Auch in Bayern gibt es jetzt Ermittlungen gegen die Letzte Generation als kriminelle Vereinigung. Das BVerfG hat die Wiederaufnahme im Fall Möhlmann und das Doppelverfolgungsverbot verhandelt. Tübingen darf eine Verpackungssteuer erheben.
Thema des Tages
"Letzte Generation" als kriminelle Vereinigung: In sieben Bundesländern hat die bayerische Justiz Wohnungen von Mitgliedern der "Letzten Generation" durchsuchen lassen. Außerdem wurden Konten und die Webseite der Organisation beschlagnahmt. Die Maßnahmen wurden angeordnet im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens in Bayern, das die Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus (ZET) bei der Generalstaatsanwaltschaft München führt. Es bestehe der Verdacht, dass insgesamt sieben Beschuldigte im Alter von 22 bis 38 Jahren eine kriminelle Vereinigung im Sinne des § 129 StGB gebildet und unterstützt haben sollen. Die Beschuldigten sollen eine Spendenkampagne zur Finanzierung weiterer Straftaten für die Letzte Generation organisiert und so mindestens 1,4 Millionen Euro eingesammelt haben. Zwei der Verdächtigen sollen zudem im April 2022 versucht haben, die Öl-Pipeline Triest-Ingolstadt zu sabotieren. Es berichten FAZ (Markus Wehner), SZ (Christoph Koopmann/Ronen Steinke), taz (Jannik Grimmbacher/Konrad Litschko), tagesschau.de (Christoph Kehlbach/Kolja Schwartz), spiegel.de (Jan Friedmann), spiegel.de (Wolf Wiedmann-Schmidt) und LTO. Zeitweise hatte die Staatsanwaltschaft auf der Homepage der Letzten Generation einen Warnhinweis platziert: "Die Letzte Generation stellt eine kriminelle Vereinigung gemäß § 129 StGB dar!". Nach kritischen Fragen löschte die Behörde die vorverurteilende Angabe wieder, berichtet LTO (Luisa Berger/Markus Sehl/Felix W. Zimmermann).
Rechtsanwältin Gül Pinar zeigt sich im Interview mit spiegel.de (Malte Göbel) überzeugt, dass der Tatbestand des § 129 StGB erfüllt ist, wenn es um die Sabotage von industriellen Anlagen geht, nicht aber bei jenen Klimaaktivist:innen, die nur demonstrieren und öffentlich ihre Meinung kundtun. Auch bei der Nötigung durch Festkleben könne die Erheblichkeitsschwelle überschritten sein. Die Juristin vermutet jedoch, dass es den Strafverfolgungsbehörden nicht um die Bestrafung gehe, sondern um die Ermittlungsbefugnisse, die § 129 StGB eröffne. Auch der von der taz (Erik Peter) befragte Anwalt Lukas Theune sieht das ähnlich. Die FAZ (Timo Frasch) stellt den Münchener Generalstaatsanwalt Reinhard Röttle vor, der auch schon zu den Masken-Deals in der CSU ermittelt hatte.
Ronen Steinke (SZ) hält § 129 StGB, den "Anti-Mafia-Paragraf", für ein Ärgernis. Der Staat dürfe danach schon Delikte, die lediglich mit einer Höchststrafe von zwei Jahren bedroht sind, willkürlich als "organisiertes Verbrechen" werten. Es sei ein potenziell uferloser Paragraf, der zum Missbrauch einlade, kritisiert Steinke. Erik Peter (taz) hält den Vorwurf, die Aktivisten der "Letzten Generation" gefährdeten die öffentliche Sicherheit, für absurd. Die Letzte Generation agiere öffentlich statt klandestin, friedlich statt militant und für ein demokratisches, nicht autoritäres Anliegen. Anders sieht das Reinhard Müller (FAZ). Angesichts des professionellen Vorgehens der Letzten Generation sei der Verdacht einer kriminellen Vereinigung nie fernliegend gewesen, so Müller. Es gehe nicht um eine pauschale Kriminalisierung von Protesten gegen die Klimapolitik, sondern um die Durchsetzung des Rechts. Auch Peter Huth (Welt) begrüßt es, dass "die Mitglieder der Letzten Generation nun endlich als das behandelt werden, was sie sind – organisierte Straftäter". Das sei ein spätes, aber absolut korrektes Vorgehen des Staates.
Rechtspolitik
Jumiko: Einen Ausblick auf die am heutigen Donnerstag beginnende Justizministerkonferenz gibt die SZ (Constanze von Bullion). Bei dem zweitägigen Treffen gehe es u.a. um zusätzlichen Personalbedarf der Länderjustiz für die Bekämpfung von Hass im Netz, eine Bestrafung der Förderung sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in Institutionen sowie die aus Hamburg kommende Forderung, dass das BMJ die Reform des Mietrechts endlich anpacken möge.
Geschlechtliche Selbstbestimmung: Die Kultusministerkonferenz befasst sich mit der Frage, ob Jugendliche ihren Geschlechtseintrag ändern könnten, nur um im Sportunterricht eine bessere (Abitur-)Note zu erzielen. Dies gelte zwar als unwahrscheinlich, ausgeschlossen sei es aber nicht. Die FAZ gibt einen Überblick über den Diskussionsstand aller Bundesländer.
Steuerberater und Rechtsanwälte: Bundesjustizminister Marco Buschmann und Bundesfinanzminister Christian Lindner (beide FDP) haben sich mit einem Brief an die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gewandt, um auf die aus ihrer Sicht ungerechtfertigte Differenzierung zwischen Rechtsanwält:innen und Steuerberater:innen aufmerksam zu machen. Bei den Verhandlungen zu mehreren Rechtsakten habe sich gezeigt, dass zwischen den Beteiligten kein einheitliches Verständnis der Rechtsberufe herrsche, zitiert die FAZ (Manfred Schäfers) aus dem Schreiben. Vor dem Hintergrund teilweise identischer Tätigkeiten dürfe es nicht zu ungerechtfertigten Differenzierungen kommen, mahnen die Minister.
Justiz
BVerfG – Wiederaufnahme: Das Bundesverfassungsgericht hat über die 2021 geschaffene Neuregelung des § 362 Nr. 5 StPO verhandelt, Danach ist die Wiederaufnahme eines Strafprozesses zuungunsten eines Freigesprochenen möglich, wenn es neue dringende Beweise gibt und es um den Vorwurf des Mordes oder eines völkerrechtlichen Verbrechens geht. Anlass des Gesetzes war der Fall Frederike von Möhlmann, die 1981 vergewaltigt und getötet wurde. Gegen den damals freigesprochenen Angeklagten Ismet H. wurde nach der Gesetzesneufassung der Prozess wiederaufgenommen, weil neu ausgewertete DNA-Spuren erneut auf seine Täterschaft hinwiesen. H. hat hiergegen Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil vor allem das Verbot der Doppelverfolgung in Art. 103 Abs. 3 GG verletzt sei. Verteidiger der Neuregelung wägten das Justizprozessrecht dagegen mit anderen Verfassungswerten ab, insbesondere mit dem Streben nach materieller Gerechtigkeit und dem Anspruch auf ein effizientes Strafverfahren. Sie halten die Neuregelung für verhältnismäßig und verweisen auf die bereits bestehenden Möglichkeiten einer Wiederaufnahme zulasten des Beschuldigten in § 362 Nr. 1 bis 4 StPO. Die Anwendung der Neuregelung auf Altfälle könnte laut Verfassungsbeschwerde auch gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen. FAZ (Marlene Grunert), SZ (Wolfgang Janisch), Welt (Hannelore Crolly), taz (Christian Rath), tagesschau.de (Max Bauer) und LTO (Hasso Suliak) berichten über die Verhandlung.
Das Bundesverfassungsgericht sollte den Grundsatz "ne bis in idem" nicht aufweichen, meint Wolfgang Janisch (SZ) in einem separaten Kommentar. Rechtsstaat bedeute, dass der Hoheitsgewalt klare Grenzen gesetzt werden, zumal dort, wo sie so tief in das Leben eingreife wie nirgends sonst – mit lebenslangen Freiheitsstrafen. "Der Justiz nur einen Versuch zu gewähren", sei eine weise Regel.
BVerwG zu Tübinger Verpackungssteuer: Tübingen darf eine Verpackungssteuer auf Einwegbecher und Essensverpackungen erheben, hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. Es geht um 50 Cent beziehungsweise 20 Cent, die Tübinger Verkäufer von Speisen und Getränken für Einweggeschirr, Einwegverpackungen und Einwegbesteck zahlen müssen. Nach Überzeugung des BVerwG habe die Stadt die Kompetenz, eine solche Steuer zu erheben. Weil Speisen zum Mitnehmen "typischerweise" sehr bald gegessen würden und damit meist im Gemeindegebiet blieben, handele es sich um eine örtliche Verbrauchssteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a GG. FAZ (Katja Gelinsky) und LTO berichten.
EuG zu "Emmentaler Käse": Das Gericht der Europäischen Union hat einen besonderen Schutz von Emmentaler Käse abgelehnt. Emmentaler Käse werde von vielen Verbrauchern als Käsesorte und nicht als geschützte Herkunftsbezeichnung verstanden, so das EuG in seiner Ablehnung einer Beschwerde der Schweizer Branchenorganisation Emmentaler Switzerland, die erreichen wollte, dass nur der entsprechende Käse aus der Schweizer Region so bezeichnet werden darf. SZ (Isabell Pfaff), spiegel.de und LTO berichten.
LG Dortmund - Spielervermittler: Das Landgericht Dortmund hat dem Fußball-Weltverband FIFA und dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) per einstweiliger Verfügung untersagt, das neue Regelwerk für Spielervermittler "in irgendeiner Form durchzusetzen, umzusetzen oder anzuwenden". Es liege ein Verstoß gegen das Kartellverbot vor. Außerdem werde der Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts gestört. Das neue Fifa-Regelwerk war am 9. Januar in Kraft getreten. Es sieht unter anderem Provisionsobergrenzen und eine Unterwerfung der Spielervermittler unter die Sanktionsgewalt der Verbände vor. Es berichtet die SZ.
LG Dresden – Einbruch ins Grüne Gewölbe: Nachdem alle Verurteilten im Verfahren um den Einbruch in das Grüne Gewölbe in Dresden Revision gegen die Entscheidung des LG Dresden eingelegt haben, wird sich jetzt der Bundesgerichtshof mit dem spektakulären Juwelendiebstahl befassen, teilt die SZ mit.
Die Zeit (Martin Machowecz) dokumentiert ein Pro und Contra zwischen dem früheren sächsischen Justizminister Geert Mackenroth und dem Berliner Oberstaatsanwalt Ralph Knispel zu der Frage, ob der Deal mit den Juwelendieben – Strafnachlass gegen Beute – richtig war. Mackenroth bejaht dies. Denn die Verständigung habe zu zwei guten Ergebnissen geführt: Die Täter hätten hohe Haftstrafen erhalten und zugleich habe Sachsen einen großen Teil des geraubten Schatzes zurückbekommen. Knispel dagegen zweifelt daran, dass hier der Rechtsstaat wirklich gewonnen habe, er befürchtet, dass Kriminelle, gerade Angehörige von organisierter Kriminalität und Clans, sich künftig erst recht denken: Wir können uns hier ziemlich viel erlauben.
BAG – Massenentlassungsanzeigen: Über eine mögliche Änderung der Rechtsprechung zu den Auswirkungen einer fehlerhaften Massenentlassungsanzeige, schreibt die Rechtsanwältin Anne Dziuba im Expertenforum Arbeitsrecht. Danach könnten Kündigungen, bei denen fehlerhaft die Massenentlassungsanzeige unterblieben ist oder fehlerhaft erstattet wurde, künftig wirksam bleiben, weil die Sanktion unverhältnismäßig wäre. Das BAG hat ein entsprechendes Verfahren ausgesetzt, um eine EuGH-Entscheidung zu der Frage abzuwarten, ob die EU-Massenentlassungs-Richtlinie drittschützend ist.
OLG Koblenz – Umsturzpläne/Vereinte Patrioten: Im Prozess gegen fünf Angeklagte, die den Kern der dem Reichsbürger-Milieu entstammenden extremistischen Gruppe "Vereinte Patrioten" bilden, hat sich einer der Angeklagten ausschweifend zu seinem Leben und seiner Motivation geäußert. Er sei kein Rechtstextremist und kein Reichsbürger, sondern ein "Russlandfreund". Er habe sich wegen der Diskriminierung Ungeimpfter und der drohenden Zwangsimpfung radikalisiert. Ziel sei ein unblutiger Regierungswechsel gewesen, wie beim Mauerfall in der DDR. taz (Christoph Schmidt-Lunau) und spiegel.de (Julia Jüttner) berichten.
OLG Dresden – militante Antifa/Lina E.: Linksextremist:innen haben für den Fall einer Verurteilung der militanten Antifa-Gruppe um Lina E. zu Ausschreitungen aufgerufen. Für jedes Jahr Haft solle es eine Million Sachschaden geben. Die Zeit (Mascha Malburg/Martin Nejezchleba) hat aus diesem Anlass mit Szene-Angehörigen gesprochen, die die Gewalt rechtfertigen, und mit Verfassungsschützern, die vor Feindeslisten der Linksradikalen warnen.
spiegel.de (Wiebke Ramm) blickt auf den letzten Prozesstag zurück. Die Verteidigung forderte weitgehende Freisprüche für die Angeklagten.
LG Stuttgart - Polizeiinspekteur Renner: Die SZ (Annette Ramelsberger) fasst in einer Seite 3-Reportage den Verlauf des Prozesses gegen den baden-württembergischen Polizeiinspekteur Andreas Renner zusammen, dem die Staatsanwaltschaft die sexuelle Nötigung einer Kriminalhauptkommissarin unter Ausnutzung seiner Machtstellung vorwirft. Die Verteidigung argumentiert, die Kommissarin habe sich "bewusst ältere, höhergestellte Männer gesucht, um die Kontakte zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen". Die Anklage verweist darauf, dass Renner immer wieder Affären mit aufstiegorientierten jungen Polizistinnen begonnen habe. Auch wenn es zu einem strafrechtlichen Freispruch kommen könne, sei Renners Polizeikarriere zurecht beendet, so die SZ. Das Urteil soll im Juni verkündet werden.
LG Karlsruhe – Radio Dreyeckland: Dass die Staatsanwaltschaft Karlsruhe gegen den Beschluss des Landgerichtes Karlsruhe, die Anklage gegen einen Journalisten des freien Senders "Radio Dreyeckland" nicht zuzulassen, Beschwerde eingelegt hat, berichtet jetzt auch netzpolitik.org (Daniel Leisegang) und fasst dabei noch einmal das bisherige Verfahren zusammen.
VG Minden zu Impfschaden bei Lehrerin: Corona-Impfschäden bei einer Lehrerin gelten nicht als Dienstunfall, hat das Verwaltungsgericht Minden entschieden. Der Dienstherr habe die Impfung nicht angeordnet und das private Interesse an einem frühen Impfschutz habe überwogen, so das Gericht. LTO berichtet.
AG Leipzig – Melanie Müller: Weil sie auf der Bühne mehrfach den Hitlergruß gezeigt haben soll, ist gegen die Schlagersängerin Melanie Müller Anklage wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen erhoben worden. Die 34-Jährige hatte die Vorwürfe bestritten und jede Nähe zu Rechtsradikalen von sich gewiesen. Mit der umstrittenen Armbewegung habe sie das Publikum anheizen wollen, so ihre Argumentation laut spiegel.de. Auch die SZ (Tobias Bug) schreibt über die Vorwürfe gegen Müller.
EGVP: Der Deutsche Anwaltverein hat laut LTO die Justiz aufgefordert, technische Ausfälle der Elektronischen Gerichts- und Verwaltungspostfächer zu dokumentieren. Es sei leider nicht davon auszugehen, dass die bloße anwaltliche Versicherung oder die eigene Störungshistorie einem Gericht als Nachweis genügten, so der DAV. Ein solcher sei aber notwendig, wenn beispielsweise ein Wiedereinsetzungsgesuch begründet oder eine Glaubhaftmachung nach § 130d ZPO erbracht werden soll.
Recht in der Welt
Slowakei – Mord an Jan Kuciak: In der vergangenen Woche hat das Sondergericht für organisierte Kriminalität in Pezinok im Prozess um die mutmaßlichen Hintermänner des Mordes am Journalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová ein Urteil gefällt. Dabei wurde der Geschäftsmann Marián Kočner freigesprochen, während seine Vertraute Alena Zsuzsová zu einer 25jährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Sie habe den Mord ohne sein Wissen in Auftrag gegeben. Es ist damit zu rechnen, dass auch dieses Urteil vor dem Obersten Gericht landen wird. Kočner sitzt wegen anderer Delikte bereits in Haft. Die FAZ (Stephan Löwenstein) berichtet.
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LTO/pf/chr
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Die juristische Presseschau vom 25. Mai 2023: . In: Legal Tribune Online, 25.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51852 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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