In Kassel waren private Dienstleister für Geschwindigkeitsmessungen eingesetzt worden. Dies war vom OLG verboten worden. Ein Beamter der Stadt Kassel und ein Dienstleister setzten die lukrative Praxis fort – und machten sich damit strafbar.
Überlässt ein Hoheitsträger einem "privaten Dienstleister", der zur Geschwindigkeitsmessung eingesetzt wurde, ein blanko unterzeichnetes Messprotokoll, welches vervielfältigt und mit konkreten Datensätzen versehen zur Grundlage von Verwarngeldern wird, ist das eine Falschbeurkundung im Amt. Die Messprotokolle erfüllen die Eigenschaft einer öffentlichen Urkunde, entschied das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) in einem aktuellen Beschluss (Beschl. v. 2.1.2020, Az.: 2 Ss 40/19).
2012 hatte die Stadt Kassel beschlossen, stationäre Tempomessungen einzurichten. Sie beauftragte dazu ein privates Unternehmen. Das Unternehmen stellte Messgeräte auf, führte Messungen durch, wertete diese aus und erhielt als Gegenleistung eine Vergütung "pro verwertbarem Fall". Im Frühjahr 2017 entscheid das OLG Frankfurt jedoch, dass der Einsatz privater Dienstleister in diesem Bereich unzulässig sei. Daraufhin war die Kooperation mit privaten Unternehmen aufgegeben worden – dachte man zumindest.
Der für die Verkehrsüberwachung zuständige Leiter des Ordnungsamtes wollte die Zusammenarbeit nämlich nicht aufgeben. Aufgrund der hohen Zahl von Bußgeldverfahren versprach er sich nämlich eine Höhergruppierung. Auch der Inhaber der privaten Dienstleistungsfirma war einverstanden, die lukrative Geschäftsbeziehung weiter fortzusetzen. Die beiden vereinbarten daher folgendes Vorgehen: Der Ordnungsamtleiter unterzeichnete ein blanko Messprotokoll und übergab es dem Unternehmer. Dieser konnte das Dokument beliebig kopieren und bei Einrichtung der Messstellen ausfüllen. Für Bürger, Behörden und Gerichte sah dann alles so aus, als hätte die Ortspolizei die Messung durchgeführt. Im weiteren Verfahren wurden die Protokolle dann elektronisch weiterverarbeitet und es ergingen eine Vielzahl von Buß- und Verwarngeldern auf ihrer Grundlage.
Unterzeichnetes Blanko-Protokoll als Urkunde i. S. d. § 348 StGB
Als das Treiben aufgedeckt wurde, wurden beide Beteiligte strafrechtlich verurteilt. Das Amtsgericht Kassel erkannte auf Falschbeurkundung im Amt bei dem Ordnungsamtleiter und auf Beihilfe dazu bei dem Unternehmer. Die Berufung hatte keinen Erfolg, vor dem Landgericht Kassel wurde das Strafmaß noch erhöht. Auch vor dem OLG hatten sie nun keinen Erfolg, das Gericht bestätigte die Entscheidung des Landgerichts.
Das Gericht setzte sich intensiv mit der Frage auseinander, ob es sich bei den Messprotokollen um öffentliche Urkunden im Sinne des § 348 Strafgesetzbuch (StGB) handele. Die Frankfurter Richter bejahten dies: Die Protokolle dienten dazu, Beweiskraft für und gegen jedermann zu erbringen. Die Verkehrsüberwachung und Sanktionierung bei Verstößen sei hoheitliche Kernaufgabe.
Außerdem komme dem Protokoll besondere Beweiskraft im Sinne eines öffentlichen Glaubens zu. Eine Geschwindigkeitsmessung sei nämlich systematisch nur bedingt rekonstruierbar. "Um den Nachweis führen zu können, ist daher ein ordnungsgemäß von einem Hoheitsträger im Rahmen seiner Zuständigkeit errichtetes, inhaltlich zutreffendes Messprotokoll eine maßgebliche Voraussetzung, gerade bei Massenverfahren."
Die Entscheidung ist rechtskräftig. Zu Rückzahlungen an Autofahrer kam es damals übrigens nicht: Offene Verfahren wurden zwar bei Bekanntwerden der Vorwürfe eingestellt, ein Teil war aber bereits rechtskräftig geworden. Mit der Tätigkeit von Hilfspolizisten, die von privaten Unternehmen kommen, hatte das OLG Frankfurt am Main sich nun bereits mehrfach auseinanderzusetzen, zuletzt vor wenigen Tagen bezüglich der Überwachung des ruhenden Verkehrs durch private Dienstleister.
ast/dpa/LTO-Redaktion
OLG Frankfurt zum Kasseler Blitzerskandal: . In: Legal Tribune Online, 21.01.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/39795 (abgerufen am: 22.11.2024 )
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