Die Bundesregierung sieht Israels Kriegsführung zwar kritisch, lehnt einen generellen Stopp von Waffenlieferungen aber ab. Mehrere Anwälte wollten die Genehmigungen auf dem Rechtsweg stoppen. Die Anträge sind jedoch unzulässig, so das VG.
Die Bundesregierung darf weiterhin selbst entscheiden, welche Kriegswaffen nach Israel exportiert werden dürfen und welche nicht. Das entschied das Verwaltungsgericht (VG) Berlin am Montag und wies damit in drei unterschiedlichen Eilverfahren die Anträge zurück (Beschl. v. 10.06.2024, Az. VG 4 L 44/24, VG 4 L 119/24 und VG 4 L 148/24). Die Anträge sind bereits unzulässig, so das VG. Die Antragsteller hätten kein schützenswertes Interesse an einem vorbeugenden einstweiligen Rechtsschutz.
Antragsteller in zwei der drei Verfahren sind Palästinenser, die sich zurzeit in Gaza aufhalten. Ein Verfahren hatte ein Kollektiv von sieben Berliner Rechtsanwälten um Ahmed Abed und Nadija Samour angestrengt, LTO hatte Anfang April ausführlich darüber berichtet. Ein weiteres Verfahren hatte das European Center for Constitutional und Human Rights (ECCHR) betriebenen. Darüber hinaus entschied das VG über den Antrag eines deutsch-palästinensischen Arztes aus Berlin und dessen in Gaza lebenden Vaters vom 19. Februar 2024. Antragsteller sind deshalb in allen Verfahren Menschen, auch wenn teilweise Menschenrechtsorganisationen beteiligt sind. Das deutsche Verwaltungsrecht kennt nämlich – außerhalb bestimmter Ausnahmerechtsgebiete – keine Verbandsklage.
Inhaltlich hatten die Antragsteller geltend gemacht, es bestehe derzeit die konkrete Gefahr, dass die Bundesrepublik Deutschland durch die Genehmigung von Waffenlieferungen an Israel gegen völkerrechtliche Verpflichtungen verstoße. Dabei hatten sie sich auf das Kriegswaffenkontrollgesetz (KrWaffKontrG) gestützt. Wegen des hohen Wertes von Leib und Leben sei es ihnen nicht zumutbar, Genehmigungen zur Ausfuhr von Kriegswaffen abzuwarten, die – allenfalls – nachträglich von ihnen angefochten werden könnten.
Das sah die 4. Kammer des VG Berlin jetzt anders. Vorbeugender Rechtsschutz, den es ohnehin nur in Ausnahmefällen gibt, sei hier nicht erforderlich. Zum einen lasse sich noch nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit absehen, dass der Bund künftig überhaupt über Waffenexporte nach Israel zu entscheiden habe. Zum anderen gebe es keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass er dabei völkerrechtliche Vorgaben missachten werde.
VG: Sachlage ist "ungewiss"
Im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung nach Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz (GG) können Gerichte grundsätzlich erst über die Rechtmäßigkeit bereits erlassener behördlicher Maßnahmen entscheiden. Der sogenannte vorbeugende Rechtsschutz gegen erwartete Anordnungen der Verwaltung ist in der Regel unzulässig. Er kommt nur in Ausnahmefällen in Betracht, wenn die Antragsteller ein qualifiziertes Rechtsschutzinteresse haben. Dafür muss die Beeinträchtigung aber nachträglich nicht zu korrigieren sein, sodass es für den Betroffenen unzumutbar ist, auf den nachgängigen Rechtsschutz zu warten.
Nach Ansicht des VG Berlin würde dies hier nicht nur voraussetzen, dass der Bund zeitnah über einen Antrag auf Genehmigung von Waffenlieferungen nach Israel nach dem KrWaffKontrG zu entscheiden habe, sondern hierbei auch entgegen § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontrG völkerrechtliche Verpflichtungen missachten würde. So ein Geschehensablauf lasse sich aber derzeit nicht prognostizieren, so das VG Berlin. Die Sachlage sei vielmehr "ungewiss", heißt es in den Beschlüssen des VG, die LTO vorliegen. Dies gehe zu Lasten der Antragsteller.
Zur Begründung stützt sich das Gericht zunächst darauf, dass die Bundesregierung seit Anfang 2024 keine dem KrWaffKontrG unterfallenden Waffenlieferungen mehr genehmigt habe. Die Antragsteller hätten auch nicht glaubhaft gemacht, dass entsprechende Genehmigungsentscheidungen unmittelbar anstehen. Dass Israel möglicherweise den Wunsch nach weiteren genehmigungsbedürftigen Waffenlieferungen geäußert habe, ändere daran nichts.
Antragsteller "verkennen Entscheidungsspielraum der Bundesregierung"
Außerdem lägen keine hinreichend konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Bundesrepublik bei der Entscheidung über die Genehmigung von Waffenlieferungen die Vorgaben des § 6 Abs. 3 Nr. 2 KrWaffKontG missachten würde. Die Antragsschrift, die LTO vorliegt, hatte Deutschland insofern u.a. Beteiligung am Völkermord sowie Verstöße gegen die Genfer Konventionen und den Vertrag über den Waffenhandel (Arms Trade Treaty, ATT) vorgeworfen.
Mit ihrer Sichtweise verkennen die Antragsteller "den mit Handlungsalternativen verbundenen Entscheidungsspielraum der Bundesregierung", so das VG. Sie seien in ihrem Antrag allein davon ausgegangen, die Bundesregierung würde entsprechende Waffenlieferungen genehmigen. Neben der Erteilung oder Versagung von Genehmigungen könne sie aber auch etwa Nebenbestimmungen oder Verwendungsbeschränkungen erlassen.
Das Gericht legt dann ausführlich das Prüfprogramm der Bundesregierung dar, wenn sie über die Genehmigung von Rüstungsexporten entscheidet. Neben dem KrWaffKontrG muss sie hierbei insbesondere die Vorgaben des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG), den ATT sowie die EU-Regeln für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgütern beachten.
Auch IGH hat keinen Stopp der Waffenexporte angeordnet
Diese Informationen zur Genehmigungspraxis bei der Ausfuhr von Kriegswaffen hatte das VG Berlin – für viele überraschend – in einem Schreiben an die Bundesregierung von Ende April angefordert, über das LTO ausführlich berichtet hatte. Dabei sollten die Vertreter des für die Ausfuhrkontrolle zuständigen Bundeswirtschaftsministeriums (BMWK) sowohl die "Entwicklung der Militäroperation Israels im Gaza-Streifen seit Januar 2024" als auch die IGH-Eilentscheidungen vom 26. Januar im Verfahren Südafrika gegen Israel und die vom 30. April im Verfahren gegen Deutschland einbeziehen. Außerdem hatte das VG mitgeteilt, "es gehe davon aus", die Bundesregierung werde bis zur Entscheidung über den Antrag keine weiteren Kriegswaffenlieferungen genehmigen. Anderenfalls hatte es angedroht, dies in einem sogenannten Hängebeschluss, also einer Art Eilentscheidung vor der Eilentscheidung, zu untersagen.
Das war allerdings nicht erforderlich. Das VG bezieht sich auf die Ausführungen des BMWK und begründet, wieso es "keine greifbaren Anhaltspunkte" dafür gebe, dass Deutschland die völkerrechtlichen Vorgaben bei der Genehmigung von Waffenlieferungen missachten werde. Spätestens seit Frühjahr 2024 habe es seine Genehmigungspraxis geändert, was sich "als Reaktion auf die Vorkommnisse" darstelle. Auch der IGH habe Deutschland nicht verpflichtet, jegliche Waffenlieferungen an Israel zu unterlassen. Vielmehr habe er das "robuste" und mehrstufige Exportkontrollsystem der Bundesregierung hervorgehoben.
Auf weitere spannende Fragen der Zulässigkeit – u.a. die Antragsbefugnis der betroffenen Palästinenser – und der Begründetheit musste das VG Berlin damit nicht mehr eingehen. Rechtsanwalt Patrick Heinemann hatte auf LTO gewarnt, den Anträgen stattzugeben, um die sicherheitspolitische Handlungsfähigkeit Deutschlands nicht zu gefährden.
ECCHR: Bundesregierung muss bei kommenden Waffenexporten genau hinschauen
Rechtsanwältin Beate Bahnweg, die den deutsch-palästinensischen Arzt vertritt, hält die Begründung des VG für "schwer nachvollziehbar". Das VG lasse etwa "die entscheidende Frage offen, ob es zum derzeitigen Zeitpunkt bei den offensichtlichen Völkerrechtsverletzungen bis zum Ende des Gaza-Krieges überhaupt noch ein Ermessen für die Bundesregierung gibt, Exportgenehmigungen für Kriegswaffenexporte nach Israel zu erteilen", so Bahnweg. Ihrer Ansicht nach sei das Ermessen auf null reduziert, deshalb würde ein gerichtlich angeordneter Stopp der Waffenexporte den gesetzlichen Entscheidungsspielraum der Bundesregierung nicht einschränken.
Rechtsanwalt Remo Klinger vertritt die fünf Antragsteller aus Gaza in dem Verfahren, das auch das ECCHR unterstützt. Klinger kritisiert gegenüber LTO, das VG gehe nicht darauf ein, wie die Antragsteller überhaupt effektiven Rechtsschutz erlangen könnten. "Wir haben in diesem Verfahren darauf hingewiesen, dass Inhalt der Eilentscheidung auch sein kann, den Bund zu verpflichten, die Antragsteller rechtzeitig vor Erteilung einer Genehmigung zu informieren, damit sie Rechtsschutz beantragen können", so Klinger. Mit dieser Frage habe sich das VG nicht auseinandergesetzt.
Alexander Schwarz, Völkerstrafrechtler am ECCHR, übt ebenfalls Kritik, sieht aber auch ein erhöhtes Problembewusstsein: "Positiv an diesem Beschluss ist der Umstand, dass die Bundesregierung nun sehr genau bei kommenden Waffenexporten hinschauen muss, ob die israelische Armee damit völkerrechtswidrige Einsätze in Gaza durchführt", sagt Schwarz. so Alexander Schwarz, Völkerstrafrechtsexperte am ECCHR.
Anwalt Ahmed Abed, der Teil des Berliner Anwält:innenkollektivs ist, kritisiert, die Bundesregierung halte Informationen über bereits genehmigte, aber noch nicht ausgelieferte Kriegswaffen geheim. Er könne auch nicht nachvollziehen, "warum das VG nicht auf die im Bericht von Forensic Architecture erwähnten deutschen Waffenexporte, z.B. 500.000 Stück Schusswaffenmunition, eingeht", so Abed.
Gegen die Beschlüsse kann Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg erhoben werden. Bahnweg kündigte gegenüber LTO bereits an, sie plane, dies zu tun. Die anderen Klägervertreter werden rechtliche Schritte prüfen.
VG Berlin weist Eilanträge zurück: . In: Legal Tribune Online, 11.06.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54741 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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