Wie kann das Bundesverfassungsgericht vor Verfassungsfeinden geschützt werden? Darüber wollen Ampel und Union bald sprechen. Das BMJ stellt hierfür als Gesprächsgrundlage einen Gesetzesentwurf und Diskussionspunkte vor, die LTO vorliegen.
Das Bundesjustizministerium (BMJ) hat einen Gesetzesentwurf zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) im Grundgesetz ausgearbeitet. Hintergrund sind Befürchtungen der Aushöhlung der Befugnisse des Gerichts bei Machtübernahme einer extremistischen Partei. Der Entwurf, der LTO vorliegt, soll als Diskussionsgrundlage für Ampel-Gespräche mit der Union dienen.
Inhalt des Gesetzesentwurfs ist eine Änderung der Artikel 93 und 94 Grundgesetz (GG). Diese treffen bereits in ihrer derzeitigen Fassung Regelungen über das BVerfG. Art. 93 GG legt bislang fest, für welche Entscheidungen das Gericht zuständig ist. In Art. 94 Abs. 1 GG ist geregelt, dass Bundesverfassungsrichter jeweils zur Hälfte durch den Bundestag und den Bundesrat gewählt werden. Absatz 2 bestimmt aktuell, dass das Verfahren und die Verfassung des Gerichts sowie die Gesetzeskraft seiner Entscheidungen in einem Bundesgesetz geregelt werden.
Nach dem Gesetzesentwurf des BMJ sollen nun weitere Regelungen, die so bereits im Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) enthalten sind, in der Verfassung verankert werden. Hintergrund ist, dass das BVerfGG als einfaches Bundesrecht mit einer einfachen Mehrheit geändert werden kann (Art. 42 Abs. 2 GG). Für eine Änderung des Grundgesetzes ist dagegen nach Art. 79 Abs. 2 GG eine Zweidrittelmehrheit erforderlich.
Bindungswirkung der Entscheidungen soll in Verfassung verankert werden
Das BJM schlägt in seinem Entwurf vor, in Art. 93 Abs. 1 GG die Stellung des BVerfG als ein gegenüber allen übrigen Verfassungsorganen selbstständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes festzuschreiben. Bisher findet sich diese Regelung "nur" in § 1 Abs. 1 BVerfGG. Außerdem soll in Art. 93 Abs. 2 GG die Regelung aus § 2 BVerfGG aufgenommen werden, dass das BVerfG aus zwei Senaten zu je acht Richtern besteht und drei Richter jedes Senats aus der Zahl der Richter an den obersten Gerichtshöfen des Bundes gewählt werden.
In Art. 93 Abs. 3 GG soll verankert werden, dass die Amtszeit höchstens zwölf Jahre und längstens bis zum Ende des Monats, in dem der Richter das 68. Lebensjahr vollendet ist, dauert. Zudem soll geregelt werden, dass die Richter die Amtsgeschäfte fortführen, bis ein Nachfolger ernannt ist und eine spätere Wiederwahl ausgeschlossen ist. Diese Regelung findet sich bereits in § 4 BVerfGG.
Die im Gesetzesentwurf vorgeschlagene neue Fassung des Art. 94 GG entspricht dem bisherigen Art. 93 GG. Allerdings soll ein neuer vierter Absatz eingefügt werden, indem die bislang "nur" in § 31 BVerfGG geregelte Bindungswirkung der Entscheidungen des BVerfG, sowie deren Gesetzeskraft verankert wird. Diese Änderung hatten bereits die Länder in einem parteiübergreifenden Gesetzentwurf vorgeschlagen. Den Vorschlag aus dem Entwurf der Länder, im Grundgesetz festzulegen, dass für die Wahl der Mitglieder durch Bundesrat und Bundestag jeweils eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, greift der Gesetzesentwurf des BMJ hingegen nicht auf.
Andere Lösungsansätze
Das BMJ fasst in einem weiteren LTO vorliegendem Dokument ("Non-Paper") die Lösungsansätze zum besseren Schutz des BVerfG zusammen. Die Vielfalt der derzeit diskutierten Vorschläge lasse sich auf zwei Grundansätze reduzieren, wobei beide auch kombiniert werden könnten.
Zum einen gäbe es den materiellen Ansatz, in dem einzelne bislang einfachgesetzlich im BVerfGG getroffene Regelungen in das Grundgesetz überführt, und damit dem dortigen qualifizierten Änderungsregime unterstellt werden. Diesen Weg beschreitet das BMJ aktuell mit dem Gesetzentwurf.
In Betracht komme aber auch ein formeller Ansatz, der dem einfachen Gesetzgeber die Möglichkeit der Regelung zu Organisations- und Verfahrensregelungen entzieht. Möglich seien dabei drei Varianten: erstens eine Gesetzesänderung nur bei Zustimmung des BVerfG ("Einvernehmenslösung"), zweitens das Erfordernis einer Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag ("Zwei-Drittel-Lösung") oder drittens die Notwendigkeit der Zustimmung durch den Bundesrat (Zustimmungsgesetz). Zudem sei auch eine Kombinationslösung denkbar, in der einzelne Regelungen ins Grundgesetz überführt und ergänzend für andere wesentliche Vorschriften eine Variante der formellen Ansätze gewählt wird.
Das sind die weiteren Diskussionspunkte
Erste Gespräche im Februar hatte die Union beendet, weil sie keinen zwingenden Bedarf für die von der Ampel-Koalition angestrebte Verfassungsänderung sehe. Die Ampel-Koalition und Juristenverbände kritisierten sie dafür heftig. Der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz zeigte sich später offen für eine Wiederaufnahme der Debatte, solange diese vertraulich und unaufgeregt geführt würden. Dazu soll der Gesetzesentwurf nun die Grundlage bieten. Für den 8. April sind Gespräche zwischen Ampelvertretern und Union vorgesehen.
In einem internen BMJ-Papier, das LTO ebenfalls vorliegt, werden auch Diskussionspunkte für das Treffen vorgeschlagen, die sich bislang nicht im Entwurf wiederfinden. So soll auch etwa über die Festschreibung der Befähigung zum Richteramt, die Geschäftsordnungsautonomie (inkl. ggf. Bearbeitung nach Eingangsdatum und Begründungspflicht), die Geschäftsverteilungsautonomie (d.h. Zuständigkeit der Senate) und auch über den Dienstsitz des BVerfG in Karlsruhe gesprochen werden.
Auch das umstrittene Thema des Wahlquorums für die Wahl der Bundesverfassungsrichter, einschließlich eines Ausfallmechanismus, soll besprochen werden. Im BVerfGG ist festgelegt, dass eine Zweidrittelmehrheit im Bundesrat oder Bundestag für die Wahl eines Bundesverfassungsgerichts erforderlich ist. Auch hier gibt es umstrittene Überlegungen, dies im Grundgesetz zu verankern.
Positive Reaktionen aus Politik und Anwaltschaft
Der rechtspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Helge Limburg, sagte gegenüber LTO: "Wir halten einen besseren strukturellen Schutz des Bundesverfassungsgerichts vor antidemokratischer Einflussnahme, gerade vor dem Hintergrund der Erfahrungen in Polen und Ungarn, für dringend geboten. Insofern begrüßen wir ausdrücklich, dass die Union an den Verhandlungstisch zurückkehrt und das Bundesministerium für Justiz einen ersten konkreten Regelungsvorschlag vorgelegt hat. Ich bin zuversichtlich dass wir auf der Grundlage und zusammen mit den Vorschlägen der Länder zeitnah zu einem Konsens der Demokraten finden können."
Die Hamburger Justizsenatorin Anna Gallina begrüße, dass das BMJ Vorschläge aus dem Gesetzesentwurf der Länder mitaufgenommen hat, heißt es in einer Pressemitteilung der Behörde für Justiz und Verbraucherschutz Hamburg von Donnerstag. "In der wichtigen Frage, wie wir das Bundesverfassungsgericht besser gegen Verfassungsfeinde absichern, scheint es nun auch im Bund voranzugehen", sagte Gallina. Es sei wichtig, dass alle zusammen an einem Strang ziehen und über Parteigrenzen hinweg in Bund und Ländern gemeinsam zu einer Einigung kommen, wie man das Verfassungsgericht wehrhafter aufstellen kann.
Auch der Deutsche Anwaltverein (DAV) unterstützt das Vorhaben ausdrücklich, wie aus einer am Donnerstag veröffentlichten Pressemitteilung hervorgeht. Die Vorschläge des BMJ seien fachlich schon sehr ausgereift. "Wichtig wird sein, dass mit den Änderungen auch ein Blockadelösungsmechanismus gegen obstruktive Sperrminoritäten einhergeht", sagte der Vizepräsident des DAV, Rechtsanwalt Dr. Ulrich Karpenstein.
In einem Gastkommentar für LTO begrüßt Ferdinand Kirchhof, Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts a.D., die neuen Regeln, sieht aber an zahlreichen Stellen noch Verbesserungsbedarf. Zuvor hatte sich auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbarth zur Diskussion über einen besseren Schutz des Gerichts geäußert und betont, dass dieses Vorhaben alles andere als trivial sei.
Gespräche zum Schutz des Bundesverfassungsgerichts: . In: Legal Tribune Online, 28.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54224 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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