Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. April 2022: Eini­gung beim Digital Ser­vices Act / Kal­bitz bleibt par­teilos / EuGH beginnt zu streamen

25.04.2022

Der Text für den Digital Services Act der EU steht. Das LG Berlin bestätigt, dass Ex-AfD-Politiker Andreas Kalbitz nicht mehr Parteimitglied ist. Der EuGH streamt künftig Verkündungen, Schlussanträge und Verhandlungen.

Thema des Tages

Digitale Dienste: EU-Rat, EU-Parlament und EU-Kommission haben sich Ende vergangener Woche im Trilog über den Text des Digital Services Act (DSA) geeinigt. Die EU-Verordnung soll europaweit u.a. einheitliche Standards für den Umgang mit illegalen Inhalten im Netz schaffen. Diensteanbieter müssen eine Möglichkeit vorsehen, illegale Inhalte zu melden, sowie eine unabhängige Beschwerdemöglichkeit. Auf Anforderung von Behörden müssen Anbieter illegale Inhalte entfernen. Anbieter müssen verdächtige Inhalte melden, haben jedoch keine generelle Überwachungspflicht. Wer auf Handelsplattformen Waren verkauft, muss dort seine Identität offenlegen. Plattformen sind zu Transparenz verpflichtet und müssen zB. veröffentlichen, wieviele Inhalte sie unzulässig gesperrt haben. Sehr große Plattformen müssen Risikoeinschätzungen über die Verbreitung illegaler Inhalte und Desinformationen abgeben und Gegenmaßnahmen ergreifen. Personalisierte Werbung an Minderjährige wird verboten. Der Vollzug des Gesetzes wird von einem European Digital Services Board und der EU-Kommission überwacht. Der konsolidierte Text liegt noch nicht vor. Die Verordnung soll noch vor dem Sommer endgültig beschlossen werden. Es berichten Mo-FAZ (Hendrik Kafsack)), Mo-SZ (Josef Kelnberger), Hbl (Christoph Herwartz), Mo-taz (Eric Bonse), netzpolitik.org (Alexander Fanta), spiegel.de, heise online (Stefan Krempl) und zeit.de (Jakob von Lindern).

An dem Grundproblem, dass insbesondere die Verbreitung von Hetze und Desinformation für die Plattformen finanziell sehr attraktiv bleibe, änderten auch die neuen Regelungen nichts, kommentiert Hendrik Kafsack (Mo-FAZ). Die Bezeichnung des Digital Services Acts als neues "Grundgesetz für das Internet" sei daher wohl zu hoch gegriffen. So sieht es auch Markus Beckedahl (netzpolitik.org) - es gebe zwar in vielen Bereichen Verbesserungen gegenüber dem Status Quo, enttäuschend sei aber, dass es kein umfängliches Verbot personalisierter Werbung ins Gesetz geschafft habe. Svenja Bergt (Mo-taz) zweifelt an einer effektiven Umsetzung der neuen Regeln und erinnert dabei an die Lücken im europäischen Datenschutzrecht. "Viel Bürokratie, in der die Rechte der einzelnen Nutzer leicht unter die Räder geraten können", befürchtet Benedikt Fuest (WamS). Die positiven Aspekte des DSA betont Christoph Herwartz (Hbl) in seinem Kommentar. Es sei gut, dass die EU nun in das Geschäft der Plattformen eingreife. Mit dem Digital Services Act ziehe sie einen Teil der Verantwortung an sich, wichtig sei nun, dass die EU konsequent weitermache.

Ukraine-Krieg und Recht

Seerecht: In einem zweiteiligen Beitrag im FAZ-Einspruch widmet sich Rechtsprofessor Alexander Proelß den seerechtlichen Aspekten des Ukraine-Kriegs. Im zweiten Teil steht das aktuelle Kriegsgeschehen und insbesondere die seevölkerrechtliche Bewertung des "Aussetzens des Seeverkehrs" durch Russland im Mittelpunkt.

Sanktionen gegen Russland/Russia Today: Rechtsprofessor Wolfgang Schulz prüft für LTO die Rechtmäßigkeit des EU-weiten Verbots der Staatsmedien Russia Today und Sputnik. Das Verbot werfe eine Vielzahl von grundsätzlichen Rechtsfragen auf, die vor allem die Geltung der Meinungs- und Informationsfreiheit in Kriegszeiten, aber auch Fragen zur Kompetenz der EU zur Regelung von Kommunikationsrecht beträfen. Der Autor hat erhebliche Bedenken und warnt davor, die "europäischen Werte zu opfern, um sie zu schützen", Die Krise könne aber Anstoß für eine Sachdebatte über die Zukunft der europäischen Medienordnung sein. 

Rechtspolitik

Impfpflicht: Der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) fordert einen neuen Vorstoß für eine allgemeine Impfpflicht. Sonst würde das Festhalten an der einrichtungsbezogenen Impfpflicht, die Ende des Jahres auslaufe, keinen Sinn machen. Eine einseitige Impfpflicht für Beschäftigte in der Pflege sei nicht nur unfair, sondern auch nicht verhältnismäßig. "Denn sie war immer nur als erster Schritt hin zu einer allgemeinen Impfpflicht gedacht", sagte Holetschek laut spiegel.de.

Bildung in der NRW-Verfassung: Die NRW-FDP will die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Bildung in der Landesverfassung verankern, so LTO. Ein Meister müsse genauso viel wert sein wie ein Master, wird der FDP-Landesparteichef und Kinderminister Joachim Stamp zitiert.

Justiz

LG Berlin zu Andreas Kalbitz: Das Berliner Landgericht hat im Hauptsacheverfahren die Klage des Ex-AfD-Politikers Andreas Kalbitz gegen den Verlust seiner Parteimitgliedschaft abgewiesen. Kalbitz sei nie rechtmäßig Mitglied der Partei geworden, weil seine Beitrittserklärung durch die Partei wegen "arglistiger Täuschung" rechtmäßig angefochten worden sei, begründete der Vorsitzende Richter die Entscheidung. Kalbitz hatte seinerzeit eine vorherige Mitgliedschaft bei den Republikanern verschwiegen. Auf die ebenfalls verschwiegene Mitgliedschaft in der Heimattreuen Deutschen Jugend kam es nicht mehr an. Sa-FAZ (Markus Wehner), Sa-taz (Gareth Joswig) und LTO berichten über die Entscheidung.

Thomas Holl (Sa-FAZ) meint, dass sich jetzt zeigen werde, wie es die AfD mit dem Rechtsstaat und seinen Urteilen halte. Die Brandenburger Landtagsfraktion denke jedenfalls bisher nicht daran, Kalbitz aus ihren Reihen auszuschließen. Der Befehl des AfD-Parteivorsitzenden Tino Chrupalla, dass alle Mitglieder "dieses Urteil akzeptieren müssen", klinge deshalb rührend.

EuGH streamt Urteile und Verhandlungen: Der Europäische Gerichtshof will künftig seine Urteilsverkündungen und die Schlussanträge der Generalanwält:innen live auf seiner Webseite streamen, meldet beck-aktuell. Auch Verhandlungen der Großen Kammer werden übertragen, allerdings um einige Stunden zeitversetzt.

EuGH – Impfstoff-Kauf: Mehrere Europaabgeordnete der Grünen sind vor den EuGH gezogen, um von der EU-Kommission Auskunft über die Details der Verträge zum Kauf von Corona-Impfstoff zu erhalten. Die EU-Kommission hatte sich zuvor wiederholt geweigert, ungeschwärzte Fassungen der Verträge vorzulegen. LTO berichtet.

BAG zu Öffentlichkeit von Gerichtsverhandlungen: Rechtsanwalt Martin W. Huff erläutert auf LTO eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu einem Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz. Das LAG Hamburg hatte für eine Berufungsverhandlung vorgegeben, dass sich im entsprechenden Sitzungssaal coronabedingt maximal 10 Personen aufhalten dürfen. Diese Zahl war dann aber bereits durch die Richter und die Parteien ausgeschöpft, weshalb keine Zuschauer:innen zugelassen wurden. Das BAG hat hier eine Verletzung des Grundsatzes der Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen bejaht und die Sache zurückverwiesen. Eine Verhandlung sei nur dann öffentlich, wenn Zuhörer:innen in einer Anzahl Einlass finden könnten, in der sie noch als Repräsentant:innen der Öffentlichkeit angesehen würden.

OVG MV zu Corona-Hotspot: Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat die Regelung, mit der das gesamte Bundesland als Corona-Hotspot im Sinne von § 28 Abs. 8 Infektionsschutzgesetz eingestuft wurde, gekippt. Die  erforderliche besonders hohe Zahl an Neuinfektionen und eine drohende Überlastung der Krankenhauskapazitäten hätten laut Gericht für jeden Landkreis und jede kreisfreie Stadt einzeln festgestellt werden müssen, um diese zu Hotspots zu erklären. Da dies nicht erfolgt sei, gab das Gericht dem Antrag der AfD-Landtagsfraktion auf einstweiligen Rechtsschutz statt. Die Regelung war mit Dauer bis zum 27. April beschlossen worden. spiegel.de und LTO berichten.

OLG Frankfurt/M. zu Online-Glückspiel: Ein Online-Casino mit Sitz in Malta muss einem deutschen Spieler den Verlust von 11.758,50 Euro zurückzahlen. Das entschied das Oberlandesgericht Frankfurt/M. in zweiter Instanz. Die Veranstaltung von Online-Glücksspielen sei nach deutschem Recht illegal. Es genüge nicht, dass das Casino den Spieler darauf hinwies, er müsse sich erkundigen, ob das Angebot des Online-Casinos in seinem Staat legal ist. Da sich das Casino in deutscher Sprache an Spieler wandte, lag eine Illegalität in Deutschland nicht nahe. Der Spiegel (Michael Fröhlingsdorf) rechnet nun mit einer Klagewelle von Spielern, die ebenfalls ihre Verluste ersetzt haben wollen.

LG Würzburg – Messerstecher von Würzburg: Über den Auftakt im Verfahren wegen teilweise tödlicher Messerangriffe in Würzburg berichten die Sa-FAZ (Johanna Christner), spiegel.de und LTO. Der geständige angeklagte Somalier leidet nach Angabe der Staatsanwaltschaft seit Jahren unter paranoider Schizophrenie. Er hatte im vergangenen Jahr 14 Personen in einem Kaufhaus angegriffen und dabei drei Frauen getötet. Knapp 30 Verhandlungstage sind für das Verfahren angesetzt, im September will die Schwurgerichtskammer das Verfahren abschließen.

VG Stuttgart zu kommunaler Webseite/BDS: Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat laut taz.de (Christian Rath) und LTO entschieden, dass der Verein "Palästinakomitee Stuttgart e.V." auf der Webseite der Stadt Stuttgart Veranstaltungen ankündigen darf, obwohl er die so genannte BDS-Kampagne unterstützt, die zum Israelboykott aufruft. Es sei irrelevant, ob die BDS-Kampagne antisemitisch sei, so das Gericht, denn die Meinungsfreiheit schütze auch antiisraelische und antisemitische Äußerungen.

GBA – Schüsse von Reichsbürger: Im Zusammenhang mit Schüssen auf Polizeibeamte hat die Bundesanwaltschaft Ermittlungen gegen einen Anhänger der Reichsbürgerbewegung übernommen, berichten tagesschau.de (Frank Bräutigam/Christoph Kehlbach) und spiegel.de. Dem 54-Jährigen wird versuchter Mord in 15 Fällen vorgeworfen. Bereits zuvor war gegen ihn wegen des Verdachts des illegalen Waffenbesitzes ermittelt worden. Als die Polizei sein Haus in Boxberg durchsuchen wollte, eröffnete er das Feuer. Später wurden auf dem Gelände Schnellfeuergewehre, Kriegs- und Handfeuerwaffen sowie eine große Menge Munition gefunden.

GenStA Dresden – Aufnahmeritual bei der Polizei: Die wissenschaftliche Mitarbeiterin Alexandra Windsberger schreibt auf LTO über Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen Beamte des sächsischen Mobilen Einsatzkommandos MEK. Sie sollen im Rahmen eines "Aufnahmerituals" einen Neuling durch Schüsse mit Farbmunition verletzt haben. Die Handlung könne zwar durch die Einwilligung der Betroffenen gerechtfertigt sein. Dies gelte aber nicht, wenn die Einwilligung sittenwidrig ist, weil die neuen Kollegen entwürdigt werden. Auch die Dignität der Polizei werde durch derartige Rituale gefährdet. 

StA Stendal – Raser: Die Staatsanwaltschaft Stendal hat das Verfahren gegen einen tschechischen Bugatti-Fahrer eingestellt, der mit 417 km/h am frühen Morgen auf der Autobahn unterwegs war. Geprüft wurde vor allem, ob ein gem. § 315d StGB strafbares Einzelrennen vorlag. Da der Fahrer aber optimale Wetterbedingungen, Straßenverhältnisse und Uhrzeit gewählt habe, könne ihm keine Rücksichtlosigkeit vorgeworfen werden. LTO berichtet.

Recht in der Welt

Spanien - Super League: Das Madrider Handelsgericht Nr. 17 entschied, dass der europäische Fußballverband UEFA die Vereine, die versuchten, eine geschlossene Super League neben der UEFA-Champions League zu gründen, für mehrere Jahre aus europäischen Konkurrenzen ausschließen darf. Die UEFA behindere hier nicht den freien Wettbewerb von Unternehmen, sondern verteidige das europäische Sportmodell, zu dem auch die Möglichkeit von Auf- und Abstieg gehören. Bisher stand das Handelsgericht Nr. 17 hinter den Vereinen. Doch seit einigen Monaten amtiert dort eine neue Richterin. Die Sa-SZ (Javier Cáceres/Thomas Kistner) berichtet.

Portugal – Fall Maddie: Die Staatsanwaltschaft in Portugal hat den Deutschen Christian B. zum offiziell Beschuldigten im Mordfall "Maddie" erklärt. Das damals dreijährige Mädchen ist 2007 verschwunden. Wie Sa-SZ, Sa-FAZ (Reinhard Bingener) und LTO schreiben, stelle die formelle Einstufung einer Person als verdächtig eine Voraussetzung für eine Anklage dar und unterbreche auch die Verjährung, die anderenfalls in dem Fall in wenigen Tagen eingetreten wäre.

Großbritannien – Julian Assange: Das Schweigen Europas zur drohenden Auslieferung von Julian Assange an die USA kritisiert Eric Bonse (Sa-taz). Weder die eigentlich zuständigen EU-Kommissare Věra Jourová und Didier Reynders noch Ratspräsident Charles Michel wollten den Fall kommentieren und auch das Europaparlament sage nichts dazu, so Bonse. Die EU sei gefordert, für europäische Werte wie die Meinungs- und Pressefreiheit einzutreten und Assange vor dem absurden Vorwurf der Spionage zu retten. Wenn sie es nicht bald tue, verspiele sie endgültig ihre Glaubwürdigkeit, mahnt der Autor.

USA – Todesstrafe: Ein kalifornisches Gericht hat einen Mann, der wegen Mordes an mehreren Familienmitgliedern zum Tode verurteilt worden war, vorläufig vor der Hinrichtung bewahrt. Wie spiegel.de schreibt, habe der Mann sich lediglich der Tötung des Vaters schuldig bekennen wollen, nicht aber im Falle seiner Stiefmutter und seiner damals achtjährigen Stiefschwester. Entgegen dem Willen des Mannes hätten seine Anwälte eine Verantwortung für alle drei Taten eingeräumt und damit gegen dessen Rechte verstoßen, so das Gericht. Der Rechtsstreit dauert bereits rund 40 Jahre.

John Grisham im Interview: Anlässlich des Erscheinens seines neuen Buches hat sich die FAS (Peter Körte) mit dem amerikanischen Krimiautoren und Juristen John Grisham u.a. über den Schaden unterhalten, den das System Trump in der amerikanischen Justiz durch die Berufung unqualifizierter Richter – auch beim Supreme Court – angerichtet habe.

Sonstiges

Mord an Siegfried Buback: Im Interview mit der Sa-SZ (Detlef Esslinger) erzählt Michael Buback, Sohn des 1977 von der RAF getöteten Generalbundesanwalts Siegfried Buback, wie er sich an den Tag der Ermordung seines Vaters vor 45 Jahren erinnert, welche Gefühle er heute noch gegenüber den Mitgliedern der RAF hegt und warum ihn noch immer die Frage umtreibt, wer seinen Vater wirklich erschossen hat.

Vertrauensurlaub: Über die rechtlichen Rahmenbedingungen einer Vertrauensurlaubsregelung schreibt Rechtsanwältin Lisa-Maria Niklas für LTO-Karriere. Nach diesem Prinzip können Arbeitnehmer:innen so viel Urlaub nehmen, wie sie möchten, solange sichergestellt ist, dass die Arbeit erledigt wird und vereinbarte Ziele erreicht werden. Die Autorin erläutert die Chancen, aber auch die Risiken, die eine solche Vereinbarung mit sich bringen kann. Im schlimmsten Fall könnten Arbeitnehmer:innen, die sich nicht gut organisieren können, gar keinen Urlaub nehmen und einen Burn-out und lange Ausfallzeiten riskieren.

 

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LTO/pf

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 23. bis 25. April 2022: . In: Legal Tribune Online, 25.04.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/48227 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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