Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages: Bun­destag muss zur US-Rake­ten­sta­tio­nie­rung nicht gefragt werden

von Hasso Suliak

02.08.2024

Die ab 2026 geplante Stationierung US-amerikanischer Waffensysteme auf deutschem Boden ist rechtlich nicht zu beanstanden. Auch der Bundestag muss nicht eingebunden werden. Zu diesem Ergebnis kommt ein Gutachten von Bundestagsjuristen.

Auf dem NATO-Gipfel im Juli 2024 verkündeten die Regierungen der USA und Deutschland in einer gemeinsamen Erklärung, dass die USA ab 2026 weitreichende Waffensysteme wie Raketen des Typs Standard Missile 6 (SM-6), Marschflugkörper des Typs Tomahawk sowie hypersonische Waffen in der Bundesrepublik stationieren werden. Vor allem aus der SPD gab es daraufhin Kritik, dass die geplante Verlegung der Waffen nach Deutschland ohne den Bundestag beschlossen und angekündigt wurde.

Doch erforderlich ist das laut dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages nicht. Die Stationierung der Waffensysteme auf deutschem Boden beruhe auf den vereinbarten Verpflichtungen des NATO-Bündnissystems. Auch das Parlament müsse an der Entscheidung nicht beteiligt werden.

Die Bundestagsjuristen hatten sich im Auftrag der Bundestagsabgeordneten Joana Cotar mit den Rechtsfragen der Stationierung befasst. Cotar gehört im Bundestag keiner Fraktion an, sie war im November 2022 aus der AfD und auch aus der AfD-Bundestagsfraktion ausgetreten. Der AfD hatte sie seinerzeit unter anderem vorgeworfen, sich den diktatorischen und menschenverachtenden Regimen in Russland und China anzubiedern.

Bundestagsjuristen verweisen auf BVerfG-Urteile

Nach Ansicht der Bundestagsjuristen spielt sich die für das Jahr 2026 geplante Stationierung von US-amerikanischen Raketen und Marschflugkörpern im Rahmen des NATO-Bündnissystems ab. Dafür spreche zum einen, dass die geplante Stationierung auf dem NATO-Gipfel im Juli 2024 verkündet worden sei. Zum anderen beziehe sich die gemeinsame Erklärung der USA und Deutschland auf die NATO-Verpflichtungen der USA. 

In ihrer wissenschaftlichen Ausarbeitung ziehen die Parlamentsjuristen eine Parallele zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) aus dem Jahre 1984. Damals hatte Karlsruhe die Frage verneint, ob die Bundesregierung dadurch, dass sie auf Grundlage des NATO-Doppelbeschlusses der Aufstellung nuklearer amerikanischer Mittelstreckenraketen zugestimmt hat, Rechte des Bundestages gefährdet oder verletzt hat.

In dem Urteil erläuterte das BVerfG seinerzeit, dass die Zustimmung der Bundesregierung zur Raketenstationierung im Rahmen des Verteidigungssystems der NATO ergangen sei. Dieses beruhe unter anderem auf dem NATO-Vertrag von 1949 sowie auf dem Aufenthaltsvertrag von 1954, zu denen die legislative Gewalt jeweils Zustimmungsgesetze erlassen habe. Die Nicht-Beteiligung des Parlamentes an der Raketenstationierung hatten die Karlsruher Richter damals aus diversen Gründen für zulässig erklärt. Unter anderem verneinten sie einen Verstoß gegen das Demokratieprinzip und stellten klar: "Das Grundgesetz kennt weder einen Totalvorbehalt des Gesetzes noch eine Kompetenzregel, die besagte, daß alle 'objektiv wesentlichen' Entscheidungen vom Gesetzgeber zu treffen wären."

Diese Rechtsauffassung bestätigte das BVerfG im Jahr 1987, als es um die Stationierung US-amerikanischer chemischer Waffen in Deutschland ging. "Die Stationierung chemischer Waffen in der Bundesrepublik Deutschland mit dem Ziel, einen möglichen Gegner von einem C-Waffen-Einsatz abzuhalten, und ein etwaiger völkerrechtsgemäßer Zweiteinsatz dieser Waffen halten sich im Rahmen des dem NATO-Vertrag zugrundeliegenden Bündnisprogramms."

Keine präzise Rechtsgrundlage? 

Bei der nunmehr für 2026 geplanten Raketenstationierung hatten die USA und Deutschland in ihrer Erklärung im Juli auf die NATO-Verpflichtungen der USA explizit hingewiesen. "Die Beübung dieser fortgeschrittenen Fähigkeiten verdeutlichen die Verpflichtung der Vereinigten Staaten von Amerika zur NATO sowie ihren Beitrag zur integrierten europäischen Abschreckung."

Dass der Bundestag nunmehr wie 1984 nicht eingebunden werden muss, begründen die Bundestagsjuristen wie seinerzeit das BVerfG mit dem NATO- und Aufenthaltsvertrag. Allerdings vermissen sie eine klare Rechtsgrundlage: "Da in dem Urteil des BVerfG aus dem Jahr 1984 wenig konkrete Normbezüge bezüglich der Rechtsgrundlage hergestellt werden, dürften die Verträge in ihrer Gesamtschau als Rechtsgrundlage fungieren."

Gutachten-Auftraggeberin Cotar kommentierte die Ausarbeitung der Bundestagsjuristen mit den Worten, Deutschland komme sehr billig davon und müsse keine eigenen Rüstungsanstrengungen vornehmen. "Das erledigen mal wieder die USA für uns", so Cotar, was peinlich sei.

Auch wenn der Bundestag demnach an einer Stationierung der US-Waffensysteme formal nicht beteiligt werden muss, ist eine "unverbindliche" Debatte darüber im Bundestag nicht ausgeschlossen. Schließlich hatten mehrere SPD-Politiker Bedenken hinsichtlich der Entscheidung der Bundesregierung geltend gemacht. Innerhalb der SPD und auch im Bundestag müsse über eine solche Entscheidung gesprochen werden, sagte der frühere SPD-Vorsitzende, Norbert Walter-Borjans. Auch Unionsfraktionsvize Johann Wadephul hatte die Stationierung zwar begrüßt, aber zugleich eine Debatte im Bundestag dazu gefordert.  

Mit Material von dpa

Zitiervorschlag

Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages: . In: Legal Tribune Online, 02.08.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55141 (abgerufen am: 04.08.2024 )

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