Die juristische Presseschau vom 21. Dezember 2021: Corona-Ver­stöße vor Gericht / Kon­takt­be­schrän­kungen geplant / Studie zu Umwelt-Ver­bands­klage

21.12.2021

Corona-Skeptiker:innen belasten die Justiz und fordern sie heraus. Bund und Länder wollen am heutigen Dienstag neue Corona-Kontaktbeschränkungen diskutieren. Eine Studie im Auftrag des Umweltbundesamtes betont den Nutzen der Verbandsklage. 

Thema des Tages

Corona-Verstöße vor Gericht: Die SZ (Ronen Steinke) bringt eine Seite 3-Reportage aus dem Amtsgericht Tiergarten in Berlin. Seit dem Beginn der Corona-Pandemie sind die Gerichte demnach mit zusätzlicher Belastung auch und insbesondere durch Corona-Skeptiker:innen konfrontiert. So sind derzeit allein im AG Tiergarten rund ein Dutzend von 170 Richter:innen mit Ordnungswidrigkeiten beschäftigt, die "Menschen mit Diskussionsbedarf" begangenen haben. Es geht dabei insbesondere um die Weigerung, medizinische Masken zu tragen. Geschildert werden auch Auftritte des Anwalts Friedemann* Däblitz, der für sich mit dem Satz wirbt: "Wenn es Ihnen um's Prinzip geht, sind Sie bei mir richtig." Zugleicht nutzten andere Angeklagte angebliche "Erkältungssymptome" als Vorwand, um Gerichtstermine nicht wahrzunehmen zu müssen.

Corona-Beschränkungen vor Gericht: Die SZ (Wolfgang Janisch) gibt einen Überblick über aktuelle Gerichtsentscheidungen, bei denen Corona-Verordnungen der Länder beanstandet wurden. Im Mittelpunkt steht der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Niedersachsen von voriger Woche, mit dem die 2G-Regel für den Einzelhandel unter anderem unter Hinweis auf die Grundrechte Ungeimpfter als unverhältnismäßig gekippt wurde. Es scheine, als winkten die Gerichte nun nicht mehr alle Corona-Beschränkungen durch. 

Rechtspolitik

Corona – Beschränkungen: Bund und Länder planen neue Kontaktbeschränkungen für die Zeit nach Weihnachten. So sollen sich laut Beschlussvorlage für die Bund-Länder-Runde am heutigen Dienstag ab dem 28. Dezember bei privaten Zusammenkünften von Geimpften und Genesenen nur noch maximal zehn Personen treffen dürfen, Kinder ausgenommen. Sobald eine ungeimpfte Person teilnimmt, sollen die Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte gelten. Clubs und Diskotheken sollen geschlossen werden. Bei Veranstaltungen in geschlossenen Räumen sollen ansonsten nur 30 bis 50 Prozent der Kapazität genutzt werden dürfen. Betreiber kritischer Infrastrukturen sollen ihre Pandemiepläne überprüfen und gewährleisten, dass diese auch kurzfristig aktiviert werden können. Über die geplanten Schritte berichten u.a. die taz (Barbara Dribbusch), spiegel.de (Florian Gathmann u.a.) und LTO.

Jasper von Altenbockum (FAZ) meint, es trage nicht unbedingt zur Beruhigung bei, wenn jetzt die Funktionstüchtigkeit kritischer Infrastrukturen thematisiert werde. Offensichtlich gehe die Politik davon aus, dass die bevorstehende fünfte Corona-Welle die heftigste werde. Schon jetzt gehe es darum, die Wirkung der unvermeidlichen Welle zu dämpfen. Die Hoffnung, das dritte Corona-Jahr werde wieder "normal" sein, habe getrogen. Normal sei Corona. 

Corona – 2G BaWü: Das Land Baden-Württemberg hat die 2G-Regelung an Hochschulen in dem Bundesland nach einem Urteil des Verwaltungsgerichtshofes in Mannheim vom vergangenen Freitag neu gefasst. Danach dürfen Ungeimpfte auch mit negativem Coronatest weiterhin nicht an Präsenzveranstaltungen teilnehmen. In der Landes-Verordnung wird nun aber präzisiert, mit welchen Möglichkeiten Unis die "Studierbarkeit" der Fächer sicherstellen müssen. So könne u.a. ein digitaler Zugang zu Lehrveranstaltungen oder die Aushändigung schriftlicher Unterlagen verlangt werden. Es berichten beck-aktuell und LTO

Verbandsklage im Umweltrecht: Die taz (Christian Rath) stellt eine Studie des Unabhängigen Instituts für Umweltfragen (UfU) im Auftrag des Umweltbundesamtes vor. Danach hat sich die Verbandsklage für Umweltverbände auch nach den gesetzlichen Änderungen im Jahr 2017 weiter bewährt. Die Verbandsklage helfe Vollzugsdefizite im Umweltrecht zu beheben. Mehr als die Hälfte der Verbandsklagen der letzten vier Jahre sei ganz oder teilweise erfolgreich gewesen. Dies zeige, dass die Umweltverbände ihre Klagemöglichkeiten regelmäßig nur in ausgewählten Fällen mit guten Erfolgsaussichten nutzten und Projekte nicht generell blockierten. Die Abschaffung der materiellen Präklusion habe die Verfahrensdauer nicht verlängert

Planung: Im Gespräch mit der taz (Christian Rath) akzeptiert die Umweltrechtlerin Louisa Hantsche das Ziel der Koalition, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren zu halbieren, allerdings dürfe dies nicht zu Lasten von Umwelt und Rechtschutzmöglichkeiten gehen. Statt mit dem Instrument der Legalplanung zu arbeiten, solle für die Planungsbeschleunigung bei verwaltungsinternen Abläufen angesetzt werden. Die angekündigte Wiedereinführung der materiellen Präklusion sei ohne Verstoß gegen EU-Recht kaum denkbar. Die von der Ampel-Koalition geplante "Mitwirkungspflicht für Umweltverbände" sei irritierend, hätten Umweltverbände doch ein Mitwirkungsrecht und nicht etwa eine Pflicht.

Elterngeld: Bundesfamilienministerin Anne Spiegel (Grüne) hat einen Ausbau des Elterngeldes angekündigt. So soll ein Elternteil für die ersten zwei Wochen nach der Geburt bei vollem Gehalt bei der Familie bleiben können. Zudem soll die Bezugsdauer von Elterngeld für Paare verlängert werden, die sich die Elternzeit aufteilen. Schließlich sollen Kinder eine "Anerkennung für das solidarische Verhalten in der Pandemie" erhalten, etwa "in Form eines Zoogutscheins oder Ähnlichem". Es berichten FAZ (Corinna Budras) und spiegel.de.
 
Heike Anger (Hbl) kritisiert, mit den geplanten Gutscheinen werde "jede Lebenslage mit einem staatlichen Gutschein geregelt". Zudem drohe ein "Nanny-Staat", der bei den Bürger:innen "richtiges" Verhalten erreichen wolle. Stattdessen sollte über eine Bündelung von Leistungen und eine unkomplizierte Auszahlung nachgedacht werden.

Polizeiliche Gesichtserkennung: Der wissenschaftliche Mitarbeiter Stephan Schindler schreibt auf dem Verfassungsblog ausführlich über den bereits praktizierten bzw. diskutierten polizeilichen Einsatz von Gesichtserkennung in Verbindung mit Videoüberwachung. Nach der derzeitigen Rechtslage sei es möglich, den polizeilichen Einsatz von Gesichtserkennung rechtskonform zu regeln und auszugestalten. Dies sei Aufgabe des Gesetzgebers. Auch drohe keine über das deutsche (Verfassungs-)Recht hinausgehende Einschränkung durch den Entwurf einer EU-Verordnung zur Regulierung Künstlicher Intelligenz. 

Justiz

BVerfG – Corona-Impfpflicht: Einer Meldung von LTO zufolge ist beim Bundesverfassungsgericht eine erste Verfassungsbeschwerde gegen die Corona-Impfpflicht für Gesundheits- und Pflegepersonal eingegangen. Damit verbunden sei auch ein Eilantrag. 

BAG zu Einladungspflicht: community.beck.de (Christian Rolfs) stellt eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts von Juli dieses Jahres vor. Danach genügen öffentliche Arbeitgeber der aus § 165 Satz 3 Sozialgesetzbuch IX folgenden Verpflichtung, schwerbehinderte Bewerber:innen zum Vorstellungsgespräch einzuladen, schon dadurch, dass sie die Bewerber:innen in einem einfachen Brief einladen. Es muss weder für einen gesicherten Zugang gesorgt noch müssen zusätzliche Kommunikationswege bemüht werden. 

VGH Bayern zu 2G/Spielwarenläden: Einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zufolge dienen Spielzeugläden in Bayern genauso wie Buchhandlungen oder Blumenläden der Deckung des täglichen Bedarfs und unterliegen damit nicht der 2G-Regel. Wie wichtig und dringlich ein täglicher Bedarf sein müsse, damit das Geschäft nicht der 2G-Vorschrift unterliegt, sei weder dem Verordnungstext noch der Begründung zu entnehmen, so das Gericht laut LTO.

OVG Münster zu Tagebau Garzweiler: Auf mehreren Grundstücken des Dorfes Lützerath, das nach bisherigen Plänen dem Braunkohle-Tagebau II weichen soll, darf der Energiekonzern RWE zunächst keine Rodungen oder Räumungen mehr vornehmen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Münster in einem Hängebeschluss entschieden. Die taz (Malte Kreutzfeldt) berichtet.

BayObLG zu Kennzeichenmissbrauch: Einer Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts zufolge macht auch derjenige Gebrauch von seinem Fahrzeug im Sinne von § 22 Absatz 2 Straßenverkehrsgesetz und erfüllt den Tatbestand des Kennzeichenmissbrauchs, der im öffentlichen Verkehrsraum am Straßenrand einen Anhänger abstellt, an dessen Heckseite ein nicht für dieses Fahrzeug zugeteiltes Kennzeichen angebracht ist. Um die Halter- und Fahrerfeststellung zu gewährleisten, sei der Begriff des Gebrauchmachens weit auszulegen. Die Entscheidung präsentiert Rechtsanwalt Nicolas Böhm bei beck-aktuell.

LG Frankfurt/M. zu Ryanair-AGB: Nach Auffassung des Landgerichts Frankfurt am Main sind Klauseln der Fluggesellschaft Ryanair rechtswidrig, mit denen Passagiere davon abgehalten werden sollen, ihre Entschädigungsansprüche an Internetportale abzutreten. Dadurch würden die Verbraucher:innen unangemessen benachteiligt. Es berichtet LTO.

LG Mainz zu Ex-SPD-MdB Held: Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete und Bürgermeister der Stadt Oppenheim, Marcus Held, ist laut LTO vom Landgericht Mainz wegen Untreue und Bestechlichkeit zu einer Haftstrafe von einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt worden. Demnach hat Held die Stadtkasse bei der Zahlung von nicht erforderlichen Maklergebühren geschädigt und im Gegenzug mit dem Makler die Zahlung von Spenden an die SPD Oppenheim verabredet. 

ArbG München – Kündigung wegen Video : LTO (Tanja Podolski) schreibt eingehend über die vor dem Arbeitsgericht München anhängige Kündigungsschutzklage der Pathologie-Mitarbeiterin eines Krankenhauses. Ihr Arbeitgeber hatte gekündigt, nachdem die Frau am Arbeitsplatz ein Video gedreht und dieses online gestellt hatte, in dem sie behauptete, PCR-Tests von ungeimpften Beschäftigten müssten von diesen selbst gezahlt werden. Zwar sei von einer Pflichtverletzung der Frau zu Lasten des Arbeitgebers auszugehen. Es sei aber unklar, ob diese eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung begründe. 

Recht in der Welt

Ägypten – Repression: Ein ägyptisches Gericht hat den Blogger und Aktivisten Alaa Abd el-Fattah zu einer Gefängnisstrafe von fünf Jahren wegen angeblicher Verbreitung von Falschnachrichten verurteilt. Er war eines der Gesichter der arabischen Revolution von 2011. Zugleich wurden auch sein Rechtsanwalt, Mohamed El-Bager, und ein weiterer Mann zu jeweils vier Jahren Haft verurteilt. Es berichten netzpolitik.org (Markus Reuter) und die taz (Karim El-Gawhary).

Dänemark - Haft im Kosovo: Nun schreibt auch die taz (Reinhard Wolff) über die Pläne der dänischen Regierung, im Kosovo 300 Gefängniszellen anzumieten. Das entsprechende Abkommen wurde am gestrigen Montag unterzeichnet.

Polen – Mediengesetz: Nun schreibt auch spiegel.de (Jan Puhl) über das neue polnische Mediengesetz. Die FAZ (Gerhard Gnauck) vermutet, dass die polnische Regierung das Gesetz gerade jetzt blitzschnell durch das Parlament gepeitscht hat, um von zwei aktuellen politischen Skandalen abzulenken. 

Florian Hassel (SZ) meint, sich den letzten kritisch berichtenden nationalen Fernsehsender TVN24 gefügig zu machen, sei ein zentrales Element des Machterhalts für die Regierungspartei PiS. Diese habe bereits in der Vergangenheit demonstriert, dass sie millionenschwere Strafzahlungen an die EU nicht beeindruckten. Insofern seien drohende Gerichtsverfahren für die PiS ohne Relevanz. 

USA – Ghislaine Maxwell: Im Prozess gegen die Vertraute des verstorbenen Sexualstraftäters Jeffrey Epstein, Ghislaine Maxwell, haben Anklage und Verteidigung ihre Schlussplädoyers verlesen. Dabei erklärte Maxwells Anwältin, die Opfer erinnerten sich falsch an die Geschehnisse. Sie hätten wegen der Aussicht auf Schadensersatzzahlungen geklagt. Maxwell solle zum Sündenbock gemacht werden. Über den Prozesstag berichtet zeit.de

Bei spiegel.de (Alexandra Rojkov) findet sich ein Gespräch mit der forensischen Psychologin Coral Dando. Sie äußert, in der Öffentlichkeit gebe es ein Zerrbild. Frauen würden als liebenswürdiger und fürsorglicher gelten, so dass man ihnen Grausamkeit weniger zutraue. Tatsächlich gebe es viele Menschenhändlerinnen. Frauen seien zwar oft nur Handlangerinnen, die Männern zuarbeiten. Sie seien aber genauso schuldig. 

Sonstiges

Nord Stream 2: Nach Auffassung der Rechtsanwältin Cornelia Ziehm könnte das Bundeswirtschaftsministerium angesichts des russischen Truppenaufmarsches an der ukrainischen Grenze seine sicherheitspolitische Stellungnahme über die Zertifizierung der Gaspipeline Nordstream 2 revidieren und damit die Genehmigung der Pipeline unterbinden. Die taz (Hannes Koch) stellt Ziehms Analyse vor. 

Das Letzte zum Schluss 

Pokémon-Schmuggel: Sollten Sie darüber nachdenken, ihre Pokémon-Kartensammlung über die Feiertage über irgendwelche Grenzen zu schmuggeln, seien Sie gewarnt: Der Zoll kennt sich aus und ist vorbereitet. Vergangene Woche wurde am Grenzübergang Gottmadingen ein Mann entdeckt, der Pokémon-Sammelkarten im Wert von fast 1800 Euro aus der Schweiz nach Deutschland schmuggeln wollte. spiegel.de berichtet.

*Vorname korrigiert, 21.12.2021 10:43 Uhr

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lto/jng

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 21. Dezember 2021: . In: Legal Tribune Online, 21.12.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47004 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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