Die juristische Presseschau vom 6. Oktober 2022: BGH zu Ver­jäh­rung bei Miet­schäden / BGH zu Siche­rungs­ver­wah­rung / Pro­zess­be­ginn zu LKW-Kar­tell

06.10.2022

Die Verjährung für Mietschäden läuft erst ab dem Auszug der Mieter:innen. Zulässiges Verteidigungsverhalten von Angeklagten darf nicht zu Sicherungsverwahrung führen. Am LG München I klagt ein Inkassounternehmen gegen die Mitglieder des einstigen LKW-Kartells. 

Thema des Tages

BGH zu Verjährung bei Mietschaden: Nach einer Revisionsentscheidung des Bundesgerichtshofs kann ein Wasserschaden, der durch von Mieter:innen nicht fachgerecht verlegte Fliesen entstanden ist, nicht verjähren, solange die Mieter:innen noch in der Wohnung leben. Dies gilt auch dann, wenn zwischen dem Verlegen der Fliesen und dem Auftreten des Wasserschadens mehr als 30 Jahre liegen. Der Anspruch der Vermieter:innen verjähre vielmehr erst sechs Monate nach Beendigung des Mietverhältnisses, weil die Vermieter:innen die Mietsache erst nach Auszug der Mieter:innen gründlich prüfen können. spiegel.de berichtet.

Rechtspolitik

Digitale Dienste/Urheberrecht: Auf dem Verfassungsblog unternehmen die Habilitandin Viktoria Kraetzig und der wissenschaftliche Mitarbeiter Jannis Lennartz (in englischer Sprache) eine rechtspolitische Einordnung der neuen EU-Verordnung für digitale Dienste (Digital Services Act) und der EU-Richtlinie zum Urheberrecht im digitalen Binnenmarkt (Digital Single Market), die eine algorithmische Filterung der sozialen Netzwerke auf Grundrechtsverstöße voraussetzen. Selbst wenn technisch eine automatische Grundrechtsabwägung vorgenommen werden könnte, sei eine vollständige Rechtsdurchsetzung nicht wünschenswert, weil die technische Unterdrückung von Regelverstößen in einer liberalen Demokratie kaum ein Gewinn an Freiheit sei.

Justiz

BGH zu Sicherheitsverwahrung: Wenn ein Angeklagter zu seiner Verteidigung die vorgeworfenen Taten leugne, bagatellisiere oder einem anderen die Schuld zuschiebe, darf dies bei der Entscheidung über die Anordnung von Sicherheitsverwahrung nicht gegen den Angeklagten verwendet werden, urteilte der Bundesgerichtshof. Zulässiges Verteidigungsverhalten dürfe weder "hangbegründend noch als Anknüpfungspunkt für die Gefährlichkeit des Angeklagten verwertet werden". Das Landgericht Bochum muss nun neu über die Sicherungsverwahrung für einen Mann befinden, dem mehr als 400 Missbrauchstaten vorgeworfen wurden und der zu insgesamt neun Jahren Haft verurteilt worden war. Die FAZ berichtet.

LG München I – LKW-Kartell: Das Inkasso-Unternehmen financialright claims klagt gegen die Teilnehmer eines LKW-Kartells auf eine halbe Milliarde Euro Schadensersatz. Vor dem Landgericht München I hat jetzt der Prozess begonnen. financialright claims klagt die abgetretenen Ansprüche der Käufer von zehntausenden LKW ein, die überhöhte Preise geltend machen. Im Erfolgsfall erhält das klagende Inkassounternehmen rund 33 Prozent Provision. Eine ähnliche Klage war im Februar noch gescheitert, weil das LG München I die Aktivlegitimation des Inkasso-Unternehmens verneinte. Inzwischen hat der Bundesgerichtshof jedoch im Juni eine von einem Inkassounternehmen gebündelte Sammelklage von Dieselauto-Käufer:innen gegen den Volkswagen-Konzern zugelassen. Der BGH stellte dabei klar, dass weder die Bündelung von Forderungen mit unterschiedlichen Erfolgsaussichten noch die Einbindung eines Prozessfinanzierers per se einen erheblichen Interessenkonflikt begründen. LTO berichtet.

LG München I – Alfons Schuhbeck: Vor dem Landgericht München I hat jetzt der Strafprozess gegen den Starkoch Alfons Schuhbeck wegen Steuerhinterziehung begonnen. Der 73-Jährige soll zwischen 2009 und 2016 in 25 Fällen unter anderem mithilfe eines Computerprogramms Steuergelder in Höhe von 2,3 Millionen Euro am Finanzamt vorbeigeschleust haben. Der mitangeklagte Entwickler des Programms hat am ersten Prozesstag ein Geständnis abgelegt und Schuhbeck schwer belastet. Es berichten SZ (Susi Wimmer), Hbl (Hans-Jürgen Jakobs), bild.de (Andreas Bachner) und spiegel.de.

LG Hagen zu weglaufenden Polizistinnen: Das Landgericht Hagen hat zwei Polizistinnen, die ihre Kollegen bei einer Schießerei im Mai 2020 im Stich gelassen haben, in der Berufungsverhandlung nur noch zu je vier Monaten Haft auf Bewährung wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung im Amt durch Unterlassen verurteilt und damit die Strafen des erstinstanzlichen Urteils um jeweils acht Monate reduziert. Während das erste Urteil noch zwingend das Ausscheiden aus der Polizei nach sich gezogen hätte, bleiben die dienstrechtlichen Konsequenzen jetzt einem Disziplinarverfahren vorbehalten. SZ (Christian Wernicke), spiegel.de und LTO berichten.

LG Berlin – Mord/Familienfehde: Vor dem Landgericht Berlin hat ein Prozess gegen drei Männer wegen gemeinschaftlichen Mords begonnen, die einen 42-Jährigen vor einem Lokal im Stadtteil Wedding erschossen haben sollen. Vorausgegangen war eine über zehn Jahre andauernde Fehde zwischen zwei bosnischen Roma-Familien mit Drohungen, Blutracheschwüren und verschiedenen Friedensrichtern. spiegel.de und Berliner Kurier berichten.

GenStA Berlin – RBB/Untreue: Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin ermittelt jetzt auch gegen den RBB-Verwaltungsdirektor Hagen Brandstäter und die Juristische Direktorin Susann Lange. Es besteht der Verdacht der Untreue und Beihilfe zur Untreue bei der Einführung eines variablen Vergütungssystems und Gehaltfortzahlungen an Mitarbeiter, die keine Beschäftigung mehr ausübten. Der Tsp (Joachim Huber) berichtet.

Wahlen vor Gericht: Bundesverfassungsrichter Peter Müller hat die Mandatsverteilung nach dem Bundeswahlgesetz kritisiert, die mittlerweile ein Maß an Komplexität erreicht habe, "das für den Normalbürger aus meiner Sicht nicht mehr durchschaubar ist." Zurzeit läuft am BVerfG ein abstraktes Normenkontrollverfahren gegen das Bundeswahlgesetz. Außerdem bezeichnete Müller die Umstände bei der Berliner Wahl zum Abgeordnetenhaus und zum Bundestag als "einmalig gelagerten Fall". Und weiter: "So was hätte man sich vor einigen Jahrzehnten vorstellen können in irgendeinem diktatorischen sogenannten Entwicklungsland, aber doch nicht mitten in Europa, mitten in Deutschland." Dies meldet die FAZ (Anna-Sophia Lang/Reinhard Müller)

Recht in der Welt

Polen - Reparationsforderungen: Ronen Steinke (SZ) stellt fest, dass Polen 1953 und spätestens 1990 wirksam auf deutsche Kriegsreparationen verzichtet hat. Dieser Verzicht gelte fort, auch wenn er einst auf russischem Druck beruhte. Deshalb sei Deutschland aber sehr billig weggekommen. Es wäre angemessen, wenn Deutschland nun freiwillig Opfer und Angehörige entschädigen würde.

USA – Twitter/Musk: Elon Musk hat angekündigt, Twitter nun doch zum ursprünglichen Preis von 54,20 Dollar pro Aktie kaufen zu wollen. Damit könnte er den für Mitte Oktober angesetzten Prozess am Court of Chancery in Delaware, in dem Twitter ihn zur Durchführung der Übernahme zwingen wollte, womöglich vermeiden. Musk hat eine Anordnung des Ruhens des Verfahrens durch das Gericht zur Bedingung für den Vollzug der Übernahme gemacht. Das Gericht seinerseits hat die Parteien aufgefordert, einen Plan zu erarbeiten, wie die juristische Auseinandersetzung zu einem Ende gebracht werden kann. Es berichten SZ (Simon Hurtz), FAZ (Roland Lindner), Hbl (Felix Holtermann/Thomas Jahn), taz (Johannes Drosdowski), Welt (Stefan Beutelsbacher), LTO (Stefan Schmidbauer) und zeit.de.

Jannis Brühl (SZ) kommentiert, dass Musk "ausgerechnet in den vergleichsweise profillosen Managern von Twitter" seinen Meister gefunden habe, die den Kaufvertrag wasserdicht abgeschlossen hätten

USA – Trump/Dokumente: Die Anwält:innen von Donald Trump halten das Berufungsgericht von Atlanta nicht für zuständig, um über die Auswertung von Regierungs-Dokumenten zu entscheiden, die in einem Anwesen von Trump gefunden wurden. So argumentierte Trumps Team in seinem Antrag zum US-Supreme Court. In erster Instanz hatte eine einst von Trump eingesetzte Richterin schon zu Trumps Gunsten entschieden und die Durchsicht der Dokumente unter Berufung auf das Exekutivprivileg des US-Präsidenten nur durch einen neutralen Sonderprüfer und nicht durch das Justizministerium zugelassen. Bis zum 11. Oktober muss der Supreme Court entscheiden, ob er den Fall annimmt. SZ (Christian Zaschke), FAZ (Sofia Dreisbach) und LTO berichten

USA – Providerhaftung: Wie netzpolitik.org (Tomas Rudl) berichtet, wird der US-Supreme Court in den kommenden Monaten zwei netzpolitisch wegweisende Fälle behandeln, wobei es im Kern um die Frage geht, ob Online-Dienste wie Youtube oder Facebook direkt für die Inhalte Dritter verantwortlich gemacht werden können. Bisher stellt das sogenannte Providerprivileg Online-Anbieter von der unmittelbaren Haftung frei, sie müssen zunächst auf eine Rechtsverletzung hingewiesen werden.

Sonstiges

Public-Value-Liste: Auf LTO berichten die Rechtsanwälte Dieter Frey und Hanno Magnus über die im Medienstaatsvertrag vorgesehene und nun von den Landesmedienanstalten herausgegebene Public-Value-Liste, auf der Programmangebote gelistet sind, die auf Benutzeroberflächen künftig leicht auffindbar sein müssen. Der Privatfernsehsender Bild-TV sei etwa als "wertvoll" eingestuft worden. Frey und Magnus geben Hintergründe zum Prozedere des Sender-Rankings und markieren absehbare rechtliche Probleme wie das Verhältnis zu privatrechtlich vereinbarten Top-Platzierungen.

Projekte und Rechtsform: Auf LTO thematisiert die wissenschaftliche Hilfskraft Felix Flaig die Rechtsform von aktivistischen Crowdfunding-Projekten wie dem "Freiheitsfonds", der Personen aus der Ersatzfreiheitsstrafe befreit, indem er ihre Geldstrafen bezahlt. Hier bestehe große Intransparenz, die Spender:innen müssten auf die Lauterkeit der Verantwortlichen vertrauen. Der Anreiz, einen Verein zu gründen, sei aber gering, weil dieser zu politisch wäre, um gemeinnützig sein zu können. 

Das Letzte zum Schluss

Nachts im Supermarkt: Ein Einbrecher hat sich in einem Supermarkt in Bremen versteckt und einschließen lassen. Er füllte zwei Einkaufstaschen mit Tabakwaren und scheiterte dann allerdings daran, die Tür mit einer Holzlatte aufzuhebeln und auszubrechen. Die Alarmanlage löste aus und die Polizei konnte den Mann sowohl  befreien als auch widerstandslos festnehmen. Die SZ berichtet.

 

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LTO/tr

(Hinweis für Journalist:innen)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 6. Oktober 2022: . In: Legal Tribune Online, 06.10.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49806 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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