Hält ein Gericht die Berufung für aussichtslos, darf es diese sofort zurückzuweisen, wenn es zuvor auf diese Absicht hinweist. Bevor die Rechtsmittelbegründung eingegangen ist, geht das aber nicht, rügt der BGH ein voreiliges OLG.
Hat eine Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg, kann das Gericht sie sofort zurückweisen – durch Beschluss, ohne erneute mündliche Verhandlung. Auf diese Rechtsauffassung muss das Gericht den Beschwerdeführer aber vorher hinweisen, auch muss dieser die Möglichkeit haben, “binnen einer zu bestimmenden Frist” die Argumente nachzuschärfen. Das schreibt § 522 Abs. 2 Nr. 1, S. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) vor. Um diesen Hinweis zu erteilen, muss das Gericht sich zuvor mit der Berufungsbegründung auseinandergesetzt haben, entschied nun der Bundesgerichtshof (BGH, Beschl. v. 12.06.2024, Az. XII ZR 92/22). Andernfalls werde das Recht auf rechtliches Gehör verletzt.
In dem Verfahren stritten zwei Geschwister um die Herausgabe eines Grundstücks. Die Schwester unterlag in erster Instanz vor dem Landgericht München II gegen ihren Bruder (Urt. v. 26.04.2022, Az. 12 O 592/22). Sie legte Berufung ein, zunächst ohne diese zu begründen, was die §§ 517, 520 ZPO zulassen. Noch bevor die Begründung der Berufung eingegangen war, erließ das Oberlandesgericht (OLG) München einen Hinweisbeschluss, mit dem es seine Absicht ankündigte, die Berufung als offensichtlich aussichtslos zurückzuweisen. Als die Begründung schließlich fristgerecht eintraf, ließ das Gericht seinen Worten Taten folgen und wies die Berufung zurück – ohne einen erneuten Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO zu erteilen (Beschl. v. 05.09.2022, 32 U 2545/22).
Die Schwester sah darin eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und zog vor den BGH. Der gab ihr nun Recht.
Beurteilung der Erfolgsaussichten nur mit Begründung möglich
Dass das OLG den Hinweis auf die Zurückweisungsabsicht zu einem Zeitpunkt erließ, als die Berufung noch nicht begründet war, und diesen anschließend nicht wiederholte, sei rechtsfehlerhaft. Das Gesetz enthalte zwar keine ausdrückliche Regelung dazu, wann der Hinweis nach § 522 Abs. 2 S. 2 ZPO zu erfolgen habe. "Es ist aber evident, dass zumindest die Berufungsgründe einschließlich etwaiger (zulässig) geltend gemachter neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel vorliegen müssen, um dem Berufungsgericht überhaupt die Beurteilung zu ermöglichen, ob dem Rechtsmittel auch eine mündliche Verhandlung offensichtlich nicht zum Erfolg verhelfen kann", stellten die Karlsruher Richter klar.
Das OLG hätte der Schwester nach Erhalt der Berufungsbegründung und vor Zurückweisung des Rechtmittels zumindest einen weiteren Hinweis erteilen müssen. Einen Hinweis, in dem es klarstellt, dass es die Begründung zur Kenntnis genommen, sich seine Einschätzung zu den Erfolgsaussichten aber nicht verändert habe. Da dies aber nicht geschehen sei und nicht ausgeschlossen werden könne, dass es bei Berücksichtigung der Begründung zu einer abweichenden – für die Schwester möglicherwiese günstigeren – Entscheidung gekommen wäre, sei der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt.
Das OLG München muss sich nun erneut mit der Berufung der Schwester auseinandersetzen. Der BGH hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
lmb/LTO-Redaktion
BGH zur Hinweispflicht bei aussichtsloser Berufung: . In: Legal Tribune Online, 12.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55191 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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