Versuchter Mord an einem Abtrünnigen, um die Hierarchie aufrechtzuerhalten - so lautet nur ein Anklagepunkt gegen die mutmaßlichen Anführer der türkisch-nationalistischen Straßengang "Osmanen Germania BC" beim Prozessauftakt in Stuttgart.
Unter starken Sicherheitsvorkehrungen hat am Montag im Gerichtssaal am Gefängnis Stuttgart-Stammheim ein Prozess gegen die mutmaßlichen Anführer der türkisch-nationalistischen Straßengang "Osmanen Germania Boxclub" begonnen (Az. 3 KLs 201 Js 117340/16).
Vor dem Landgericht* (LG) Stuttgart müssen sich acht Männer verantworten - fünf Türken und drei Deutsche - im Alter zwischen 19 Jahren und 46 Jahren, darunter der selbsternannte "Weltpräsident" und sein Vize. Den acht Männern wird eine Vielzahl von Gewalt- und anderen Delikten vorgeworfen, mit denen vor allem die innere Ordnung der Gruppierung aufrechterhalten werden sollte. Laut Anklage wurde ein Abtrünniger dabei fast getötet. Gut 50 Verhandlungstage sind zunächst angesetzt. Demnach würde der Prozess bis Januar 2019 laufen.
Die Liste der Straftaten, die den Männern vorgehalten wird, ist lang: versuchter Mord, versuchter Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Zuhälterei, räuberische Erpressung, Freiheitsberaubung, diverse Waffen- und Drogendelikte. In wechselnden Besetzungen sollen sie diese Taten an verschiedenen Orten in Baden-Württemberg begangen haben. Man könne bei Verurteilungen von "mehrjährigen Haftstrafen" für jeden Einzelnen ausgehen, heißt es bei der Staatsanwaltschaft.
Abtrünniger wurde drei Tage lang festgehalten
Konkret geht es um einen Fall aus Herrenberg nahe Stuttgart. Dort soll ein Teil der Angeklagten - im Wissen der Anführer - ein abtrünniges Mitglied der Gruppe schwer traktiert haben. Und zwar unter anderem deshalb, weil dieser sich weigerte, gegen Kurden vorzugehen, wie es heißt.
Ein "Osmanen"-Trupp habe dem Abtrünnigen Zähne ausgeschlagen, in den Oberschenkel geschossen, ihn bis zur Bewusstlosigkeit getreten und ihm dann die Patrone ohne Betäubung aus dem Bein geholt. Der Mann sei gefesselt drei Tage festgehalten worden, bis er fliehen konnte.
Auseinandersetzungen gab es zuletzt auch mit türkischen Kurden der verfeindeten Straßengang "Bahoz". Immer wieder kam es im Raum Stuttgart zu gewaltsamen Zusammenstößen um die Vorherrschaft in der Region. "Wir Osmanen beherrschen die Straße", beschrieb Staatsanwalt Michael Wahl die Absicht hinter diversen Machtdemonstrationen.
"Boxclub" hat deutschlandweit über 400 Mitglieder
Bis zu seiner Verhaftung im vergangenen Jahr lenkte der 46 Jahre alte "Weltpräsident", ein Deutscher türkischer Abstammung, und sein 38 Jahre alter Vize die "Osmanen" von Südhessen aus. In Deutschland sind den Behörden 33 Ortsgruppen (sogenannte Chapter) mit rund 400 Mitgliedern bekannt, in Baden-Württemberg existieren laut Innenministerium sechs Chapter mit etwa 100 Mitgliedern und Unterstützern.
Die türkisch-nationalistische, rockerähnliche Straßengang Osmanen Germania steht nach Einschätzung des NRW-Innenministeriums in Verbindung zur türkischen Regierungspartei AKP und zum Umfeld des Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Dieser Umstand spiele im Stuttgarter Prozess allerdings gar keine Rolle, so Holzner.
Der Boxclub wurde erst vor wenigen Jahren gegründet. Als Hochburgen der gut 400 Mitglieder gelten die Regionen Frankfurt, Stuttgart und Wuppertal. "Es ist mit Sicherheit nicht der Boxclub, als der er offiziell gegründet wurde. Es ist mit Sicherheit auch keine Wohltätigkeitsorganisation, die Jugendliche von der Straße holt", beschreibt Holzner die "Osmanen". Sie seien als rockerähnliche Gruppierung einzustufen, mit einer strengen Hierarchie, in der man sich durch Straftaten nach oben arbeitet.
Kreis Lörrach ließ Flüchtlingsunterkünfte von "Osmanen" bewachen
Ärger bereiten die "Osmanen" auch dem Landkreis Lörrach. Erst kürzlich wurde nämlich bekannt, dass dieser Mitglieder der Straßengang zum Schutz von Flüchtlingsheimen in Südbaden eingesetzt hatte. Ein entsprechender Bericht des Spiegels wurde am Wochenende bestätigt.
Nach Angaben des Landkreises erhielten die Angehörigen der türkisch-nationalistischen Straßengang die Aufträge ohne sein Wissen offenbar von einem Sub-Subunternehmer. Von dem Einsatz zwischen Ende 2015 und Ende 2016 habe man erst im März 2017 erfahren.
Rückendeckung erhielt der Kreis derweil vom Landkreistag Baden-Württemberg. Dem Kreis könnten keine Versäumnisse vorgeworfen werden, sagte dessen Hauptgeschäftsführer Alexis von Komorowski am Montag in Stuttgart. Der Landkreis habe die Verträge zur Bewachung der Heime korrekt formuliert und abgeschlossen. Zudem habe er sofort reagiert, als Verstöße bekannt wurden. Es handele sich um einen Einzelfall. Der Kreis Lörrach habe alles richtig gemacht.
Ähnlich bewerte das auch Innenminister Thomas Strobl. Für die vorläufige Unterbringung von Flüchtlingen seien die Landkreise zuständig, sagte er am Montag. Diese würden vor Ort entscheiden, wie und welchen Sicherheitsdienst sie einsetzten. In Zeiten der Flüchtlingskrise 2015 und 2016 seien die Landkreise stark gefordert gewesen. Es sei ihnen gelungen, die Situation zu meistern. Er wies damit eine Forderung der FDP-Landtagsfraktion nach Aufklärung zurück.
dpa/mgö/LTO-Redaktion
*Änderung am 27.03.2018, 9:30: In einer früheren Version hieß es, der Fall werde vor dem Oberlandesgericht Stuttgart verhandelt. Tatsächlich ist es das Landgericht.
LG Stuttgart*: . In: Legal Tribune Online, 26.03.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/27733 (abgerufen am: 24.11.2024 )
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