Neuer Termin im Prozess gegen Dachauer Todesschützen: "Mein Mandant will nur noch in Würde sterben"

24.10.2012

Nun soll also am 5. November die mündliche Verhandlung gegen den mutmaßlichen Todesschützen von Dachau beginnen. Es bleibt ein Hin und Her. Nachdem der Prozess bereits einmal wegen Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten verschoben wurde, verweigert dieser jede weitere Behandlung. Dennoch wurde dem Zuckerkranken nun schon das zweite Bein amputiert – auf Geheiß der Justiz, glaubt sein Verteidiger.

Es war ein ganz alltägliches Verfahren wegen nicht bezahlter Sozialversicherungsbeiträge vor dem Amtsgericht Dachau Anfang Januar. Doch plötzlich zog der Angeklagte eine Pistole und feuerte sechs Schüsse auf den Staatsanwalt und in Richtung Richtertisch. Der 31 Jahre alte Anklagevertreter erlag wenig später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Richter, Protokollführer und Verteidigerin blieben unverletzt. Die Attacke hatte bundesweit eine Debatte über schärfere Sicherheitsvorkehrungen in Justizgebäuden ausgelöst. In Bayern werden seitdem in Amts- und Landgerichten alle Besucher kontrolliert.

Am vergangenen Dienstag hätte nun eigentlich der Prozess gegen den Todesschützen beginnen sollen. Zwölf Verhandlungstage hatte das Gericht angesetzt, die Anklage lautete auf Mord und dreifachen versuchten Mord.
Doch daraus wurde nichts. Grund ist der Gesundheitszustand des Beschuldigten. Ein Gutachter habe seinen Mandanten für verhandlungsunfähig erklärt, sagte der Verteidiger Maximilian Kaiser. "Mein Mandant ist schwer zuckerkrank." Dem Mann ist bereits ein Bein amputiert worden. In einer Patientenverfügung soll er lebensverlängernde Maßnahmen abgelehnt haben.

Gegen Sabotage: Gerichtsverfahren auch ohne den Angeklagten möglich

Nun amputierten Ärzte dem Mann auch noch das zweite Bein und der Verteidiger wirft der bayerischen Justiz vor, den Angeklagten getäuscht zu haben. Sein Mandant habe der Operation nur unter dem Einfluss von Morphium und nicht bei klarem Bewusstsein zugestimmt. Der 55-Jährige werde gegen seinen Willen behandelt, damit man ihm doch noch den Prozess machen könne.

Ohne den Angeklagten kann nur in ganz seltenen Fällen verhandelt werden. Nämlich dann, wenn dieser sich vorsätzlich und schuldhaft in einen Zustand versetzt, in dem er nicht verhandlungsfähig ist, und das Gericht seine Anwesenheit für entbehrlich hält. Das regelt § 231a Abs. 1 Strafprozessordnung, eine Vorschrift, die der Gesetzgeber während des Baader-Meinhoff-Prozesses einführte, weil die Angeklagten versucht hatten, das Verfahren unter anderem durch Hungerstreiks zu sabotieren.

"Aber das ist hier Quatsch", sagt der Verteidiger. "Mein Mandant hat sich nicht vorsätzlich in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit versetzt und das weiß das Gericht auch. Er hungert bereits seit Januar und will nur noch in Würde sterben. Mit der Hauptverhandlung hat das überhaupt nichts zu tun."

Nichtstun reicht nicht aus

Außerdem versetzt sich jemand, der lediglich eine medizinische Behandlung ablehnt, wohl nicht schuldhaft in den Zustand der Verhandlungsunfähigkeit. Denn ein Angeklagter ist nicht verpflichtet, aktiv an seiner eigenen Strafverfolgung mitzuwirken. Auch muss er ärztliche Maßnahmen zur Erhaltung seiner Gesundheit nicht dulden.

Das Justizministerium wies denn auch jede Verantwortung für die Behandlung des Mannes zurück. Es habe "keinerlei Druck von Seiten der Justiz" gegeben, sagte ein Sprecher. Die Entscheidung über medizinische Maßnahmen liege allein bei den behandelnden Ärzten im Krankenhaus.

Dem widerspricht der Verteidiger. "Mitnichten waren es die Ärzte, es war die Justizvollzugsanstalt selber", welche die Amputation des zweiten Beins des Angeklagten angeordnet habe, sagt Kaiser. Die Mediziner im Gefängnis seien schließlich Mitarbeiter der Justiz. "Ich gehe fest davon aus, dass sie meinen Mandanten zu diesem Prozess zwingen wollen."

Medizinrechtler Putz: Angeklagter hätte unter Betreuung gestellt werden müssen

Der Münchner Anwalt Wolfgang Putz, der sich bis vor den Bundesgerichtshof dafür verantworten musste, einer Mandantin empfohlen zu haben, die künstliche Ernährung ihrer komatösen Mutter zu stoppen, äußerte Unverständnis für das Vorgehen der Justiz. Dem Patienten hätte zumindest ein rechtlicher Betreuer zur Seite gestellt werden müssen, sagte der Medizinrechtler. Putz hält es für fraglich, ob der auf der Krankenstation des Münchner Gefängnisses Stadelheim behandelte Mann vor der Einwilligung in die Amputation tatsächlich seinen Willen frei äußern konnte.

"Der freie Wille war womöglich durch Morphine beeinträchtigt", vermutet Putz. Man hätte den 55-Jährigen daher nach seiner Auffassung unter Betreuung stellen müssen. "Die betreuungsrechtlichen Aspekte werden hier grob vernachlässigt."

Das Gericht hat nun dennoch für den 5. November einen neuen Verhandlungstermin anberaumt. "Der Termin wird wohl mit oder ohne meinen Mandanten stattfinden", kommentiert der Verteidiger Kaiser. Zuvor soll es am kommenden Donnerstag im Krankenhaus eine Anhörung geben. "Ob der Angeklagte verhandlungsfähig ist oder im Zweifel ohne ihn verhandelt werden kann, wird die Kammer im Termin zur mündlichen Hauptverhandlung feststellen", sagte die Leiterin der Pressestelle beim OLG München Margarete Nötzel, die auch für das Landgericht zuständig ist.

Der Verteidiger kritisierte das Vorgehen der Justiz und legte Beschwerde gegen den Prozesstermin ein: Er könne weder an dem Anhörungstermin teilnehmen noch bis zum 5. November ein abschließendes Gespräch mit seinem Mandanten führen. Derzeit ist er krankgeschrieben und demnächst bis zum 3. November verreist.

Mit Materialien von dpa/cko/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Neuer Termin im Prozess gegen Dachauer Todesschützen: . In: Legal Tribune Online, 24.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7383 (abgerufen am: 22.11.2024 )

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