Die juristische Presseschau vom 19. Mai 2022: Debatte zur Sui­zid­hilfe / AfD nahe Stif­tung soll weiter leer aus­gehen / Grund­rech­te­re­port vor­ge­s­tellt

19.05.2022

Im Bundestag hat eine Orientierungsdebatte zur Suizidhilfe stattgefunden. Rechtsprofessor Christoph Möllers warnt vor rechtlichen Risiken beim Umgang mit AfD-naher Stiftung. Der diesjährige Grundrechtereport ist erschienen.

Thema des Tages

Suizidhilfe: Der Bundestag hat eine Orientierungsdebatte über einen rechtlichen Rahmen für die Suizidhilfe geführt. Insgesamt liegen drei Gesetzentwürfe vor, die Fraktionsdisziplin ist aufgehoben. Ein Vorschlag (Künast u.a.) sieht vor, dass bei schwerkranken Suizidwilligen der behandelnde Arzt ein tödliches Mittel verschreiben kann und eine Kontrolle durch einen weiteren Arzt nach 14 Tagen erfolgen soll. Will jemand aus einem anderen Grund sterben, sollen höhere Anforderungen gelten. Einem weiteren Vorschlag (Helling-Plahr u.a.) zufolge, sollen Sterbewillige zunächst mit einer Beratungsstelle und später mit einem Arzt sprechen, bevor sie dann ein tödliches Medikament erhalten. Nach einem dritten Entwurf (Castelucci u.a.) soll die Suizidhilfe grundsätzlich strafbar bleiben, es sollen aber weitgehende Ausnahmen gelten. FAZ (Helene Bubrowski)SZ (Nina von Hardenberg) und taz (Shoko Bethke) berichten.

Shoko Bethke (taz) meint, dass Menschen auf keinen Fall ihre Selbstbestimmung abgesprochen werden sollte. Sollten Betroffene einen Sterbewillen äußern, müsse man dies ernst nehmen, am besten ohne anstrengenden bürokratischen Aufwand vor Fremden.

Ukraine und Recht

Nukleare Drohung: Völkerrechtsprofessor Peter Hilpold erläutert im Verfassungsblog, dass das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs (IGH) von 1996 zum Einsatz von Nuklearwaffen diese zwar wegen ihrer unterschiedslosen Wirkung für völkerrechtswidrig erklärte, aber eine Hintertür für den Fall offen lässt, dass ein Staat existenziell bedroht wird. Es bestehe die Gefahr, dass Russland diese Hintertür nützt, indem es die Fakten entsprechend verdreht. Hilpold plädiert daher dafür, den Einsatz von Nuklearwaffen ausnahmslos zu ächten und zu verbieten.

IStGH - Ukraine: Über die Entsendung von 42 Experten zur Aufklärung von Kriegsverbrechen in der Ukraine durch den Internationalen Strafgerichtshof, berichtet die SZ (Ronen Steinke). Zu dem Team gehören Fachleute für Spurensicherung und Zeugenvernehmungen. Es sei das bisher größte Ermittlerteam, das das Weltstrafgericht je entsandt hat.

Ukraine - russische Kriegsverbrechen: Der erste Kriegsverbrecherprozess in der Ukraine hat begonnen. Angeklagt ist ein russischer Unteroffizier, dem die Ermordung eines 62 Jahre alten Zivilisten im Gebiet Sumy in der Nordostukraine vorgeworfen wird. Dem 21-Jährigen drohe eine lebenslange Haftstrafe, schreibt LTO.

Rechtspolitik

Parteinahe Stiftungen: Der Haushaltsausschuss des Bundestags will am heutigen Donnerstag beschließen, dass die AfD-nahe Desiderius-Erasmus-Stiftung keine staatlichen Zuschüsse erhält, obwohl die AfD zum zweiten Mal in den Bundestag gewählt wurde, was die übliche Voraussetzung für die Finanzierung ist. Das berichtet die SZ (Ronen Steinke). Rechtsprofessor Christoph Möllers warnt: "das kann sehr schnell vor Gericht scheitern". Er fordert eine gesetzliche Grundlage. Bisher ist die Finanzierung parteinaher Stiftungen gesetzlich ungeregelt. 

Bundestags-Wahlrecht: Die Union hat auf die von Abgeordneten der Ampel-Koalition präsentierten Vorschläge für eine Wahlrechtsreform ablehnend reagiert. Auch juristische Stimmen sehen den Vorstoß skeptisch. So hat beispielsweise Ex-Bundesverfassungsrichterin Gertrude Lübbe-Wolff verfassungsrechtliche Bedenken. Wenn Wahlkreiskandidaten nicht in den Bundestag einzögen, obwohl sie im Wahlkreis die meisten Stimmen erzielt hätten, berühre das die Gleichheit des Einflusses jedes Wählers auf die Zusammensetzung des Bundestages, sagte sie dem Hbl (Dietmar Neuerer/Frank Specht).

Im Interview mit der FAZ (Helene Bubrowski/Eckart Lohse) erläutert Rechtsprofessor Christoph Möllers, der die Abgeordneten der Ampel-Koalition beraten hatte, deren Konzept. Danach gäbe es keine Überhangmandate mehr, keine Ausgleichsmandate, der föderale Proporz wäre hergestellt und jeder Wahlkreis wäre mit einem Kandidaten aus dem Wahlkreis besetzt, sagt er. Möllers plädiert für ein Experimentieren. Es gebe keinen Vorschlag zur Reform des Wahlrechts, den nicht irgendwer als verfassungswidrig bezeichne. Deshalb müsse man auch Lösungen empfehlen, die ein gewisses verfassungsrechtliches Risiko haben.

Chatkontrolle: Gegen die Pläne der EU-Kommission, die Anordnung automatischer Chatkontrollen zur Bekämpfung von Kinderpornografie und Cybergrooming zu ermöglichen, formiert sich weiter Kritik, berichtet die taz (Svenja Bergt). Niemand wolle einen besseren Schutz von Kindern verhindern, wird Felix Reda von der Gesellschaft für Freiheitsrechte zitiert. Die Pläne seien aber nicht geeignet, dieses Ziel zu erreichen. netzpolitik.org (Anne Biselli) befürchtet, dass der Vorschlag dazu führen könnte, dass die Anbieter künftig verstärkt Alterskontrollen durchführen werden, um so das Risiko der Anordnung einer Chatkontrolle zu verringern.

Reinhard Müller (FAZ) kommentiert das Vorhaben kritisch und erinnert daran, dass schon eine bloße Ermittlung, möglichweise auf Grund eines fehlerhaften Fundes, schlimme Folgen für die Betroffenen haben kann: das Ende der bürgerlichen und beruflichen Existenz. Dann helfe auch eine nachträgliche gerichtliche Kontrolle wenig.

Ausstattung von Ex-Kanzler:innen: Die Koalition will dem früheren Bundeskanzler Gerhard Schröder die Büroausstattung streichen; einen entsprechenden Beschlussvorschlag soll in dieser Woche der Haushaltsausschuss  des Bundestags annehmen. Offiziell begründet wird der Vorstoß nicht mit der aktuellen Diskussion um die Haltung des SPD-Politikers zum Ukraine-Krieg, vielmehr soll die Regierung aufgefordert werden, sicherzustellen, dass die Amtsausstattung ehemaliger Bundeskanzlerinnen und Bundeskanzler "nach den fortwirkenden Verpflichtungen aus dem Amt erfolgt und nicht statusbezogen". Sein Ruhegehalt soll Schröder, anders als von der CDU gefordert, weiter erhalten. Es berichten FAZ (Markus Wehner), SZ (Constanze Bullion), Welt (Nikolaus Doll), Hbl (Dietmar Neuerer/Moritz Koch), taz (Anna Lehmann) und LTO.

Lobbytätigkeiten für ausländische Staaten sollten für ehemalige Regierungsmitglieder mindestens einer Genehmigungspflicht mit langen Übergangsfristen unterworfen werden, wenn man sie nicht grundsätzlich verbieten könne, fordert Paul-Anton Krüger (SZ). Das sei ein zumutbarer Eingriff für ausgeschiedene Repräsentanten des Staates, die ja auch Übergangsgelder und Ruhebezüge erhielten.

Justiz

EuG zu Condor-Beihilfe: Die an das Flugunternehmen Condor gezahlte Rettungsbeihilfe von 380 Millionen Euro ist mit dem EU-Recht vereinbar, hat das Gericht der Europäischen Union jetzt bestätigt. Geklagt hatte der Wettbewerber Ryanair. Es sei Ryanair aber nicht gelungen, nachzuweisen, dass die finanziellen Probleme von Condor nicht hauptsächlich auf die Insolvenz der Thomas Cook-Gruppe zurückzuführen seien, hieß es laut LTO unter anderem zur Begründung. Auch die FAZ berichtet über die Entscheidung.

OLG Naumburg zu IS-Rückkehrerin: Das Oberlandesgericht Naumburg hat die IS-Rückkehrerin Leonora M. nach dem Jugendstrafrecht zu einer Bewährungsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Das Gericht sah die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung sowie einen Verstoß gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz als erwiesen an. Vom Vorwurf der Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit sprach das Gericht die Angeklagte hingegen frei. Die damals 15-Jährige habe sich 2015 der Terrormiliz angeschlossen und in Syrien einen IS-Kämpfer geheiratet. Die taz (Konrad Litschko)  und spiegel.de berichten.

OLG Celle zu Mord an Frederike von Möhlmann/Wiederaufnahme: Oliver García analysiert im Verfassungsblog die Entscheidung des Oberlandesgerichts Celle, mit der die Verfassungsmäßigkeit der neuen Regelung, Prozesse auch zu Lasten des Beschuldigten wieder aufzunehmen, bestätigt wurde. Der Autor hält die Entscheidung für falsch und § 362 Nr. 5 StPO für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber habe, indem er die Wiederaufnahme auch für nicht evidente Fälle geöffnet hat, die verfassungsrechtlichen Grenzen überschritten.

LG Detmold – Klimaschutz/VW: Auch die FAZ (Katja Gelinsky/Christian Müßgens) gibt nun einen Ausblick auf die am Freitag stattfindende Verhandlung zur Klimaklage eines Landwirts gegen VW. Es sei der Auftakt strategischer Klimaklagen, die Umweltschützer gegen die Autobranche gestartet haben. Unterstützt werde die Klage u.a. von Greenpeace.

LG Köln zu Woelki vs. Bild: Der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki ist mit einer Klage gegen die Bild-Zeitung erfolgreich gewesen, die nun nicht mehr schreiben darf, er habe einen “Missbrauchs-Priester“ befördert. Der entsprechende Geistliche habe keine nach dem Strafgesetzbuch strafbare Tat begangen, so das Landgericht Köln. In einem weiteren Fall wies das Gericht laut LTO dagegen Woelkis Klage ab. Laut Urteil durfte bild.de einen Artikel mit der Überschrift "Wegen Woelki-Skandal - Treten ALLE deutschen Bischöfe zurück?" veröffentlichen.

LG München II zu Miesbacher Sparkassenaffäre: Nachdem der Bundesgerichtshof das Untreue-Verfahren gegen den früheren Vorstandschef der Kreissparkasse Miesbach-Tegernsee Georg Bromme und den Ex-Aufsichtsratschef Jakob Kreidl zurückverwiesen hatte, hat jetzt das Landgericht München II die im ersten Verfahren verhängten Strafen weitgehend bestätigt. Im Prozess ging es um teure Geschenke, luxuriöse Reisen und Geburtstagspartys auf Kosten der Bank. LTO berichtet.

LSG BaWü zu Afghanistan-Veteran: Für einen Anspruch auf Ausgleichzahlungen wegen posttraumatischer Belastungsstörungen genügt es nicht, wenn ein Soldat vom Tod seiner Kameraden durch andere erfährt, diesen aber nicht selbst miterlebt. Das entschied laut LTO das Landessozialgericht Baden-Württemberg. Der Mann habe selbst kein lebensbedrohliches, traumaauslösendes Ereignis in Afghanistan erlebt, außerdem sei seine Alkoholabhängigkeit auf seine familiäre Vorgeschichte und Partnerschaftsprobleme zurückzuführen und nicht auf den Afghanistaneinsatz.

Recht in der Welt

Kosovo-Tribunal - UCK-Veteranen: Das Sondertribunal für den Kosovo in Den Haag hat in einem ersten Urteil zwei Anführer einer Veteranenorganisation der früheren Befreiungsarmee des Kosovo (UCK) unter anderem wegen Einschüchterung von Zeugen zu jeweils viereinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Wie spiegel.de schreibt, will das Gericht auch Ex-UCK-Präsident Hashim Thaçi wegen Mordes, Folter und Verfolgung strafrechtlich verfolgen. Thaçi war nach der Anklage im Sommer 2020 als Präsident des Kosovo zurückgetreten.

Griechenland – Prozesse gegen Flüchtlinge: Über mehrere Fälle, in denen die griechische Justiz drakonische Strafen gegen Flüchtlinge verhängt hatte, berichtet die taz (Christian Jakob). Es sei mittlerweile die Regel, dass die griechische Polizei ein bis zwei Flüchtlinge pro Boot als angebliche Schlepper verhafte, heißt es im Text. Die meisten hätten keinen Zugang zu einem angemessenen Rechtsbeistand, geschweige denn zu Unterstützung von außen, heißt es in einer Erklärung der deutschen NGO Borderline.

Spanien – Menstruationsurlaub: Über die Pläne der spanischen Regierung, Frauen bei Menstruationsbeschwerden einen Anspruch auf Freistellung von der Arbeit zu gewähren, und die Reaktionen darauf, berichtet jetzt auch die SZ (Karin Janker). So befürchtet Wirtschaftsministerin Nadia Calviño, dass ein Anspruch auf zusätzliche Krankentage Frauen bei der Jobsuche benachteiligen könnte, weil Unternehmen eher einen Mann einstellen könnten, in der Hoffnung, dass bei ihm das Risiko für Fehltage geringer ist.

Norwegen – Arztprozess: Die Zeit (Eva Sudholt) berichtet ausführlich über ein Verfahren in Norwegen gegen einen Arzt aus Deutschland. Der Chirurg soll in mindestens 58 Fällen schwere Kunstfehler begangen und die Patienten lebenslang geschädigt haben. Die meisten Fälle sind allerdings schon verjährt. Bei einer Verurteilung drohten ihm maximal drei Monate Gefängnis.

Belgien – Gaston-Comic: Nun berichtet auch die SZ (Gerhard Matzig) im Feuilleton über den Prozess um eine Weiterführung der Gaston-Comics des verstorbenen Zeichners André Franquin durch dessen Verlag Dupuis. Die Tochter hat dagegen geklagt. "Isabelle Franquin will das Vermächtnis des Vaters schützen, indem jegliche Adaption unterbleibt; der Verlag will das Vermächtnis schützen durch die Weiterführung." Ein Urteil wird im September erwartet. 

Sonstiges

Grundrechtereport: Bürgerrechtsorganisationen haben auch 2022 einen Grundrechtereport herausgegeben. Darin wird eine "multiple Grundrechtskrise" festgestellt. Schwerpunkte des Berichtes sind unter anderem Menschenwürdeverletzungen bei Strafgefangenen, problematische Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte bei der Caritas, der mangelnde Schutz für afghanische Ortskräfte der Bundeswehr sowie Grundrechtsfragen im Zusammenhang mit der Klimakrise. Positiv wird hier der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts hervorgehoben, negativ das nicht ausreichende Tätigwerden der Politik. Über den Report berichten taz (Christian Rath)sz.de und LTO (Hasso Suliak).

 

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LTO/pf

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 19. Mai 2022: . In: Legal Tribune Online, 19.05.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48492 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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