Ampel-Politiker sehen sich bestätigt, aber auch die CSU freut sich über das BVerfG-Urteil zum Wahlrecht. Wir haben die ersten Reaktionen zusammengefasst:
Die von der Ampel-Koalition eingeführte Reform des Bundeswahlgesetzes ("Bundeswahlgesetz 2023") ist überwiegend verfassungsgemäß, jedoch teilweise verfassungswidrig. Das urteilte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe (Urt. v. 30.07.2024, Az. 2 BvF 1/23, 2 BvF 3/23, 2 BvE 2/23, 2 BvE 9/23, 2 BvE 10/23, 2 BvR 1523/23 und 2 BvR 1547/23).
Verfassungswidrig ist nach der Entscheidung des Zweiten Senats eine Fünf-Prozent-Hürde ohne Grundmandatsklausel. Für die kommende Wahl soll die Grundmandatsklausel deshalb noch weiterhin gelten, so sieht es das Urteil des BVerfG vor.
Ampel zeigt sich zufrieden
Die Ampel-Fraktionen sehen das Urteil zu ihrer Wahlrechtsreform insofern nicht als Niederlage - im Gegenteil. "Das Wichtigste steht nach diesem Urteil fest: Die Verkleinerung des Deutschen Bundestags ist vollbracht und verfassungsgemäß", sagte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende, Dirk Wiese. Schließlich habe das Gericht das System der Zweitstimmendeckung für verfassungsgemäß erklärt. Damit sei nun "Schluss mit Überhang- und Ausgleichsmandaten, die den Bundestag immer weiter vergrößert haben und so seine Arbeitsfähigkeit gefährdet haben".
Auch die Grünen-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Britta Haßelmann, betonte die aus Sicht der Ampel-Koalition die positiven Seiten. Sie sagte der dpa: "Die gute Nachricht des Tages: Unsere Reform, das neue Wahlrecht, hat Bestand in Karlsruhe." Der Bundestag werde dadurch künftig nicht ständig weiter anwachsen. Die Ampel halte Wort: "Der Einzug der Parteien nach ihrer Stärke ist garantiert und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments gesichert." Dass für die nächste Wahl nach dem Urteil des Gerichts die Grundmandatsklausel erhalten bleibt, ist aus meiner Sicht nachvollziehbar, sagte Haßelmann. Wichtig sei, dass durch die Anordnung des Gerichts nun Klarheit herrsche für die anstehende Bundestagswahl im September 2025.
Der innenpolitische Sprecher der SPD-Fraktion Sebastian Hartmann teilte mit, es sei gut, dass der Bundestag nun eine feste Größe habe. Hartmann, der maßgeblich an der Reform mitgewirkt hatte, sagte, was die Grundmandatsklausel angehe, so hätten "aus unserer Sicht sicherlich auch andere Alternativen im Raum gestanden". Die Ampel-Koalition werde aber anhand der vom Gericht gefundenen Kriterien auch hierfür eine faire, gerechte Lösung finden. "In der entscheidenden Frage der Verkleinerung des Bundestags bestätigt das Urteil die Reform voll und ganz", so FDP-Fraktionsvize Konstantin Kuhle.
Söder: "Klarer Erfolg für die CSU" und "Klatsche für die Ampel"
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hat das Urteil unterdessen mit erkennbarer Freude und Genugtuung aufgenommen. "Das ist ein klarer Erfolg für die CSU und Bayern - und eine Klatsche für die Ampel. Die Wahlmanipulation der Ampel ist entlarvt und richterlich verworfen worden", sagte der CSU-Vorsitzende der dpa in München.
"Das Urteil ist eine Bestätigung in unserem Kernanliegen, der sogenannten Grundmandatsklausel. Damit ist nach menschlichem Ermessen sichergestellt, dass die CSU im nächsten Bundestag vertreten ist", sagte Söder und fügte hinzu: "Das Bundesverfassungsgericht erkennt die Kraft und die Bedeutung Bayerns und der CSU an."
Wermutstropfen sei die Akzeptanz der neuen Zuteilungsregelung, denn diese bedeute ein Minus an direkter Demokratie. Nach dem neuen Wahlrecht ist für die Zahl der Sitze im Parlament künftig allein das Zweitstimmenergebnis einer Partei entscheidend - auch dann, wenn sie mehr Direktmandate geholt hat. Dann gehen die Wahlkreisgewinner mit den schlechtesten Erststimmenergebnissen leer aus.
"Damit ist aber auch klar, dass ein Stimmensplitting dazu führen kann, dass Bayern im nächsten Bundestag schlechter vertreten wäre", argumentierte Söder. "Das heißt: Nur beide Stimmen für die CSU garantieren bayerische Abgeordnete im Bundestag."
Söder kündigte aber auch an, eine unionsgeführte Bundesregierung wolle die neue Zuteilungsregelung wieder korrigieren. "Klar ist auch: Sollten die Wähler uns in der nächsten Regierung sehen, werden wir dieses Ampel-Gesetz umgehend ändern. Das ist für die CSU eine Koalitionsbedingung für eine nächste Bundesregierung." Der bayerische Ministerpräsident dankte dabei ausdrücklich den Kollegen der Schwesterpartei CDU, "die unser Anliegen gemeinsam mit uns vorgetragen und unterstützt hat".
Wagenknecht: Urteil als "Ohrfeige" für die Ampel
Auch Sahra Wagenknecht, neuerdings potentielle Koalitionspartnerin für die Union, wertet das Urteil als "Ohrfeige" für die Ampel. "Einen weiteren XXL-Bundestag, der immer mehr Steuergeld verschlingt, zu verhindern, war ein richtiges Anliegen", erklärte die BSW-Bundesvorsitzende. "Aber der Vorschlag der Ampel war eben so wie die Ideen dieser Regierung auf vielen Ebenen: undurchdacht und verfassungsrechtlich fragwürdig." Es sei gut, dass das BVerfG dies korrigiert habe.
Ebenfalls sieht sich Wagenknechts ehemaliger Kollege Gregor Gysi (Die Linke) in seiner Auffassung bestätigt, dass das Wahlrecht verfassungswidrig sei. "Es verletzt die Gleichheit der Stimmen bei der Wahl, es verletzt die Chancengleichheit der Parteien und vieles andere mehr", sagte Gysi. Das bezieht sich vor allem auf die von der Ampel beschlossene Streichung der sogenannten Grundmandatsklausel. Die Linke war 2021 nur mit Hilfe dieser Sonderregel in Fraktionsstärke in den Bundestag eingezogen, obwohl sie bundesweit unter fünf Prozent der Stimmen blieb. Gegen die Abschaffung hatte die Linke geklagt.
Bas: "Kein unkontrolliertes Anwachsen des Bundestags mehr"
Aus Sicht von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) ist das Urteil ein wichtiges Signal an die Wählerinnen und Wähler. Diese wüssten nun, "es wird kein unkontrolliertes Anwachsen des Deutschen Bundestages mehr geben", sagte Bas nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe. Das sei gut, weil es Planungssicherheit schaffe, die Kosten begrenze und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments stärke.
Bas sagte: "Das Bundesverfassungsgericht hat das Herzstück des neuen Wahlrechts - die sogenannte Zweitstimmendeckung - bestätigt und in dem zentralen Punkt der Wahlrechtsreform für die nötige Klarheit und Rechtssicherheit gesorgt."
Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) äußerte auf X: "Das BVerfG hat seine Entscheidung zum Wahlrecht verkündet. Alle fühlen sich als Gewinner. Das spricht für die Entscheidung".
LTO berichtete bereits eingehend zu diesem Verfahren: zur mündlichen Verhandlung hier, zur anstehenden Urteilsverkündung in einem Vorbericht hier sowie zur IT-Panne beim BVerfG am Vorabend der eigentlichen Urteilsverkündung hier. Einen weiteren Bericht von der Urteilsverkündung lesen Sie im Laufe des heutigen Tages bei LTO.de
dpa/jb/LTO-Redaktion
Reaktionen auf die BVerfG-Entscheidung zum Wahlrecht: . In: Legal Tribune Online, 30.07.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/55105 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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