Das BVerwG hat eine Lanze für die ehemaligen Feldrichter während des Zweiten Weltkrieges gebrochen: Allein aus der entsprechende Tätigkeit in den besetzten Gebieten könne nicht darauf geschlossen werden, dass die Betreffenden gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben. Das Gericht gab damit am Mittwoch einer Klage von Hinterbliebenen auf Ausgleichzahlung für eine Grundstücksenteignung statt.
Anlass für das Urteil des 5. Senats des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) war die Klage der Erbinnen eines ehemaligen Wehrmachtrichters. Diese verlangten Ausgleichsleistungen nach dem Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) für die entschädigungslose Enteignung von insgesamt sechs Grundstücken des ehemaligen Richters in Berlin während der sowjetischen Besatzungszeit.
Das Land Berlin hatte die geforderten Ausgleichsleistungen mit dem Hinweis auf Ausschlussgrund in § 1 Abs. 4 AusglLeistG verweigert. Der Vater der Klägerinnen sei während des Zweiten Weltkriegs an einem Feldkriegsgericht des Heeres in dem durch die Wehrmacht besetzten Norwegen eingesetzt worden. Damit habe er gegen die Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit verstoßen und dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet.
Die Richter des BVerwG widersprachen in ihrem Urteil dieser Pauschalisierung: Allein aus der Tatsache, dass der Vater der Klägerinnen ab 1940 als Richter in den durch die Wehrmacht besetzten Gebieten eingesetzt worden sei, lasse sich nicht ableiten, dass dieser gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen oder dem nationalsozialistischen System erheblichen Vorschub geleistet habe.
Eine solche Vermutung setze einen Erfahrungssatz voraus, nach dem grundsätzlich jeder Wehrmachtrichter an einem Feldkriegsgericht in den besetzten Gebieten gegen die vorgegebenen natürlichen Rechte des Einzelnen verstoßen oder Handlungen vorgenommen hat, die die Verwirklichung der spezifischen Ziele des Nationalsozialismus in erheblicher Weise gefördert haben. Dies sei nicht der Fall gewesen. Zweifellos habe die nationalsozialistische Gewaltherrschaft eine Perversion der Rechtsordnung einschließlich der Rechtsprechung bewirkt, die schlimmer kaum vorstellbar sei. Die Strafpraxis der Feldkriegsgerichte sie durch oftmals drakonische und übermäßige Strafen und insbesondere durch die exzessive Verhängung der Todesstrafe geprägt gewesen. Allerdings habe es auch Wehrmachtrichter gegeben - wenn auch eine Minderheit – die bestrebt war, Unrecht zu vermeiden und Gerechtigkeit sowie Ausgewogenheit walten zu lassen.
Einzelheiten, wie der Vater der Klägerinnen sein Amt konkret ausgeübt habe, seien nicht bekannt. Das Land Berlin könne sich daher nicht auf den Ausschlussgrund des § 1 Abs. 4 AusglLeistG berufen (Urt. v. 16.05.2012, Az. BVerwG 5 C 2.11).
mbr/LTO-Redaktion
BVerwG über Wehrmachtsjustiz: . In: Legal Tribune Online, 18.05.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/6225 (abgerufen am: 20.11.2024 )
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