Ein Fußballfan ist nicht gefährlich, nur weil er der Ultra-Szene angehört. Die Polizei durfte einen Werder-Bremen-Fan nicht wegen seiner Szenezugehörigkeit an der Fahrt zu einem Auswärtsspiel hindern, entschied das OLG Braunschweig.
Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig hat entschieden, dass die Ingewahrsamnahme eines Werder-Bremen-Fans durch die Polizei auf der Fahrt zu einem Auswärtsspiel beim VfL Wolfsburg rechtswidrig war (Beschl. v. 31.08.2018, Az. 1 W 114/17).
Der Bremer, der bisher nicht strafrechtlich in Erscheinung getreten war, war zusammen mit 39 anderen Fans am 24. Februar 2017 auf dem Weg nach Wolfsburg, um sich das spätere 2:1 Werders beim VfL anzuschauen. Ins Stadion gelangte er an dem Tag aber nicht mehr: Wegen Schmierereien, die die Fans angeblich auf einem Rastplatz hinterließen, verständigten Dritte die Polizei. Diese stoppte den Bus später, kontrollierte die Fans und nahm sie zur Erstellung einer "differenzierten Gefahrenprognose" in Gewahrsam. Die Polizei entschloss sich dann, den Bus nicht weiterfahren zu lassen, sondern führte das Fahrzeug samt allen Fans unter polizeilicher Begleitung zurück nach Bremen.
Bei der Kontrolle wurden keinerlei Waffen, Sprühdosen oder sonstige Werkzeuge gefunden, einen Bezug zu den Schmierereien an der Raststätte konnte die Polizei nicht herstellen. Acht der Fahrgäste waren in der Datei "Gewälttäter Sport" gepeichert, einige waren alkoholisiert. Der Polizei reichte das, um auch bezüglich des Beschwerdeführers von einer gegenwärtigen Gefahr im Sinne des niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (NSOG) auszugehen.
Ultra sein allein begründet keine Gefahr
Während das Amtsgericht Wolfsburg noch entschied, die polizeilichen Maßnahmen seien rechtmäßig gewesen, gab das OLG dem betroffenen Fußballfan nun Recht. Er hatte mit Unterstützung des bundesweiten Fanrechtefonds, der von Fußballfans gegründet wurde und deren Rechte stärken soll, gegen den amtsgerichtlichen Beschluss Beschwerde eingelegt.
Allein die Zugehörigkeit zur Ultra-Szene und die Einstufung als Fan der "Kategorie B" durch einen szenekundigen Beamten genügten nicht, um die Gefahrenprognose zu begründen, die es für eine Ingewahrsamsnahme braucht, so das OLG in seinem Beschluss. Laut des Senat gab es nicht genug Anhaltspunkte dafür, dass der Fan unmittelbar davor gestanden hätte, Straftaten zu begehen.
Auch der Umstand, dass andere, polizeibekannte Ultras im Bus mitfuhren, begründe eine solche Annahme nicht. Selbst bevorstehende Straftaten aus der Gruppe heraus rechtfertigten laut OLG allein nicht den Gewahrsam gegen jedes Gruppenmitglied. Vielmehr müsste es dafür konkrete Anhaltspunkte für einen kollektiven Vorsatz geben, was aber nicht der Fall gewesen sei. Zudem habe die Polizei kein Betretungsverbot für die Stadt Wolfsburg gegen den Fan aussprechen dürfen.
Seine Prozessbevollmächtigte, die Bremer Rechtsanwältin Lea Voigt, sagte: "Das OLG stellt in seinem Beschluss klar, dass eine Sippenhaft von Fußballfans nicht zulässig ist. Das ist erfreulich und sendet hoffentlich ein deutliches Signal". Sie und ihr Mandant beabsichtigen nun, Schadensersatzansprüche geltend zu machen.
Der Hannoveraner Rechtsanwalt und Fanrechtsexperte Dr. Andreas Hüttl begrüßt den Beschluss. Die Tatsache, dass sich eine Person in einer Ultra-Gruppe befindet, sei für sich gesehen kein ausreichender Grund, die Freiheitsrechte von Fans einzuschränken. Der Nachweis einer individuellen konkreten Gefahr zur möglichen Begehung von Straftaten müsse vielmehr individuell vorgenommen werden. "Es bleibt zu hoffen, dass dem Wildwuchs der Sippenhaft im polizeipräventivem Bereich hierdurch etwas Einhalt geboten wird", so Hüttl gegenüber LTO.
OLG Braunschweig zur Ingewahrsamnahme von Fußballfans: . In: Legal Tribune Online, 06.09.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/30799 (abgerufen am: 20.11.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag