Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. Januar 2022: Busch­mann zu Frei­heit in der Pan­demie / Mont­go­mery ver­tei­digt Richter-Kritik / RA Klinger und der Kli­ma­schutz

03.01.2022

Der Bundesjustizminister schreibt über Freiheit und Verantwortung in Pandemiezeiten. Montgomery verteidigt seine "Richterlein"-Äußerung. Remo Klinger klagt mehrgleisig für mehr Klimaschutz.

Thema des Tages

Corona – Maßnahmen/Freiheit: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schreibt in einem Gastbeitrag für die Mo-FAZ über "Freiheit als politisches Prinzip". Er beschreibt die Grenzen politischer Entscheidungen in einer liberalen Demokratie, "die aus der Freiheit des Einzelnen entspringen". Wenn der einzelne Mensch solche Grenzen zu seinen Lasten verletzt sehe, dann sei es in der liberalen Demokratie sein gutes Recht, sich dagegen vor Gerichten zu wehren. Und wenn Gerichte ihm sodann Recht geben, dann seien dort keine "kleinen Richterlein" tätig, schreibt Buschmann in Anspielung auf eine Wortmeldung des Vorsitzenden des Weltärztebundes Montgomery, sondern Hüter eines freiheitlichen Fundamentalprinzips. Buschmann appelliert aber auch an die Verantwortung des Einzelnen für Andere. Ein hoch ansteckendes Virus stecke die Räume bloßer Verantwortung für sich selbst enger. Wer keine medizinische Maske tragen oder sich nicht impfen lassen möchte, schade nicht nur sich und seiner Gesundheit, er trage potenziell zur Überlastung des Gesundheitssystems bei und mute damit anderen möglicherweise schwere Lasten für Leben und Gesundheit zu.

Corona – Maßnahmen/Verhältnismäßigkeit: In der kommenden Woche wollen sich die Vertreter des Bundes und der Länder erneut treffen, um über Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zu beraten. Im Interview mit zdf.de erläutert der Richter des Bundesverfassungsgerichtes Henning Radtke, welcher verfassungsrechtliche Maßstab dafür gilt und weist insbesondere auf das Erfordernis der Verhältnismäßigkeit hin. Die Anwendung dieses Maßstabes bei der Prüfung konkreter Maßnahmen sei dabei von den jeweiligen Verhältnissen, wie zum Beispiel dem Impffortschritt oder die Wirkung der Impfungen abhängig, so Radtke. Diese Maßstäbe seien auch in den Verfahren zur Bundesnotbremse angewendet worden, so dass er die Kritik daran nicht nachvollziehen könne. Die Spielräume, die dort eröffnet worden seien, seien die Spielräume, die der demokratische unmittelbar legitimierte Gesetzgeber eben habe.

OVG Nds zu 2G/Montgomery: Im Interview mit der Mo-FAZ (Kim Björn Becker) verteidigt der Ratsvorsitzende des Weltärzteverbandes Frank Ulrich Montgomery seine Kritik an justiziellen Entscheidungen in der Coronakrise: Montgomery hatte in einem früheren Interview in Bezug auf eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Niedersachsen zur 2G-Regel gesagt, er stoße sich daran, "dass kleine Richterlein sich hinstellen und wie gerade in Niedersachsen 2G im Einzelhandel kippen, weil sie es nicht für verhältnismäßig halten". Es sei eine gezielte Provokation gewesen und er glaube, dass gestandene und souveräne Richter damit schon umgehen könnten, sagte Montgomery jetzt zur FAZ. Die Diskussion zeige ihm, dass es in Deutschland ein Problem gebe, wenn man die Rechtsprechung kritisieren wolle. Die Gewaltenteilung sei absolut unabdingbar, aber Richter müssten die Verhältnismäßigkeit ihrer Entscheidungen prüfen und auch hinreichend präzise sein.

Kritik müssten Richter nicht nur aushalten, sagte in einem Gastbeitrag für die WamS, Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht und Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter, in Bezug auf die ursprüngliche Äußerung Montgomerys, sie sei sogar ausdrücklich erwünscht. Seegmüller mahnte aber einen "an der Sache orientierten Dialog der Wissenschaften" an, in dem jede Seite die jeweilige Rolle respektiere und so die "Grundlage für gute, qualitativ hochwertige allgemein akzeptierte juristische Entscheidungen" schaffe.

Rechtspolitik

Familien: In einer umfassenden Kritik beleuchtet Reinhard Müller (Mo-FAZ) die familienpolitischen Vorhaben der Ampelkoalition. Die angedachte Einführung einer "Verantwortungsgemeinschaft" bedeute eine "Verwässerung der Familie von Vater, Mutter, Kindern" und in einer Streichung des Verbotes der Werbung für Abtreibungen macht Müller das Ziel der Koalition aus, "den Schwangerschaftsabbruch zu einem normalen Eingriff, zu einer üblichen "Heilbehandlung" zu machen". Das aber missachte den Schutz des ungeborenen Lebens unter dem Grundgesetz, meint Müller. Es sei bigott, wie die Ampel einerseits Kindergrundrechte ausdrücklich in die Verfassung schreiben wolle und andererseits einen Freifahrtschein dafür ausstelle, werdendes Leben zu vernichten. Die neue Regierung sollte an dieser Stelle ihr Motto ändern in: Mehr Rückschritt wagen.

Justiz

Klimaschutz vor Gericht/RA Remo Klinger: Die Mo-SZ (Thomas Hummel) gibt einen Überblick über die vom Berliner Anwalt Remo Klinger vertretenen Klimaklagen. So hatte Klinger als einer der Klägervertreter maßgeblich auf den wegweisenden Klima-Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes von 2021 hingewirkt. Jetzt hat sich Klinger, gemeinsam mit der Deutschen Umwelthilfe, die Klimaschutzgesetzgebung der Bundesländer vorgenommen und unterstützt entsprechende Verfassungsbeschwerden von Jugendlichen gegen zehn Bundesländer. Gegen die Umsetzung des Klimaschutzgesetzes des Bundes klagt Klinger vor dem OVG Berlin-BB. Und auch gegen Unternehmen wie VW, BMW, Mercedes und den Erdgasproduzenten Wintershall geht Klinger in Sachen Umwelt- und Klimaschutz vor.

EGMR in 2021: LTO (Franziska Kring) fasst sechs wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte aus dem Jahr 2021 zusammen. So wurde Mitte Februar entschieden, dass die deutsche Justiz genug getan habe, um den Luftangriff bei Kunduz (Afghanistan) aufzuklären. Außerdem gab es vom EGMR strengere Vorgaben für die anlasslose Internetüberwachung durch Geheimdienste. Und die Richter hatten sich mit dem Flüchtlingsschutz und mit den Haftentschädigungen für die nach dem Putschversuch 2016 eingesperrten türkischen Juristinnen und Juristen zu befassen.

EuGH in 2021: LTO (Pauline Dietrich) schaut zurück auf fünf wichtige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes aus dem vergangenen Jahr. Es ging in Luxemburg unter anderem um die umstrittenen Justizreformen in Polen, um urheberrechtliche Fragen bei der Einbettung von Links in Webseiten sowie um die arbeitsrechtliche Bewertung eines Kopftuchverbotes und um die (Un-)Zulässigkeit einer Klimaklage.

BVerfG in 2021/2022: Nicolas Harding gibt im Juwiss-Blog einen Überblick über wichtige Bundesverfassungsgerichts-Entscheidungen des vergangenen Jahres: Karlsruhe befasste sich mit dem Berliner Mietendeckel, dem Klimagesetz, dem Rundfunkbeitrag, dem Europäischen Haftbefehl und kurz vor dem Jahreswechsel mit den Kriterien für mögliche Triage-Entscheidungen. Und auch für das nächste Jahr erwartet Harding wieder Spannendes: Gegen die Impfpflicht für Beschäftigte in medizinischen Einrichtungen liegen bereits Verfassungsbeschwerden vor und auch die Entscheidung zu von der Ex-Kanzlerin getroffenen Aussagen zur umstrittenen Landtagswahl in Thüringen steht noch aus.

EuGH: Die FAS (Marlene Grunert) stellt ausführlich den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg vor. Unter anderem geht es um dessen Architektur, den großen Übersetzungsdienst, die Vorabentscheidungsersuchen, den Konflikt der EU mit Polen, die Traurigkeit des polnischen EuGH-Richters Marek Safjan über die Entwicklung in seinem Land und die Ratlosigkeit des französischen Generalanwalts Jean Richard de la Tour über die Lösung des Konflikts.

Recht in der Welt

Österreich – Suizidhilfe: In Österreich ist, wie die Mo-taz meldet, mit dem Jahreswechsel das sogenannte Sterbeverfügungsgesetz in Kraft getreten, aufgrund dessen Menschen mit einer dauerhaften schweren oder unheilbaren Krankheit Zugang zu tödlichen Medikamenten erhalten können.

Sonstiges

Anwältin für Migrationsrecht: Im Interview mit LTO-Karriere (Pauline Dietrich) spricht die Rechtsanwältin Nizaqete Bislimi-Hošo über ihren Alltag als Migrationsrechtlerin und ihre eigenen Erfahrungen als Jurastudentin ohne gesichertes Aufenthaltsrecht.

Rechtsgeschichte – Von Agenten und Doppelagenten: Martin Rath (LTO) erzählt die Geschichte vom ersten deutsch-amerikanischen Doppelagenten und von einem Gerichtsverfahren vor dem Bezirksgericht in Brooklyn, in dem 30 Männer und Frauen wegen ihrer Spionagetätigkeit angeklagt waren.

 

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der heutigen Printausgabe oder im kostenpflichtigen Internet-Angebot des jeweiligen Titels.

Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/pf

(Hinweis für Journalistinnen und Journalisten)

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 1. bis 3. Januar 2022: . In: Legal Tribune Online, 03.01.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47097 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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