Die Bilder bestimmter Blitzgeräte sind in Bußgeldverfahren nicht verwertbar, entschied der saarländische VerfGH. Die Messdaten der Geräte seien im Nachhinein nicht mehr nachprüfbar, weshalb sich Autofahrer nicht richtig wehren könnten.
Die Freude bleifüßiger Autofahrer sei vorab gedämpft: Wer zu schnell fährt und geblitzt wird, der muss zahlen - dabei bleibt es auch weiterhin. Doch die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs (VerfGH) des Saarlandes, die am Dienstagveröffentlicht wurde, könnte für viele Temposünder noch ein angenehmes Nachspiel haben. Denn die Fotos eines bestimmten Typus Blitzgerät sind als Beweise für ein Bußgeldverfahren nicht zulässig, urteilten die Verfassungsrichter (Urt. v. 05.07.2019 Az. Lv 7/17).
Mit seiner Entscheidung hob der VerfGH Entscheidungen des Amtsgerichts Saarbrücken sowie des Saarländischen Oberlandesgerichts (OLG) auf. Hintergrund ist der Fall eines Fahrers, der im September 2017 im saarländischen Friedrichsthal innerorts mit 27 Stundenkilometern zu viel geblitzt worden war und dafür einen Bußgeldbescheid in Höhe von 100 Euro erhielt. Der Fahrer ließ das aber nicht auf sich sitzen und nahm sich einen Anwalt, der die Herausgabe der unverschlüsselten Rohmessdaten sowie der gesamten Messserie des Tattages und eine Kopie der Lebensakte des Messgerätes beantragte.
Dabei stellte sich heraus: Die Daten reichten überhaupt nicht aus, um dem Mann seine Raserei im Nachhinein noch nachweisen zu können - sie werden bei diesem Typ Blitzer nämlich gar nicht gespeichert. Dies bestätigte auch ein Sachverständiger, der die Weg-Zeit-Rechnung des Geräts als nicht nachvollziehbar bezeichnete. Der Blitzer vom Typ Traffistar S 350 des Herstellers Jenoptik, der von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zugelassen ist, erfasst mittels Laserimpuls-Laufzeitmessungen genaue Entfernungs- und Winkelinformationen, aus denen die Entfernungsänderung eines Objekts über die Zeit berechnet und damit die Geschwindigkeit ermittelt werden kann.
Mit diesem Wissen legte der Mann sodann Einspruch gegen den Bußgeldbescheid ein, hatte damit aber vor den Instanzgerichten keinen Erfolg. Das OLG befand letztlich, als Richter müsse man sich auf die Ergebnisse eines zugelassenen Messgeräts verlassen können. Mögliche Fehler der Messung müssten nur in Betracht gezogen werden, wenn die Umstände hierzu Veranlassung gäben, was der Mann in diesem Fall aber nicht vorgetragen habe.
Bruch mit bisheriger Rechtsprechung
Das sah der VerfGH nun völlig anders und stellte fest, dass der Fahrer aufgrund der unzureichend gespeicherten Daten des Messgeräts nicht in der Lage sei, sich effektiv zu verteidigen. Damit sei sein Recht auf ein faires Verfahren verletzt.
Dabei hatten sich die Richter vor ihrer Entscheidung zunächst bei den zuständigen Behörden über die Funktionsweise und etwaigen bisherige Auffälligkeiten des Geräts erkundigt. Das Landesverwaltungsamt antwortete, es bestehe die Möglichkeit einer nachträglichen Plausibilitätskontrolle durch die messrechtlich vorgesehene Befundprüfung. Messdaten würden nach dem konkreten Messvorgang aber nicht mehr gespeichert. Auch die PTB teilte auf Anfrage des Gerichtshofs mit, eine unabhängige Überprüfung des geeichten Messwertes sei im Nachhinein nicht mehr möglich. Allerdings führe das Gerät umfangreiche interne Sicherungsmaßnahmen durch.
Vor diesem Hintergrund sahen die Verfassungsrichter den Bußgeldbescheid als unhaltbar an - eine echte Wende in der Rechtsprechung. Man bescheinigte den Vorinstanzen zwar, überaus gründlich gearbeitet zu haben: "Der Verfassungsgerichtshof verkennt nicht, dass sich beide Entscheidungen im Rahmen der Rechtsprechung der Bußgeldgerichte und Bußgeldsenate halten", heißt es in dem Urteil. Vor allem das OLG habe sich "außerordentlich gründlich" und gar "penibel" mit den Einwänden des Betroffenen und den bisher geltenden Anforderungen an ein Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsübertretung auseinandergesetzt. Doch das reichte in den Augen des VerfGH nicht aus.
Zum Grundrecht auf ein faires Verfahren zähle auch das Recht des Beschuldigten, sich mit den von Strafverfolgungs- oder Bußgeldbehörden aufgeführten Beweismitteln auseinandersetzen zu dürfen. Er müsse diese dazu auch einsehen und nachvollziehen können. Auch bei einem standartisierten Messverfahren, betonten die Richter, müsse es die Möglichkeit geben, dieses auf etwaige Fehler zu überprüfen.
VerfGH: "Staatliches Handeln darf nicht undurchschaubar sein"
Dann wurden die Richter noch grundsätzlicher: "Zu den grundlegenden rechtsstaatlichen Anforderungen an die Verurteilung einer Bürgerin oder eines Bürgers gehört, dass er die tatsächlichen Grundlagen seiner Verurteilung zur Kenntnis nehmen, sie in Zweifel ziehen und sie nachprüfen darf", schreiben sie in ihremUrteil. "Staatliches Handeln darf in einem freiheitlichen Rechtsstaat für die Bürgerin und den Bürger nicht undurchschaubar sein." Gerichte dürfen sich somit nach Ansicht des VerfGH auf standartisiert erhobene Messdaten verlassen. Zur Grundlage gemacht werden dürfen sie aber nur, sofern der Beschuldigte sie, so er denn möchte, in Zweifel ziehen und nachprüfen kann.
Weil es problemlos möglich sei, die erforderlichen Rohmessdaten zu speichern und diese auch zur Überprüfung des Messvorgangs herangezogen werden könnten, hätte dies auch geschehen müssen, um einen gültigen Bußgeldbescheid zu erhalten, befand der VerfGH.
Über das Saarland hinaus entfaltet das Urteil zwar keine bindende Wirkung, wie die Richter in ihrem Urteil deutlich machten. Saarländische Gerichte seien aber an ihre Entscheidung gebunden. Dem Innenministerium in Saarbrücken zufolge gibt es von diesem Blitzgeräte-Typ derzeit rund 30 Exemplare in saarländischen Kommunen.
Verkehrsrechtler: Rechtsprechungsänderung auch in anderen Bundesländern denkbar
Rechtsanwalt Dr. Ingo E. Fromm, Fachanwalt für Verkehrsrecht, hält es allerdings für "derzeit undenkbar, dass nur im Saarland der Betroffene einen Anspruch darauf haben soll, die Validität der standardisierten Messung zu prüfen und in anderen Bundesländern nicht." Bei unterschiedlichen Gerichtsentscheidungen im Saarland und in anderen Ländern wäre die Folge, "dass es vom Zufall abhinge, wo der Betroffene geblitzt wurde, ob er verurteilt wird und ob er einen Anspruch auf Einschaltung eines technisch-physikalischen Sachverständigen hat", so Fromm. Die Überprüfungsmöglichkeit gehöre aber "zu den Grundvoraussetzungen freiheitlich-rechtsstaatlichen Verfahrens".
Bislang, so Fromm, hätten die Bußgeldsenate an den Oberlandesgerichten auch in anderen Ländern eine Verpflichtung der Bußgeldstellen, dem Verteidiger die gesamte Messreihe zur Verfügung zu stellen, stets abgelehnt (vgl. OLG Koblenz, Beschl. v. 17.07.2018, Az. 1 OWi 6 SsBs 19/18). Dazu hatte man u. a. auch Belange des Datenschutzes ins Feld geführt, die der Herausgabe einer Vielzahl verfahrensfremder Messdaten entgegenstünden. Fromm glaubt: "Es ist zu erwarten, dass künftig vermehrt technisch-physikalische Sachverständigengutachten eingeholt werden, falls dies vom Betroffenen gewünscht wird."
Mit Materialien von dpa
VerfGH Saarland kippt bisherige Rechtsprechung: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36387 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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