Die Ampel will die Epidemische Lage beenden, die CDU/CSU will sie verlängern. Die Beschaffung der Luca-App durch Mecklenburg-Vorpommern war vergaberechtswidrig. Kritik an der Zurückweisung von Asylantragsteller:innen an der Belarus-Grenze.
Thema des Tages
Corona – Epidemische Lage/IfSG: In erster Lesung diskutierte der Bundestag über einen gemeinsamen Gesetzentwurf von SPD, FDP und Grünen zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes. Weil die drei Fraktionen eine Verlängerung der "Epidemischen Lage" über den 25. November hinaus ablehnen und die Bundesländer deshalb die in § 28a Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) normierten Shutdown-Maßnahmen nicht mehr anordnen können, will die Ampel den Ländern stattdessen einen stark reduzierten Instrumentenkasten zur Verfügung stellen, zu dem neben Maskenpflicht, Hygieneregeln und Abstandsgeboten auch 2G-Vorgaben gehören. Die CDU/CSU kritisierte das Auslaufen der "epidemischen Lage". "Den Ländern werden Handlungsoptionen genommen", sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Ralph Brinkhaus. Die Ampel betonte, man sei offen für Vorschläge der Opposition und von Sachverständigen bei einer Anhörung im Hauptausschuss am Montag. Auf jeden Fall will die Ampel noch eine 3G-Regelung für alle Beschäftigten in den Gesetzentwurf einfügen. Der Bundestag will am Donnerstag über das Gesetz abstimmen. Der kommende Kanzler Olaf Scholz (SPD) kündigte ebenfalls für Donnerstag ein Bund-Länder-Treffen mit noch unklarer Agenda an. Es berichten FAZ (Eckart Lohse), SZ (Nico Fried/Cerstin Gammelin), taz (André Zuschlag/Christian Rath) und tagesschau.de (Claudia Kornmeier).
Jasper von Altenbockum (FAZ) interpretiert das Vorgehen von SPD und Grünen als einen Gefallen für die FDP. Scholz Vorgehen, zunächst einen Gesetzesentwurf einzubringen und erst danach mit den Ländern darüber zu beraten, unterstreiche dies. Das Ganze habe viel mit "Berliner Allüren, aber wenig mit schneller Corona-Bekämpfung" zu tun.
Corona – 2G/3G/2G-Plus: Im Zuge der Bundestagsdebatte zum Ende der epidemischen Lage sprach sich Olaf Scholz auch für eine 3G-Regel am Arbeitsplatz aus und zeigte sich zudem aufgeschlossen für eine bundesweite 2G-Regel, etwa in Restaurants. Der Ärzteverband "Marburger Bund" sprach sich im Falle weiter steigender Infektionszahlen für eine "2G-Plus-Regel" aus: Testpflicht auch für Geimpfte und Genesene. Es berichten die SZ (Angelika Slavik), FAZ (Markus Wehner/Heike Schmoll) und spiegel.de.
Eine solche 2G-Plus-Regelung beabsichtigt der Landkreis Bautzen schon jetzt unter dem Schlagwort "1G-Regelung" für den Besuch von Einrichtungen des täglichen Lebens einzuführen. Das Konzept werde derzeit von der Landesregierung geprüft. In Bautzen liegt die Sieben-Tage-Inzidenz bei 769,1. Die taz (Rieke Wiemann) berichtet.
Eine 2G-Plus-Regelung für Arbeitsplätze fordert Christina Kunkel (SZ). Es sei fahrlässig, die "große 2G-Gruppe bei den Tests am Arbeitsplatz außen vor zu lassen".
Corona – Impfpflicht: Wie bild.de berichtet, hat der deutsche Ethikrat der Bundesregierung empfohlen, "unverzüglich" eine gesetzliche Regelung für eine Impfpflicht für einzelne Berufsgruppen zu prüfen "und gegebenenfalls eine praktikable und effektive Umsetzung vorzubereiten". Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) spricht sich in einem Interview mit spiegel.de (Melanie Amann/Cornelia Schmergal) weiterhin dagegen aus, weil er die Sorge habe, "dass wir mit zu viel Druck viele Pflegekräfte verlieren könnten".
Nach Thomas Holl (FAZ) sollte eine Impfpflicht für Pflegepersonal möglichst schnell umgesetzt werden, weil ungeimpfte Pfleger:innen ein potentielles Gesundheitsrisiko darstellten und auch tägliche Tests nicht ausreichten.
In einer Pro- und Contra-Gegenüberstellung in der SZ (Peter Fahrenholz/Christina Berndt) spricht sich Fahrenholz für eine allgemeine Impfpflicht aus und hebt hervor, dass sie im Vergleich zu "all den Einschränkungen, die der Staat seinen Bürgern wegen Corona zugemutet hat", das mildere Mittel sei. Dem hält Berndt entgegen, dass der Staat aufgrund des anfänglichen Versprechens der Regierung, keine Impfpflicht einzuführen, an Vertrauen verlieren würde. Man müsse mit milderen Maßnahmen wie 2G arbeiten.
Rechtspolitik
Ökozid am IStGH: LTO (Franziska Krings) stellt eine Legaldefinition zur Strafbarkeit von Entscheidungsträgern bei Ökoziden vor, die ein unabhängiges Expertengremium im Auftrag der NGO "Stop Ecocide" entworfen hat: Unter Ökozid sollen demnach "rechtswidrige oder willkürliche Handlungen" fallen, "die mit dem Wissen begangen werden, dass dadurch eine erhebliche Wahrscheinlichkeit schwerer und entweder weitreichender oder langfristiger Schäden für die Umwelt besteht". Stop Ecocide strebt einen entsprechenden Straftatbestand im Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) an.
Rüstungsexporte: Im FAZ-Einspruch sprechen sich der Generalsekretär des "European Center for Constitutional and Human Rights" (ECCHR), Wolfgang Kaleck und der Geschäftsführer von "Greenpeace", Roland Hipp, für ein nationales Rüstungsexportkontrollgesetz aus. Bevor es zu einer EU-Verordnung komme, solle Deutschland nationale Standards festlegen, um nicht der Gefahr eines Minimalkonsenses auf europäischer Ebene ausgesetzt zu sein.
Sexualstrafrecht: LTO (Joschka Buchholz) zieht fünf Jahre nach Inkrafttreten der Sexualstrafrechtsreform "Nein heißt Nein" rund um den § 177 Strafgesetzbuch (StGB) Bilanz: Die Reform habe die hohen Erwartungen nicht erfüllt und die Arbeit der Justiz nicht leichter, sondern schwerer gemacht. Gründe seien unter anderem eine niedrige Anzeigenbereitschaft und die schwierige Nachweisbarkeit des entgegenstehenden Willens der Opfer.
Cannabis: Die SZ (Ronen Steinke) sieht die medizinische Bewertung bei der Debatte um die Entkriminalisierung von Cannabis als nachrangig, es gehe bei der Kriminalisierung von Drogen vielmehr um eine selektive Entscheidung der regierenden Milieus. Dieser These folgt ein ausführlicher historischer Abriss über die Hintergründe zur rechtlichen Einstufung diverser Drogen. Schließlich wird die Rationalität der Kriminalisierung von Cannabis in Frage gestellt.
Justiz
OLG Rostock zur Beschaffung der Luca-App: Die Direktvergabe der "Luca-App" durch das Land Mecklenburg-Vorpommern erfolgte nach einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Rostock vergaberechtswidrig, sodass das Land den Vertrag mit dem Hersteller nicht fortführen darf. Eine europaweite Ausschreibung sei zwar aufgrund der Dringlichkeit der Beschaffung einer Kontaktnachverfolgungs-App im März 2021 nicht erforderlich gewesen, jedoch hätten zur Gewährleistung von Wettbewerb mehrere Angebote eingeholt werden müssen. Geklagt hatte ein deutsches Unternehmen, das die "Vida-App" herstellt, die auch über die notwendige Schnittstelle zur elektronischen Datenerfassung durch die Gesundheitsämter verfügt, aber im Auswahlverfahren nicht berücksichtigt wurde. LTO und spiegel.de berichten.
EuGH – Deckelung von Anwaltskosten: In seinem Schlussantrag vor dem Europäischen Gerichtshof bewertete Generalanwalt Campos Sánchez-Bordona § 97a Abs. 3 S. 2 Urheberrechtsgesetz (UrhG), wonach der Streitwert von urheberrechtlichen Verfahren unter bestimmten Voraussetzungen auf 1.000 Euro zu deckeln ist, als europarechtskonform. Die Norm findet nur im Verhältnis zwischen Rechteinhaber:innen und Rechtsverletzer:innen Anwendung. Rechnet die Kanzlei gegenüber den Rechteinhaber:innen ohne Deckelung des Gegenstandswerts ab, kann es daher zu erheblichen Unterschieden bei den Anwaltskosten kommen. Sánchez-Bordona stützt seine Bewertung auf eine Richtlinienregelung, wonach die Prozesskosten in der Regel von der unterlegenen Partei getragen werden müssen. LTO berichtet.
BVerfG – Klimaschutz: Auf dem JuWissBlog kritisiert der Jurastudent und Klimaaktivist Jannis Krüßmann das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich der Bemessung der Emissionen im Klima-Beschluss aus dem März 2021. Das BVerfG habe zwar festgestellt, dass Art. 20a Grundgesetz (GG) "von vornherein eine besondere internationale Dimension" habe, aber dies nicht adäquat umgesetzt: Man hätte neben den von Deutschland verursachten Emissionen auch die importierten Emissionen berücksichtigen und das Fehlen einer entsprechenden Regelung im Klimaschutzgesetz konstatieren müssen.
BSG zu ALG II: Eine Entschädigungszahlung wegen überlanger Gerichtsverfahrensdauer ist nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts kein Einkommen im Sinne des Sozialgesetzbuches II (SGB II), sodass sie nicht bei der Berechnung des Arbeitslosengelds II zu berücksichtigen ist. Die Zahlung diene der Wiedergutmachung der Folgen eines überlangen Verfahrens und mithin nicht demselben Zweck, wie die Leistungen nach dem SGB II, welches für immaterielle Schäden keine Leistungen vorsehe. beck-aktuell (Joachim Jahn) und LTO berichten.
BFH zu Erbschaftsteuer: Auch wer zwischen Juli und November 2016 Privatvermögen geerbt hat, muss darauf nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs Erbschaftsteuer zahlen. Eine Klägerin hatte sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2014 berufen, in der es den Gesetzgeber verpflichtete, Teile des Erbschaftssteuerrechts bis Juni 2016 neu zu fassen, was aber nicht erfolgte. Eine verfassungswidrige Rückwirkung liege jedoch nicht vor, weil das BVerfG damals auch entschied, dass das bisherige Recht bis zur Neuregelung anwendbar bleibe. Die SZ (Stefan Radomsky) berichtet.
VGH BaWü zu Arzneimittel-Automaten: Die Online-Apotheke DocMorris darf nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg keine apothekenpflichtigen Arzneimittel durch Automaten in den Verkehr bringen. Nach den abschließenden Regelungen des Arzneimittelrechts dürfte dies nur in einer Apotheke oder im Wege eines zulässigen Versandes geschehen. Diese Beschränkungen sind laut VGH-BaWü auch unionsrechtskonform. LTO berichtet.
LG Neuruppin – KZ-Wachmann Sachsenhausen: Die Welt (Frederik Schindler) berichtet vom siebten Verhandlungstag des Verfahrens zum KZ-Wachmann Josef Sch., dem vorgeworfen wird, im KZ-Sachsenhausen Beihilfe zum Mord in mehr als 3500 Fällen geleistet zu haben. Bisher hat Sch. sich nicht geäußert, doch sein Verteidiger kündigte an, dass er vermutlich noch eine Erklärung abgeben werde.
LG Lübeck zu Tötung von Einbrecher: Das Landgericht Lübeck hat einen pensionierten Berufssoldaten wegen Totschlags zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt, weil dieser einen flüchtenden Einbrecher mit drei Schüssen tötete. Nach dem Vorsitzenden Richter sei es nicht fernliegend, von Selbstjustiz zu sprechen. Die FAZ berichtet.
StA Leipzig – Gil Ofarim: In einem Interview mit der SZ (Elisa Britzelmeier) beantwortet Rechtsprofessor Frank Saliger Fragen rund um die Ermittlungen gegen Mitarbeiter des Westin-Hotels in Leipzig und gegen den Musiker Gil Ofarim. Selbst wenn sich der von Ofarim behauptete antisemitische Vorfall nicht beweisen lässt, könnte der Musiker nur dann wegen Verleumdung verurteilt werden, wenn der Vorfall "von vorn bis hinten inszeniert" war. Dafür gebe es aber keine Anzeichen. Saliger warnt vor übertriebenen Erwartungen an die Fähigkeit der Justiz, "die Wahrheit" festzustellen.
Recht in der Welt
Polen/Belarus – Migrant:innen: Auf dem Verfassungsblog legt die belgische Post-Doktorandin Joyce De Coninck dar, warum Polen mit dem Verhindern der Grenzüberschreitung von Migrant:innen an der Grenze zu Belarus gegen den "Grundsatz der Nichtzurückweisung" verstößt. Danach dürfen EU-Staaten Personen aus Drittstaaten nicht abschieben oder zurückweisen, wenn ihnen Verfolgung oder Misshandlung droht. Dies erfordere ein Verfahren zur Prüfung des Einzelfalls, was aber bei der "automatischen" Rückführung nach Belarus nicht gegeben sein könne.
EU/Polen – Abtreibungsverbot: Das EU-Parlament hat Polen in einer mit großer Mehrheit verabschiedeten Resolution dazu aufgefordert, das seit rund einem Jahr geltende sehr weitgehende Abtreibungsverbot aufzuheben. Das Verbot stelle eine Verletzung der Menschenrechte und eine Form geschlechtsspezifischer Gewalt dar. Nach dem Tod einer Schwangeren hatten zuletzt zehntausende Menschen in Polen gegen die restriktiven Gesetze demonstriert. zeit.de und spiegel.de berichten.
Polen – Justizreform: In der SZ schildert Dariusz Mazur, Strafrichter am Bezirksgericht in Krakau, ausführlich und übersichtlich die Gleichschaltung der polnischen Justiz durch die PiS-Regierung. Trotz der jüngsten Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs würden polnische Richter:innen, die EU-Recht anwenden, weiterhin mit Disziplinar- und Strafverfahren überzogen. Von der EU-Kommission fordert er weitere Vertragsverletzungsverfahren "gegen" den neu besetzten Landesjustizrat, "gegen" den neu besetzten Verfassungsgerichtshof und "gegen" eine Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft, die ohne wirklichen Grund Richter verfolge.
Großbritannien – Google: Der Supreme Court in Großbritannien wies am Mittwoch eine Sammelklage gegen Google ab, die zu einer milliardenschweren Schadensersatzzahlung an Smartphone-Nutzer:innen wegen eines Kontrollverlustes über personenbezogene Daten hätte führen können. Die FAZ (Marcus Jung) berichtet.
Türkei – Frau von Kurden-Politiker: Wie SZ berichtet, wurde die Ehefrau des wegen angeblicher Terrorismus-Unterstützung inhaftierten türkischen Kurden-Politikers Selahaddin Demirtaş wegen Urkundenfälschung zu mehr als zweieinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte geurteilt, dass der Kurden-Politiker sofort freikommen müsse.
USA – Alec Baldwin: Nach dem tödlichen Schuss an einem Filmset ist der Schauspieler Alec Baldwin nun vom Chefbeleuchter vor einem Gericht in Los Angeles verklagt worden. Der Beleuchter machte geltend, er habe seelische Schäden dadurch erlitten, dass Baldwin am 21. Oktober während der Dreharbeiten zu einem Western fahrlässig eine Kamerafrau erschossen hat, als er bei einer Probe eine Requisitenwaffe abfeuerte. spiegel.de berichtet.
USA – Verseuchtes Trinkwasser: Nach einem Vergleich, dem ein US-Bundesgericht am Mittwoch zustimmte, erhalten zahlreiche Opfer Schadensersatz in Höhe von insgesamt 540 Millionen Euro vom Bundesstaat Michigan. Die Industriestadt Flint hatte 2014 das Wasser für etwa 80 000 Bewohner aus Kostengründen aus dem Flint River aufbereitet, anstatt wie zuvor aus dem Lake Huron. Infolge der Umstelltung starben zwölf Menschen, fast 90 erkrankten schwer. Die FAZ (Christiane Heil) und spiegel.de berichten.
Sonstiges
Corona – Strafbarkeit von Pflegepersonal: Die SZ (Nina von Hardenberg/Ronen Steinke) geht der Frage nach, ob sich Pfleger:innen strafbar machen, wenn sie das Coronavirus in Heime einschleppen. Einschlägig könnten zwar unter Umständen die Tatbestände der fahrlässigen Tötung oder auch die Körperverletzung mit Todesfolge sein, weil die Gefahr, sich mit Corona anzustecken, kein allgemeines Lebensrisiko sei. Allerdings sei das Infizieren durch eine bestimmte Person – anders als etwa bei HIV – nur äußerst schwer nachzuweisen.
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Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.
lto/tr
(Hinweis für Journalist:innen)
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Die juristische Presseschau vom 12. November 2021: . In: Legal Tribune Online, 12.11.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46632 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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