Bundesfinanzminister Lindner will die Schuldenbremse für 2023 aussetzen. Wie es mit dem Haushalt im nächsten Jahr weitergehen soll, ist unklar. Nicht nur Spitzenpolitiker von SPD und Grüne wollen eine Reform der "Zukunftsbremse".
Seit das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) den Klima- und Transformationsfonds für unvereinbar mit der Schuldenbremse erklärt hat, befindet sich die Ampel-Regierung in einer Haushaltskrise. Das BVerfG hatte entschieden, dass der Bund sich Notlagenkredite nicht für spätere Jahre auf Vorrat zurücklegen darf.
Laut Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) müssen nun aber auch weitere Haushaltsmittel rechtlich abgesichert werden. Dazu gehört der Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds, aus dem die Strom- und Gaspreisbremse bezahlt werden. Auch der Aufbauhilfefonds für die Opfer des Hochwassers 2021, gebildet zu GroKo-Zeiten, sei verfassungsrechtlich nicht sicher.
Lindner will Schuldenbremse für 2023 aussetzen – und 2024?
Für das Haushaltsjahr 2023 soll jetzt ein Nachtragshaushalt den Bundesetat auf sichere Beine stellen. Dafür will Lindner die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse nutzen und dem Kabinett nächste Woche einen Nachtragshaushalt vorlegen. Laut einer Sprecherin des Bundesfinanzministeriums werden bei der Aussetzung allerdings keine neuen Schulden aufgenommen, sondern lediglich die bereits abgeflossenen Mittel zur Krisenbewältigung auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt.
Die im Grundgesetz (GG) verankerte Schuldenbremse gestattet dem Bund eine Nettokreditaufnahme in Höhe von maximal 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Um von dieser Regelung abweichen zu können, muss der Bundestag eine Notlage beschließen. Eine solche Notlage liegt gem. Art. 115 Abs. 2 S. 6 GG vor im Falle von "Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen". Zur Begründung einer solchen Notsituation könnte sich der Bund auf die Folgen der Energiekrise von Anfang 2023 berufen, wie Sachverständige bei einer Anhörung im Bundestag erklärten.
Lindner zeigte sich darüber hinaus zuversichtlich, dass der Haushalt für 2024 noch in diesem Jahr beschlossen wird. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz rechnete am Mittwoch mit einem "sehr zeitnahen Beschluss". Die Spitzen der Regierungsfraktionen hatten den für kommende Woche geplanten Haushaltsbeschluss im Bundestag wegen der aktuellen Entwicklungen abgesagt.
Ob er für 2024 ebenfalls eine Notlage ausrufen wird, ließ Lindner am Donnerstag gegenüber dem Handelsblatt offen. Der FPD-Politiker sprach sich allerdings entschieden gegen eine generelle Lockerung der Schuldenbremse aus. Diese sei geltendes Verfassungsrecht und gerade gestärkt worden. Auch mögliche Steuererhöhungen lehnte Lindner ab.
SPD und Grüne für grundlegende Reform der Schuldenbremse
SPD-Chefin Saskia Esken hingegen befürwortete am Freitag gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe abermals, die Schuldenbremse auch im kommenden Jahr auszusetzen. Darüber hinaus müsse die Schuldenbremse so reformiert werden, dass in Zeiten multipler Umbrüche dringend benötigte Investitionen in eine moderne und klimaneutrale Zukunft möglich seien.
Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte am Donnerstag im ZDF-heute journal, man werde auch für die Folgejahre über eine Aussetzung der Schuldenbremse debattieren müssen. Gleichzeitig sprach sie sich gegen eine Kürzung von Sozialausgaben aus. "Wir sind nicht bereit, dass diese Krise, eine schwere Krise für unser ganzes Land, auf dem Rücken der Verletzlichsten ausgetragen wird."
Ihr Co-Vorsitzender Omid Nouripour bezeichnete ein Aussetzen der Schuldenbremse auch für das kommende Jahr als naheliegenden Weg. Auf dem Parteitag der Grünen versprach Nouripour Lösungen: "Wir müssen natürlich die Schuldenbremse reformieren." Er betonte den Bedarf an Investitionen in Infrastruktur. "Kaputtsparen geht nicht."
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck forderte auf dem Parteitag, die Schuldenbremse brauche "ein zeitgemäßes Update".
Union ist sich uneinig
Auch einzelne Stimmen aus den Reihen der Union, die die Normenkontrollklage in Karlsruhe eingelegt hatten, kritisierten die Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Form. Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sprach auf der Plattform X von der "Zukunftsbremse". Sie sei zwar im Sinne solider Finanzen eine gute Idee, in ihrer jetzigen Ausgestaltung halte er sie allerdings für gefährlich, so Wegner.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion Thorsten Frei sprach sich am Freitag im Deutschlandfunk dagegen für die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form aus. Sie sei "eine intelligente und gute, generationengerechte Schuldenbremse". Hinsichtlich des Haushalts 2023 gehe es darum, "vernünftig dieses Jahr abzuschließen". Es sei entscheidend, jetzt zügig, aber verlässlich zu einem Nachtragsetat zu kommen. Das geplante Aussetzen der Schuldenbremse bezeichnete Frei als "gewagtes rechtliches Manöver". Ob die Union wegen der Aussetzung der Schuldenbremse noch einmal klagen würde, wollte Frei dabei ausdrücklich offen lassen.
lst/dpa/LTO-Redaktion
Aussetzung der Schuldenbremse: . In: Legal Tribune Online, 24.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53257 (abgerufen am: 19.11.2024 )
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