Die GroKo hat sich darauf verständigt, das Merkmal "Rasse" aus Art. 3 GG zu streichen, ohne dabei das Schutzniveau bei rassistischen Diskriminierungen abzusenken. Ein Vorschlag aus dem BMJV stößt jetzt nicht nur bei Menschenrechtlern auf Kritik.
Mit der Vorstellung menschlicher "Rassen" im Kopf wurden schrecklichste Gräueltaten verübt: Völkermorde, Unterdrückung und Sklaverei. Das deutsche Grundgesetz (GG) soll nicht einmal ungewollt in der Nähe damit verbundener Ideologien stehen. Vor diesem Hintergrund herrscht schon lange Konsens in der Regierung und weitestgehend auch unter den Fraktionen des Bundestages (mit Ausnahme der AfD), dass das Merkmal der "Rasse" aus Art. 3 Abs. 2 GG gestrichen werden soll.
Bereits im Juni vergangenen Jahres hatte Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) sich für eine Streichung ausgesprochen und gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland bekräftigt, die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten damals "Diskriminierungsgründe formuliert, unter denen Menschen während der Naziherrschaft zu leiden hatten". Die Begrifflichkeit sei zu der Zeit auch richtig gewesen. "Aber wir sind heute in der Diskussion deutlich weiter. Deshalb sollten wir uns im Kampf gegen Rassismus dazu entschließen, den Begriff Rasse aus dem Grundgesetz zu entfernen, ohne dass es natürlich Abstriche beim Schutzstandard geben darf." Damit keine Lücke entstehe, solle der Schutz mit einer anderen Formulierung gewährleistet werden, so Lambrecht.
Neue Formulierung: "Aus rassistischen Gründen"
Diese "andere Formulierung" hat die Ministerin nun am Dienstag zu Papier gebracht: In einem mit dem Unions-Koalitionspartner nicht abgestimmten "Diskussionsentwurf", den das BMJV mit einer äußerst knapp bemessenen Frist zur Stellungnahme bis Freitag an die Verbände verschickt hat, findet sich nun folgender Vorschlag: "Das Merkmal 'Rasse' wird gestrichen, ersetzt werden soll es durch die Formulierung 'aus rassistischen Gründen'." Der künftige Art. 3 Abs. 3 S. 1 hieße demnach künftig: "Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen oder aus rassistischen Gründen benachteiligt oder bevorzugt werden."
In der Begründung des Diskussionsentwurfs heißt es dazu, eine menschenbezogene Verwendung des Begriffs 'Rasse' stehe im Zusammenhang mit Vorstellungen von Kategorien unterschiedlicher Menschen und sei zur Rechtfertigung von Sklaverei und Kolonialpolitik herangezogen worden. Dies stehe im Gegensatz zu dem Schutzziel, welches das Diskriminierungsverbot verfolgt. Um solche Einwände gegen Art. 3 Abs. 3 S. 1 GG auszuräumen und um dem Schutzgehalt textlich besser nachzukommen, werde der Wortlaut von Artikel 3 Abs. 3 S. 1 GG überarbeitet, ohne das Schutzniveau zu verändern.
Indes: Dass die vom BMJV getroffene Formulierung das Schutzniveau nicht verändere, sehen Menschenrechtsorganisationen und Grüne nicht so. Aus ihrer Sicht könnte sogar eine Verschlechterung eintreten. Das Deutsche Institut für Menschenrechte lehnt die Formulierung ab, da sie zu sehr auf die Motivation des Diskriminierenden abstellt. "Eine Diskriminierung liegt auch dann vor, wenn sie nicht als solche beabsichtigt war", kritisiert eine Sprecherin des Instituts auf Nachfrage von LTO.
Ähnlich argumentieren auch die Grünen: "Erläuterungen des Wortes 'rassistisch' durch Formulierungen wie 'aus rassistischen Gründen/Motiven' wäre keine wirksame Verbesserung, weil entweder in der Sache verengend oder weil die zuletzt genannten Zusätze zudem als Erfordernis eines subjektiven Elements, einer diskriminierenden Absicht und damit den Schutzbereich verengend interpretierbar wären", sagt die rechtspolitische Sprecherin der Grünen Katja Keul. Ihre Fraktion hat einen eigenen Gesetzentwurf in den Bundestag eingebracht.
CDU: "Unfreundlicher Akt der Justizministerin"
Unbehagen hinsichtlich der BMJV–Formulierung, vor allem aber wegen der Art des Vorgehens des BMJV hat jedoch auch die Unionsfraktion: Deren innenpolitischer Sprecher Dr. Thomas Middelberg verweist gegenüber LTO auf die Kritik des Menschenrechtsinstituts und warnt: "Bei Änderungen im Bereich der Grundrechte ist aber allergrößte Sorgfalt geboten. Wenn eine neue Formulierung am Ende zu einer Einschränkung des Schutzbereichs führt, wäre mehr verloren als gewonnen. Der Vorschlag der Justizministerin wird z.B. vom Deutschen Institut für Menschenrechte genau aus diesem Grund abgelehnt."
Auch CDU-Rechtspolitiker Jan-Marco Luczak hat Bedenken: "Aus meiner Sicht darf der Text von Art. 3 nicht nur aus verfassungsästhetischen, sondern auch aus inhaltlichen Gründen nur minimalinvasiv verändert werden. Insbesondere müssen der historische Bezug zu den Intentionen der Mütter und Väter unseres Grundgesetzes und die damit verbundene besondere Wirkkraft und Schutzwirkung erhalten bleiben. Zu klären ist daher, ob der Begriff 'rassistisch' als sauberer juristischer Terminus erschließbar oder ob er eher soziologisch aufgeladen und damit unscharf ist".
Dass die SPD-Justizministerin eine Verbändeanhörung eingeleitet hat, ohne sich zuvor mit dem Koalitionspartner abschließend verständigt zu haben, stößt bei der Union auf Kritik: Innenpolitker Middelberg gegenüber LTO: "Dass die Bundesjustizministerin ihren Vorschlag trotz der laufenden Gespräche mit dem Bundesinnenminister an Dritte gibt, ist ein unfreundlicher Akt. Offenbar geht es ihr in erster Linie darum, schnelle politische PR zu machen. Das ist der Bedeutung dieser wichtigen Neuregelung in einem sehr sensiblen Bereich unserer Verfassung nicht angemessen."
SPD-Rechtspolitiker hofft auf "Lösung noch im Februar"
SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner zeigte sich überzeugt, dass die Koalition sehr bald zu einer gemeinsamen Linie finden wird: "Wichtig ist, dass der Begriff 'Rasse' aus dem Grundgesetz gestrichen wird und wir freuen uns, dass nach engagierten Verhandlungen mit dem BMI Ministerin Lambrecht jetzt einen guten Gesetzesentwurf vorgelegt hat. Ich hoffe, dass wir noch im Februar zu einer Lösung kommen".
Zur nötigen Zweidrittelmehrheit für die Verfassungsänderung bräuchte es dann aber auf jeden Fall noch Stimmen aus der Oppositon. Von den Oppositionsfraktionen signalisiert die FDP derzeit vielleicht die meiste Unterstützung: "Die von Bundesjustizministerin Lambrecht vorgeschlagene Formulierung 'aus rassistischen Gründen' ist ein weiterer guter Beitrag zur Diskussion und verdeutlicht das ernsthafte Interesse des BMJV an einer Änderung noch in dieser Legislaturperiode, ist aber möglicherweise noch nicht der Weisheit letzter Schluss, " so FDP-Fraktionsvize Stephan Thomae gegenüber LTO.
Mit Material von dpa
Streichung des Merkmals "Rasse" aus Art. 3 GG: . In: Legal Tribune Online, 03.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44180 (abgerufen am: 23.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag