Das Wirtschaftsministerium verweigerte einem Journalisten Zugang zu Dokumenten über den Weiterbetrieb von Atomkraftwerken, der die Energieversorgung während des Ukraine-Kriegs gewährleisten soll. Zu Unrecht, so das VG Berlin.
Anlässlich des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine entschied die Bundesregierung, einzelne Atomkraftwerke weiterzubetreiben. Damit wollte sie die wegen des Kriegs gefährdete Energieversorgungssicherheit wiederherstellen. Ein Journalist des Magazins Cicero wollte vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) den Zugang zu Dokumenten über diesen Entscheidungsprozess. Konkret beantragte er den Zugang zu allen Unterlagen über die ab dem 24. Februar 2022 diskutierte Möglichkeit eines befristeten Weiterbetriebs deutscher Kernkraftwerke.
Das Ministerium gab ihm jedoch nur Teile der Unterlagen heraus. Zu Unrecht, wie das Verwaltungsgericht (VG) Berlin nun entschieden hat. In zwei gemeinsam verhandelten Verfahren verpflichtete es das BMWK dazu, dem Journalisten doch Dokumenteneinsicht zu gewähren (Urteile v. 22.01.2024, Az. VG 2 K 302/22 u.a.).
Der Anspruch folgt laut den Urteilen, die LTO vorliegen, aus § 3 Abs. 1 Umweltinformationsgesetz (UIG). Dies ist kein spezielles Recht für die Presse; vielmehr gewährt die Vorschrift jedermann gegen Regierung, Behörden und andere Hoheitsträger einen "Anspruch auf freien Zugang zu Umweltinformationen" – und das "ohne ein rechtliches Interesse darlegen zu müssen". Der Anspruch ist umfassend, er bezieht sich auf alle bei der Behörde vorhandenen Umweltinformationen. Bei den begehrten Unterlagen handele es sich um Umweltinformationen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 3a UIG, so das VG. Denn der Weiterbetrieb von Kernkraftwerken sei eine Maßnahme, die sich auf Umweltbestandteile auswirken könne bzw. bereits ausgewirkt habe.
Ein abgeschlossener Beratungsprozess kann nicht mehr gefährdet werden
Obwohl die Anspruchsvoraussetzungen nach Auffassung des Gerichts damit erfüllt sind, verweigerte das BMWK dennoch die Dokumenteneinsicht. Es argumentierte, der Offenlegung stünde die Vertraulichkeit der Beratungen des Ministeriums entgegen. Es berief sich damit auf den in § 8 Abs. 1 Nr. 2 UIG genannten Ablehnungsgrund, aus dem eine Dokumenteneinsicht verwehrt werden kann.
Diese Rechtsauffassung überzeugte das VG jedoch nicht. Die Unterlagen, die der Journalist einsehen möchte, bezögen sich auf die Entscheidung der Bundesregierung, einzelne Kernkraftwerke weiterzubetreiben, um die Energieversorgung während des Ukraine-Kriegs zu gewährleisten. Dabei handele es sich um einen bereits abgeschlossenen Beratungsprozess, der nicht mehr gefährdet werden könne. Mögliche Auswirkungen auf aktuelle oder zukünftige Beratungen habe das Ministerium nicht dargelegt, weswegen es sich auch nicht auf den Ablehnungsgrund in § 8 Abs. 1 Nr. 2 UIG berufen dürfe.
Auch die Begründung des Ministeriums, bei den Dokumenten handele es sich um interne behördliche Mitteilungen, die nach § 8 Abs. 2 Nr. 2 UIG nicht offengelegt werden müssen, überzeugte das Gericht nicht. Es bejaht in seiner Entscheidung zwar, dass die Dokumente teilweise interne Mitteilungen seien. Eine Ablehnung der Einsicht kommt jedoch nach § 8 UIG nur infrage, wenn das Geheimhaltungsinteresse der Behörde größer ist als das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe. Diese Interessenabwägung falle vorliegend zugunsten des Journalisten bzw. der Öffentlichkeit aus.
BMWK verliert nicht zum ersten Mal gegen Journalisten
So spreche für die Geheimhaltung zwar, "dass die Unterlagen wohl bewertende bzw. taktisch-strategische Überlegungen enthalten." Die Argumente für die Offenlegung sind nach Auffassung des VG jedoch überzeugender: Die Bekanntgabe ermögliche einen freien Meinungsaustausch in Umweltfragen und verbessere so den Umweltschutz. Der Journalist habe überzeugend die Absicht dargelegt, recherchieren zu wollen, ob bei den Erwägungen zu den Atomkraftwerken die Belange des Umweltschutzes berücksichtigt wurden, um danach über eventuelle Missstände zu informieren. Daran besteht nach Auflassung des VG Berlin ein erhebliches öffentliches Interesse.
Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig. Auskunft darüber, ob das BMWK die Einlegung von Rechtsmitteln plant, wollte das Ministerium auf Anfrage von LTO nicht geben.
Bereits Mitte Dezember 2023 verurteilte das VG Berlin das BMWK in einem anderen Verfahren auf Grundlage des § 3 UIG. Damals hatte ein Bild-Reporter geklagt, der Zugang zu Unterlagen im Zusammenhang mit der Pipeline "Nord Stream 2" begehrte, die wegen der russischen Invasion in der Ukraine nie in Betrieb genommen wurde. Diese Entscheidung hat das BMWK rechtskräftig werden lassen, wie ein VG-Sprecher gegenüber LTO bestätigte.
hes/LTO-Redaktion
Red. Hinweis: Aktualisierte Fassung vom 16.02.2024 um 9:53 Uhr.
VG Berlin bestätigt Umweltinformationsanspruch: . In: Legal Tribune Online, 15.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53883 (abgerufen am: 02.11.2024 )
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