Beweisaufnahmen an Land- und Oberlandesgerichten werden künftig mindestens per Tonspur, optional per Video aufgezeichnet. Ein entsprechendes Gesetz hat der Bundestag am Freitag beschlossen. Der Richterbund warnt vor Umsetzungsproblemen.
Hauptverhandlungen vor Strafgerichten sollen künftig digital dokumentiert werden. Etwa zwei Monate nach der ersten Lesung ist damit eine der wichtigsten Reformen des Strafprozesses besiegelt.
Bislang erfordert die Protokollierung eines Strafverfahrens mühsames Mitschreiben, eine objektive Dokumentation des Inhalts ist nicht vorgesehen. Stattdessen werden vor den Land- und Oberlandesgerichten nur die wesentlichen Förmlichkeiten im Protokoll festgehalten. Künftig soll stattdessen eine Tonspur der Verhandlung aufgezeichnet werden. Per Software wird diese anschließend transkribiert. Die Neuerungen sollen bis 2030 bundesweit schrittweise eingeführt werden.
Strafverfahren auf neuem Niveau
Dem Gesetz stimmten die drei Ampel-Fraktionen SPD, Grüne und FDP sowie die Linke zu. Die CDU/CSU stimmte gegen die Reform, die AfD enthielt sich. Justizminister Marco Buschmann (FDP), von dem der Entwurf für das neue Gesetz kam, sprach von einer neuen Qualität des Strafverfahrens. "Die Verfahrensbeteiligten müssen sich nicht länger auf ihre Notizen und ihr Gedächtnis verlassen." Auch mehrere Abgeordnete betonten, mit der Reform würden Beteiligte an Gerichtsverfahren entlastet, weil sie sich stärker auf das Geschehen konzentrieren könnten als auf die Anfertigung umfangreicher Notizen.
Der ehemalige Strafrichter am Bundesgerichtshof Thomas Fischer erhofft sich von der Dokumentation der Hauptverhandlung auch eine Verbesserung der Kontrolle richterlicher Entscheidungen: Es sei "sinnvoll, erforderlich und naheliegend, Aufzeichnungen der Beweiserhebungen in der Hauptverhandlung zumindest ein Stück weit aus der allein richterlichen Sphäre herauszunehmen, zu objektivieren und damit einer rationalen Kontrolle zu unterwerfen", so Fischer auf LTO.
Ausnahmen von Aufzeichnungen sollen weiterhin möglich bleiben – etwa bei Sexualstraftaten oder wenn Kinder vor Gericht auftreten. Länder sollen zudem eine Videoaufzeichnung durch Rechtsverordnung jederzeit teilweise oder flächendeckend einführen können. Die Videoaufzeichnung nicht mehr verpflichtend, sondern nur noch optional in das Gesetz aufzunehmen, war das Ergebnis eines Kompromissvorschlags von Buschmann.
Gesetzesbeschluss nur der erste Schritt
Die weithin als längst überfällig empfundene Modernisierung des deutschen Strafprozesses stößt wie erwartet auf viel Zuspruch. "Mit dem Gesetzesbeschluss haben wir das Strafverfahren in unserem Land endlich in das 21. Jahrhundert geholt", meint Katrin Helling-Plahr, rechtspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion. Auch der Deutsche Anwaltverein begrüßt die Reform. "Heute ist ein guter Tag für den Rechtsstaat. Die Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung stärkt die Wahrheitsfindung im Strafverfahren, sorgt für Transparenz und entlastet Gericht und Verfahrensbeteiligte", heißt es in einer Mitteilung.
Der Deutsche Richterbund (DRB) wies dagegen auf Probleme bei der Umsetzung hin. "Die Ampel-Koalition beschließt heute zwar formal weitere Schritte zur Digitalisierung der Ziviljustiz, sie tut aber viel zu wenig für die praktische Umsetzung", bemängelte Bundesgeschäftsführer Sven Rebehn. "In zahlreichen Gerichten fehlt es weiterhin an leistungsfähiger Technik und IT-Support, um Videoverhandlungen noch weitaus häufiger einsetzen zu können."
Nach dem Beschluss des Gesetzes ist es nun also an den Beteiligten in den nächsten sechs Jahren für die nötige Ausstattung zu sorgen, um die Möglichkeiten, die die Reform bietet, auch effizient nutzen zu können.
dpa/lmb/LTO-Redaktion
Bundestag beschließt Reform des Strafprozesses: . In: Legal Tribune Online, 17.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53203 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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