Nach der Nachricht vom Tod von Alexej Nawalny, geben Spitzenpolitiker diverser Staaten Putin die Schuld. Nawalny sei zu Tode gefoltert worden. Der ukrainische Präsident Selensky geht von einer gezielten Tötung des Kreml-Kritikers aus.
Alexej Nawalny hat seinen Kampf gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin nach Auffassung vieler Politiker:innen weltweit mit dem Leben bezahlt. Der berühmteste politische Gefangene des Landes starb am Freitag im Alter von 47 Jahren nach Angaben der Justiz in seiner sibirischen Strafkolonie. Er sei nach einem Spaziergang zusammengebrochen, Wiederbelebungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt, hieß es.
Immer wieder hatte Nawalny fehlende medizinische Hilfe, Schikane und sogar Folter im Straflager beklagt. Bis zuletzt zeigte sich der abgemagerte und sichtlich geschwächte Politiker aber etwa bei Auftritten bei Gerichtsverhandlungen entschlossen in seinem Ziel, ein "Russland ohne Putin" erreichen zu können. Politiker:innen weltweit reagierten am Freitag mit Bestürzung auf die Nachricht seines Todes.
"Wir wissen aber nun auch ganz genau, spätestens, was das für ein Regime ist", sagte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag. Auf einer Pressekonferenz mit dem ukrainischen Präsident Wolodymyr Selenskyj in Berlin erinnerte er daran, wie er Nawalny in Berlin getroffen habe, als dieser sich in Deutschland von einem Giftanschlag zu erholen versucht habe. Dabei habe er mit Nawalny auch über den großen Mut geredet, den es erfordere, wieder zurückzugehen in das Land. "Und wahrscheinlich hat er diesen Mut jetzt bezahlt mit seinem Leben," sagte Scholz.
Selenskyj geht davon aus, dass der russische Oppositionspolitiker getötet wurde. Es sei sehr bedauerlich, dass Nawalny in einem russischen Gefängnis gestorben sei, sagte er laut offizieller Übersetzung bei der Pressekonferenz. "Es ist für mich offensichtlich: Er wurde getötet. Wie andere Tausende, die zu Tode gequält wurden wegen dieses einen Menschen."
Habeck: "Das Regime Putin hat ihn auf dem Gewissen"
Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) reagierte ebenfalls bestürzt auf die Nachricht von Nawalnys Tod: "Das Regime Putin hat ihn auf dem Gewissen." Er sagte, Nawalny habe sein Leben verloren in seinem Einsatz für ein besseres Russland. "Er war ein Patriot, der sich für Demokratie und den Rechtsstaat einsetzte und sein Land und die Menschen dort liebte. Mehr als sein eigenes Leben," so Habeck.
"Alexej Nawalny hat für ein demokratisches Russland gekämpft. Putin hat ihn dafür zu Tode gequält", schrieb Finanzminister Christian Lindner (FDP) auf der Plattform X. Das sei ein neuer Beleg für "den verbrecherischen Charakter dieses Regimes". Lindner hatte seit 2021 wöchentlich sonntags auf Twitter und später X Nawalnys Freilassung gefordert. Dabei zählte er unter anderem dessen Hafttage. Zuletzt schrieb er am 11. Februar: "1119 Tage ist Alexej Nawalny in Haft."
Auch die ehemalige Kanzlerin Angela Merkel (CDU) lastet den Tod des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny dem russischen Staat an: "Er wurde Opfer der repressiven Staatsgewalt Russlands. Es ist furchtbar, dass mit ihm eine mutige, unerschrockene und sich für sein Land einsetzende Stimme mit fürchterlichen Methoden zum Verstummen gebracht wurde."
Der britische Premierminister Rishi Sunak schrieb auf X: "Als schärfster Verfechter der russischen Demokratie hat Alexej Nawalny sein Leben lang unglaublichen Mut bewiesen."
Frankreichs Außenminister Stéphane Séjourné hat den in Haft gestorbenen russischen Oppositionspolitiker Alexej Nawalny als Widerstandskämpfer gewürdigt. "Alexej Nawalny hat seinen Widerstand gegen ein System der Unterdrückung mit dem Leben bezahlt", sagte er am Freitag in Paris. "Sein Tod in einer Strafkolonie erinnert uns an die Realität des Regimes von Wladimir Putin."
Tschechischer Außenminister zieht Paralelle zu Tod von Oppositionspolitiker Nemzow
Der tschechische Außenminister Jan Lipavsky sagt, Russland habe "sich zu einem Gewaltstaat entwickelt, der Menschen wie Nemzow oder jetzt Nawalny tötet, die von einer besseren Zukunft träumen." Der Oppositionspolitiker Boris Nemzow wurde 2015 in Moskau in der Nähe des Kremls auf offener Straße erschossen. Der Mord wirft noch immer viele Fragen auf.
Der Sicherheitsberater von US-Präsident Joe Biden, Jake Sullivan, betonte am im Gespräch mit dem Radiosender NPR gleichzeitig, dass die US-Regierung noch keine eigene Bestätigung für den Tod habe und sich daher zunächst mit Kommentaren zurückhalte. "Angesichts der langen und schmutzigen Geschichte der russischen Regierung, ihren Gegnern Schaden zuzufügen, wirft dies reale und offensichtliche Fragen darüber auf, was hier passiert ist", sagte Sullivan weiter.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen schrieb am Freitag auf X: "Eine düstere Erinnerung daran, worum es Putin und seinem Regime geht. Lassen Sie uns gemeinsam kämpfen, um die Freiheit und Sicherheit derjenigen zu schützen, die es wagen, sich gegen die Autokratie zu wehren."
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Regierung in Moskau eindringlich zu einer Aufklärung des Todes des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny aufgefordert. "Meine Botschaft ist, dass wir alle Fakten klären müssen und dass Russland all die ernsten Fragen zu den Ursachen seines Todes beantworten muss", sagte der Norweger am Freitag am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz in einer ersten Reaktion.
Einen Tag vor seinem Tod "gesund und munter"?
Seine Ehefrau Julia Nawalnaja erklärte in München sichtlich erschüttert, sie könne den Tod ihres Mannes nicht bestätigen, Putins Staatspropaganda sei verlogen. Aber sollte die Nachricht stimmen, müsse sich Putin für den Tod ihres Mannes verantworten, sagte sie auf der Sicherheitskonferenz. Putin und seine Unterstützer dürften nicht straflos davonkommen für das, "was sie unserem Land, meiner Familie und meinem Mann angetan haben".
Kurz nach der Nachricht über den Tod des inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny haben unabhängige russische Medien ein Video veröffentlicht, das den Oppositionellen während eines Gerichtstermins am Donnerstag zeigen soll. Nur einen Tag vor seinem Tod habe Nawalny den Umständen entsprechend noch "fröhlich, gesund und munter" gewirkt, schrieben etwa die Journalisten des Kanals Sota am Freitag auf Telegram. Dazu zeigten sie einen rund 30 Sekunden langen und tonlosen Clip, auf dem zu sehen ist, wie Nawalny spricht und lächelt. Er war demnach per Videoschalte in den Gerichtssaal zugeschaltet.
Die Mutter des inhaftierten Kremlgegners sagte der Kreml-kritischen Zeitung Nowaja Gaseta, sie habe ihren Sohn erst am vergangenen Montag im Straflager besucht, "Er war lebendig, gesund und lebenslustig." Nawalny, der im Jahr 2020 nur knapp einen Giftanschlag überlebt hatte, klagte zwar immer wieder über gesundheitliche Probleme und Schikane im Straflager. Bei den zahlreichen Gerichtsterminen, die auch nach seiner Inhaftierung weitergingen, sah man ihm die Strapazen zwar an, er trat aber demonstrativ stets munter auf.
Der russische Oppositionspolitiker und abgelehnte Präsidentschaftsbewerber Boris Nadeschdin schireb am Freitag auf Telegram: "Ich bete dafür, dass sich die Information als unwahr herausstellt", schrieb Nadeschdin, der zuletzt mit seiner Anti-Kriegs-Haltung für Aufsehen sorgte, am Freitag auf Telegram. "Alexej ist einer der talentiertesten und mutigsten Menschen in Russland, die ich kennengelernt habe", fügte er hinzu.
Aus dem Straflager heraus hatte Nawalny den 60 Jahre alten Nadeschdin in den vergangenen Wochen bei dessen Bewerbung für die russische Präsidentenwahl am 17. März unterstützt. Sein Team rief russische Bürgerinnen und Bürger dazu auf, ihre Unterschrift für eine Kandidatur Nadeschdins abzugeben. Obwohl Nadeschdin letztendlich eigenen Angaben zufolge deutlich mehr Unterschriften gesammelt hatte als benötigt, lehnte Russlands zentrale Wahlkommission seine Registrierung als Kandidat vor einigen Tagen ab. Sie verwies auf angeblich fehlerhafte Unterschriften. Viele kritische Beobachter sahen darin aber nur einen Vorwand des russischen Machtapparats, damit am 17. März kein Kriegsgegner gegen Amtsinhaber Wladimir Putin bei der Wahl antritt.
Demonstration vor russischer Botschaft in Berlin
Vor allem mit seinem Kampf gegen Korruption im Machtapparat unter Putin machte sich Nawalny viele Feinde. Seine Anti-Korruptions-Fonds baute in vielen Teilen Russlands jahrelang eigene Strukturen auf. Als sie zunehmend auch politisch an Einfluss gewannen und Nawalnys Leute gewählt wurden, ließ die Führung in Moskau das Netzwerk zerschlagen und als "extremistisch" verbieten. Führende Köpfe von Nawalnys Team flohen ins Ausland. Aus dem Exil heraus setzten sie den Kampf gegen die aus ihrer Sicht durch und durch kriminellen und mafiosen Machtstrukturen fort. Nawalny aber blieb.
Russlands liberale Opposition dürfte den Widerstand im Untergrund im In- und Ausland weiter organisieren. Millionen folgen in den sozialen Netzwerken Nawalnys Team, das auch aktuelle politische Nachrichtensendungen, Kommentare und Talkrunden bei Youtube bringt. Dort hatte zuletzt mit Blick auf die Präsidentenwahl die Kampagne "Russland ohne Putin" begonnen. Nawalny hatte dazu aufgerufen, für einen beliebigen Kandidaten zu stimmen - nur nicht für Putin.
Kurz nach der Nachricht vom Tod Nawalnys protestierten erste Demonstranten vor der Botschaft Russlands in Berlin. Schon am Freitagmittag versammelten sich zunächst einige Dutzend Menschen vor dem großen Botschaftsgebäude auf dem Boulevard Unter den Linden. Viele Demonstranten trugen Plakate mit einem Foto Nawalnys, andere Fahnen oder Transparente. Auf einem stand: "Putin ist ein Killer". Nach und nach wurden es mehr Menschen.
dpa/hes/LTO-Redaktion
Reaktionen auf den Tod des Regimekritikers: . In: Legal Tribune Online, 16.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53896 (abgerufen am: 21.11.2024 )
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