Der spanische Separatistenführer Carles Puigdemont wird wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder an Spanien ausgeliefert, sagt das OLG Schleswig. Ihm steht aber noch der Weg nach Karlsruhe offen - wenn Spanien ihn nun überhaupt noch will.
Nun ist es endgültig entschieden: Nachdem sich das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig-Holstein bereits bei seiner Haftentscheidung darauf festgelegt hatte, dass der katalanische Separatistenführer und Initiator des umstrittenen Unabhängigkeitsreferendums, Carles Puigdemont, an Spanien ausgeliefert werden könne, hat es nun auch das letzte Hindernis aus dem Weg geräumt. Am Donnerstag entschied der I. Strafsenat per Beschluss, dass die Auslieferung wegen des Vorwurfs der Veruntreuung öffentlicher Gelder zulässig sei.
In seiner Entscheidung über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Erlass eines Haftbefehls gegen den Katalanen hatte das OLG bereits die Voraussetzungen dafür als gegeben angesehen. Der schwerer wiegende Vorwurf der Rebellion sei dagegen kein tragfähiger Auslieferungsgrund, bestätigte das Gericht nun.
Puigdemont wird von spanischer Seite vorgeworfen, als katalanischer Regionalpräsident mit einem Referendum über die Unabhängigkeit von Katalonien und einer anschließenden Unabhängigkeitserklärung u. a. den spanischen Tatbestand der Rebellion erfüllt zu haben. Als Reaktion hatte die Zentralregierung in Madrid die katalanische Regierung abgesetzt und das spanische Staatsgericht einen Haftbefehl gegen Puigdemont erlassen. Zuvor hatte dieser sich bereits nach Belgien abgesetzt.* Später reiste er dann nach Deutschland, wo er aufgrund eine internationalen Haftbefehls aus Spanien festgenommen und wurde. Unter Auflagen durfte er jedoch die Haft verlassen.
Keine Auslieferung wegen Rebellion
Neben Rebellion werfen die Spanier Puigdemont auch die Veruntreuung öffentlicher Gelder vor, da er für das Referendum, welches die Regierung als illegal betrachtet, 1,6 Millionen Euro öffentliche Mittel ausgegeben haben soll - er selbst bestreitet diese Annahmen. Der Vorwurf der Rebellion wiegt indes, besonders hinsichtlich der Strafandrohung, ungleich schwerer als die Veruntreuung: Auf Rebellion steht eine Höchststrafe von 30 Jahren.
Glück für Puigdemont: Die Vorschriften für eine Auslieferung innerhalb der EU, namentlich § 81 Nr. 4 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG), fordern eine sogenannte beiderseitige Strafbarkeit der vorgeworfenen Taten. Danach müssten die Taten, die Puigdemont vorgeworfen werden, auch in Deutschland strafbar sein, um eine Auslieferung zu begründen. Dies sah das OLG nur für den Vorwurf der Veruntreuung öffentlicher Gelder als erfüllt an: "Die dem ehemaligen katalanischen Regierungspräsidenten vorgeworfenen Handlungen erfüllten weder den deutschen Straftatbestand des Hochverrats (§ 81 Strafgesetzbuch) noch den des Landfriedensbruchs (§ 125 Strafgesetzbuch)" heißt es in der Mitteilung des Gerichts dazu. Für beides fehle es an den erforderlichen Gewalthandlungen, bzw. Puigdemonts Beteiligung daran.
Hinsichtlich der Veruntreuung öffentlicher Gelder kamen die Richter dann zu dem Schluss, eine beiderseitige Strafbarkeit sei schon gar nicht zu prüfen, da es sich um eine Katalogtat des EU-Rahmenbeschlusses für den Europäischen Haftbefehl (RbEuHB) handele, für die eine solche Prüfung nicht notwendig sei. Im Übrigen sei die vorgeworfene Tat in Deutschland aber ebenfalls als Untreue strafbar.
OLG: "Uneingeschränktes Vertrauen" in spanische Justiz
Ob der Tatbestand wirklich erfüllt wurde, konnte und sollte das OLG natürlich nicht prüfen. Das obliegt nach der Auslieferung dem spanischen Gericht, vor das Puigdemont gestellt wird. Ob die Modalitäten der Auslieferug die Spanier allerdings tatsächlich hindern, ihn wegen Rebellion anzuklagen, ist nicht ganz sicher. Zwar hindert der Spezialitätsgrundsatz Spanien grundsätzlich, Puigdemont wegen Rebellion abzuurteilen, weil wegen dieses Tatbestands die Auslieferung nicht zulässig ist. Das könnte aber mit einem weiten Verständnis des Tatbegriffs umgangen werden, wie bspw. Professor Kai Ambos von der Universität Göttingen auf LTO erläutert hat.
Das OLG Schleswig sieht hierfür keinen Spielraum, sah sich aber offenbar zu einem entsprechenden Hinweis an die spanischen Behörden aufgerufen: "Der Senat geht davon aus, dass die spanischen Gerichte diesen Grundsatz (der Spezialität, d. Red.) beachten und nicht etwa den Verfolgten Puigdemont nach der Auslieferung wegen des Vorwurfs der Korruption auch noch wegen Rebellion verfolgen werden."
Zweifel an der Rechtsstaatlichkeit des anstehenden Verfahrens gegen Puigdemont hat der Senat nach eigenem Bekunden jedenfalls nicht. Es sei "abwegig, dem spanischen Staat als Mitglied der Wertegemeinschaft und des gemeinsamen Rechtsraums der Europäischen Union" zu unterstellen, er verfolge Puigdemont aus politischen Motiven. Dies hatte der Katalane selbst seinem Land immer wieder vorgeworfen. Die Richter äußerten dagegen ihr "uneingeschränktes Vertrauen" in die Spanier.
Puigdemont darf nun selbst ausreisen
Möglicherweise kommt es aber gar nicht mehr zu einer Verfolgung in Spanien: "Während das OLG die Entscheidung, den Vorwurf der Rebellion nicht zu berücksichtigen, mustergültig begründet hat, ist sie hinsichtlich der Untreue doch auffällig dünn ausgefallen" analysiert der auf Auslieferungsrecht spezialisierte Strafverteidiger Dr. Nikolaos Gazeas gegenüber LTO. So sei diese möglicherweise "verfassungsrechtlich angreifbar".
Und eben das könnte Puigdemont nun tun: U. a. über das "Jedermann-Grundrecht" auf Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) kann er sich noch mit einem Eilantrag zum Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gegen seine Auslieferung wehren. Es sei "schwer, vorherzusehen, wie Karlsruhe dann entscheiden wird", beurteilt Gazeas die Erfolgsaussichten.
Von einer erneuten Inhaftierung Puigdemonts sah das OLG im Übrigen ab, da dieser seine Auflagen in Freiheit bislang tadellos erfüllt habe. Dies führt nun zu der Besonderheit, dass die Generalstaatsanwaltschaft, so sie die Auslieferung - wie zu erwarten ist - bewilligt, Puigdemont eine Frist zur Ausreise setzen muss. Erst wenn er diese verstreichen ließe oder Anstalten machte, zu fliehen, könnte er wieder in Haft genommen und den spanischen Behörden übergeben werden, erklärte Gazeas.
Wartet Spanien neue Gelegenheit ab?
Ob die spanischen Behörden ihn aber nach der Entscheidung des OLG überhaupt noch vor Gericht stellen wollen, ist sich Gazeas nicht sicher. "Die Spanier haben keine rechtliche Möglichkeit, den Spezialitätsgrundsatz zu umgehen" findet er. Aus diesem Grund könnten sie die Möglichkeit, ihn wegen seiner Separationsbemühungen anzuklagen, mit einem Strafverfahren wegen des milden Vorwurfs der Veruntreuung gewissermaßen verschenken - das Verbot doppelter Strafverfolgung (ne bis in idem) stünde dem dann entgegen.
"Sie könnten aber auch abwarten und, sobald er in ein anderes Land einreist, diesen Staat dann um Auslieferung wegen Rebellion ersuchen". Das jeweilige Land müsste dies dann auf Grundlage seines eigenen nationalen Rechts erneut prüfen - möglicherweise die klügere Variante für die spanischen Strafverfolger.
Der ehemalige katalanische Präsident selbst zeigte sich am Donnerstag zufrieden mit der Entscheidung: "Damit ist die Hauptlüge des Staates ausgelöscht. Die deutsche Justiz bestreitet, dass es sich beim Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober um Rebellion gehandelt hat", twitterte der 55-Jährige. Auch Puigdemonts Nachfolger im Amt als katalanischer Regionalpräsident, Quim Torra, äußerte sich lobend auf dem Kurznachrichtendienst: "Ich freue mich sehr für Präsident Puigdemont, weil dies einmal mehr die Irrtümer und Lügen eines juristischen Verfahrens aufzeigt, das es überhaupt niemals hätte geben dürfen."
Mit Materialien von dpa
*Korrektur am 13.07.2018, 13:50 Uhr: In einer früheren Version dieses Artikels hieß es fälschlicherweise, Puigdemont sei noch im Land gewesen, als Spanien gegen ihn den Haftbefehl erlassen hatte.
Maximilian Amos, OLG Schleswig erklärt Auslieferung für zulässig: . In: Legal Tribune Online, 12.07.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/29717 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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