Wirtschaftsminister will wegen des nicht weitergegebenen Tankrabatts das Kartellrecht ändern. Justizminister soll gegen den Handel mit Flensburger Punkten vorgehen. Das BVerfG hielt die Kaspersky-Klage gegen die BSI-Warnung für unzulässig.
Thema des Tages
Kartellrecht und Energiepreise: Weil die befristete Senkung der Mineralölsteuer mutmaßlich nur teilweise an die Kund:innen weitergegeben wird, hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in einem Positionspapier Änderungen im Kartellrecht vorgeschlagen. So soll das Bundeskartellamt strukturell in Märkte eingreifen dürfen, auch ohne dass ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht nachgewiesen wird. Wegen der hohen Transparenz der Kraftstoffpreise könnten die Unternehmen ihre Preise auch ohne rechtswidrige Preisabsprache anpassen. Das Kartellamt solle verfestigte Märkte aufbrechen und so für mehr Wettbewerb zum Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher sorgen. Als "Ultima Ratio" soll dabei auch eine "Entflechtung", d.h. Zerschlagung, von Unternehmen, ermöglicht werden. Außerdem sollen Gewinne leichter abgeschöpft werden können, wenn sie auf einem Oligopol-Markt beruhen. Kritik an Habecks Plänen kommt vom Koalitionspartner FDP. Es berichten spiegel.de (Gerald Traufetter), die Mo-FAZ (Corinna Budras), Mo-SZ (Henrike Roßbach), Mo-taz, Mo-Welt (Ulrich Exner) und Hbl (Ben Mendelson/Klaus Stratmann u.a.).
Habecks Vorstoß dürfe man getrost als Alternative zur Übergewinnsteuer verstehen, die Grüne und SPD mit Blick auf die Rekordgewinne der Mineralölindustrie forderten, kommentiert Henrike Roßbach (Mo-SZ). Leicht aber werde sein Vorhaben nicht. Beim Wettbewerb anzusetzen, sei zwar besser als die Einführung einer willkürlichen Steuer auf unsympathische Geschäftsmodelle, doch Unternehmen im Extremfall zu zerschlagen, ohne dass ihnen rechtswidriges Gebaren nachgewiesen werden könne, dürfte ähnlich diffizil werden.
Übergewinnsteuer: Bei der Einführung einer Übergewinnsteuer hätte der Gesetzgeber erhebliche verfassungsrechtliche Hürden zu überwinden, schreibt der Akademische Rat Till Valentin Meickmann im Verfassungsblog. Er müsste die zusätzliche steuerliche Belastung mit einem besonderen sachlichen Grund rechtfertigen, tragfähige Rechtfertigungsgründe seien in der bisherigen Diskussion allerdings nicht ersichtlich geworden.
Rechtspolitik
Verkehrspunktehandel: Wie der Spiegel (Dietmar Hipp) meldet, haben die Landesjustizminister:innen den Bundesjustizminister aufgefordert, dem sogenannten Punktehandel von Verkehrssündern im Internet entgegenzuwirken. Dabei stelle sich für den tatsächlichen Fahrer eine andere Person als Strohmann zur Verfügung, indem sie wahrheitswidrig angibt, das Fahrzeug gefahren zu haben. Sie erhalte dafür eine Entlohnung von teilweise bis zu mehreren hundert Euro. Der Minister solle nun einen Gesetzentwurf vorlegen, um die Gesetzeslücke zu schließen.
Abschiebungshaft: Im Interview mit der Mo-taz (Dinah Riese) kritisiert Rechtsanwalt Peter Fahlbusch die von der Ampel-Koalition geplante Verlängerung der Abschiebungshaft für Straftäter. Wie für Gefährder bereits jetzt sollen diese künftig auch bis zu sechs Monate inhaftiert werden können. In der Praxis werden Behörden, so fürchtet Fahlbusch, bei Straftäter:innen "einfach ohne viel Prüferei" sechs Monate Haft beantragen und viele Gerichte dem folgen. Ohne dass ein Bedarf nachgewiesen werde, schlage die Koalition das nur vor, um die Akzeptanz für den zugleich vorgeschlagenen "Chancenaufenthalt" zu erhöhen.
Beschlüsse des Bundesrats: Die Sa-FAZ (Corinna Budras/Dietrich Creutzburg) und LTO fassen die wichtigsten Beschlüsse des Bundesrates vom vergangenen Freitag zusammen. Unter anderem stimmte er der Grundgesetzänderung für das 100-Milliarden-Euro-Sondervermögen zur besseren Ausrüstung der Bundeswehr zu. Außerdem hat die Länderkammer eine Verordnung für eine Internet-Mindestversorgung in Deutschland sowie die Erhöhung von Mindestlohn und Renten gebilligt.
Whistleblowing: Rechtsanwältin Cäcilie Lüneborg erläutert in der Mo-FAZ, was auf Unternehmen durch das geplante Hinweisgeberschutzgesetzes zukommt. Der aktuelle Entwurf verpflichte Unternehmen mit mehr als 250 Beschäftigten, interne Meldekanäle zu eröffnen. Dabei müssen nicht nur Vertraulichkeit und Unabhängigkeit der Hinweisbearbeiter sichergestellt, sondern auch die formalen Vorgaben etwa zu Eingangsbestätigungen und Rückmeldepflichten organisatorisch umgesetzt werden. Ab Dezember 2023 soll das Gesetz auch für Unternehmen ab 50 Beschäftigte gelten.
Corona - Maßnahmen: Die Mo-FAZ (Marcus Jung/Christian Geinitz) fasst in Fragen und Antworten die aktuell noch bundesweit geltenden Coronaregeln zusammen. Die Eingriffsregeln des Infektionsschutzgesetzes laufen noch bis zum Herbstbeginn am 23. September. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) arbeite derzeit an einer Verlängerung in geänderter Form.
TV-Streaming-Dienste: Die urheberrechtliche Situation für die Anbieter von Diensten, die lineare Fernsehprogramme über das offene Internet weiterleiten (sog. OTT-Dienste), erläutert Rechtsanwalt Dieter Frey auf LTO und kritisiert dabei, dass der EU-Gesetzgeber bei der Urheberrechtsreform im vergangenen Jahr die angestrebte Technologieneutralität in Bezug auf die einschlägigen Verwertungsrechte nicht konsequent umgesetzt habe. Nach wie vor stünden zwei Rechtsakte nebeneinander, die EU-SatCab-Richtlinie für die "alte Welt" der Kabelweitersendung und die EU-OnlineSatCab-Richtlinie für die "neue Welt" der OTT-Dienste.
Justiz
BVerfG zu Warnung vor Kaspersky: Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BSI darf weiter vor der Verwendung der Anti-Virensoftware des Unternehmens Kaspersky warnen. Das Bundesverfassungsgericht hat eine dagegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Herstellers und den damit verbundenen Eilantrag als unzulässig eingestuft. Es sei nicht dargelegt worden, dass die Verwaltungsgerichte durch die Bearbeitung des Eilantrags Grundrechte verletzten, außerdem sei es zumutbar, auf eine Entscheidung der Verwaltungsgerichte in der Hauptsache zu warten. Das BSI hatte argumentiert, dass ein Großteil der Kaspersky-Beschäftigten in Russland tätig seien und russische Behöreden die Ant-Virensoftware zu Sabotageakten gegen Deutschland nutzen könnten, das im Ukraine-Konflikt von Russland als "unfreundlicher Staat" eingestuft wurde. Sa-FAZ (Katja Gelinsky), taz.de (Christian Rath) und LTO berichten.
VerfGH Berlin - Berliner Hochschulgesetz: Der Wissenschaftliche Dienst des Berliner Abgeordnetenhauses hält in einem Gutachten das Berliner Hochschulgesetz für verfassungswidrig. Konkret geht es um einen umstrittenen Paragraphen, der vorsieht, dass mit promovierten Nachwuchswissenschaftlern frühzeitig eine Anschlusszusage für eine unbefristete Beschäftigung vereinbart werden muss. CDU- und FDP-Fraktion haben gegen die Norm bereits Klage beim Berliner Verfassungsgerichtshof eingereicht und sehen sich nun bestärkt. Die Mo-FAZ (Heike Schmoll) berichtet.
LG Bremen zu Volksverhetzung durch Pastor: Die Entscheidung des LG Bremen, mit der die Verurteilung eines Pastors wegen homophober Äußerungen aufgehoben wurde, sei eine "Provokation", findet Jost Müller-Neuhof (tagesspiegel.de). Es sei schwer, eine auf die Religionsfreiheit gestützte Ablehnung der Homosexualität von einer verbotenen Hetze gegenüber Homosexuellen zu trennen. Die Bremer Kirchengemeinde allerdings sollte sich, so Müller-Neuhof, durch einen Freispruch, wenn er denn rechtskräftig werden sollte, nicht beruhigen lassen und den Pastor "von der Kanzel holen".
LG Leipzig/VG Dresden – rechtsextremer Richter Jens Maier: Über die Frage, ob der frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Jens Maier in seiner wieder aufgenommenen Tätigkeit als Richter vorzeitig in den Ruhestand geschickt werden darf, wird am 22. September das beim Landgericht Leipzig ansässige Dienstgericht verhandeln. Dabei dürfte auch von Bedeutung sein, so schreibt LTO (Markus Sehl/Annelie Kaufmann), ob der Verfassungsschutz Maier als "rechtsextrem" einstufen darf. Auf eine Klage Maiers hin befasst sich damit derzeit das Verwaltungsgericht Dresden.
AG Gütersloh zu Narkosefehler: Das Amtsgericht Gütersloh hat einen Assistenzarzt, dessen Fehler bei der Narkose eines Kniepatienten zu dessen Tod führten, zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt. Die FAS (Julia Schaaf) schildert den Prozess in einer ausführlichen Reportage. Es ging vor allem um die Frage, ob dem aus Armenien stammenden Arzt die Unkenntnis von notwendigen Kontrollmaßnahmen zuzurechnen war, wenn er sie in seiner Heimat nicht gelernt hatte und sie in der Gütersloher Klinik auch sonst nicht praktiziert wurden.
Rauchen am Kriminalgericht Berlin: In seiner Kolumne beschreibt Ronen Steinke (Sa-SZ) die Architektur am Kriminalgericht Berlin-Moabit und erwähnt einen vergilbten Aushang, wonach Angeklagte, die in Prozesspausen rauchen wollen, in den "Galgenhof" gebeten werden.
Recht in der Welt
USA – Bayer/Glyphosat: Wie LTO berichtet, hat der deutsche Chemiekonzern Bayer in den USA einen weiteren Glyphosat-Prozess gewonnen. Ein Gericht in Kansas verneinte das vom Kläger behauptete Krebsrisiko von Glyphosat. Wichtig für die weitere Entwicklung dieser rechtlichen Großbaustelle dürfte eine in Kürze erwartete Entscheidung des US-Supreme Courts über die Annahme eines Falls sein, in dem Bayer 2019 einen Schuldspruch erhalten hatte.
USA – Angriff aufs Kapitol: Anlässlich der die in der vergangenen Woche erhobenen Anklage gegen den Ex-Chef der rechtsextremen "Proud Boys" und vier seiner Mitstreiter wegen des Sturms auf das Kapitol, fasst die Sa-SZ (Christian Zaschke) die bisherigen Anklagen und Verurteilungen im Zusammenhang mit den Ereignissen am 6. Januar 2021 zusammen. Den jetzt Angeklagten wird eine "staatsgefährdenden Verschwörung" vorgeworfen, im Falle einer Verurteilung drohen Haftstrafen von bis zu 20 Jahre.
Malaysia – Todesstrafe: Laut Meldungen in der Sa-FAZ und der Sa-SZ will die Regierung Malaysias die obligatorische Todesstrafe für Delikte wie Mord, Terrorismus und Drogenschmuggel abschaffen. Richter sollen in Zukunft mehr Ermessensspielraum und die Freiheit haben, alternative Strafen zu verhängen.
Volksrepublik Donezk – Todesurteile: Nun berichtet auch die Sa-FAZ (Reinhard Veser) über ein Urteil der Justiz der separatistischen Volksrepublik Donezk, in dem drei für die Ukraine kämpfende ausländische Soldaten zum Tode verurteilt wurden. Sowohl die Ukraine als auch die Vereinigten Staaten, Großbritannien und die UN betonten, dass die drei Männer gar nicht vor Gericht hätten gestellt werden dürfen, denn sie seien Kriegsgefangene, die nach den Regeln der Genfer Konvention behandelt werden müssen. Die Mo-taz (Daniel Zylberstajn) beschreibt vor allem den persönlichen Hintergrund der Verurteilten, die jetzt innerhalb eines Monats Rechtsmittel gegen die Verurteilungen einlegen können.
Polen – Justizreform/Disziplinarkammer: Nun berichtet auch die Sa-FAZ (Gerhard Gnauck), dass das polnische Abgeordnetenhaus, der Sejm, das Gesetz beschlossen hat, mit dem die umstrittene Disziplinarkammer für Richter abgeschafft wird.
USA/Saudi Arabien – Golf-Liga: Mit den rechtlichen Fragen, die mit der Gründung einer saudi-arabischen Golf-Liga (LIV) in Konkurrenz zur US-amerikanischen PGA-Tour einhergehen, befasst sich LTO (Joschka Buchholz). Insbesondere wird erörtert, inwieweit wechselwillige Sportler sanktioniert werden können. Bisher allerdings nehme von den Top 10 der Weltrangliste kein einziger Spieler an der LIV-Turnierserie teil und auch Tiger Woods habe sich als der mit Abstand größte Golf-Star mit Nachdruck öffentlich zur PGA-Tour bekannt.
Sonstiges
Missbrauch von Kindern/Kinderpornografie: Ex-Bundesrichter Thomas Fischer mahnt auf spiegel.de eine differenziertere Bewertung der Ende Mai veröffentlichten Sonderauswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik zu Sexualdelikten gegen Kinder an. Er warnt vor Gesetzesverschärfungen auf dieser Grundlage. Es wirke "verquer und unernsthaft", wenn angesichts der Sonderauswertung, die natürlich nicht zufällig vorgenommen, sondern vom Ministerium bestellt worden sei, "nun alsbald wieder allgemein nach 'harten Maßnahmen' und 'endlich was Tun!' gerufen" werde. Der Autor kritisiert auch den Begriff "sexualisierte Gewalt gegen Kinder" als irreführend, weil "die Statistik sich überwiegend mit Taten befasst, die gerade keine Gewalt im allgemein üblichen Sinn enthalten".
Anwaltsrechte international: Die Anwaltsorganisationen der G-7-Staaten, unter ihnen der Deutsche Anwaltverein und die Bundesrechtsanwaltskammer, haben in einer Resolution nach ihrer jährlichen Zusammenkunft die Bedeutung des Schutzes des anwaltlichen Berufsgeheimnisses betont. Die G7-Staaten sollten deshalb möglichst schnell entsprechende Maßnahmen ergreifen, um die unabhängige Berufsausübung inklusive des Berufsgeheimnisses sicherzustellen. Außerdem verurteilten die Verbände den russischen Angriffskrieg "aufs Schärfste" und erklärten sich mit der ukrainischen Anwaltschaft sowie der Bevölkerung solidarisch, schreibt LTO.
Rechtsanwalt und Steuerberater Michael Sell: Die Sa-FAZ (Mark Fehr/Marcus Jung) porträtiert den früheren Beamten aus dem Finanzministerium Michael Sell, der sich, nachdem er in den Ruhestand versetzt wurde, dem juristischen Kampf gegen den Solidaritätszuschlag verschrieben hat und jetzt als Leiter der Wirtschaftsprüferaufsichtsstelle APAS dafür sorgen soll, den Wirecard-Skandal mitaufzuarbeiten.
Hessen – Parlamentsnachrücker: Der Richter Carsten Schütz, hat sich für den FAZ-Einspruch die rechtliche Grundlage für das Nachrücken der bisherigen hessischen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) auf den Landtagssitz des Ministerpräsidenten a.D. Volker Bouffier (CDU) angeschaut und ist dabei auf die Kuriosität gestoßen, dass die im April 2022 erfolgte Änderung von § 40 Abs. 2 Satz 2 Landtagswahlgesetz, die das Nachrücken erst ermöglicht, zwar in der Neubekanntmachung des Gesetzes durch den Landsinnenminister, nicht aber in der ursprünglichen Veröffentlichung des Änderungsgesetzes im Gesetz- und Verordnungsblatt enthalten ist. Im Ergebnis sei aber alles in Ordnung, weil der Innenminister nur einen Redaktionsfehler aus dem Jahr 2006 beseitigt hatte und dazu ermächtigt war.
Rechtsgeschichte – Heiratsvermittlung: Mit der Nichteinklagbarkeit von Honoraren für Heiratsvermittlungsdienste und deren Behandlung durch die Gerichte befasst sich Martin Rath auf LTO. So hatte beispielsweise das Bundesverfassungsgericht 1966 festgestellt, dass der entsprechende § 656 BGB "nicht im Widerspruch zu Gleichheitsgrundsatz und Berufsfreiheit" stehe.
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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.
LTO/pf
(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)
Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.
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Die juristische Presseschau vom 11. bis 13. Juni 2022: . In: Legal Tribune Online, 13.06.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48723 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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