Aus den Ländern kommt heftige Kritik am Entwurf zum Infektionsschutzgesetz. Russland will den Europarat und damit auch den EGMR verlassen. Die großen EU-Parlaments-Fraktionen haben sich auf eine Sperrklausel für die Europawahl geeinigt.
Thema des Tages
Corona - Maßnahmen: An dem von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) vorgelegten Entwurf für Änderungen im Infektionsschutzgesetz gibt es heftige Kritik. Die Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann (BaWü, Grüne), Hendrik Wüst (NRW, CDU) und Stephan Weil (NieSa, SPD) monieren, dass den Ländern zuwenige Instrumente verbleiben, weil sie zum Beispiel keine generelle Maskenpflicht für Schulen oder andere Menschenansammlungen mehr vorschreiben können. Der Augsburger Staatsrechtsprofessor Josef Lindner hält den Gesetzentwurf für handwerklich "auf dem untersten Niveau". Am kommenden Donnerstag wollen sich die Länder bei einem Bund-Länder-Treffen für Korrekturen einsetzen. Der Gesetzentwurf, den der Bundestag in der nächsten Woche verabschieden soll, sieht als "Basisschutz" vor, dass die Landesregierungen eine Masken- und Testpflicht in Kliniken und Pflegeeinrichtungen sowie eine Makenpflicht im öffentlichen Personenverkehr verordnen können. Generelle Corona-Maßnahmen soll es nur noch in sogenannten Hotspots geben: Hier können die Landtage dann eine generelle Maskenpflicht, Abstandsregeln oder Zugangsvorschriften (2-G- bzw. 3-G-Regel) anordnen. SZ (Kassian Stroh) FAZ (Christian Geinitz/Reiner Burger u.a.), Welt (Ulrich Exner/Kristian Frigelj) und taz (David Muschenich) berichten.
Für Jasper von Altenbockum (FAZ) waren die Divergenzen vorhersehbar. Wie schon im vergangenen Herbst reiche den Ländern der Instrumentenkasten nicht, er sei ihnen "nicht nur zu klein, sondern auch zu klein-klein". Wichtiger als ein Tauziehen zwischen FDP und SPD/Grünen wäre es aber, dass der Bund die Corona-Impfungen sicherstellt, meint Altenbockum. Benjamin Stibi (Welt) befürchtet einen neuen föderalen Flickenteppich, weil beispielsweise bei den "Hotspot"-Regelungen die erforderlichen Voraussetzungen zu "interpretationsoffen" seien.
Ukraine-Krieg und Recht
Europarat/Russland: Als Reaktion auf die Suspendierung Russlands durch den Europarat will das Land nun selbst nicht mehr an der Arbeit der Organisation teilnehmen, hat Russland laut spiegel.de mitgeteilt. "Russland wird sich nicht an der Umwandlung der ältesten Organisation Europas durch die Nato und die ihr gehorsam folgende EU in eine weitere Plattform für westliche Vorherrschaft und Narzissmus beteiligen", heißt es in der Nachricht aus Moskau. Der Ausstieg aus dem Europarat ziehe auch den Ausstieg aus allen Mechanismen mit sich, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow auf die Frage, ob sich die Mitteilung des Außenministeriums auch auf die Arbeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte beziehe, an dessen Urteile sich Russland dann nicht mehr halten würde. Russland bleibt formell Mitglied des Europarats bis zum Ende des Finanzjahrs.
Russland und Völkerrecht: Der Privatdozent Christian Marxen untersucht im FAZ-Einspruch die Frage, ob sich Russland mit seinem eklatanten Verstoß gegen die Fundamentalnorm der internationalen Ordnung dauerhaft aus dem Völkerrecht verabschiedet habe. Wie sich Russlands Haltung zum Völkerrecht mittelfristig entwickeln werde, sei derzeit offen, stellt der Autor fest. Zentral für die künftige Entwicklung sei heute die Volksrepublik China, die gemeinsam mit Russland an einem Gegenentwurf zur westlich dominierten internationalen Ordnung arbeite. Daher erscheint es für Marxen nicht unwahrscheinlich, "dass die Zukunft des Völkerrechts darin liegen werde, allein die Basisstrukturen für einen internationalen Austausch zur Verfügung zu stellen und dass sich darüber hinaus mehrere Rechtskreise mit sehr verschiedenen Grundprinzipien verfestigen könnten".
Soziale Medien und Krieg: Rechtsprofessorin Sofia Ranchordas, Assistenzprofessorin Catalina Goanta und Postdoktorand Giovanni de Gregorio widmen sich im Verfassungsblog den sozialen Medien in Kriegszeiten. Noch nie zuvor sei die Kommunikation so stark von privaten globalen Mächten (z. B. Facebook, Twitter) vermittelt worden, die über umfassenden Einfluss verfügen, aber nur begrenzt rechenschaftspflichtig seien. Der Beitrag fragt nach der Rolle von Big-Tech-Aktivismus in Kriegszeiten, sowohl von Seiten der Social-Media-Plattformen als auch von Seiten ihrer Nutzer:innen.
Kanzleien und russische Mandate: Immer mehr internationale Wirtschaftskanzleien ziehen ihre Konsequenzen aus dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, meldet die FAZ (Marcus Jung). So schließen beispielsweise die einflussreichen "Magic Circle"-Kanzleien Linklaters und Freshfields Bruckhaus Deringer ihre Büros in Moskau komplett. Weitere Kanzleien hätten ähnliche Maßnahmen in Aussicht gestellt, schreibt LTO und hat entsprechende öffentlich zugängliche Ankündigungen und Erläuterungen im Original zusammengestellt.
Rechtspolitik
EU-Wahlrecht: Wie sueddeutsche.de (Karoline Meta Beisel) berichtet, haben sich am späten Dienstagabend die vier größten Fraktionen im Europaparlament auf ein neues Wahlrecht für Europawahlen geeinigt. Dabei ist unter anderem vorgesehen, dass es künftig in großen Mitgliedsstaaten eine Sperrklausel von 3,5 Prozent geben soll. Eine solche Sperrklausel dürfte in Deutschland für größere Diskussionen sorgen, weil ähnliche Vorhaben bereits zweimal vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert seien, heißt es im Text. Eine Zustimmung durch die Bundesregierung sei dagegen sicher, da sich die Ampel-Koalition im Koalitionsvertrag auf die Einführung einer Sperrklausel auf europäischer Ebene geeinigt hatte.
Reinhard Müller (FAZ) kritisiert, dass transnationale Listen, über die zusätzliche 28 Sitze vergeben werden sollen, zu gleichen Teilen mit Männern und Frauen besetzt sein müssen.* Eine derartige Quote habe mit einer echten Volksvertretung, die das Parlament in den Augen vieler sein sollte, wenig zu tun. Sie führe zurück in den Ständestaat und verstoße gegen deutsche Verfassungsgrundsätze. Der Vorstoß zeige: "Hier hat sich eine abgehobene Kaste von den Bürgern gelöst".
Lieferketten und Menschenrechte: In einem Gastbeitrag für LTO stellt Rechtsanwalt Thomas Voland den kürzlich von der EU-Kommission präsentierten Entwurf für eine europäische Lieferketten-Richtlinie vor. Danach sollen Unternehmen zukünftig in die Pflicht genommen werden, menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette einzuhalten. Der Autor befürchtet allerdings, dass der Entwurf nicht die erhoffte Rechtsvereinheitlichung und Wettbewerbsgleichheit bringen werde. Er enthalte eine Vielzahl unklarer, auslegungsbedürftiger Rechtsbegriffe, deren Anwendung durch nationale Behörden und Gerichte divergieren könne. Infolge von zivilrechtlichen Klagen könnten sogar innerhalb eines Staates unterschiedliche Auslegungen durch Gerichte gefunden werden.
§ 219a StGB: Im Interview mit zeit.de (Nina Monecke) meint die Rechtsprofessorin Ulrike Lembke, dass die angedachte Streichung des Werbeverbotes in § 219a StGB zwar den Druck von jenen Ärzt:innen nehmen werde, die Schwangerschaftsabbrüche als gesundheitliche Grundversorgung angeboten haben und wegen der Information hierüber strafrechtliche Konsequenzen fürchten mussten, dass die meisten Probleme damit aber nicht gelöst würden. Die Versorgungslage werde immer schlechter, weil es immer weniger Ärzt:innen gebe, die Abbrüche anböten. Lembke plädiert dafür, Schwangerschaftsabbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches zu regeln.
Justiz
EuGH zu Abschiebehaft: Der Europäische Gerichtshof hat in einem Vorlageverfahren des Amtsgerichtes Hannover das Trennungsgebot, wonach eine getrennte Unterbringung von Abschiebehäftlingen und Strafgefangenen sicherzustellen ist, konkretisiert. Entscheidend sei, so das Gericht, dass der Komplex für die Abschiebehäftlinge über eine eigene Ausstattung verfüge und von den übrigen Gebäuden der Einrichtung für die Strafgefangenen getrennt sei. Zudem müsse die Art der Unterbringung der Abschiebehäftlinge so weit wie möglich verhindern, dass sie einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt. Die Richter haben auch festgestellt, dass der Gesetzgeber nicht (wie in § 62a Aufenthaltsgesetz vorgesehen) pauschal für drei Jahre eine Überlastung von Abschiebehaftanstalten feststellen kann, um ausnahmsweite die Unterbringung von Abschiebehäftlingen in normalen Gefängnissen zu ermöglichen. Vielmehr müsse ein Gericht jeweils im Einzelfall prüfen, ob tatsächlich keine Plätze in Abschiebehaftanstalten zur Verfügung stehen. Es berichten taz (Christian Rath) und LTO (Tanja Podolski).
BVerfG zu 2G im Bundestag: Das Bundesverfassungsgericht hat laut LTO den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die 2G-Regelung im Bundestag verworfen. Die AfD-Fraktion und mehrere Abgeordnete hatten sich gegen eine Allgemeinverfügung von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) gewandt, die vorsieht, dass nur geimpfte oder genesene Parlamentarier:innen auf den Abgeordnetenplätzen der unteren Ebene des Plenarsaals sitzen dürfen. Es erschließe sich nicht, so das BVerfG, dass damit ein Konzeptwechsel im geltenden parlamentarischen System durch eine Einschränkung des Minderheitenschutzes oder die Schaffung einer Zweiklassengesellschaft intendiert oder verbunden sein könnte.
BVerfG zum Klimaschutz: Rechtsprofessor Gerd Winter kommentiert im Verfassungsblog den Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom März vergangenen Jahres und die Entscheidung zu mehreren landesgesetzlichen Regelungen in diesem Jahr. Er meint, dass das Gericht ein neues Rechtsmodell eingeführt habe, das man als "Bewirtschaftung knapper natürlicher Ressourcen" bezeichnen könne und das sich von dem Modell "Bewahrung der Gesundheit und der natürlichen Lebensgrundlagen" unterscheide.
BFH zu zivilem ISAF-Einsatz: Auf die Bezüge für eine zivile Tätigkeit im Rahmen der ISAF-Mission in Afghanistan fällt Einkommenssteuer an, hat der Bundesfinanzhof entschieden. Geklagt hatte ein ehemaliger Berater bei der ISAF, der der Auffassung war, auf Grund von internationalen Abkommen unterliege dieses Einkommen, das von der NATO gezahlt wurde, nicht der deutschen Steuerpflicht. Der BFH stellte nun aber klar, dass hier keine völkerrechtliche Vereinbarung einschlägig ist, aus der sich ein Anspruch auf Steuerbefreiung ergebe. FAZ (Katja Gelinsky) und LTO berichten.
VG Magdeburg zum Genesenenstatus: Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat laut LTO den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Verkürzung des Corona-Genesenenstatus abgelehnt. Der Antragsteller habe die Eilbedürftigkeit einer solchen Anordnung nicht glaubhaft machen können, so das Gericht, und verwies dabei auch darauf, dass im Rahmen der geplanten schrittweisen Öffnungen davon ausgegangen werden könne, dass ab dem 20. März alle tiefgreifenden Schutzmaßnahmen entfallen.
VG Köln zu AfD als Verdachtsfall: Das Verwaltungsgericht Köln hat nun auch über den Eilantrag der AfD gegen die Einstufung als rechtsextremistischer Verdachtsfall entschieden und diesen abgelehnt. Ein Hängebeschluss, den das Gericht in diesem Verfahren im März 2021 erlassen hatte, habe sich damit erledigt, so LTO. Am Dienstag hatte das Gericht bereits im Hauptsacheverfahren die Einstufung der AfD gebilligt. Damit steht einer Beobachtung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz derzeit nichts mehr im Wege.
"Ungeimpft"-Sterne und Volksverhetzung: Josef Schuster, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, begrüßt es, dass die Justiz inzwischen zumindest in einigen Bundesländern aktiv wird, wenn Impfkritiker:innen nachgemachte "Judensterne" mit der Aufschrift "ungeimpft" tragen und sich so mit Holocaust-Opfern vergleichen. Er sei froh, wenn Staatsanwaltschaften dies als volksverhetzend einstufen, und er hoffe, dass Polizei und Justiz bundesweit viel stärker gegen diese Geschichtsklitterung der Demonstranten vorgehen. Die taz (Matthias Meisner) berichtet über eine entsprechende Rede Schusters.
Recht in der Welt
EU-Rechtsstaatlichkeit/Polen/Ungarn: Das Europäische Parlament forderte erneut die EU-Kommission auf, gegen Polen und Ungarn den neuen finanziellen Rechtsstaatsmechanismus zu aktivieren. Eine entsprechende Resolution wurde mit 478 zu 155 Stimmen angenommen. Bisher hatte die EU-Kommission ihr Zögern damit begründet, erst noch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Klagen aus Warschau und Budapest abwarten zu wollen. Doch auch seit der EuGH diese Klagen im Februar zurückgewiesen hatte, seien noch keine Verfahren eingeleitet worden, schreibt zeit.de.
USA – Lynchjustiz: Nun berichtet auch die SZ (Reymer Klüver), dass in den USA in dieser Woche ein Gesetz verabschiedet wurde, mit dem erstmals das Lynchen als eigener Straftatbestand eingeführt wurde. In den letzten 100 Jahren habe es rund 200 erfolglose Gesetzesinitiativen hierzu gegeben.
Italien – Suizidhilfe: Die italienische Abgeordnetenkammer hat ein Suizidhilfegesetz verabschiedet, meldet die SZ. Die Neuregelung soll für Personen gelten, die an einer irreversiblen Krankheit mit einer ungünstigen Prognose oder an einem irreversiblen klinischen Zustand leiden. Sie dürfen medizinische Hilfe erbitten, um ihr Leben freiwillig zu beenden.
* korrigiert am Erscheinungstag um 13 Uhr.
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LTO/pf
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Die juristische Presseschau vom 11. März 2022: . In: Legal Tribune Online, 11.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47795 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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