Auch wenn es für die betreute behinderte Person eine erhebliche Belastung bedeutet: Schwere Pflichtverletzungen einer Betreuerin können die Kündigung eines Heimvertrags rechtfertigen, wie das OLG Frankfurt entschied.
Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat entschieden, dass schwere Pflichtverletzungen einer Betreuerin unter besonderen Umständen die außerordentliche Kündigung eines Heimvertrags rechtfertigen. Auch wenn das zu erheblichen Belastungen für die betreute behinderte Person führt, könne die Fortsetzung eines Heimvertrags in bestimmten Fällen nicht mehr zumutbar sein (Urt. v. 29.05.2019, Az. 2 U 121/18).
Ein gemeinnütziger Träger hatte gegen eine geistig und körperlich behinderte Frau auf Herausgabe des von ihr bewohnten Zimmers in einer Wohneinrichtung für Menschen mit geistigen, seelischen oder körperlichen Behinderungen in Frankfurt am Main geklagt. Die Bewohnerin wird von ihrer Mutter gesetzlich betreut und hat einen hohen Pflegebedarf.
Bereits kurz nach dem Einzug kam es aber zu Konflikten zwischen dem Lebensgefährten der Mutter und dem Heimpersonal. Dieser habe die Heimmitarbeiter insgesamt persönlich herabgewürdigt, unter anderem durch Bezeichnungen wie "Idioten" und "Saftladen", sich außerdem respektlos verhalten, die Mitarbeiter gemaßregelt und es zuletzt sogar darauf angelegt, "sie im Vorbeigehen zu rempeln". Er habe "unmotiviert geschrien und geflucht und dabei in emotionaler Weise mit einem Publikmachen über das Fernsehen und mit juristischen Schritten gedroht". Insgesamt habe er eine beängstigende Atmosphäre geschaffen.
OLG: Verhalten der Mutter der Bewohnerin zurechenbar
Schlichtungsgespräche blieben erfolglos. Die Heimleitung kündigte den Heimvertrag nachfolgend aus wichtigem Grund. Während das Landgericht die Räumungsklage des Heims noch abgewiesen hatte, hatte die Berufung vor dem OLG nun Erfolg. Dem Heim könne "die Fortsetzung des Heimvertrages aufgrund der schuldhaften gröblichen Verletzung der vertraglichen Pflichten seitens der Beklagten bzw. ihrer Betreuerin nicht mehr zugemutet werden", entschied das OLG.
Der Heimbewohnerin sei das Verhalten ihrer Mutter und Betreuerin zuzurechnen, so das OLG zur Begründung. Als schwerbehinderter Mensch, der sich nicht selbst helfen kann, sei die Bewohnerin existenziell darauf angewiesen, dass sich andere ihrer annehmen und ihre Rechte wahren. Eine Pflichtverletzung bei der Wahrnehmung der Interessen der Bewohnerin komme laut OLG deshalb nur unter besonderen Umständen in Betracht.
Diese lägen hier allerdings vor. Ihre Mutter habe sich nicht auf eine Interessenwahrnehmung beschränkt, sondern dabei zugelassen, dass ihr Lebensgefährte wiederholt in nicht hinnehmbarer Weise gegenüber dem Personal aufgetreten sei. Sie sei jedoch verpflichtet gewesen, in ausreichender Weise mäßigend auf ihren Lebensgefährten einzuwirken.
Zwar sei zu berücksichtigen, dass sich die Kündigung für die Bewohnerin als erhebliche Belastung auswirken werde. Laut OLG erfordere die Betreuung und Pflege der Bewohnerin als in hohem Maße verantwortungsvolle und mit emotionalen Belastungen verbundene Tätigkeit ein stabiles Vertrauensverhältnis zwischen den Heimmitarbeitern und der Bewohnerin sowie ihren Angehörigen. Das Vertrauensverhältnis bestehe aber seit geraumer Zeit nicht mehr und kann nach Einschätzung des Gerichts in absehbarer Zeit auch nicht wiederhergestellt werden. Weil ein neuer Heimplatz aber nur schwer zu finden ist, lässt das Gericht die Räumungsfrist bis zum 31. Dezember laufen.
acr/LTO-Redaktion
OLG Frankfurt zum Heimvertrag behinderter Bewohnerin: . In: Legal Tribune Online, 18.07.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/36579 (abgerufen am: 23.11.2024 )
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