BGH zum Dieselskandal: Rest­scha­dens­er­satz für VW-Käufer trotz Ver­jäh­rung

21.02.2022

Trotz Verjährung kann in der VW-Abgasaffäre für Neuwagenkäufer noch ein Anspruch auf Restschadensersatz bestehen, hat der BGH in zwei weiteren, ähnlich gelagerten Dieselverfahren entschieden.

Käufer und Käuferinnen eines VW-Neuwagens können trotz Verjährung einen Anspruch auf Restschadensersatz nach § 852 S. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) haben. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden (Urt. v. 21.02.2022, Az. VIa ZR 8/21 und VIa ZR 57/21).

In den beiden Verfahren hatten eine Käuferin bzw. ein Käufer VW auf Schadensersatz nach dem Erwerb eines Neuwagens verklagt. Die Klägerin hatte 2012 ein Auto von VW für 36.189 Euro erworben, der Käufer eines für 30.213,79 Euro. Beide Autos waren mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 189 ausgestattet, der im Laufe des Dieselskandals umgangssprachlich auch als "Schummelmotor" tituliert worden ist.

Beide Autos hatten die umstrittene Software installiert, welche erkennt, ob sich das Auto auf dem Prüfstand befindet, und dann in einen optimierten Modus schaltet, um im Labor bessere Abgaswerte zu erreichen. Im alltäglichen Gebrauch auf der Straße wechselt die Software aber in den gewöhnlichen Abgasrückführungsmodus, sodass das Auto im Ergebnis mehr Abgase produziert, als Messungen auf dem Prüfstand ergeben. Nachdem im Herbst 2015 die Abgasaffäre publik wurde, ließen die Klägerin und der Kläger jeweils ein Software-Update installieren.

Die zwei Fälle: Schutzzweck von § 852 S. 1 BGB nicht einschlägig - oder doch?

Im Fall des klagenden Mannes hatte das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz die landgerichtliche Verurteilung von VW wegen einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung (§ 826 BGB) aufgehoben und die Klage insgesamt wegen Verjährung abgewiesen. Das Argument: Der Mann hätte die Abgasaffäre 2015 mitbekommen und dementsprechend früher klagen müssen. Deshalb dürfe sich VW auch in zweiter Instanz, also vor dem OLG selbst, noch auf die Einrede der Verjährung berufen, auch wenn VW diese vor dem Landgericht fallen gelassen hatte. Dagegen spreche auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben, so das OLG.

In der Sache befand das OLG, der Kläger könne keinen Anspruch aus § 852 S. 1 BGB geltend machen. Es begründete dies mit dem Schutzzweck der Norm, der hier nicht zugunsten des Klägers einschlägig sei: Dem Kläger hätte die Rechtsverfolgung vor Verjährung des Anspruchs aus § 826 BGB erschwert oder unmöglich gewesen sein müssen, sonst könne er sich nicht auf § 852 S. 1 BGB berufen. Das sei hier gerade nicht der Fall gewesen, so das OLG.

Im Fall der klagenden Frau hatte das OLG Oldenburg ähnlich wie das OLG Koblenz argumentiert: Ein Anspruch aus § 826 BGB bestehe zwar dem Grunde nach, sei aber verjährt. Eine Klage gegen VW sei jedenfalls ab 2016, also vor der Verjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2019, zumutbar gewesen.

Anders als das OLG Koblenz befand das OLG Oldenburg aber, dass § 852 S. 1 BGB auch dann anwendbar sei, wenn der Geschädigte schon vor Eintritt der Verjährung in der Lage war, seinen Schadensersatzanspruch gerichtlich geltend zu machen. Allerdings habe die Klägerin trotz eines entsprechenden Gerichtshinweises bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung keine Angaben zu dem von VW aus dem Verkauf des Kraftfahrzeugs an den Händler erzielten Gewinn gemacht.

Anspruch aus § 852 S. 1 BGB reicht nicht weiter als der aus § 826 BGB

In der Revision ging es in beiden Fällen nun nur noch um einen Anspruch auf Restschadensersatz aus § 852 S. 1 BGB. Der beim BGH als Hilfsspruchkörper eingerichtete VIa. Zivilsenat hat zugunsten der Klägerin bzw. des Klägers entschieden: Ein Anspruch nach § 852 S. 1 BGB bestehe ohne Rücksicht darauf, dass VW auch vor Ablauf der Verjährung ohne Schwierigkeiten hätte in Anspruch genommen werden können. Auch die Nichtbeteiligung an einem Musterfeststellungsverfahren stehe dem - anders als das OLG Koblenz noch befand - nicht entgegen.

Allerdings reiche der Anspruch aus § 852 S. 1 BGB nicht weiter als § 826 BGB, so der BGH, sodass sich der Kläger bzw. die Klägerin für die von ihnen mit den Fahrzeugen gefahrenen Kilometer eine Nutzungsentschädigung anrechnen lassen müssen.

Zu beachten: Rechtsanwaltskosten oder verauslagte Finanzierungskosten bekommen Kläger bzw. Klägerin nach § 852 S. 1 BGB nicht zurück. Anders als beim Anspruch aus § 826 BGB erstrecke sich § 852 S. 1 nämlich nicht auf solche Leistungen bzw. Kosten, so der BGH. VW wiederum könne nicht nach § 818 Abs. 3 BGB etwaige Herstellungs- und Bereitstellungskosten von dem erlangten (Händler-)Kaufpreis für die Autos abziehen. Grund dafür ist laut BGH die bösgläubige Bereicherung durch VW im Sinne von §§ 818 Abs. 4, 819 BGB.

Im Ergebnis haben die OLG nun noch zu klären, wie hoch diese Nutzungsentschädigung im Einzelfall ist.

Erst kürzlich hatte der BGH hinsichtlich Käufer:innen von Gebrauchtwagen noch anders entschieden.

jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BGH zum Dieselskandal: . In: Legal Tribune Online, 21.02.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47604 (abgerufen am: 24.11.2024 )

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