Öffentliche Einschätzung durch Verfassungsschutz: "Prüf­fall" AfD vor Thüringer Ver­fas­sungs­ge­richt

von Dr. Markus Sehl

12.09.2019

Der Verfassungsschutz darf die AfD als "Prüffall" einstufen – aber darf er auch öffentlich darüber berichten? Mit dieser Frage müssen sich auch die Thüringer Verfassungsrichter beschäftigen. Dabei ist noch unklar, ob sie überhaupt zuständig sind.

Thüringens Verfassungsgericht wird erst nach der Landtagswahl Ende Oktober darüber entscheiden, ob die öffentliche Einstufung der AfD zum "Prüffall" des Verfassungsschutzes rechtswidrig ist. Anträge der AfD in einem Organstreitverfahren, die Innenminister Georg Maier (SPD) und Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer eine Verletzung ihrer Neutralitätspflicht vorwerfen, wurden am Mittwoch vom Verfassungsgericht in Weimar verhandelt, Az 28/18 und 31/18.

Die AfD beklagte einen unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Rechte als Partei. Der Vorsitzende Richter Klaus von der Weiden kündigte eine Entscheidung des Thüringer Verfassungsgerichthofs für den 20. November an. Die Landtagswahl ist am 27. Oktober.

Nach der etwa fünfstündigen Verhandlung blieb auch noch die Frage offen, ob die Landesverfassungsrichter für die AfD-Anträge überhaupt zuständig sind. Die Anwälte des Innenministeriums und des Verfassungsschutzamtes beantragten, die Klage vor dem Verfassungsgericht für unzulässig zu erklären, weil sie formal von einem Verwaltungsgericht entschieden werden sollte. Die AfD hat parallel auch beim Verwaltungsgericht Weimar geklagt. Mit dem Versuch, einen Richter in dem Verfahren vor dem Thüringer Verfassungsgerichtshofs wegen Befangenheit abzulehnen, war die AfD Thüringen im Februar 2019 gescheitert.

Kramer und Maier hatten die AfD im vergangenen September zum "Prüffall" erklärt - einer Vorstufe zu einer möglichen Beobachtung wegen Verdachts auf extremistische Tendenzen. Maier sagte, die Prüffall-Entscheidung sei vom Verfassungsschutzchef getroffen worden.

Verfassungsschutz-Leiter: "Ich habe der Entscheidung aber nicht widersprochen."

Für die Veröffentlichung der Prüffall-Entscheidung müsse es eine gesetzliche Grundlage geben, sagte der Vorsitzende Richter. "Es ist unklar, ob wir eine solche haben."

Das Verwaltungsgericht Köln hatte im Februar 2019 einem Eilantrag der Bundespartei stattgegeben, wonach der Verfassungsschutz die AfD nicht öffentlich als "Prüffall" bezeichnen darf. In den Fällen geht es nicht darum, ob der Verfassungsschutz die AfD als "Prüffall" einstufen darf, sondern nur darum, ob er über seine Entscheidung zur Einstufung auch öffentlich berichten darf.

Gesetzliche Grundlage für das Bundesamt für Verfassungsschutz ist dabei der § 16 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG), für die Öffentlichkeitsarbeit der Thüringer Behörde ist es § 5 ThürVerfSchG. Dort heißt es: "Darüber hinaus dürfen auch solche Vereinigungen oder Einzelpersonen genannt werden, bei welchen aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte der Verdacht von Bestrebungen und Tätigkeiten nach § 4 Abs. 1 Satz 2 vorliegt (Verdachtsfälle)". Zu "Prüffällen" trifft die Norm keine ausdrücklichen Aussagen.

Kramer räumte in der Verhandlung ein, dass die Prüffall-Entscheidung auch im Verfassungsschutzamt strittig war. "Es gab widerstreitende Positionen dazu." Sie betrafen nicht nur die Prüffall-Einstufung der AfD, sondern auch ob sie öffentlich gemacht werden sollte. Letztlich habe er als Behördenleiter eine Entscheidung getroffen, sagte Kramer. Ihm sei es um Transparenz gegangen.

Auf die Frage eines Richters, wann die Prüfung des Verfassungsschutzes abgeschlossen sei und eine Beobachtung eingeleitet oder verworfen werde, sagte Kramer, das sei derzeit nicht absehbar. Möglicherweise werde im Verbund mit anderen Verfassungsschutzämtern entschieden.

Die Thüringer Allgemeine hatte am Mittwoch über eine interne Mail des Referatsleiters für Rechtsextremismus im Verfassungsschutz berichtet, in der er Kramer kritisiert habe. Darin heiße es unter anderem, die Fachleute im Verfassungsschutzamt seien während des Verfahrens gezielt "außen vor" gelassen worden. Ein Sprecher des Innenministeriums habe die Existenz der Mail bestätigt.

Derweil nimmt der Verfassungsschutz in Niedersachsen nach einem NDR-Bericht die AfD als "Prüffall" ins Visier – aber bislang ohne öffentliche Erklärung. Vom Innenministerium in Hannover war dazu am Mittwoch für die dpa zunächst keine Stellungnahme zu erhalten, der Verfassungsschutz wollte den Bericht weder bestätigen noch dementieren. Wie der NDR berichtete, habe Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut bereits am Dienstag den zuständigen Landtagsausschuss in vertraulicher Sitzung darüber informiert. Bereits vor zwei Monaten habe der Verfassungsschutz mit dem Sammeln von Informationen begonnen, mit denen binnen eines Jahres geklärt werden soll, ob die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz sein könnte.

Mit Material der dpa

Zitiervorschlag

Markus Sehl, Öffentliche Einschätzung durch Verfassungsschutz: . In: Legal Tribune Online, 12.09.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37585 (abgerufen am: 04.11.2024 )

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