verschulden trifft. Geklagt hatte der FC Carl Zeiss Jena, dessen Fans in mehreren Spielen Pyrotechnik gezündet hatten, was das DFB-Sportgericht 2018 mit einer Geldstrafe in Höhe von 24.800 Euro sanktionierte und darin vom "Ständigen Schiedsgericht" des DFB bestätigt wurde. Staatliche Gerichte können solche Schiedssprüche nur aufheben, wenn gegen wesentliche Grundsätze des staatlichen Rechts verstoßen wird (ordre public), wovon Carl Zeiss Jena im Hinblick auf den Schuldgrundsatz ("keine Strafe ohne Schuld") ausging. Laut BGH gilt der Grundsatz jedoch nur bei Strafen und die DFB-Strafen seien – entgegen ihrer Bezeichnung – keine Strafen, sondern präventive Maßnahmen. Der Verein zeigte sich enttäuscht, man prüfe die Erfolgsaussichten einer Verfassungsbeschwerde. Es berichten FAZ (Christoph Becker), taz (Christian Rath), LTO (Hasso Suliak), spiegel.de und mit schiedsrechtlichem Fokus zpoblog.de (Peter Bert).

Wolfgang Janisch (SZ) befindet das Urteil für richtig und weist auf die Schwierigkeit hin, konkrete Fans zur Verantwortung zu ziehen: "Wer hier auf das Verschuldensprinzip pocht, der muss die Frage beantworten, wer denn die Schuldigen aus der Masse der vielen Tausend herausfischen soll." Zudem liege das Urteil auf einer Linie mit dem Rechtsgedanken, dass man für besondere Gefahren, die man verursache, ebenfalls verschuldensunabhängig hafte.  

Rechtspolitik

Corona – Impfpass-Fälschung: Die drei Generalstaatsanwälte des Landes Niedersachsen halten die Vorlage gefälschter Impfpässe bei Apotheken auch heute schon als Urkundenfälschung für strafbar. Sie widersprechen damit einem Beschluss des Landgerichts Osnabrück vom 26. Oktober, das eine Strafbarkeitslücke sah. Das zuständige Oberlandesgericht solle nun klären, ob hier wirklich eine Strafbarkeitslücke vorliege, was doch "ganz offensichtlich dem Willen des Gesetzgebers" widerspräche. ndr.de berichtet.

Zuvor hatte die Unionsfraktion bereits erklärt, einen Gesetzentwurf zur Schließung der vermeintlichen Strafbarkeitslücke in den Bundestag einbringen zu wollen, worüber nun auch LTO berichtet.

Corona – Impfpflicht: Die Debatte um eine Impfpflicht für Pflegepersonal gewinnt angesichts der steigenden Infektionszahlen wieder an Fahrt, wobei sich nun auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmer dafür aussprach. Die FAZ (Eckart Lohse/Mona Jaeger) berichtet. In einem weiteren Artikel blickt die FAZ (Christian Schubert/ Philipp Plickert u.a.) auf Erfahrungen mit entsprechenden Gesetzen in Frankreich und Italien: In beiden Staaten sei die Impfquote beim Pflegepersonal nach anfänglichen Protesten signifikant gestiegen, ohne dass es zu den befürchteten Kündigungswellen (Frankreich: 0,1 Prozent; Italien: 0,3 Prozent) gekommen wäre.

Corona – 3G: Auf LTO erörtern die Anwält:innen Michaela Felisiak und Dominik Sorber, warum Arbeitgebende das 3G-Modell "im Prinzip" auch ohne gesetzliche Grundlage einführen können: Soweit kein Betriebsrat bestehe, könne eine Zugangsbeschränkung auf das Arbeitgeberweisungsrecht nach § 106 Gewerbeordnung gestützt werden. Bei vorhandenen Betriebsräten müssten diese zwar nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz miteinbezogen werden, wobei aber von einem grundsätzlichen Interesse am Schutz aller Arbeitnehmenden ausgegangen werden könne.

Rechtsstaatspakt: Im FAZ-Einspruch evaluiert der Geschäftsführer des Deutschen Richterbunds, Sven Rebehn, den 2017 im Koalitionsvertrag festgehaltenen "Rechtsstaatspakt" als Erfolgsmodell, wenngleich sein Ziel, die Justiz adäquat auszustatten, bei Weitem noch nicht erreicht sei. Es bedürfe einer forcierten Digitalisierung und eines weiteren Personalaufbaus, der von der künftigen Ampelkoalition in einem "Bund-Länder-Pakt 2.0" fortgeschrieben werden solle.

Chatkontrolle: Markus Reuter (netzpolitik.org) kritisiert das Vorhaben der EU-Kommission, digitale Inhalte wie Bilder oder Videos schon vor dem Abschicken mit Datenbanken von Missbrauchsdarstellungen abgleichen zu wollen. Begründet werde das Vorhaben vor allem mit der Verhinderung von Kindesmissbrauchsdarstellungen, obwohl es sich bei der Chatkonrolle tatsächlich um einen Ausbau staatlicher Überwachung und um einen Angriff auf Grund- und Freiheitsrechte handele. 

BVerfG: Die BadZ (Christian Rath) berichtet über die Aufführung des Textes "Ein Volkskanzler" von Max Steinbeis in Freiburg. Der anwesende Autor sagt in der nachfolgenden Diskussion, er wollte verdeutlichen, dass das Schleifen von Checks and Balances nicht nur in Ungarn und Polen passieren kann. Konkret schlägt er vor, im Grundgesetz festzuschreiben, dass die Verfassungsrichter:innen mit Zwei-Drittel-Mehrheit gewählt werden.

Justiz

BGH zu NSU: Der Bundesgerichtshof hat eine Anhörungsrüge der Rechtsterroristin Beate Zschäpe gegen seinen Revisionsbeschluss zum Mordurteil des Oberlandesgerichts München abgelehnt. Zschäpe hatte dem BGH vorgeworfen, seine Rechtsprechung zu Täterschaft und Teilnahme überraschend geändert und dadurch ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt zu haben. Beides weist der Senat von sich: Eine Rechtsprechungsänderung habe es nicht gegeben und Zschäpe hätte die Möglichkeit gehabt, "umfangreich" zur Frage einer Mittäterschaft vorzutragen. Anhängig ist noch eine Verfassungsbeschwerde Zschäpes. taz (Christian Rath)LTO und spiegel.de berichten.

BVerfG – Bundesnotbremse/Befangenheit: Die SZ (Wolfgang Janisch) relativiert den vermeintlichen Skandal eines Abendessens des Bundesverfassungsgerichts mit der Bundesregierung im Vorfeld der in diesem Monat erwarteten Entscheidung zur Bundesnotbremse. Das vom Gericht vorgeschlagene Gesprächsthema "Entscheidung unter Unsicherheiten" sei abstrakter gewesen als Themen, die das Kanzleramt vorgeschlagen hatte. Da das Bundesverfassungsgericht öfter im Konflikt mit der Bundesregierung stehe, erhöhe es möglicherweise die Akzeptanz unliebsamer Karlsruher Urteile, wenn sich die Institutionen durch gelegentliche Abendessen etwas besser kennenlernen.

BGH – Tina Turner-Double: Der Bundesgerichtshof verhandelte über eine Doppelgängerin von Tina Turner, die eine Show mit dem Titel "Simply The Best – Die Tina Turner Story" veranstaltete, wogegen die echte Tina Turner vor dem Landgericht Köln auf Unterlassung klagte und zunächst Recht bekam. Das Oberlandesgericht Köln kassierte das Urteil jedoch, weil die Kunstfreiheit des Doubles mehr Gewicht habe als das Recht am eigenen Bild und Namen. Nach Aussage des Vorsitzenden Richters Thomas Koch neige der Senat dazu, diese Gewichtung "für richtig zu erachten". LTO berichtet.

BSG zu Familiengeld: Nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts haben auch Eltern, die österreichisches Kinderbetreuungsgeld beziehen, einen Anspruch auf das bayerische Familiengeld. Letzteres diene – anders als die österreichische Sozialleistung – nicht der Existenzsicherung und werde unabhängig vom Einkommen der Eltern gezahlt. Aufgrund dieser Verschiedenheit könne den klagenden Eltern aus Bayern, die in Österreich arbeiten, das bayerische Familiengeld nicht versagt werden. Die FAZ berichtet.

OLG Dresden – militante Antifa/Lina E.: Im Prozess gegen Lina E. und Mitangeklagte wurden Fotos gezeigt, die beweisen sollen, dass Lina E. zum Kopf einer linksextremen Bande gehört. Sie zeigen sie mit dem 2020 untergetauchten Johann G., der nach Auffassung der Behörden ihr Freund und ebenfalls ein Mitglied der Gruppe ist. Die Fotos zeigen ferner den Schriftzug "Nakam", was laut LKA eine Gruppierung sein soll und für "Nazis kaputt machen" stehe. spiegel.de (Wiebke Ramm) berichtet über den Prozesstag.

LG Wuppertal zu Tötung von fünf Kindern: Das Landgericht Wuppertal verurteilte die 28-jährige Mutter Christiane K. wegen des Mordes von fünf ihrer sechs Kinder zu einer lebenslangen Haftstrafe und stellte eine besondere Schwere der Schuld fest. Das Gericht ist überzeugt, dass sie ihre Kinder mit Medikamenten betäubt und anschließend in der Badewanne ertränkt oder erstickt hat. Dabei habe sie aus Rache gehandelt, weil sie zuvor ein Foto ihres Ehemanns mit dessen neuer Freundin gesehen hatte. Christiane K. bestreitet die Tat und ihre Verteidigung will Revision vor dem Bundesgerichtshof einlegen. Es berichten FAZ (Johanna Dürrholz), SZ (Sabine Maguire) und spiegel.de.

LG Neuruppin – KZ-Wachmann Sachsenhausen: spiegel.de (Julia Jüttner) berichtet von einer Zeugenaussage im Prozess zu Josef S., dem als Mitglied einer SS-Einheit im Konzentrationslager Sachsenhausen Beihilfe zum Mord in 3518 Fällen vorgeworfen wird. Der 1929 geborene Holocaust-Überlebende Emil Farkas ist aus Israel angereist und schilderte seine Erlebnisse nach über 75 Jahren erstmals vor Gericht. Er wurde 1944 ins KZ Sachsenhausen deportiert und forderte nun vom 100-jährigen Josef S. eine Entschuldigung, die dieser jedoch versagte.

LG Essen zu Sterbehilfe: Ein ehemaliger Arzt des Universitätsklinikums Essen ist vor dem Landgericht Essen wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt worden, berichtet nun auch LTO. Im November 2020 soll er einem niederländischen Covid-19-Patienten eine tödliche Dosis Kaliumchlorid verabreicht haben, obwohl der Sterbeprozess noch nicht unmittelbar bevorstand. Bei einer Befragung im Klinikum hatte er gesagt, das Leid des Patienten beenden zu wollen.

LG Hamburg – Maskenstreit: Vor dem Landgericht Hamburg hat ein Prozess gegen einen 27-Jährigen begonnen, der wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung angeklagt ist. Er soll einen Passanten mit einem Klappmesser zwei Mal in den Rücken gestochen haben, nachdem dieser ihn gebeten hatte, mehr Abstand zu ihm zu halten und eine Schutzmaske zu tragen. Nach eigenen Angaben hatte der Angeklagte zu viel getrunken und könne sich jetzt an nichts mehr erinnern. spiegel.de berichtet.

StA Frankfurt/Oder – Corona-Ausbruch: Nach einem Corona-Ausbruch mit mehreren Toten in einem Altenheim im brandenburgischen Barnim ist eine Strafanzeige wegen versuchter Körperverletzung mit Todesfolge eingegangen, wozu die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder nun einen Anfangsverdacht prüft. Medien berichteten darüber, dass der Leiter die Einrichtung betreten haben soll, obwohl er positiv auf Corona getestet worden war. Wie genau es zu dem Ausbruch kam, ist jedoch noch unklar. LTO (Pauline Dietrich/Annelie Kaufmann) berichtet.

Dieselskandal/Daimler: Wie die SZ unter Berufung auf die Deutsche Umwelthilfe berichtet, kommt das Gutachten eines Softwareexperten zu dem Ergebnis, dass bei einem Mercedes-E-Klasse-Dieselmodell acht Abschalteinrichtungen die Abgasreinigung im Straßenbetrieb gezielt drosseln. Daimler behauptet, die beschriebenen Funktionen seien keine verbotenen Abschalteinrichtungen. Bisher ist Daimler im Gegensatz zu Volkswagen recht glimpflich durch den Dieselskandal gekommen, doch dieses Ergebnis könnte nach spiegel.de (Frank Dohmen/Gerald Traufetter) allein in Deutschland Einfluss auf rund 15.000 Klagen haben und "der Streitwert schnell eine dreistellige Millionenhöhe annehmen".

Dieselskandal/Audi: Audi sieht sich im Dieselskandal einer möglichen Sammelklage ausgesetzt. Die Verbraucherkanzlei Gansel aus Berlin ruft gemeinsam mit einem Prozessfinanzierer Käufer von Dieselfahrzeugen mit dem Motor V-TDI-Motoren dazu auf, ihre Ansprüche gegen den Automobilhersteller aus Ingolstadt geltend zu machen. Man erhoffe sich bis zu 250.000 Klagen, wobei die Ansprüche allerdings zum Jahresende verjährten. Die

FAZ (Marcus Jung)

berichtet.

Recht in der Welt

Großbritannien – Rassismus: Ein Gericht in London hat am Dienstag einen 52-Jährigen zu zehn Wochen Haft verurteilt, weil er mehrere Spieler der englischen Nationalmannschaft nach der Niederlage im Finale der Fußball-Europameisterschaft auf Facebook rassistisch beleidigt hat. Es berichten die taz und spiegel.de.

Großbritannien – Leichenschändung: In England hat ein 67-jähriger Krankenhaus-Elektriker vor Gericht zwei Sexualmorde gestanden und gab an, über einen Zeitraum von zwölf Jahren hinweg 99 tote Frauen in Leichenhallen sexuell missbraucht zu haben. bild.de berichtet.

USA – Umweltschutz: Die Verfassung des US-Bundesstaats New York soll um das Recht der Bürger auf saubere Luft, sauberes Wasser und eine gesundheitsfördernde Umwelt erweitert werden. Dies ergab ein Referendum am Dienstag, bei dem sich 60,8 Prozent der Wähler:innen dafür aussprachen. Allerdings stimmten nur rund ein Viertel der Einwohner:innen ab. spiegel.de berichtet.

Polen – Verfassungsgericht zu EU-Recht: Auf dem Verfassungsblog unterzieht der Geschichtsprofessor Morten Rasmussen das Urteil des polnischen Verfassungsgerichts, das polnischem Verfassungsrecht Anwendungsvorrang gegenüber EU-Recht einräumte, einer historischen Analyse. Er hebt dabei hervor, dass Polen mit dieser Gangart auch den Binnenmarkt gefährdet. Daher könnte neben dem politischen auch ein von der Industrie ausgehender Druck auf Polen und auf die anderen Regierungen entstehen.

Sonstiges

Sexualstrafrecht: Die taz (Patricia Hecht) beschreibt nach fünf Jahren ausführlich die gesellschaftlichen und juristischen Veränderungen durch die Reform des § 177 Strafgesetzbuch (sexueller Übergriff; sexuelle Nötigung; Vergewaltigung). Dabei werden Resümees von Wissenschaftler:innen, Anwält:inen, Betroffenenorganisationen und des Bundesjustizministeriums eingebunden. Konsens ist, dass die Reform richtig war und positive Effekte zeigt, aber für die Bekämpfung von sexuellem Missbrauch alleine nicht ausreicht.

Das Letzte zum Schluss

Martinsgänse: Gut eine Woche vor dem Martinstag haben Unbekannte in Schnaittenbach, östlich von Nürnberg, 120 Gänse von einem Geflügelhof gestohlen. Die Tiere befanden sich in einem abgegrenzten Freigehege abseits des Hofes. Der Gesamtschaden beläuft sich auf über 20.000 Euro. spiegel.de berichtet.

 

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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/tr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. November 2021: . In: Legal Tribune Online, 05.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46566 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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