Die Medienberichte über die Einstufung der AfD als Verdachtsfall seien dem BfV zurechenbar, das damit seine Stillhaltezusage an das VG Köln gebrochen habe, so das Gericht. Ein "unvertretbarer Eingriff in die Chancengleichheit der Parteien".
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) darf die AfD bis zum Abschluss eines Eilverfahrens vor dem Kölner Verwaltungsgericht (VG) nicht als rechtsextremistischen Verdachtsfall einordnen, so behandeln und beobachten. Das BfV darf auch nicht erneut eine Einstufung oder Behandlung als Verdachtsfall bekanntgeben. Das geht aus einem Beschluss des Kölner Gerichts hervor, der den Prozessbeteiligten am Freitag zugestellt worden ist (Beschl. v. 05.03.2021, Az. 13 L 105/21). Es war bereits der zweite Antrag der AfD auf Erlass einer Zwischenentscheidung, dem sogenannten Hängebeschluss, in dieser Sache.
Der Rechtsstreit geht schon länger. Ende Januar 2021 hatte die AfD den gegen die Bundesrepublik Deutschland - vertreten durch das BfV - gerichteten Antrag gestellt, nicht als Verdachtsfall oder gesichert extremistische Bestrebung eingestuft oder so behandelt zu werden und dies öffentlich bekanntzugeben. Zugleich hatte sie beantragt, bis zu der Entscheidung über diesen Eilantrag einen Hängebeschluss zu erlassen. Diesen hatte das Gericht jedoch Ende Januar abgelehnt, nachdem das BfV eine Stillhaltezusage abgegeben hatte. Diese sah vor, dass sich as BfV bis zum Abschluss des Eilverfahrens vor dem Verwaltungsgericht nicht öffentlich zu einer Einstufung äußere und bis zu einer Entscheidung auf den Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln zum Ausspähen von Abgeordneten und Kandidaten der AfD verzichte.
VG: "Unvertretbarer Eingriff in Chancengleichheit"
Allerdings hatte in der Folge der Präsident des Bundesamts, Thomas Haldenwang, die Verfassungsschützer der Länder diese Woche über eine interne Hochstufung der Partei zum Verdachtsfall informiert, öffentlich jedoch nichts dazu bekanntgegeben. Als später am 3. März Medienberichte über die neue Einschätzung der AfD durch das Bundesamt veröffentlicht wurden, nahm die Kölner Behörde dazu keine Stellung. Die AfD hatte daraufhin erneut einen Antrag auf Erlass eines Hängebeschlusses gestellt.
Diesem hat das VG Köln nun stattgegeben. Zu Begründung erklärte das Gericht, es werde "in unvertretbarer Weise" in die Chancengleichheit politischer Parteien eingegriffen. "Alles" spreche dafür, dass sich das BfV nicht an seine Stillhaltezusagen gehalten beziehungsweise nicht hinreichend dafür Sorge getragen hat, dass keine Informationen zu dem Verfahren nach außen gelangen.
Zudem habe das OVG NRW in seiner (oben genannten) Entscheidung die Stillhaltezusage ausdrücklich dahingehend verstanden, dass nicht nur eine öffentliche Bekanntgabe etwa im Wege einer Pressemitteilung unterlassen werde, sondern jegliche in ihrer Wirkung gleichkommende Maßnahme der Information der Öffentlichkeit. In der Medienberichterstattung vom 3. März sei die Einstufung der AfD als Verdachtsfall "durchgestochen" worden, was dem BfV zuzurechnen sei. Dadurch habe das BfV die Vertrauensgrundlage mit dem VG Köln zerstört. Der Hängebeschluss sei notwendig, obwohl die Einstufung als Verdachtsfall nunmehr in der Welt sei. Denn mit jeder Verlautbarung vertiefe sich der Eingriff in die Chancengleichheit der politischen Parteien.
Keine Einordnung und Behandlung als Verdachtsfall
In Bezug auf die Einordnung und Behandlung der AfD als Verdachtsfall falle die Folgenabwägung ebenfalls zulasten des BfV aus. Es könne nicht mehr davon ausgegangen werden, dass Stillhaltezusagen noch eingehalten werden. Zudem sei bereits durch die Bekanntgabe der Einstufung derart tief in die Chancengleichheit eingegriffen worden, dass eine weitere Beeinträchtigung für die Partei nicht hinnehmbar sei.
"Ein Inlandsgeheimdienst, der nichts geheim halten kann", spottete der AfD-Vorsitzende Jörg Meuthen. Der Co-Vorsitzende Tino Chrupalla sprach von einem "gezielten Eingriff in den Parteienwettbewerb mit staatlichen Mitteln" unmittelbar vor den Mitte März anstehenden Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland Pfalz.
Gegen den Beschluss können die Beteiligten vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster Beschwerde einlegen.
pdi/LTO-Redaktion
Mit Material der dpa
VG Köln erlässt nun doch einen Hängebeschluss: . In: Legal Tribune Online, 05.03.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44436 (abgerufen am: 01.11.2024 )
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