Die EU-Kommission hat den Bericht über die Rechtstaatlichkeit in der EU vorgestellt. Nach der BGH-Entscheidung über Maskendeals soll der Tatbestand der Abgeordnetenbestechung verschärft werden. Das BSG belässt Hartz IV-Empfängern Trinkgeld.
Thema des Tages
EU-Rechtsstaatlichkeit: Die EU-Kommission stellt in ihrem jährlichen Bericht über die Rechtstaatlichkeit in Europa systemische Rechtsstaatsdefizite in Polen und Ungarn fest. So bestünden bezüglich der Unabhängigkeit der polnischen Justiz weiterhin ernste Bedenken, berichten FAZ (Thomas Gutschker), SZ (Cathrin Kahlweit/Josef Kelnberger) und Welt (Philipp Fritz). Für Deutschland fordert die EU-Kommission eine bessere Bezahlung der Richterschaft. Mit Blick auf die bevorstehende Pensionierung vieler Richter:innen gehe es auch um die Attraktivität des Berufs, zitiert LTO (Hasso Suliak) aus dem Bericht. Außerdem, so zeit.de, solle Deutschland beim Vorgehen gegen den unzulässigen Einfluss von Lobbyist:innen nachbessern. Der Bundestag müsse zum Beispiel die Vorschriften gegen den sogenannten Drehtüreffekt – also den Wechsel von Politiker:innen in die Wirtschaft – verschärfen, schreibt die Kommission. Grundsätzlich aber stelle die EU-Kommission dem Rechtsstaat in Deutschland ein gutes Zeugnis aus. Die Unabhängigkeit der Justiz werde weiter als sehr hoch wahrgenommen und Deutschland genieße ein hohes Maß an Medienfreiheit und -vielfalt. Mehr Konsequenzen aus dem Rechtsstaatsbericht fordern einige EU-Abgeordnete, schreibt die taz (Eric Bonse). Bei Verstößen müsse es Finanzsanktionen geben.
Die Mitgliedschaft in der EU bedeute mehr als die Übernahme europäischen Rechts, kommentiert Reinhard Müller (FAZ). Die EU dürfe im Kampf um die Rechtsstaatlichkeit, die ein Kampf aller Mitglieder sein sollte, nicht nachlassen. Das sei wichtig nach innen, aber auch nach außen.
Rechtspolitik
Abgeordnetenbestechung: Nachdem der Bundesgerichtshof festgestellt hat, dass mit den so genannten Maskendeals der CSU-Abgeordneten Georg Nüsslein und Alfred Sauer der Tatbestand der Bestechlichkeit von Abgeordneten nicht erfüllt war, soll § 108e StGB nachgeschärft werden. Vertreter der Ampelkoalition hätten einen entsprechenden Gesetzentwurf angekündigt, schreiben taz (Christian Rath) und LTO (Hasso Suliak). Auch Transparency International fordere, die Schlupflöcher im Gesetz zügig zu schließen.
Leihmutterschaft: Für eine Abschaffung des strafrechtlichen Verbotes der Leihmutterschaft plädiert Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven in der Zeit und verweist auf den Koalitionsvertrag, in dem sich SPD, Grüne und FDP vorgenommen hatten, "Möglichkeiten zur Legalisierung der Eizellspende und der altruistischen Leihmutterschaft" zu prüfen. In einer freiheitlichen Gesellschaft sei es für ein strafrechtliches Verbot nicht ausreichend, so Hoven, dass bestimmte Bilder von einer "richtigen" Familie oder einer "richtigen" Mutter bewahrt werden sollen. Für die Moralvorstellungen einiger Menschen sollte niemand ins Gefängnis gehen.
Arbeitsmigration: Die Pläne der Bundesregierung, ausländische Arbeitskräfte nach Deutschland zu holen, um Engpässe an Flughäfen oder in der Gastronomie aufzufangen, könnten zu einer Deregulierung des Arbeitsmarktes durch Migration führen, warnt im Verfassungsblog der Politikwissenschaftler Holger Kolb. Bisher habe der Fokus bei der Arbeitsmigration eher auf Einwanderer:innen mit formalen Qualifizierungen gelegen, mit ihren Plänen wende sich die Politik davon ab.
Corona - Quarantäne: Als eine der letzten harten Corona-Beschränkungen sei noch die Isolationspflicht für Infizierte in Kraft, gegen die jetzt auch juristische Bedenken lauter werden, heißt es in der Welt (Ricarda Breyton/Benjamin Stibi). Bei der Absonderungspflicht handele es sich nach herrschender Meinung um eine Freiheitsentziehung, über die eigentlich Richter:innen entscheiden müssten. In den Ampel-Fraktionen denke man über Alternativen nach: „Natürlich ist eine Quarantäneanordnung eine freiheitsbeschränkende Maßnahme“, wird der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Fraktion Helge Limburg zitiert. Sie müsse deswegen laufend überprüft werden.
Justiz
BSG zu Trinkgeld und Hartz IV: Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass Trinkgelder bei so genannten "Aufstockern" nicht generell auf die Alg 2-Leistungen angerechnet werden dürfen. Bei Trinkgeldern handele es sich nicht um Erwerbseinkommen, sondern um sonstige Zuwendungen, die Hartz IV-Bezieherinnen behalten können, soweit ihre Hilfsbedürftigkeit nicht entfällt. Die Grenze zog das BSG, wenn Trinkgelder 10 Prozent des Regelbedarfs übersteigen. Das sei derzeit ab etwa 45 Euro monatlich der Fall. FAZ (Katja Gelinsky) und taz.de (Christian Rath) berichten.
BVerfG – Staatstrojaner: Zehn Beschwerdeführer:innen haben mit Unterstützung der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) gegen den Einsatz von Staatstrojanern durch deutsche Nachrichtendienste Verfassungsbeschwerde eingelegt. Anna Biselli erläutert auf netzpolitik.org, warum sie als Journalistin sich an der Klage beteiligt hat. Die Gefährdung von Quellen erschwere ihre Arbeit – gerade Quellen zu brisanten Themen könnten für Geheimdienste besonders interessant sein.
BVerfG zu Claudia Pechstein: Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes im Fall Pechstein, in dem die fehlenden rechtlichen Mindeststandards bei der früheren Verfahrensordnung des Sportgerichtshof CAS gerügt wurde, wird jetzt auch im ZPO-Blog (Peter Bert) zusammengefasst. Der Autor wundert sich, warum die Entscheidung so lange gedauert hat; die Verfassungsbeschwerde war bereits 2016 eingelegt worden.
OLG Dresden – Spionage und Waffenhandel: Über den Strafprozess um die Herstellung chemischer Waffen in Russland und die mögliche Umgehung von EU-Sanktionen für Rüstungsmaterial berichtet die Zeit (Paul Middelhoff/Martin Nejezchleba). Der Angeklagte soll Laborausrüstung exportiert haben, die für die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen bestimmt war, und sich in ein "konspiratives Beschaffungsnetzwerk" eingefügt haben, das Geheimdienste des Kreml steuern. Der Prozess biete einen Einblick in die Grauzonen der Russlandsanktionen, er lasse erahnen, welchen Aufwand der Kreml betreibe, um an westliche Technologie für sein Militär zu gelangen.
LG Göttingen zu Trunkenheitsfahrt: Ein E-Roller sei ein Fahrzeug, das einem KFZ vergleichbar ist, so dass bei einer Trunkenheitsfahrt mit einem E-Roller die vorläufige Anordnung einer Fahrerlaubnisentziehung möglich ist, hat das Landgericht Göttingen entschieden. Bei E-Rollern handele es sich um vollmotorisierte Fahrzeuge, die ohne Einsatz von Körperkraft bewegt würden und sie seien im Vergleich zu Fahrrädern schwieriger zu bedienen. LTO berichtet.
VG Düsseldorf zu Verweigerung von Corona-Maßnahme: Weil eine Lehrerin sich weigerte, Corona- Schutzmaßnahmen, wie beispielsweise regelmäßige Testungen, umzusetzen, wurde sie zurecht vom Dienst suspendiert, entschied das Verwaltungsgericht Düsseldorf. Die Lehrerin habe durch ihr uneinsichtiges Verhalten den Anschein erweckt, dass sie weder derzeit noch in Zukunft bereit sei, rechtlichen Regelungen oder dienstlichen Anweisungen Folge zu leisten, wenn sie diese für rechtswidrig oder unzweckmäßig halte, so das Gericht laut spiegel.de.
ArbG Braunschweig zu VW-Betriebsratswahl: Das Arbeitsgericht Braunschweig hat die Betriebsratswahl bei Volkswagen für unwirksam erklärt. Mehrere Kandidaten, die nicht der siegreichen IG Metall angehören, hatten die Wahl erfolgreich angefochten. Sie hattten u.a. den Umgang mit Wahlplakaten und mit der Briefwahl moniert. Der Betriebsrat hat nun angekündigt, Rechtsmittel einzulegen. FAZ (Christian Müßgens) und LTO berichten.
Autobahn-Blockaden: Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) hat sich, LTO zufolge, gegen Forderungen ausgesprochen, sie solle mehr Einfluss auf die Ermittlungen im Zusammenhang mit den Autobahnblockaden durch Klimaschutzdemonstrant:innen ausüben. "Wir leben in einem Rechtsstaat mit einer Gewaltenteilung, da haben politische Einflussnahmen auf Richter und Strafverfolgungsbehörden nichts verloren", wird Kreck im Text zitiert. Der FDP-Fraktionschef im Berliner Abgeordnetenhaus Sebastian Czaja warf der Justizsenatorin vor, nicht entschieden genug zu handeln.
Recht in der Welt
USA – Musk/Twitter: Nachdem Elon Musk am Freitag mitgeteilt hatte, dass er von der Vereinbarung zum Kauf von Twitter zurücktrete, will Twitter die Übernahme gerichtlich anordnen lassen. Twitter führt Musks Vorgehen auf den Abschwung am Aktienmarkt zurück, durch den sowohl der Wert von Twitter als auch Musks Vermögen geschrumpft sei. In der Kaufvereinbarung sei aber festgelegt worden, dass eine solche Entwicklung ein von Musk zu tragendes Risiko und kein Grund für einen Ausstieg sei. FAZ (Roland Lindner), SZ (Jannis Brühl) und LTO berichten.
USA – Abtreibungsrecht: Die Aufhebung von "Roe v. Wade" sei überfällig gewesen, schreiben die beiden wissenschaftlichen Mitarbeiter Christian Funck und Thomas Funck in der FAZ. Roe habe keine Grundlage in der US-Verfassung gehabt und der dort festgelegte Rahmen wäre im Übrigen auch nach dem Grundgesetz verfassungswidrig gewesen. Allerdings sei nun auch die neue Rechtslage nicht zufriedenstellend und wäre in ihrer Gesamtheit in Deutschland mit den Vorgaben des Grundgesetzes nicht vereinbar, denn nun seien extreme Lösungen in beide Richtungen möglich.
USA – Wahlrecht in Bundesstaaten: Uber das beim Supreme Court anhängige Verfahren Moore v. Haper berichtet die taz (Hansjürgen Mai). In dem Fall gehe es um die Frage, wie viel Freiheiten die einzelnen Bundesstaaten haben, Wahlen zu organisieren. Eine Entscheidung zugunsten der Kläger wäre eine absolute Katastrophe für die Demokratie, so der Autor. Befürchtet wird, dass der mehrheitlich konservativ besetzte Supreme Court die gerichtliche Überprüfung der Wahlkreiseinteilung einschränken könnte. Das hieße, dass Wahlkreise so gestaltet werden könnten, dass ein Wahlsieg für die an der Macht befindliche Partei praktisch garantiert sei.
Frankreich – Völkermord in Ruanda: Ein Pariser Gericht hat den ehemaligen Präfekten des südruandischen Distrikts Gikongoro, Laurent Bucyibaruta, am Dienstagabend wegen Beihilfe zum Völkermord zu 20 Jahren Haft verurteilt. In der Präfektur Gikongoro fanden einige der grausamsten Massaker des Völkermordes statt, schreibt die taz (Dominic Johnson).
Juristische Ausbildung
Jura-Bachelor: Zur Diskussion um einen in die klassische Juristenausbildung integrierten Bachelor-Abschluss äußert sich in der FAZ der Rechtsprofessor Markus Ogorek. Es gehe nicht darum, den Volljuristen vorbehaltene Berufe für Bachelor-Absolventen zu öffnen. In der aktuellen Debatte sollte man sich nicht von der Furcht vor (vermeintlich) Neuem leiten lassen, sondern von der Freude, vielen Jurastudierenden endlich mehr Handlungsoptionen bieten zu können.
Sonstiges
Legal Data Science: Der Völkerrechtler Seán Fobbe erklärt auf LTO im letzten Teil seines zweiteiligen Beitrages am Beispiel der Corona-Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes die Methodik und den Nutzen von Legal Data Science. Damit sei es methodisch tatsächlich möglich, den Erfolg von Gerichtsentscheidungen vorherzusagen. In der Praxis scheitere dies aber wohl meist am fehlenden Datenbestand.
Staat in Krisenzeiten: Im Interview mit der Zeit (Tina Hildebrandt/Heinrich Wefing) spricht Rechtsprofessor und Ex-Verfassungsrichter Udo di Fabio über die Rolle des Staates in Krisensituationen und die geänderten Erwartungen an ein staatliches Eingreifen. Im Hinblick auf eine mögliche Mangelsituation meint di Fabio, dass der Staat einen Ordnungsrahmen schaffen müsse. Die Verteilungsentscheidungen solle er allerdings nur im äußersten Notfall übernehmen und ansonsten auf Marktmechanismen setzen, verbunden mit sozialen Kompensationen.
Partysong "Layla": Die Stadt Würzburg hat verboten, dass der Partyschlager "Layla" auf einem von der Stadt veranstalteten Volksfest gespielt wird. In dem Lied werde der arabische Vorname Layla als "Puffmama" besungen, die "schärfer, jünger, geiler" sei, erklärt bild.de (Kai Franzke JR./Sören Haberlandt). Die Stadt hält dies für sexistisch. Das Verbot sei "eins zu viel", kritisiert Justizminister Marco Buschmann (FDP) und der Grünen-Abgeordnete Konstantin von Notz meint, derartiges müsse eine freie Gesellschaft aushalten.
LTO (Marcel Schneider) hat sich mit Rechtsanwalt Robert Hotstegs über die Möglichkeiten behördlichen Einschreitens bei der Songauswahl auf Volksfesten unterhalten. Im Fall Würzburg sei die Stadt als "Ausrichterin" der Veranstaltung zum Handeln befugt gewesen.
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LTO/pf
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Die juristische Presseschau vom 14. Juli 2022: . In: Legal Tribune Online, 14.07.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/49045 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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