Das nächste Obergericht kommt zu dem Schluss, dass VW seine Kunden durch die manipulierte Abschaltvorrichtung vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat. Zudem äußerte sich das OLG Stuttgart auch zur Anrechnung einer Nutzungsentschädigung.
Auch das Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart sortiert sich nun in die Reihe von Gerichten ein, die feststellen, dass der niedersächsische Autobauer VW seine Kunden vorsätzlich sittenwidrig geschädigt hat. Mit Urteil vom 24. September (Az. 10 U 11/19), das LTO vorliegt, bestätigte das Gericht die Entscheidung der Vorinstanz, die einer VW-Kundin Schadensersatz zugesprochen hatte.
In den vergangenen Monaten haben diverse Gerichte die Ansicht vertreten, dass VW durch den Einbau einer manipulierten Abschaltvorrichtung seine Kunden i. S. d. § 826 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) vorsätzlich sittenwidrig geschädigt habe, zuletzt etwa die OLG in Koblenz und Köln. Anfang September sprach dann auch das OLG Hamm einer Kundin Schadensersatz auf dieser Grundlage zu - und das, obwohl zum Zeitpunkt des Kaufs bereits über den Abgasskandal berichtet worden war.
In dem Fall, der nun vor dem OLG Stuttgart entschieden wurde, hatte eine Frau einen VW Tiguan mit einem Dieselmotor vom Typ EA 189 (EU 5) von einem Gebrauchtwagenhändler erworben, der, wie sich später herausstellte, eine manipulierte Abschaltvorrichtung aufwies, die Gegenstand des sog. Abgasskandals ist. Ein vom Kraftfahrtbundesamt vorgeschriebenes Software-Update wurde später am Wagen durchgeführt.
Schädigung auch bei Kauf vom Gebrauchtwagenhändler zurechenbar
Die Kundin war der Ansicht, durch den Kauf einen Schaden erlitten zu haben, da dem Auto die Rücknahme der Zulassung und damit einhergehend ein erheblicher Wertverlust drohe. Da die Verantwortlichen bei VW von der Manipulation gewusst hätten, sei sie vorsätzlich sittenwidrig geschädigt worden. Vertreten durch Rechtsanwalt Michael Winter von der Kornwestheimer Kooperation Winter - Carl Dr. - Wipfler & Coll machte sie deshalb Ansprüche gegen den Autobauer geltend.
Das OLG Stuttgart bestätigte diese und hielt fest, dass der Frau bereits durch den Vertragsabschluss ein Schaden entstanden sei, da seine Eigenschaften nicht ihren berechtigten Erwartungen entsprochen hätten. Die Nutzung des SUV sei aufgrund der unterlaufenen Voraussetzungen für die Typengenehmigung gefährdet gewesen, da eine Rücknahme der Zulassung gedroht habe.
Das später durchgeführte Software-Update habe daran auch nichts geändert, heißt es im Urteil. Die Kundin könne trotzdem nicht nachhaltig darauf vertrauen, dass die Nutzung ihres Fahrzeugs im Straßenverkehr nunmehr gesichert sei, zudem seien Langzeitwirkungen des Updates für Motor und Fahrzeug "noch gar nicht absehbar".
Es sei ferner auch nicht schädlich, dass die Kundin das Fahrzeug nicht direkt von VW, sondern von einem Gebrauchtwagenhändler erworben habe. Die Täuschungshandlung durch den Autokonzern könnte sich dennoch auf den Kauf ausgewirkt haben, befanden die Richter. Die konkludente Täuschung darüber, dass die Voraussetzungen der EG-Typengenehmgigung erfüllt seien, wirke auch beim Gebrauchtwagenkauf fort, da der dortige Händler lediglich auf durch den Hersteller vermittelte Daten zurückgreife.
Richter: Wider "jede Lebenswahrscheinlichkeit", dass Vorstand von nichts wusste
Ein Knackpunkt der Kundenansprüche gegen VW ist in der Regel die Wissenszurechnung. Da die Täuschung vorsätzlich geschehen sein muss, kommt es letztlich darauf an, ob sich das Unternehmen eine etwaige Kenntnis seiner Repräsentanten gem. § 31 BGB zurechnen lassen muss. VW-Verantwortliche bestreiten i. d. R., von der manipulierten Vorrichtung gewusst zu haben. Gleichwohl und gerade deshalb erregte die Äußerung des VW-Chefs Dr. Herbert Diess in der TV-Show "Markus Lanz", wo er von "Betrug" sprach, große Aufmerksamkeit.
Das OLG fand hierzu deutliche Worte: Es widerspreche "jeder Lebenswahrscheinlichkeit", dass die VW-Führung in eine derart riskante Unternehmensstrategie, die zudem auch erhebliche Haftungsrisiken berge, nicht eingeweiht gewesen sei. Aus diesem Grund treffe VW jedenfalls die sekundäre Darlegungslast, dass der Vorstand tatsächlich nicht von diesen Umständen gewusst habe. Von dieser Darlegungslast sei der Konzern im Prozess aber nicht ausreichend nachgekommen, sondern habe sich auf schlichtes Bestreiten beschränkt, was nicht genüge.
OLG berücksichtigt Nutzungsentschädigung
Das Urteil fiel kurz vor dem Auftakt der Verhandlung zur Musterfeststellungsklage gegen VW, die vor dem OLG Braunschweig verhandelt wird. Nach dem ersten Tag zeichnete sich ab, dass das OLG eine Haftung aufgrund sittenwidriger Schädigung in Betracht zieht, allerdings womöglich eine Nutzungsentschädigung in Abzug bringen will.
Dies nahm auch das OLG Stuttgart in seinem Urteil an. Wenngleich der Kundin Schadensersatz zustehe, könnten ihr nicht zusätzlich die Vorteile der Nutzung des Fahrzeugs belassen werden. Sie habe das Fahrzeug über Jahre hinweg genutzt und müsse dafür im Gegenzug zur Schadensersatzzahlung einen Nutzungsausgleich leisten. Das sei auch angesichts des Verhaltens von VW nicht unbillig, da dem Schadensausgleich nicht die Aufgabe zufalle, das Verhalten des Schädigers zu sanktionieren.
In einer Stellungnahme zeigte sich Klägeranwalt Winter unzufrieden mit der Annahme einer Nutzungsentschädigungspflicht. Man werde diese Frage im Wege der Revision vor den BGH bringen, kündigte er an. Man wolle diese Frage "ein für alle Mal" klären. Dem Vernehmen nach will auch VW das Rechtsmittel nach Karlsruhe einlegen.
OLG Stuttgart: . In: Legal Tribune Online, 07.10.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/38007 (abgerufen am: 04.11.2024 )
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