Vor dem OVG NRW ging's um die Wurst – und zwar wortwörtlich: Das OVG NRW musste klären, wie man bei der Abfüllung von Leberwurst korrekt wiegt. Mit Wurstpelle und Verschlussclips oder ohne?
Es geht nur um wenige Gramm, Verbraucher dürften den Unterschied kaum merken: Welche Teile einer Wurst dürfen für das auf der Verpackung angegebene Gewicht mitgewogen werden? Im Kern ging es um die Frage, ob auch die Wurstpelle und Klammern an den Enden mitgewogen werden dürfen. Diesen Streit um die Abfüllung von Wurst musste am Donnerstag das nordrhein-westfälische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Münster klären und stellte sich mit am Freitag verkündetem Urteil letztlich auf die Seite der klagenden Firma (Urt. v. 24.05.2024, Az. 4 A 779/23).
Geklagt hatte eine Firma aus dem Kreis Warendorf, die Wurstwaren herstellt. Bei einer Kontrolle ihrer Produktionsstätte hatte der Landesbetrieb Mess- und Eichwesen im Jahr 2019 bei verschiedenen Sorten von Schmierleberwurst ein paar Gramm zu wenig in den Verpackungen bemängelt. Die festgestellte Füllmenge bei Stichproben weiche von der auf der Verpackung aufgedruckten Nennfüllmenge von 130 Gramm im Mittel um 2,3 bis 2,6 Gramm nach unten ab. Der Grund hierfür lag nach Auffassung des Landesbetriebs darin, dass die Firma die nicht essbare Wursthülle sowie die Verschlussclips unzulässig der Füllmenge hinzurechne.
Die Behörde untersagte daraufhin den Verkauf der Fertigpackungen. Die Firma fühlte sich ungerecht behandelt, weil die Behörde eine jahrelange Praxis plötzlich beanstandet habe. Bis zu diesem Zeitpunkt war es kein Problem, dass die nicht essbare Wursthülle und die Verschlussclips bei der Nennfüllmenge mitgezählt wurden. Deshalb zog sie vor das Verwaltungsgericht (VG) Münster – erfolglos. In der Vorinstanz hatte das VG dem Eichamt recht gegeben und betont, dass zur Nettofüllmenge nur das zählt, was von Menschen auch verzehrt werden kann (Az. 9 K 2549/19).
Wiegen mit Wurstpelle oder ohne?
Jetzt war das OVG als Berufungsinstanz in dieser Frage an der Reihe – und sah das Ganze anders als das VG in der Vorinstanz. Auch nicht essbare Wursthüllen und Verschlussclips gehörten zur Füllmenge fertigverpackter Leberwurst, so das Gericht. Deshalb hob es die Untersagungsverfügung des Landesbetriebs Mess- und Eichwesen NRW auf, mit der der Firma der Verkauf der Fertigpackungen untersagt worden war.
Rechtlich ging es vor dem OVG um die Auslegung der Lebensmittelinformationsverordnung. Geklärt werden musste also, ob aus dieser Verordnung folgt, dass die nicht essbaren Wursthüllen- und clipse bei der Bestimmung der Füllmenge außer Betracht bleiben müssen.
Der Landesbetrieb ging davon aus, dass das Gewicht der Wursthüllen und Verschlussclipse seit Inkrafttreten der europäischen Lebensmittelinformationsverordnung im Jahr 2014 nicht mehr zur Füllmenge der Fertigpackung gehöre. Das OVG folgte dieser Argumentation jedoch nicht: "Nach der weiterhin maßgeblichen EWG-Richtlinie von 1976 ist unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, sind Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts", führte der Vorsitzende am Freitag in der mündlichen Urteilsbegründung aus. Bei einer anderen Auslegung des Begriffs wäre ein Verkauf zum Beispiel an einer Fleischtheke mit dem Wiegen des Produktes vor Ort nicht möglich, begründet das OVG.
Fertigpackung besteht aus Erzeugnis und "mengenerhaltender Umschließung"
Die Füllmenge einer Fertigpackung sei nach den Vorschriften des deutschen Mess- und Eichgesetzes sowie der deutschen Fertigpackungsverordnung zu bestimmen, so das OVG. Diese Anforderungen setzten Vorgaben der weiterhin geltenden Richtlinie der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) über die Abfüllung bestimmter Erzeugnisse in Fertigpackungen (EWG-Richtlinie von 1976) in deutsches Recht um.
Mit der seit 2014 geltenden Lebensmittelinformationsverordnung habe der Unionsgesetzgeber die bisher geltende Rechtslage bezogen auf die Bestimmung der Füllmenge – anders als der Landesbetrieb meinte – gerade nicht geändert, sondern für vorverpackte Lebensmittel auf die EWG-Richtlinie von 1976 Bezug genommen. Nach dieser weiterhin maßgeblichen Richtlinie sei unter Füllmenge die Erzeugnismenge zu verstehen, die die Fertigpackung tatsächlich enthält. Dabei bestehe eine Fertigpackung aus dem Erzeugnis selbst und seiner vollständigen und "mengenerhaltenden Umschließung" beliebiger Art.
Begriff des Erzeugnisses: Vergleich mit anderen Vorschriften
Um zu bestimmen, was nun unter den Begriff des "Erzeugnisses" fällt, stellte der Senat Vergleiche zu anderen Vorschriften an.
Der Begriff des Erzeugnisses sei ein unionsrechtlicher Begriff, der bereits in den Bestimmungen des Gründungsvertrags der EWG über die Landwirtschaft verwendet worden sei und im Wesentlichen unverändert bis heute gelte (heute: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union - AEUV). Die "Erzeugnisse" seien schon damals in einer Liste im Anhang des EWG-Vertrags (heute also des AEUV) aufgeführt gewesen. In dieser Liste sei unter anderem "Fleisch und genießbarer Schlachtabfall" als landwirtschaftliches Erzeugnis genannt. Daneben erwähne die Liste aber auch "nicht essbare landwirtschaftliche Erzeugnisse". Und auch die Lebensmittelbasisverordnung bringe zum Ausdruck, dass "Erzeugnisse" nicht essbar sein müssen oder nicht essbare Teile enthalten können, führten die Richter aus.
Abweichend von dem so bestimmten Begriff des Erzeugnisses gehe nur die Lebensmittelhygieneverordnung in ihren Vorschriften für das Umhüllen und Verpacken von Lebensmitteln davon aus, dass Umhüllung und Verpackung nicht Teil des Erzeugnisses seien. Dabei gehe es aber speziell um die Sauberkeit bei der Lebensmittelherstellung und -verpackung.
Vorschrift aus dem Lebensmittelhygienerecht nicht übertragbar
Auf der Grundlage dieser Begriffsverwendungen war deshalb für den Senat klar: Auch Würste, die nach üblichem Handelsbrauch mit nicht essbaren Wursthüllen und Verschlussclipsen gehandelt werden, sind handelbare Waren und damit als Erzeugnisse im Sinne des Fertigpackungsrechts zu qualifizieren. Sie seien erst dann als fertigverpackt anzusehen, wenn sie mit einer Umschließung beliebiger Art (Fertigpackung) an die Verbraucher abgegeben werden sollen.
Der ausschließlich lebensmittelhygienerechtlichen Unterscheidung von "Erzeugnis" und "Umhüllung" bzw. "Verpackung" hat das OVG keine für das Fertigpackungsrecht durchgreifende Bedeutung beigemessen. Mit anderen Worten: Die anderslautende Definition des "Erzeugnisses" in der Lebensmittelhygieneverordnung spiele für die Frage danach, was gewogen werden darf, keine Rolle.
Der Senat hat die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) entscheiden würde, wegen grundsätzlicher Bedeutung der Sache zugelassen.
cho/LTO-Redaktion
OVG NRW zu verpackter Leberwurst: . In: Legal Tribune Online, 24.05.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54615 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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