Bundestagsjuristen zu Rentenreform: Rente ab 63 womöglich verfassungswidrig

09.07.2014

Langjährig Versicherte können seit gut einer Woche schon mit 63 Jahren ohne Abschläge in Rente gehen, wenn sie 45 Jahre Beiträge bezahlt haben. Juristen des Wissenschaftlichen Diensts des Bundestags halten das Gesetz allerdings für gleichheitswidrig.

Die neue abschlagfreie Rente ab 63 verstößt in einem wichtigen Detail möglicherweise gegen das Grundgesetz. Entsprechende Bedenken äußerte der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags in einer von den Grünen angeforderten Expertise. Das Bundesarbeitsministerium hält die Einwände für unberechtigt.

Dabei geht es um die Regelung, dass Zeiten der Arbeitslosigkeit in den letzten beiden Jahren vor Eintritt in die Rente für die nötigen 45 Beitragsjahre nur ausnahmsweise anerkannt werden, etwa nach einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers. Betriebsbedingte Kündigungen zählen nicht dazu.

Diese Unterscheidung dürfte "wohl gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3, Abs. 1 GG verstoßen", heißt es in der Expertise. Grund: Sie benachteilige Betroffene, die aufgrund einer unverschuldeten betriebsbedingten Kündigung unfreiwillig arbeitslos werden, "unverhältnismäßig stark". Eine abschließende Prüfung bleibe dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten, schreiben die Bundestagsjuristen.

Nachvollziehbare Ungleichbehandlung

Der Sozialrechtler Hermann Plagemann bezweifelt dagegen in einem LTO-Gastbeitrag angesichts der bisherigen Rechtsprechung zum Sozialrecht, dass Karlsruhe einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz feststellen würde. Bisher hätten die Verfassungsrichter dem Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum eingeräumt.

Darauf berief sich auch das Bundesarbeitsministerium, das die Kritik an den Ausnahmen von der "rollierenden Stichtagsregelung" zurückwies: Eine willkürliche oder nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung gebe es nicht. 

Die nun angezweifelte Regelung wurde auf Druck der Union erst kurz vor Verabschiedung des Gesetzes eingefügt: Sie soll eine Welle von Frühverrentungen durch missbräuchliche Ausnutzung des Gesetzes - zwei Jahre arbeitslos mit 61, dann abschlagfrei ab 63 in Rente - verhindern.

Für die Bundestagsjuristen ist es aber "nicht nachvollziehbar, dass diejenigen, die aufgrund einer betriebsbedingten Kündigung ausscheiden und infolgedessen tatsächlich unfreiwillig arbeitslos werden, weniger schutzwürdig sein sollen als diejenigen, die aufgrund einer Insolvenz oder vollständigen Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden".

dpa/cko/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Bundestagsjuristen zu Rentenreform: . In: Legal Tribune Online, 09.07.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/12511 (abgerufen am: 15.11.2024 )

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